Beispiel 3.15. Es gilt f ¨ur die Delta-Distributionψ∗δ=ψ, denn f ¨urφ∈ D(Rn)folgt hψ∗δ,φi =hδ,(Rψ)∗φi= ((Rψ)∗φ)(0) =
Z
Rnψ(x)φ(x)dx=hψ,φi.
Diese Eigenschaft spielt eine wichtige Rolle bei der Bestimmung von Fundamen-tall ¨osungen, die wir im n¨achsten Abschnitt einf ¨uhren.
3.3 Fundamentall¨ osungen
Ziel dieses Abschnitts ist die L ¨osung von partiellen Differentialgleichungen L(u) = f inRn,
wobei Lein linearer formaler Differentialoperator der Ordnung kaufD(Rn)ist, L(φ) =
∑
|α|≤k
cαDαφ, φ∈ D(Rn), undcα ∈ C∞(Rn),|α| ≤k.
Definition 3.16. Derformal adjungierte Operatorist definiert durch L∗(φ) =
∑
|α|≤k
(−1)|α|Dα(cαφ), φ∈ D(Rn). Operatoren mit der Eigenschaft L= L∗heißenformal selbstadjungiert.
Beispiele formal selbstadjungierter Operatoren sind L=∆, L= ∂2
∂t2 −c2∆.
Der formal adjungierte Operator ergibt sich durch partielle Integration, indem man alle Ableitungen auf die Testfunktion anwendet. Randintegrale verschwinden hierbei, da die Testfunktionen kompakten Tr¨ager inRn besitzen:
Z
RnL(φ)ψdx =
∑
|α|≤k
Z
Rncα(Dαφ)ψdx =
∑
|α|≤k
(−1)|α| Z
RnφDα(cαψ)dx= Z
RnφL∗(ψ)dx.
Der OperatorL∗ist daher die adjungierte Abbildung im Sinne von Satz 3.10. Wir k ¨onnen folglich die Anwendung vonLauf eine Distribution definieren durch
hL(u),φi=hu,L∗(φ)i, u ∈ D′(Rn), φ∈ D(Rn).
Dies erlaubt die Definition verschiedener L ¨osungsbegriffe f ¨ur die Differentialgleichung L(u) = f.
Definition 3.17. SeienΩ⊂Rn eine offene Menge und f ∈ D′(Ω).
(i)Die Funktion u heißtklassische L ¨osungvon L(u) = f , wenn u∈ Ck(Ω)und wenn sie die Differentialgleichung f ¨ur alle x∈ Ωl¨ost.
(ii) Die Abbildung u heißtdistributionelle L ¨osung von L(u) = f , wenn u ∈ D′(Ω) und wenn L(u) = f im Distributionensinne gilt, d.h.hL(u)−f,φi =0f ¨ur alleφ∈ D(Ω). (iii)Eine distributionelle L¨osung u, die inΩ lokal integrierbar ist, heißt schwache L ¨o-sungvon L(u) = f .
Das folgende Lemma zeigt, dass der Begriff der distributionellen L ¨osung eine Er-weiterung des klassischen L ¨osungsbegriffs ist.
Lemma 3.18. Jede klassische L¨osung der Differentialgleichung L(u) = f ist auch eine distri-butionelle L¨osung. Ist umgekehrt u eine distridistri-butionelle L¨osung und u∈ Ck(Ω), so ist sie auch eine klassische L¨osung.
Beweis. Sei u ∈ Ck(Ω) eine klassische L ¨osung von L(u) = f. Dann folgt f ¨ur alle φ ∈ D(Ω)
hL(u)− f,φi = Z
Ω(L(u)−f)φdx=0.
Also istu eine distributionelle L ¨osung. Sei umgekehrtu ∈ Ck(Ω) eine distributionelle L ¨osung von L(u) = f. Dann erhalten wir f ¨ur alleφ∈ D(Ω)
0=hL(u)− f,φi = Z
Ω(L(u)−f)φdx.
Dies impliziert nach Lemma 1.9L(u) = f inΩ.
Wesentlich f ¨ur die L ¨osung der Differentialgleichung ist der Begriff der Fundamen-tall ¨osung.
