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1. Einleitung

1.1 Forschungsfragen und Inhalt

Die erste Aufgabe der hier vorliegenden Arbeit wird sein, eine zunächst verborgene Kongruenz zwischen Kartenbild und Warencharakter der gehandelten Karte aufzudecken.

Um dies an einem Beispiel genauer erörtern zu können, werde ich mich in Abschnitt 2.3 auf die Veröffentlichung der sogenannten Chart of the World, einer Weltverkehrskarte aus dem Gothaer Justus Perthes Verlag, deren Publikationszeitraum ab dem Jahr 1863 bis nach dem Ersten Weltkrieg nachvollzogen werden kann, konzentrieren. Vor allem die Frage nach den Gründen für Veränderungen im Kartenbild im Hinblick auf den globalisierten Verkauf der Landkarte stellt das Zentrum der Untersuchung in diesem Abschnitt dar. Die Vertriebsstrukturen eines zeitgenössischen Kartenverlages und die Werbung für eine Karte aus einem solchen Unternehmen im Buchmarkt und darüber hinaus bilden gleichzeitig für das gesamte zweite Kapitel ein zentrales Thema.

Zunächst wird es daher als Erstes erforderlich sein, überhaupt die Frage nach den Produkten zu stellen. Diese werde ich kurz in drei Kategorien einteilen: die Prestige- und die Gebrauchskartografie bilden die ersten beiden Gruppen der auf dem Buchmarkt gehandelten kartografischen Erzeugnisse. Hinzu kommt als dritte und letzte Kategorie die der Schulkartografie.

4 Eine Einordnung des zugegebener Maßen sehr eurozentrischen Begriffes des «langen 19. Jahrhunderts» findet sich bei: Jürgen Osterhammel, Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts, Bonn, 2010, 1279 – 1301.

Diese Einteilung hilft zu verstehen, welche Bedeutung einzelne Entscheidungen von Verlegern und Autoren für den Handel mit den von mir beschriebenen Produkten inne hatten, um die unternehmerische Entscheidung für oder gegen eine Publikation nachvollziehbarer in die überlieferte Geschäftstätigkeit der Fachverlage einordnen zu können.

Der folgende Abschnitt 2.2 baut deshalb explizit auf der von mir getätigten inhaltlichen Einordnung von Landkarten als Waren auf und fragt nach dem ganz eigenen Markencharakter von deutschsprachiger Kartografie im 19. Jahrhundert. Dabei wird ein weiterer zentraler Aspekt dieser Arbeit offensichtlich. Es wird nicht vordergründig die Produktgeschichte einzelner Karten im Zentrum der Argumentation stehen. Mehr als die Entstehung und die Drucklegung, in Relation zu den dafür notwendigen Produktionsfaktoren, steht der Handel und die Bewerbung von Karten im Mittelpunkt dieser Studie. Denn vor allem im Hinblick auf den Buch-, aber ganz besonders eben auch auf den Kartenmarkt in Deutschland stellt dieser Blickwinkel für das 18. und erst recht für das 19. Jahrhundert ein Forschungsdesiderat dar.5

Die Erzählung von gehandelten Landkarten verlangt schließlich am Schluss des Kapitels die Beurteilung des Wertes der gehandelten Ware. Das 19. Jahrhundert war geprägt von zunehmend professionalisierten Entdeckungsreisen, deren Ergebnisse als Ausstellungsstücke die Welt erklären sollten.6 In diesem Sinne ist es nicht nur erforderlich nach der Herkunft des angebotenen geografischen Wissens zu fragen, sondern gleichzeitig die Einschätzung des Wertes durch die Zeitgenossen gleichzeitig zu klären. Denn gerade im 19. Jahrhundert kristallisierten sich Maßstäbe der Bewertung wissenschaftlicher Erkenntnisse im Bezug zu ihrer Aussagekraft und ihrer ökonomischen Relevanz heraus, die exemplarisch anhand des Inhaltes der veröffentlichten Karten nachgewiesen werden kann.

Für diese Analyse werde ich mich deshalb im Abschnitt 2.4 mit der Organisation und Beschaffung kartografischer Wissensbestände während und in Folge der Deutschen Expedition nach Ostafrika in

5 Eine detaillierte Arbeit zur Arbeit kartografischer Verlage im 18. Jahrhundert in Frankreich und Großbritannien legte Mary Pedley bereits 2005 vor. Darin beschriebt die Autorin die Rolle von Verlegern, Kupferstechern und Druckern im Prozess der Kartenherstellung und des Vertriebs und erläutert die Besonderheiten des Marktes für Kartografie in den beiden genannten Ländern zu Beginn der europäischen Aufklärung. Siehe: Mary S. Pedley, The Commerce of Cartography. Making and Marketing Maps in Eighteenth-Century France and England, Chicago und London, 2005.

