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Funktion und Bedeutung von Familienbetrieben

2.2 Familienverhältnisse

2.3.1 Funktion und Bedeutung von Familienbetrieben

Über einen Betrieb mit 500-jähriger Tradition und dessen Leiter berichtete eine große deutsche Wochenzeitschrift: „Früher demonstrierte er im Parka gegen Kernkraft, heute besucht er Bierfeste im Trachtengewand. Der Zoff mit seinem Vater ist inzwischen begraben. Jetzt führt der Sohn die Brauerei, den ältesten Familienbetrieb Deutschlands“ (Etscheit 2005: 32). Während Familienbetriebe in der Wirtschaftstheorie ebenso wie in der Soziologie vergleichsweise wenig untersucht wurden (vgl. z.B.

Ballarini, Keese 1995), werden sie in der gesellschaftlichen und politischen Öffentlichkeit nicht selten idealisiert und gelten als das „Rückgrat der deutschen Wirtschaft“23. Diese Betriebe passen nicht umstandslos in die industrielle Moderne. Je nach Größe und Branche eines Familienbetriebes sperren sich bestimmte Arbeitsfelder und Organisationsstrukturen gegen eine Modernisierung in Gestalt von Rationali-sierungen und Trennungen von Arbeits- und Lebensbereichen. Die Sehnsucht vieler Gesellschaftsmitglieder nach Verbindung dieser Lebensbereiche mag gleichzeitig die Idealisierung von Familienbetrieben befördert haben. Inzwischen jedoch wird Familienbetrieben auch im wissenschaftlichen Diskurs vermehrt Aufmerksamkeit zuteil und ihre wirtschaftlichen Potentiale werden hervorgehoben.

Der Begriff „Betrieb“ bezeichnet eine „Wirtschaftseinheit, die Güter bzw. Leistungen erstellt und auf Märkten anbietet.“ Unter einem Betrieb wird eher eine technisch-organisatorische Einheit verstanden als eine juristisch-finanzielle Einheit. Letztere wird als „Unternehmen“ bezeichnet und kann mehrere Betriebe umfassen (Lexikon Wirtschaft 2004: 258, 303). Dennoch gibt es keine strenge definitorische Unterscheidung zwischen „Unternehmen“ und „Betrieb“. Häufig werden sie synonym benutzt. Da es in der vorliegenden Arbeit vor allem um die technisch-organisatorische Einheit geht, verwende ich vor allem den Begriff „Betrieb“. „Gemäß der

23 Vgl. z.B. iwd-online (Informationsdienst des Instituts der Deutschen Wirtschaft) 8. Juni 2000, Ausgabe Nr. 23, Jg. 26.

steuerstatistik von 1996 gibt es in Deutschland nahezu 2,8 Millionen Unternehmen“

(Schroer, Freund 1999: 5). Simon (2005: 20) beschreibt, dass die „Regeln der Inter-aktion und Kommunikation“ im System Betrieb vor allem dadurch gekennzeichnet sind, dass „Produkte entwickelt, hergestellt und vertrieben werden.“ In dieser Hinsicht müssen Funktionen erfüllt werden. Streng genommen sind die Personen, die diese Funktionen ausführen nur Mittel zum Zweck. „Sie brauchen sich nicht zu lieben, es reicht, wenn sie zusammenarbeiten und ihren gemeinsamen Job erledigen“ (Simon 2005: 21).

Mit dem Begriff Familienbetrieb wird weder eine bestimmte Betriebsgröße noch eine spezielle Rechtsform bezeichnet. „Ein Familienbetrieb ist ein Unternehmen, auf das die Familie einen maßgeblichen Einfluss ausübt. Von einem maßgeblichen Einfluss der Familie auf das Unternehmen soll dann gesprochen werden, wenn die Familie einen der Einflussfaktoren Eigenkapital, Kontrolle oder Management vollständig dominiert oder der Mindereinfluss durch entsprechenden Einfluss bei einem anderen Faktor ausgeglichen wird. Als notwendige Bedingung wird eine Beteiligung der Familie am Eigenkapital vorausgesetzt“ (Klein 2000: 21). Auch wenn es Familienbetriebe in allen Wirtschaftsbereichen und Umsatzgrößenklassen gibt, nimmt der Anteil der Familien-unternehmen mit wachsender Unternehmensgröße ab. Die meisten Familienbetriebe sind Einzelunternehmen mit einem Umsatz von bis zu 500.000 DM. (Schroer, Freund 1999: 8). Nicht nur bezüglich der Betriebsgröße gibt es gravierende Unterschiede: „Ein Familienunternehmen gleicht niemals vollkommen einem anderen Familienunter-nehmen. Jedes hat seine eigene Geschichte, seine eigene Kultur, seine Eigenheiten“