Definition 3.19. Seien L ein linearer formaler Differentialoperator wie zu Beginn dieses Abschnitts undξ ∈ Rn. Wir nennen eine distributionelle L¨osung von
L(Uξ) = δξ,
wobeiδξ die verschobene Delta-Distribution aus Beispiel 3.11 ist,Fundamentall ¨osung von Lmit Pol inξ.
Beispiel 3.20. Wir zeigen, dass die Funktion g(·,ξ) f ¨ur gegebenesξ ∈ R, definiert durch
g(x,ξ) =
x(ξ−1) : x ≤ξ
ξ(x−1) : x >ξ, x ∈R,
3.3 Fundamentall ¨osungen 41
−2 −1 0 1 2 −2
0
−2 2 0 2 4 6
x ξ
z
Abbildung 3.5: Fundamentall ¨osung g(x,ξ)aus Beispiel 3.20.
eine Fundamentall ¨osung von d2/dx2 mit Pol in ξ ist (siehe Abbildung 3.5). Dazu rechnen wir f ¨urφ∈ D(R)
hg′′,φi =hg,φ′′i = Z ξ
−∞x(ξ−1)φ′′(x)dx+ Z ∞
ξ ξ(x−1)φ′′(x)dx
= (ξ−1)[xφ′(x)]ξ−∞− Z ξ
−∞φ′(x)dx +ξ
[(x−1)φ′(x)]∞ξ − Z ∞
ξ φ′(x)dx
= (ξ−1) ξφ′(ξ)−φ(ξ)+ξ −(ξ−1)φ′(ξ) +φ(ξ) =φ(ξ).
Wegenhδξ,φi =φ(ξ)folgt die Behauptung.
Fundamentall ¨osungen liefern distributionelle L ¨osungen von L(u) = f, falls L ein Differentialoperator mitkonstantenKoeffizienten ist. Dies wird im folgenden Satz pr¨azi-siert.
Satz 3.21. Seien L ein linearer formaler Differentialoperator mit konstanten Koeffizienten und U0eine Fundamentall¨osung mit Pol in null.
(i)Dann istτ−ξU0eine Fundamentall¨osung mit Pol inξ.
(ii)Ist f ∈ D(Rn), so ist u =U0∗ f eine distributionelle L¨osung von L(u) = f . Beweis. (i) Seiφ∈ D(Rn). Dann folgt
hL(τ−ξU0),φi =hτ−ξU0,L∗(φ)i=hU0,τξL∗(φ)i =∗ hU0,L∗(τξφ)i
=hL(U0),τξφi =hδ0,τξφi=hδξ,φi.
Die Gleichheit “∗” gilt nur bei konstanten Koeffizienten, da der Operator τξ dann nur auf die Testfunktion φwirkt. Wir erhalten L(τ−ξU0) = δξ, d.h., τ−ξU0 ist eine Funda-mentall ¨osung mit Pol inξ.
(ii) DaLkonstante Koeffizienten besitzt, folgt aus Lemma 3.14 und dann aus Beispiel
3.15
L(U0∗ f) = L(U0)∗ f =δ0∗ f = f.
Dies zeigt, dassU0∗ f eine distributionelle L ¨osung ist.
Nach dem Satz von Ehrenpreis-Malgrange existiert zu jedem linearen formalen Dif-ferentialoperator mit konstanten Koeffizienten eine Fundamentall ¨osung. Der Beweis ist recht aufwendig und verwendet den Fortsetzungssatz von Hahn-Banach. Wir verwei-sen f ¨ur Details auf H ¨ormander [10].
In einigen F¨allen ist es m ¨oglich, eine Fundamentall ¨osung zu finden, die durch eine Funktion repr¨asentiert wird. Welche Gleichung sollte diese Fundamentall ¨osung erf ¨ul-len? Seiτ−ξU0eine Fundamentall ¨osung mit Pol inξ. Dann folgt
φ(ξ) =hδξ,φi =hL(τ−ξU0),φi=hτ−ξU0,L∗(φ)i.
L¨asst sich nunτ−ξU0durch eine FunktionU(x,ξ)darstellen, so muss die Gleichung Z
RnU(x,ξ)(L∗(φ))(x)dx=φ(ξ) f ¨ur alleφ∈ D(Rn) (3.4) erf ¨ullt sein. Diese Formel werden wir im folgenden Kapitel zur Bestimmung von Fun-damentall ¨osungen elliptischer Gleichungen verwenden.