Zur Einführung in die Marketinggeschichte und zur Analyse historischer Werbemaßnahmen siehe außerdem:

Hartmut Berghoff (Hrsg.), Marketinggeschichte. Die Genese einer modernen Sozialtechnik, Frankfurt und New York, 2007.

6 Für einen ersten Überblick zur geografischen Auswertung von Forschungsreisen und kartografischen Rezeption der raumbezogenen Entdeckungen des 19. Jahrhunderts siehe: Holt Meyer et a. (Hrsg.), Space Time of the Imperial, Berlin und Boston, 2017; David Livingstone und Charles W.J. Withers (Hrsg.), Geographies of nineteenth-century science. Thinking geographically about nineteenth-century science, Chicago u.a., 2011; Matthias Fiedler, Zwischen Abenteuer, Wissenschaft und Kolonialismus: der deutsche Afrikadiskurs im 18. und 19. Jahrhundert, Köln u.a., 2005 sowie D. Graham Burnett, Masters of All They Surveyed: Exploration, Geography, and a British El Dorado, Chicago u.a., 2000.

den Jahren 1861 bis 1862 im Verlagshaus von Justus Perthes befassen. Dieser Abschnitt komplettiert das Kapitel auch im Bezug zur Frage, was auf dem deutschsprachigen Buchmarkt des 19. Jahrhunderts unter dem Label der Kartografie subsumiert wurde und welche Rolle dabei der Inhalt gegenüber der Materialität der Handelsware Karte für das Geschäft mit diesen Produkten aufwies. Insofern muss abschließend geklärt werden, ob wissenschaftliche Erkenntnisse einen eigenen Markenkern besitzen und was dies für den Handel mit Wissen ganz allgemein bedeutet.

Diese Arbeit ist deshalb zwangsläufig auch als eine Studie zur Wissensgeschichte der Geografie im 19. Jahrhundert zu verstehen.7

Nachdem die Produkte zu Beginn im Mittelpunkt der Betrachtung standen, werde ich mich in einem zweiten Kapitel mit den beteiligten Personen des Kartenhandels im Untersuchungszeitraum beschäftigen. Diesbezüglich können vier Berufsgruppen ausgemacht werden, deren Wirken den Handel mit Karten überhaupt erst ermöglicht haben: Die Kartografen, ihre Verleger, die Drucker sowie Kupferstecher, deren Rolle zu Beginn der technischen Vervielfältigung von Karten oftmals mit der des eigentlichen Kartografen verbunden war, und schließlich der Buchhändler als Vertriebspartner der Verlage.

Betrachtet man diese Einteilung, so stellt sich unweigerlich die Frage, inwiefern die Geschichte des Kartenhandels ohne die Einbeziehung der Buchhandelsgeschichte des 19. Jahrhunderts geschrieben werden kann? Hinsichtlich der Bedeutung von Verlegern und Buchhändlern für den Handel mit Druckerzeugnissen liegt bereits eine umfassende Forschung für die Zeit des 19. Jahrhunderts vor.8 Die Analyse des Wirkens von Verlegern im Buchmarkt, vor allem im Bezug zu den von ihnen angewandten Verfahrenstechniken und Praktiken im Handel mit Büchern, lassen sich zum Teil auch auf den Handel mit Karten übertragen. Dadurch würde eine Beschreibung und Auswertung der konkreten Praxis des Buchhandels im 19. Jahrhundert helfen, den Rahmen der Möglichkeiten von Verlegern als Akteure des Handels mit Karten einordnen zu können, aber gleichzeitig wenig zur Erforschung der Eigentümlichkeit des Kartenhandels beitragen.9 Aus diesem Grund werde ich mich

7 Zur Einführung in die Markenbildung in der Wissenschaft siehe: Christof Windgätter, Wissenschaft als Marke.

Schaufenster, Buchgestaltung und die Psychoanalyse, Berlin, 2016 sowie ders., Verpackungen des Wissens.

Materialität und Markenbildung in den Wissenschaften, Wien u.a., 2012.

Einen Überblick über grundlegende Fragen der Wissensgeschichte vom 18. bis in das 20. Jahrhundert findet man bei: Walther Ch. Zimmerli, Wissenskulturen des 18. und 21. Jahrhunderts, in: Ulrich Johannes Schneider (Hrsg.), Kulturen des Wissens im 18. Jahrhundert, Berlin und New York, 2008 , 1 – 22.

8 Eine der detailliertesten, chronologischen Darstellungen der Geschichte des Buchhandels in Deutschland

veröffentlichte Reinhard Wittmann. Siehe: Reinhard Wittmann, Geschichte des deutschen Buchhandels, 4. Auflage, München, 2019. Zur Geschichte der Mediennutzung im 19. Jahrhundert, besonders zur Verbreitung von Zeitungen und Zeitschriften siehe: Werner Telesko, Das 19. Jahrhundert. Eine Epoche und ihre Medien, Wien u.a., 2010 und Jörg Requate, Das 19. Jahrhundert als Mediengesellschaft, München, 2009.

