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Gehirnentwicklung - Grundlage der Bewegungsentwicklung

die Ursachen vieler motorischer Dysfunktionen in einer unterentwickelten Gehirnreife liegen, scheint ein Blick auf dieses zentrale Organ bedeutsam zu sein. Das Verständnis der normalen motorischen Entwicklung und ihrer Abweichungen setzt ein grundlegendes Wissen über den Aufbau, die Entwicklung und die Funktion des menschlichen Gehirns voraus.

1.1 AUFBAU UND FUNKTION DES GEHIRNS

Das Gehirn ist neben dem Rückenmark der wichtigste Bestandteil des zentralen Nervensystems beim Menschen. Das Nervensystem besteht aus Millionen Nervenzellen, die als Neuronen bezeichnet werden. Sie haben die Aufgabe, Informationen von den Sinnesorganen aufzunehmen, zu verarbeiten und an das Gehirn weiterzuleiten. Hier werden die Informationen nochmals verfeinert und schließlich an motorische oder organische Zentren weitergeleitet, die eine Reaktion planen oder durchführen. Die Weiterleitung von Nervenimpulsen geschieht über die Fortsätze der Neuronen, den so genannten Dendriten und Synapsen (vgl. Ayres, 2002). „Während der Mensch sich bewegt, etwas wahrnimmt, denkt, sich erinnert, körperlich oder geistig aktiv ist, werden ständig neue Dendriten und Synapsen gebildet. Dadurch bilden sich vermehrt zusammenhängend neurale Netzwerke.“

(Beigel, 2004, S. 15) Das bedeutet, dass körperliche und geistige Bewegung zur Entwicklung des Nervensystems und dadurch auch des Gehirns beiträgt. Dies ist auch die Grundlage aller Therapieformen, die durch Bewegung und Wahrnehmungsförderung eine Verbesserung von kognitiven, aber auch sozialen Fähigkeiten und Verhaltensweisen zu erreichen versuchen.

Das Gehirn als Hauptorgan des zentralen Nervensystems setzt sich aus mehreren Abschnitten zusammen (vgl. Kesper & Hottinger, 2002; Zinke-Wolter, 2005):

Der Hirnstamm

Dieser Teil des Gehirns wird weiter unterteilt in verlängertes Rückenmark, Brücke, Mittelhirn und Formatio reticularis. Der Hirnstamm hat folgende Aufgaben (vgl.

Kesper & Hottinger, 2002):

• Verarbeitung der Informationen aus allen Hirngebieten, die hier zusammen-laufen, und Weiterleitung der Informationen an das Großhirn.

• Sicherung der Kontrolle des Körpers im Raum.

• Regelung lebenswichtiger Funktionen wie Atmung, Kreislauf, Saugen und Schlucken.

• Hemmung oder Verstärkung von sensorischen Reizen in der Formatio reticularis und dadurch Schutz des Gehirns vor Reizüberflutung.

Das Kleinhirn

Dieser Abschnitt ist für die Erhaltung des Gleichgewichts sowie die Bewegungssteuerung und –koordination zuständig. Das Kleinhirn hat die Aufgabe, unsere motorischen Leistungen zu kontrollieren und zu harmonisieren. Weiters ist es an der Bewegungsplanung, Erinnerung an konkrete Bewegungen und Speicherung von Bewegungsabläufen beteiligt. Zeitliche Abläufe von Bewegungen und die Aufrechterhaltung des Gleichgewichts werden hier geregelt. Zu guter Letzt hilft das Kleinhirn mit, unsere Orientierung im Raum zu sichern (vgl. Zinke-Wolter, 2005).

Das Zwischenhirn

Das Zwischenhirn besteht aus mehreren Kerngebieten, die unterschiedliche Aufgaben haben. Von hier aus werden sowohl das Bewusstsein als auch Empfindungen, Emotionen und Sexualfunktionen gesteuert. Die Basalganglien, die im Zwischenhirn ihren Sitz haben, sind für die Steuerung automatisierter Bewegungen zuständig.

Das limbische System

Auch hier spielen sowohl Emotionen als auch Bewegungen eine zentrale Rolle. Die Steuerung der Grobmotorik, das Entstehen von Gefühlen und die Verknüpfung von Lernprozessen mit Emotionen sind Funktionen des Limbischen Systems (vgl. Kesper

& Hottinger, 2002).

Die Großhirnrinde

Der Kortex, wie die Großhirnrinde noch genannt wird, stellt den größten Abschnitt des Gehirns dar. Er ist unterteilt in zwei Hemisphären. Die linke Hemisphäre ist vor allem für logisches und analytisches Denken und Rationalität zuständig. In der rechten Hemisphäre hingegen dominieren ganzheitliche Denkweisen, Gefühle und Intuitionen. Die Lernforschung hat ergeben, dass eine häufige und intensive Aktivierung beider Hirnhälften zu einer vermehrten neuralen Verknüpfung führt, was sich sehr positiv auf die Lernleistung auswirkt. Die beiden Hemisphären sind nochmals gegliedert in vier Bereiche, die als Lappen bezeichnet werden und unterschiedliche Funktionen haben (vgl. Beigel, 2004):

• Schläfenlappen: Emotionen, Hören, Wortverständnis und Wortgedächtnis

• Hinterhauptslappen: Sehen

• Scheitellappen: Verarbeitung von Berührung, Temperatur und Schmerz

• Stirnlappen: Denken, Planen, kognitive Abläufe, Sprache

Der Balken

Hierbei handelt es sich um das Verbindungsstück zwischen den beiden Hemisphären des Großhirns. Seine Aufgabe ist es, Informationen zwischen rechter und linker Hemisphäre auszutauschen und dadurch komplexe Leistungen zu ermöglichen (vgl.