43
4 Die Poisson-Gleichung
4.1 Fundamentall¨ osung und Greensche Funktion
In diesem Abschnitt suchen wir eine Fundamentall ¨osung der Poisson-Gleichung
∆u = f inRn und eine L ¨osung des Dirichlet-Randwertproblems
∆u = f inΩ, u= g auf∂Ω,
wobei Ω ⊂Rn ein beschr¨anktes Gebiet mit∂Ω ∈ C1 sei. Wegen Satz 3.21 (i) gen ¨ugt es, eine Fundamentall ¨osung mit Pol in null zu bestimmen, d.h. eine distributionelle L ¨osung von∆u =δ. Nach Beispiel 3.9 giltδ=0 aufRn\{0}. Wir suchen also eine Funktion, die die Laplace-Gleichung∆u =0 aufRn\{0}erf ¨ullt und eine Singularit¨at in null hat.
Die Symmetrie des Problems macht die Verwendung sph¨arischer Koordinaten plau-sibel. Dazu m ¨ussen wir den Laplace-Operator in sph¨arischen Koordinaten formulieren.
Sei dazur =|x| =qx12+· · ·+x2n und schreibev(r) =u(x). Wir rechnen Die Gleichung∆u=0 wird eine gew ¨ohnliche Differentialgleichung,
v′′(r) + n−1
−1 −0.5 0 0.5 1
Abbildung 4.1:Fundamentall ¨osung des Laplace-Ope-rators f ¨urn=2. spezielle Konstanten c2 und c3 eine Fundamentall ¨osung liefert.
Der folgende Satz zeigt, dass dies tats¨achlich der Fall ist (siehe Ab-bildung 4.1).
Satz 4.1. Die lokal integrierbare Funktion U(r) = Koordinaten lautet das Integral ¨uber den Radialanteil
Z 1
0 U(r)rn−1dr,
und dieses Integral existiert f ¨ur allen≥2. Damit istU(r)eine regul¨are Distribution. Wir m ¨ussen also gem¨aß der Formel (3.4), n¨amlich φ(ξ) = R
4.1 Fundamentall ¨osung und Greensche Funktion 45
B
e(0) Ω
eR
n Abbildung 4.2:Zur Definition vonΩε.gilt, wobeiΩε = Rn\Bε(0) (siehe Abbildung 4.2). Der Grenzwert ist notwendig, daU im Ursprung eine Singularit¨at aufweist. Wir integrieren zweimal partiell gem¨aß dem Satz von Gauß:
Das erste Integral auf der rechten Seite verschwindet, da nach Konstruktion∆U =0 in Ωε. Es bleiben also nur die beiden Randintegrale abzusch¨atzen.
Die ¨außere Normale an∂Ωεist gleich der negativen ¨außeren Normalen anBε(0), die in Radialrichtung weist. Daher ist∇U·ν=∂U/∂ν =−dU/dr. Die Absch¨atzung
ver-wenden wir den Mittelwertsatz der Integralrechnung: Es existiert ein xε ∈ ∂Bε(0), so dass
Mit Hilfe von Satz 3.21 aus dem vorigen Abschnitt k ¨onnen wir eine L ¨osung der Poisson-Gleichung bestimmen.
Satz 4.2. SeienΩ⊂Rn ein beschr¨anktes Gebiet und f ∈ D(Ω). DasNewton-Potential N(x) = (U∗ f)(x) =
Z
ΩU(|x−y|)f(y)dy (4.2) ist eine klassische L¨osung von∆u= f inΩ.
Beweis. Aus Satz 3.21 folgt, dass U∗ f eine distributionelle L ¨osung der Poisson-Glei-chung ist. Mit den Resultaten aus Abschnitt 3.2 folgt f ¨ur alleφ∈ D(Ω):
hU∗ f,φi =hU,φ∗R fi = Z
ΩU(|y|)(φ∗R f)(y)dy = Z
Ω
Z
RnU(|y|)f(x−y)φ(x)dx dy, wobei(R f)(x) = f(−x)und die zweite Gleichheit wegenU ∈ L1loc(Ω)folgt. Daher ist
(U∗ f)(x) = Z
ΩU(|y|)f(x−y)dy = Z
ΩU(|x−z|)f(z)dz.
Weil f ∈ D(Ω), k ¨onnen wirU∗ f differenzieren, und es giltU∗ f ∈ C∞(Ω). Daher ist
U∗ f eine klassische L ¨osung.