(Klein 2000: 20). Insgesamt kann davon ausgegangen werden, dass es ca. 2,5 Millionen Familienbetriebe in Deutschland gibt (Schroer/ Freund 1999: 8, 13). Daher ist es um so erstaunlicher, dass es „keine grundlegende Theorie“ und keine „gesicherte Datenbasis“

über Familienbetriebe gibt (Klein 2000: 1).

Zum Mittelstand werden kleine und mittlere Unternehmen aus verschiedenen Wirtschaftsbereichen gezählt: Industrie, Handwerk, Handel, Dienstleistung, Land-wirtschaft. Die Abgrenzung gegenüber Großbetrieben ist uneinheitlich. Gewöhnlich gelten Betriebe mit bis zu 500 MitarbeiterInnen als klein oder mittelständisch.

Üblicherweise werden sie kurz „KMU“ genannt. Mittelständische Betriebe sind in der Regel Familienunternehmen. In der BRD hat der Mittelstand für die Wirtschaft eine große Bedeutung: 99% der Betriebe gehören zur mittelständischen Wirtschaft; sie erwirtschaften etwa 45% der Wirtschaftsleistung und beschäftigen etwa 20 Millionen Erwerbstätige (= 65% aller Erwerbstätigen). Außerdem lernen 80% aller Auszu-bildenden in diesen Betrieben. (Lexikon Wirtschaft 2004, 34). Ballarini und Keese (1995: 2) kritisieren, dass die gesamte ökonomische Theorie (BWL, VWL) vor allem Großunternehmen im Blick hat. Sie gehen davon aus, dass die Betriebsstruktur, die Zielsetzung und das Marktverhalten von KMU ganz anders ist als dasjenige von Großunternehmen.

Wie erwähnt, gibt es verschiedene Merkmale zur Beurteilung der Betriebsgröße:

Umsatz (Erlöse), Zahl der Beschäftigten, Bilanzsumme (Summe Vermögen bzw.

Kapital), Marktstellung oder (in der Landwirtschaft) Hektarzahl. Je nach Wirtschaftszweig sind 30 MitarbeiterInnen ein großer (Handwerk) oder ein kleiner (Industrie) Betrieb (vgl. Lexikon der Wirtschaft 2004: 259). Als Faustzahl werden jedoch üblicherweise die Zahl der MitarbeiterInnen und der Umsatz zur Charakterisierung der Betriebe herangezogen. Etwa 750.000 Unternehmen in Deutschland haben einen Umsatz von weniger als 100.000 DM (Schroer, Freund 1999:

5). Diese kleinen Betriebe24 sind nur äußerst selten Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen, obwohl sie große gesamtwirtschaftliche Bedeutung haben25: „Kleine Betriebe mit bis zu 9 Beschäftigten boten dem Trend zum Stellenabbau als einzige die Stirn, sie schufen mehr als 60.000 neue Jobs. Damit arbeiten inzwischen rund 18 Prozent aller Beschäftigen in Firmen diesen Typs“ (iwd-18. Februar 1999, Ausgabe Nr.

7, Jg. 25). Auch bezüglich einer nachhaltigen Regionalentwicklung wird auf ihre Bedeutung hingewiesen. Im Rahmen von Entwicklungsstrategien für ländliche Räume sollen Handwerk und Kleingewerbe erhalten und unterstützt werden (Maier 2005: 76).

Nachdem die Zahl kleiner Betriebe in den 50er und 60er Jahren stark geschrumpft ist, steigt die Zahl dieser Betriebe seit den 80er Jahren wieder an. Im europäischen

24 Die üblichste Rechtsform kleiner Betriebe ist das Einzelunternehmen (Lexikon Wirtschaft 2004, 268).

25 Eine Ausnahme ist z.B. die Studie des Instituts für Mittelstandsforschung der Universität Mannheim von Klaus Ballarini und Detlef Keese (1995).

