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freiheit und des Kunstbegriffes

In meinen Arbeiten der digitalen Konzeptkunst habe ich mich seit der Jahrtausendwende oft auch mit rechtlichen Fragestellungen beschäftigen können und daraus entwickelte sich nicht nur eine dauerhafte Beobachtung vieler Abläufe im Rechtssystem, sondern auch ein Abgleich dieser normativen Disziplin mit dem Kunstsystem. Bei aller denkbaren Kritik an dessen Status quo ist ein Rechtssystem zunächst einmal konstituierender Bestandteil jeder demokratischen Form, weil es aufgestellte Regeln verarbeitet, Grenzen genauer bestimmt, Übertretungen sanktionieren und Freiräume verhandeln kann. So gilt in der Staatslehre die Judikative neben der Legislative und der Exekutive als eine von drei Säulen eines ge-waltengeteilten, demokratischen Rechtsstaates.

Vor diesem Hintergrund stieß ich im Laufe der Jahre unter anderem auf zwei sogenannte Grundsatzentscheidungen1 des deutschen Bundesverfassungsgerichts, im Weiteren ver-kürzt Bundesverfassungsgericht oder BVerfG bezeichnet, zur Kunstfreiheit, die ich bezüg-lich ihrer Auswirkungen auf die Kunst, ihre Theoretisierung, ihre Lehre und die Kunst-kritik nachfolgend auffalten möchte, um zu selbstreflektierenden, selbstreferentiellen und auch aufklärenden Diskursen anzuregen und zu ermutigen.

Hierzu werde ich zunächst Artikel 5 des Grundgesetzes insgesamt ausführen, um dann anhand einer Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 24.02.1971 die Distinktionslinien entlang der drei Absätze dieses Grundgesetzartikels aufzuzeigen. In Zu-sammenschau mit einer weiteren Grundsatzentscheidung vom 17.07.1984 lassen sich dann die im Folgenden von mir beschriebenen Ableitungen einordnen. Methodisch verschränke ich hierbei die verschiedenen Bedeutungsebenen an ihren Schnittstellen, ein Verfahren, das mit meiner künstlerischen Herangehensweise korrespondiert.

Insgesamt kann der im kunsttheoretischen Diskurs nach meiner Beobachtung unterreprä-sentierte, gleichwohl Regeln ausformulierende Bereich des Rechts als mindestens relevante Teilmenge des Dispositivs der Kunst aufgezeigt werden. Denn die Bildung des Rechts durch ein Zusammenwirken von Rechtswissenschaften, Rechtsliteratur, Rechtsprechung sowie öffentlicher und medialer Rezeption dürfte zumindest in Rechtsstaaten2 als basis-gebend für das Zusammenleben erachtet werden können.

1  Vgl. Wikipedia: Grundsatzentscheidung, https://de.wikipedia.org/wiki/Grundsatzentscheidung [Abruf:

04.04.2020].

2  Vgl. Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz: Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutsch-land. Art. 28 Abs. 1 GG, https://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_28.html [Abruf: 04.04.2020].

Artikel 5, Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland3

(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unter-richten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.

(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.

(3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.

Im Rahmen des Urteils vom 24.02.1971 (Mephisto-Entscheidung) hat das Bundesverfas-sungsgericht die folgenden Abgrenzungen der einzelnen Absätze von Artikel 5 Grund-gesetz zueinander vorgenommen und dabei auch den Lebensbereich der Kunst als Rechts-gut genauer bestimmt:

„Die Kunst ist in ihrer Eigenständigkeit und Eigengesetzlichkeit durch Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG vorbehaltlos gewährleistet. Versuche, die Kunstfreiheitsgarantie durch wertende Einengung des Kunstbegriffes, durch erweiternde Auslegung oder Analogie aufgrund der Schrankenregelung anderer Verfassungsbestimmungen einzuschränken, müssen ange-sichts der klaren Vorschrift des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG erfolglos bleiben.

Unanwendbar ist insbesondere, wie auch der Bundesgerichtshof mit Recht annimmt, Art. 5 Abs. 2 GG, der die Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 GG beschränkt. Die systematische Trennung der Gewährleistungsbereiche in Art. 5 GG weist den Abs. 3 dieser Bestimmung gegenüber Abs. 1 als lex specialis aus und verbietet es deshalb, die Schranken des Abs. 2 auch auf die in Abs. 3 genannten Bereiche anzuwenden. Ebensowenig wäre es angängig, aus dem Zusammenhang eines Werkes der erzählenden Kunst einzelne Teile herauszu-lösen und sie als Meinungsäußerungen im Sinne des Art. 5 Abs. 1 GG anzusehen, auf die dann die Schranken des Abs. 2 Anwendung fänden. Auch die Entstehungsgeschichte des Art. 5 Abs. 3 GG bietet keinen Anhalt für die Annahme, daß der Verfassunggeber die Kunstfreiheit als Unterfall der Meinungsäußerungsfreiheit habe betrachten wollen.“4 Die formulierten Begrenzungen in Art. 5 Abs. 2 Grundgesetz können im Geltungsbereich des Grundgesetzes zusammengefasst somit die Meinungs- und Informationsfreiheit sowie auch die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung treffen. Eine Beschränkung der Kunst, aber auch der Wissenschaft, der Forschung und der Lehre ist hierüber jedoch nicht möglich, da das Gericht den Protokollen des legislativen Prozesses im Parlament bei der Entstehung dieses dritten Absatzes keine Hinweise auf eine andere Deutung

entneh-3  Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz: Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland.