Kesper & Hottinger, 2002).

1.2 STUFEN DER GEHIRNENTWICKLUNG

Wie die Gehirnentwicklung Schritt für Schritt abläuft, ist genetisch determiniert. Nach einem bei den meisten Menschen gleich verlaufenden Zeitplan werden nach und nach Meilensteine der Gehirnentwicklung erreicht.

Die folgende tabellarische Darstellung der Entwicklungsschritte des menschlichen Gehirns wurde von Beigel (2004, S. 31f.) übernommen und teilweise gekürzt:

Geburt Rückenmark und Hirnstamm sind vollständig ausgebildet. Bis zum 15.

Monat beschränkt sich die Gehirnaktivität weitgehend auf den Hirnstamm, Teile des Kleinhirns und den Thalamus.

2.-3. Monat Die Aktivität mehrerer Kortexgebiete steigt.

8. Monat Die Aktivität der Stirnlappen wird durch das Auftreten von ersten kognitiven Anzeichen wie Erinnern sichtbar.

1.

Lebensjahr

Das Gehirn wächst fast um das Dreifache und nimmt stark an Gewicht zu. Die Befriedigung der Grundbedürfnisse steht im Mittelpunkt.

Motorische Entwicklung wird durch das Ausleben der frühkindlichen Reflexe und den Erwerb der Halte- und Stellreaktionen unterstützt.

Bis zum 4.-5.

Lebensjahr

Die Gehirnaktivität findet stark im Bereich des Zwischenhirns (Limbisches System) statt. Emotionales Erkundungsverhalten, Umgang mit Sprache und das Gedächtnis entwickeln sich. Soziale Kontakte werden erprobt. Entstehen des Vorstellungsvermögens und der Phantasie, Spiel, limbische Lautäußerungen, Mimik und Gestik prägen diese frühe Entwicklungszeit des Menschen. Emotionen sind noch nicht über den Verstand steuerbar.

4.-7.

Lebensjahr

Die Ausbildung der rechten Hemisphäre steht im Mittelpunkt. Das Kind erlebt seine Welt noch vorwiegend ganzheitlich. Erkennen und kognitives Denken entwickeln sich immer mehr. Höchststand des Energieverbrauchs des Gehirns mit 4 bis 8 Jahren.

7.-9.

Lebensjahr

Ausbildung der linken Logik-Hemisphäre steht im Mittelpunkt.

Verarbeitung von Details wird immer besser möglich. Kognitives Denken und die Verfeinerung der Sprache sind zu bemerken. Lesen, Schreiben und mathematisches Arbeiten können gelingen. Die Ausbildung der Stirnlappen zeigt sich. Logisches Denken beginnt.

Feinmotorik und Geschicklichkeit verbessern sich.

9.-12.

Lebensjahr

Verstärkte Ausbildung des Corpus Callosum (erg. Balken) – Verarbeitung mit dem ganzen Gehirn.

12.-16.

Lebensjahr

Östrogen und Testosteron beeinflussen das Denken und das Verhalten.

16.-21.

Lebensjahr

Verbesserung der kognitiven Fähigkeiten. Bis zum 18. Lebensjahr weist das Kleinhirn ein ausgeprägtes Wachstum auf.

Ab 21 Jahren

Ausbildung und Verfeinerung des Stirnlappens. Logisches, systemisches Denken, Verfeinerung der Emotionen, Verbesserung der Feinmotorik.

Das Wissen über diese Schritte ist notwendig, um einerseits dem Kind keine Leistungen abzuverlangen, die es aufgrund der unvollständigen Gehirnentwicklung noch nicht schaffen kann und um andererseits mögliche Störungen erkennen zu können.

1.3 DIE BEDEUTUNG DER BEWEGUNG FÜR DIE GEHIRNENTWICKLUNG

Körperliche Bewegung hat einen wichtigen Anteil an der Entwicklung des Nervensystems und des Gehirns. Wenn sich das Kind bewegt, werden Neuronen aktiviert. Je öfter und vielfältiger auf diese Weise Neuronen benutzt werden, umso mehr bildet sich um die Nervenbahnen eine so genannte Myelinschicht. Diese sorgt für schnellere Verarbeitung der Informationen und bessere Weiterleitung zum Gehirn.

Weiters fördert Bewegung die Bildung von Synapsen und führt zu einer immer besseren neuralen Vernetzung im Gehirn (vgl. Beigel, 2004).

Ganz besonders wichtig ist die Bewegung in den ersten Lebensjahren, da in dieser Zeit das Gehirn noch besonders formbar und leicht veränderbar ist. Viele Bewegungserfahrungen, die in dieser Zeit nicht gemacht werden, können kaum oder nur schwer später nachgeholt werden. „Ohne genügend Gelegenheiten, sich zu bewegen und die frühen Entwicklungsstadien zu durchlaufen, ist das Gehirn nicht in der Lage, die für die geistige Entwicklung notwendigen Fähigkeiten zu entwickeln“

(Goddard, 2005, S. 15).