9 Eine beispielhafte Studie zur Arbeit von Koloristinnen und Druckern in einem Kartenverlag findet sich bei: Nils Güttler, Unsichtbare Hände. Die Koloristinnen des Perthes Verlages und die Verwissenschaftlichung der Kartographie im 19. Jahrhundert, in: Archiv für die Geschichte des Buchwesens (68), 2013, 133 – 153.

im zweiten Kapitel dieser Arbeit in erster Linie mit der Rolle des Kartografen als Autor und Akteur im Handel mit Kartografie im 19. Jahrhundert näher befassen.

Das Bild der Kartografen als Wissenschaftler ist gut erforscht.10 Die Rolle eines Kartografen als Mitarbeiter in einem Verlag dagegen weit weniger. Deshalb werde ich mich in Abschnitt 3.1 auf die Suche nach der Rolle der Kartografen als Mitarbeiter im Fachverlag für Kartografie begeben und die Frage nach der Bedeutung von Humankapital für die Arbeit eines derartigen Verlages beantworten. Dafür ist es außerdem unerlässlich, nicht nur den vermuteten Wandel in der Beziehung zwischen dem Kartografen als Autor und des Verlegers als Unternehmer zu untersuchen, sondern zugleich auch das Spezifische in der Arbeit der Kartografen als Wissenschaftler und Autoren für ein breites bzw. klar definiertes Publikum herauszuarbeiten.

Damit dies gelingen kann, werde ich in den folgenden drei Abschnitten drei besonders einflussreiche und bekannte Kartografen ihrer Zeit betrachten. Das Adjektiv «einflussreich» kann deshalb an dieser Stelle Anwendung finden, weil die Auswahl der von mir genannten Personen für nachfolgende Geo- und Kartografen als Lehrmeister und akademische Vorbilder auftraten.11

Den Anfang macht Heinrich Berghaus in Abschnitt 3.2.1. Der hauptsächlich in Potsdam lebende-und arbeitende Kartograf galt nicht nur als persönlicher Frelebende-und des Berliner Naturforschers lebende-und Intellektuellen Alexander von Humboldt, sondern auch als einer der einflussreichsten Geografen seiner Zeit. Die Beschäftigung mit der Biografie des Mannes, der auch mit seiner Tätigkeit als Lehrer August Petermanns, Henry Langes und seines Neffen Hermann Berghaus die berufliche Karriere der drei genannten Kartografen maßgeblich förderte, ermöglicht zugleich den Blick auf den beginnenden Wandel in der Beziehung zwischen Kartograf als Autor und dem Verleger als Unternehmer in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Ausgehend von den Ideen der Aufklärung

10 Das bezeugen zahlreiche Biografien von Kartografen des 19. Jahrhunderts. Vgl.: Jürgen Espenhorst und Erhard Kümpel, Diercke – ein Atlas für Generationen. Hintergründe, Geschichte und bibliographische Daten bis 1955, Schwerte, 1999 sowie Gerhard Engelmann, Heinrich Berghaus. Der Kartograph von Potsdam, Leipzig und Halle/Saale, 1977.

11 Zur Bedeutung von wissenschaftlichen Vorbildern für nachfolgende akademische Diskurse im Fach Geografie, besonders im Hinblick auf die Auswirkungen der Arbeit Carl Ritters siehe: Felix Schmutterer, Carl Ritter und seine

«Erdkunde von Asien»: Die Anfänge der wissenschaftlichen Geographie im frühen 19. Jahrhundert, Berlin, 2018 und Cornelia Lüdecke, Carl Ritters (1779 – 1859) Einfluß auf die Geographie bis hin zur Geopolitik Karls Haushofers (1869 – 1946), in: Sudhoff‘s Archiv (88), Nr. 2, 2004, 129 – 154. Selten wird nach einzelnen Wissenschaftlern eine Ära benannt, im Fall des Gothaer Kartografen August Petermanns wurde dies für die Zeit seines Wirkens im Justus Perthes Verlag für die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts versucht. Siehe hierzu einen heute im Grunde selbst zu historisierenden Text aus dem ehemaligen VEB Hermann Haack: Matthias Hoffmann und Rainer Huschmann, August Heinrich Petermann. Eine neue Ära beginnt, in: Gottfried Suchy, Gothaer

Geographen und Kartographen: Beiträge zur Geschichte der Geographie und Kartographie, Gotha, 1985, 77 – 84.