Art. 5, https://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_5.html [Abruf: 04.04.2020].

4  BVerfGE 30, 173 – Mephisto, 24.02.1971, https://www.servat.unibe.ch/dfr/bv030173.html [Abruf: 04.04.2020].

men kann und Art. 5 Abs. 3 Grundgesetz also als lex specia lis5 positioniert. Eine erweiternde Auslegung von Beschränkungen durch andere Verfassungsbestimmungen ist genauso wenig denkbar, wie – und das wird im Folgenden für die Freiheit der Lehre relevant – die Kunst-freiheit durch eine wertende Einengung des Kunstbegriffes einzuschränken.

Im Grundsatzurteil vom 17.07.1984 (Anachronistischer Zug) stellt das BVerfG sodann nähere Beobachtungen über das Kunstsystem an und nimmt zugleich Präzisierungen des Kunstbegriffes zur Gewährleistung der Kunstfreiheit vor:

„Den bisherigen Versuchen der Kunsttheorie (einschließlich der Reflexionen aus-übender Künstler über ihr Tun), sich über ihren Gegenstand klar zu werden, läßt sich keine zureichende Bestimmung entnehmen, so daß sich nicht an einen gefestigten Begriff der Kunst im außerrechtlichen Bereich anknüpfen läßt. Daß [sic] in der Kunsttheorie jeg-licher Konsens über objektive Maßstäbe fehlt, hängt allerdings auch mit einem besonderen Merkmal des Kunstlebens zusammen: die ‚Avantgarde‘ zielt gerade darauf ab, die Grenzen der Kunst zu erweitern. Dies und ein weitverbreitetes Mißtrauen [sic] von Künstlern und Kunsttheoretikern gegen starre Formen und strenge Konventionen sind Eigenheiten des Lebensbereichs Kunst, welche zu respektieren sind und bereits darauf hindeuten, daß nur ein weiter Kunstbegriff zu angemessenen Lösungen führen kann.“6

Neben dem in der Mephisto-Entscheidung von 1971 herausgearbeiteten materiellen Kunst-begriff und dem ebenfalls aus der Entscheidung von 1984 zum Anachronistischen Zug zu entnehmenden formalen Kunstbegriff erkennt das Bundesverfassungsgericht angemessene Lösungen in der Betrachtung dessen, was der Kunstfreiheit unterfällt, nur in Anwendung eines weiten Kunstbegriffes. Zwar stellt das Gericht keine Definition eines weiten Kunst-begriffes zur Verfügung, programmatische Ausgrenzungen, wie sie meines Erachtens in verschiedenen kunsttheoretischen Ansätzen zu beobachten sind, entbehren mit diesen richterlichen Einordnungen jedenfalls einer verfassungsrechtlichen Grundlage. Da nach meinem Kenntnisstand bisher die epistemischen Grundlagen der Kunsttheorien hinsicht-lich einer Begrenzung des Begriffes der künstlerischen Freiheit noch nicht untersucht wurden, sollte demzufolge diese Konfliktlinie analysiert werden, sei es durch die Kunst-wissenschaften oder in interdisziplinären Konstellationen mit zum Beispiel der Soziologie oder den Rechtswissenschaften. Denn hier geht es um nicht weniger als die Auswirkungen etwa auf die Gremien zur Vergabe von öffentlichen Fördermitteln oder auf die Zusammen-setzung von Berufungskommissionen.

Bemerkenswert ist übrigens, dass das Bundesverfassungsgericht 1984 zu einer sehr ähnlichen Begriffsbildung gelangt wie Joseph Beuys, der bereits 1970 die Überlegungen zum „Erweiterten Kunstbegriff “7 eingebracht hat.

5  Vgl. Wikipedia: Lex specialis, https://de.wikipedia.org/wiki/Lex_specialis [Abruf: 04.04.2020].

6  BVerfGE 67, 213 – Anachronistischer Zug, 17.07.1984, https://www.servat.unibe.ch/dfr/bv067213.html [Abruf: 04.04.2020].

7  Joseph Beuys: Das Geheimnis der Knospe zarter Hülle. Texte 1941–1986, hg. v. Eva Beuys, München 2000, S. 136–137.

Ebenso eindeutig verhält es sich bezüglich der Wissenschafts- und Forschungsfreiheit, die in Artikel 5 Abs. 3 Grundgesetz gleichrangig der Kunstfreiheit positioniert ist. Aufgrund der durch die Mephisto-Entscheidung auch für diese Bereiche geltenden Beschränkungs-verbote ließe sich entsprechend formulieren, dass auch Versuche, die Wissenschafts- und Forschungsfreiheitsgarantie durch wertende Einengung des Wissenschafts- und Forschungsbegriffes einzuschränken, „angesichts der klaren Vorschrift des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG erfolglos bleiben [müssen]“8. Für kunsttheoretische Ansätze als eine Form wis-senschaftlicher oder forschender Betätigung eröffnen sich hiermit durchaus Denk- und Gestaltungsräume, paradoxer Weise selbst für Grenzziehungen und Ausgrenzungen bzgl.

ihres angewendeten Kunstbegriffes.