Vergleich ist die Quote der Selbständigen in Deutschland mit ca. 10% aber relativ gering. „In der EU lag der Durchschnitt 1999 bei 14,4%; insbesondere in den Mittelmeerländern ist die Kultur der (kleinen) Selbständigkeit immer noch weit verbreitet“ (z.B. Griechenland 32%) (Geißler 2002: 169). Ebenso wie in vergleichbaren Gesellschaften ist vor allem der primäre Sektor geschrumpft, und die Anzahl selbständiger Landwirte ist massiv auf lediglich noch 3720.400 Betriebe im Jahr 2004 zurückgegangen (Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz 2005). Die Anzahl handwerklicher oder industrieller Fertigungsbetriebe, die zum sekundären Sektor zählen, steigt langsam wieder ein wenig an. Der tertiäre Sektor ist währenddessen stetig größer geworden. Mit nahezu 2,2 Millionen Dienstleistungsbetrieben machten sie im Jahr 2000 70% aller Selbständigen aus (vgl. Geißler 2002: 169).

In der vorliegenden Arbeit habe ich mich auf kleine Betriebe konzentriert. Nicht nur ihre gesamtwirtschaftliche Bedeutung, ihre lange Tradition in den verschiedenen Branchen sowie ihre aktuellen Chancen und Potentiale haben mich dazu bewogen. Mit diesem Begriff soll vielmehr mein Erkenntnisinteresse herausgestellt werden, welches auf die besondere Strukturierung kleiner Familienbetriebe abzielt: Es geht in erster Linie darum, den besonders engen Zusammenhang von Familienleben und Arbeitsleben zu untersuchen, der in kleinen Betrieben prägend ist. „Je kleiner die Firma, desto wahrscheinlicher“ ist die Vermischung „der beiden Spielfelder“ (Simon 2005: 30). In großen, weltweit agierenden Mehrgenerationen-Familienunternehmen sind diese Lebensbereiche zeitlich, räumlich und personell weniger eng miteinander verwoben, stattdessen gibt es z.B. eher Abstimmungsprobleme zwischen den verschiedenen Interessen der Großfamilien bzw. den GesellschafterInnen (vgl. z.B. Wimmer, Groth, Simon 2004).

Die Entscheidung, kleine Betriebe und ihre potentiellen ErbInnen in den Mittelpunkt meiner Studie zu stellen, bietet darüber hinaus den Vorteil, an land- und agrar-soziologische Arbeiten anschließen zu können, da die meisten landwirtschaftlichen Betriebe im genannten Sinne „kleine“ Betriebe sind, die sich über Jahrhunderte durch eine besonders enge Verbindung von Familien- und Arbeitsleben ausgezeichnet haben.

Unter anderem, weil Familienbetriebe in der alten Bundesrepublik als „das agrarpolitische Leitbild hochgehalten“ wurden (Inhetveen 2004: 144), genossen sie innerhalb der Agrarwissenschaften in den letzten Jahrzehnten große Aufmerksamkeit.

Die in der Land- und Agrarsoziologie lange Zeit dominierende Definition lautet: „Unter einem landwirtschaftlichen Familienbetrieb ist soziologisch ein landwirtschaftlicher Betrieb zu verstehen, in dem Familienpositionen mit betrieblichen Rollen und umge-kehrt Positionen im Betrieb mit familiären Rollen verknüpft sind“ (Planck, Ziche 1979:

294). Da die Trennung zwischen „Arbeitssphäre“ und „Privatsphäre“ als ein Kenn-zeichen moderner Gesellschaften gilt, wird die bäuerliche Familie häufig als

„vormodern“ bezeichnet (vgl. z.B. Inhetveen 2004: 142; Hildenbrand u.a. 1992, 1999, 2005b). „Der bäuerliche Familienbetrieb ist nicht nur Familie und ist nicht nur Betrieb (Unternehmen), sondern beides in einer Einheit“ (Inhetveen 2004: 142). Anschließend an diese land- und agrarsoziologischen Überlegungen stellt Hildenbrand (2005b: 117) die These auf, dass diese „vormoderne Familienform“ auch in anderen Familienbetrieben anzutreffen ist. Sie würde heute allerdings „nicht mehr bruchlos ihre Wirkung entfalten“, sondern sei konfrontiert „mit den Ansprüchen an Affektivität, Intimität, Individualität, die die moderne Kernfamilie kennzeichnen.“