Das Newtonsche Potential l ¨ost die Poisson-Gleichung, erf ¨ullt aber nicht unbedingt vorgegebene Dirichlet-Randbedingungen. Um dies zu erreichen, ben ¨otigen wir den Be-griff der Greenschen Funktion.
Definition 4.3. DieGreensche Funktion(erster Art) G ist definiert durch G(x,y) =U(|x−y|)−hx(y), x,y ∈ Ω, x 6=y,
wobei U die in Satz 4.1 definierte Fundamentall¨osung des Laplace-Operators und hxdie (ste-tige) L¨osung von
∆hx =0 inΩ, hx(y) =U(|x−y|) f ¨ur y ∈∂Ω, (4.3) sind.
Die Greensche Funktion G ist f ¨ur festes x ∈ Ω also eine Fundamentall ¨osung des Laplace-Operators, die zus¨atzlich homogene Dirichlet-Randbedingungen erf ¨ullt:
∆G(x,·) =δx inΩ, G(x,·) =0 auf∂Ω. (4.4) Kennt man eine solche Funktion, dann kann man eine explizite Formel f ¨ur C2(Ω) -L ¨osungen des Dirichletproblems der Poisson-Gleichung angeben. Dies f ¨uhrt auf die folgendeRepr¨asentationsformel.
4.1 Fundamentall ¨osung und Greensche Funktion 47
B
e(x) Ω
ex Ω
Abbildung 4.3:Zur Definition vonΩε.
Satz 4.4 (Repr¨asentationsformel f¨ur das Dirichlet-Problem). SeienΩ ⊂ Rn ein be-schr¨anktes Gebiet mit∂Ω ∈ C1, f ∈ C0(Ω), g ∈ C0(∂Ω), und sei u∈ C2(Ω)eine L¨osung ¨auße-re Normalenvektor an y ∈ ∂Ω ist. Wir bemerken, dass im Allgemeinen f ¨ur beliebige Funktionen f ∈ C0(Ω)und g ∈ C0(∂Ω)durch (4.5) nichteine L ¨osung des klassischen Dirichletproblems gegeben sein muss.
Beweis. Wegen der Singularit¨at vonU(|x−y|)anx=yk ¨onnen wir nicht ohne weiteres in Integralen ¨uberRn partiell integrieren. Daher definieren wir ¨ahnlich wie im Beweis von Satz 4.1 f ¨ur ein beliebigesx∈ Ωdie MengeΩε =Ω\Bε(x). Integrieren wir zweimal behandelt werden, und wir erhalten im Grenzwertε→0 den Wertu(x). Daher folgt
u(x) = − Da die Funktion hx, definiert in (4.3), harmonisch ist, erhalten wir durch zweimalige partielle Integration
Abbildung 4.4: L ¨osung des Randwertproblems
∆u=2 inΩ= [−1.5, 1.5]×[−1, 1],u= x2+y2 auf∂Ω.
Addieren wir (4.6) und (4.7), so folgt u(x) =−
Z
∂Ω
(U| {z }−hx
=0
)∂u
∂ν −u ∂
∂ν(U| {z }−hx
=G(x,·)
)
ds+ Z
Ω U(|x−y|)−hx
| {z }
=G(x,·)
∆udy
= Z
∂Ωg ∂
∂νG(x,·)ds+ Z
ΩG(x,·)f dy
und damit die Behauptung.
Im Allgemeinen ist es schwierig, die Greensche Funktion explizit zu bestimmen, und man ben ¨otigt numerische Verfahren. In Abbildung 4.4 stellen wir die L ¨osung des Randwertproblems∆u = f inΩ,u =gauf∂ΩmitΩ = [−1.5, 1.5]×[−1, 1], f(x,y) = 2 und g(x,y) = x2+y2 dar. Die rechte Seite f kann als eine Kraft interpretiert werden, die auf den Graphen vonu wirkt, im Beispiel als eine konstante Kraft in Richtung der positivenz-Achse. Der Graph w ¨olbt sich daher in der N¨ahe des Ursprungs leicht nach oben.
Bei Problemen mit sehr einfacher Geometrie kann die Greensche Funktion explizit berechnet werden. Wir betrachten im folgenden Abschnitt zwei einfache Beispiele.