Gleichermaßen stellt sich die Herausforderung, wie kunsttheoretische Konzeptionen, die keinen weiten Kunstbegriff zulassen oder signifikante Ausgrenzungen vornehmen, den-noch in die Lehre eingebunden werden können. Denn hier ist Art. 5 Abs. 3 Satz 2 Grund-gesetz nicht weniger deutlich: „Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung“9. Zusammen mit der Mephisto-Entscheidung, wonach „Versuche, die Kunst-freiheitsgarantie durch wertende Einengung des Kunstbegriffes […] einzuschränken, an-gesichts der klaren Vorschrift des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG erfolglos bleiben [müssen]“10, entsteht für entsprechende kunsttheoretische Ansätze damit ein verfassungsrechtliches Konfliktfeld. Wie schon zuvor mit Fokus auf den Kunstfreiheitsbegriff erarbeitet, dürften vor diesem ausgeweiteten Hintergrund konkrete Philosophien und Theorien, beispiel-haft etwa die Kantische Ästhetik, die idealistische Ästhetik und auch Adornos Ästhetische Theorie auf mögliche Ausgrenzungen zu untersuchen sein.

Ein vergleichbares Konfliktfeld zeichnet sich auch für kritizistische Texte ab, also Texte, die „mit der Anwendung von Werten und Urteilen beschäftigt“11 sind, alsbald diese in der Lehre von Kunstkritik behandelt werden. Damit erweitert sich deren rechtliche Zu-ordnung vom alleinigen Schutzbereich der Meinungsäußerung nach Art. 5 Abs. 1 Grund-gesetz auch in den Bereich wissenschaftlicher, forschender und lehrender Freiheit nach Art. 5 Abs. 3 Grundgesetz. Im Feld der Lehre ist hier dann aber sowohl das Gebot der Verfassungstreue nach Art. 5 Abs. 3 Satz 2 Grundgesetz als auch ein weiter Kunstbegriff ein-zudenken. Besonders herausfordernd dürfte diese Schichtung für alle selbst in der Lehre tätigen Autorinnen und Autoren kritizistischer Texte werden, wenn sie diese eigenen Texte glaubwürdig in ihre Lehre einbeziehen wollten.

Bei theoretischen Konzeptionen könnte jedenfalls Skepsis immer dann geboten sein, wenn sie Kunst mit zusätzlichen Normativen begegnen. Wenn etwa gefordert wird, Kunst solle

8   BVerfGE 30, 173 – Mephisto (wie Anm. 4).

9  Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz: Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland.

Art. 5 (wie Anm. 3).

10 BVerfGE 30, 173 – Mephisto (wie Anm. 4).

11  Irit Rogoff: Vom Kritizismus über die Kritik zur Kritikalität, in: transversal 01.2003, https://transversal.

at/transversal/0806/rogoff1/de [Abruf: 04.04.2020].

oder müsse sich um dieses oder jenes kümmern oder habe bestimmten Vorgaben nachzu-kommen. Denn Kunst kann sich mit der eigenen Disziplin, auch mit eigenen Kontexten, also selbstreferentiell beschäftigen. Sie kann auch Anregung für philosophische Diskurse sein und sie kann unter anderem soziale, religiöse, ökologische, ökonomische, historische, politische, wissenschaftliche und auch rechtliche Themenfelder behandeln. Sie kann nütz-lich12 und sie darf sogar zweckfrei sein13.

Aber weder dem einen noch den anderen muss „Kunst“ entsprechen. Dafür steht Art. 5 Abs. 3 des Grundgesetzes in Verbindung mit den genannten Grundsatzurteilen des Bun-desverfassungsgerichts zur Kunstfreiheit.

2020

12  Vgl. Tania Bruguera: Reflexions on Arte Útil (Useful Art), November 2012, https://www.taniabruguera.

com/cms/592-0-Reflexions+on+Arte+til+Useful+Art.htm [Abruf: 04.04.2020].

13  Vgl. Michael Lingner: Krise, Kritik und Transformation des Autonomiekonzepts moderner Kunst. Zwi-schen Kunstbetrachtung und ästhetischem Dasein, in: ders., Pierangelo Maset und Hubert Sowa (Hg.):

ästhetisches dasein, Hamburg 1999, S. 25–45, https://ask23.de/resource/ml_publikationen/ml_kt_h-a99 [Abruf: 04.04.2020] sowie in dem vorliegenden Sammelband.

Dieser Text ist aus rechtlichen Gründen nur in der Buchausgabe zugänglich.

For legal reasons, this text is only accessible in the book edition.

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