Wie Karten und deren Autoren zu Legenden werden können siehe: Wolfgang Struck, Karten-Legenden. August Petermanns Verschollene, in: Irina Gradinari et al., Reisen und Nichtwissen. Versteckt – Verirrt – Verschollen, Wiesbaden, 2016, 69 – 84.

und geprägt von der zunehmenden Akademisierung sowie Professionalisierung der Naturwissenschaften waren Kartografen als Autoren nicht nur vermehrt gezwungen von ihrer Arbeit auch tatsächlich leben zu können, sondern vor allem im Zusammenhang mit der Bildung privatwirtschaftlicher, geografischer Anstalten das Leben eines Gelehrten mit dem eines Spezialisten zu tauschen.12 In diese Zeit dieses Umbruches fällt die Erwerbstätigkeit von Heinrich Berghaus für verschiedene Verlagshäuser, allen voran für den Justus Perthes Verlag.

Deshalb werde ich in diesem Abschnitt in erster Linie die ökonomischen Abhängigkeiten im Leben eines Kartografen im frühen 19. Jahrhundert von einem Verlag beleuchten und gleichzeitig den Versuch unternehmen, den von mir beschrieben Wandel im Selbstverständnis des Berufs Kartograf aus Sicht der Autoren und ihrer Verleger sichtbar werden zu lassen.

Diese Betrachtung führt mich im nächsten Abschnitt deshalb zur Genese des Berufs des Forschungsreisenden. Heinrich Barth steht wie kein anderer reisende Geograf für eine neue Generation abenteuerlustiger Naturforscher, deren Wirken über Ländergrenzen hinaus Bekanntheit erlangte. Erst recht im Hinblick auf die in Abschnitt 2.4 gestellte Frage des Ursprungs und der Organisation kartografischen Wissens aus dem Feld auf den Zeichentisch, komplettiert die Analyse der Arbeit Barths in Abschnitt 3.2.2 die Nachverfolgung und pekuniäre Verwertung des veröffentlichten Raumwissens. Zugleich eröffnet dieser Ansatz die Klärung der Frage nach dem genuinen Wesen der Arbeit eines Forschungsreisenden für die Praxis der Veröffentlichung von Landkarten im 19. Jahrhundert sowie die nach der Historiografie der zeitgenössischen Bewertung geografischer Räume hinsichtlich ihrer kartografischen und gewissermaßen betriebswirtschaftlichen Verwertungsmöglichkeiten.13

12 Die Arbeit geografischer Fachverlage ist besonders eindrucksvoll für den mitteldeutschen Raum im 18. Jahrhundert belegt. Welchen Einfluss die beginnende Aufklärung und ein expandierender Büchermarkt auf die Verbreitung geografischen Wissens ausübten, siehe bei: Andreas Christoph, Geographica und Cartographica aus dem Hause Bertuch. Zur Ökonomisierung des Naturwissens um 1800, München und Paderborn, 2012. Zur Geschichte des Verlags- und Buchhandels zum Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Mitteldeutschland als Zentrum des deutschen Buchhandels der damaligen Zeit, siehe: Werner Greiling und Siegfried Seifert (Hrsg.), «Der

entfesselte Markt»: Verleger und Verlagsbuchhandel im thüringisch-sächsischen Kulturraum um 1800, Leipzig, 2004.

13 Die Mehrheit der Publikationen zu diesem Thema behandelt aus literaturwissenschaftlicher Sicht Reiseberichte bekannter Forschungsreisenden bzw. deren Rezeption im Heimatland. Den Blick auf die ökonomische Bedeutung der Regionen in Afrika, die von Heinrich Barth durchreist wurden, richteten zahlreiche Autoren in den 1970er und 1980er Jahren, z.B.: Paul E. Lovejoy, Commercial Sectores in the Economy of the Nineteenth-Century Central Sudan: The Trans-Saharan Trade and the Desert-Side Salt Trade, in: African Economic History (13), 1984 , 85 – 116.

Zur Bewertung indigenen Wissens in Wissenschaft und Forschung siehe: Adam Jones und Isabel Voigt, «Just a First Sketchy Makeshift». German Travellers and Their Cartographic Encounters in Africa, 1850 – 1914, in:

History in Africa (39), 2012, 9 – 39.

Warum gerade Großbritannien zum Zufluchtsort deutscher Naturforscher während der Mitte des 19. Jahrhunderts wurde, zeigt: Ulrike Kirchberger, Deutsche Naturwissenschaftler im britischen Empire. Die Erforschung der außereuropäischen Welt im Spannungsfeld zwischen deutschem und britischem Imperialismus, Historische Zeitschrift (271), Nr. 3, 2000, 621 – 660.

Denn Verleger des 19. Jahrhunderts waren auch gezwungen den Wünschen ihrer Leser entgegen zu kommen, was, bezogen auf den sich verändernden Zeitgeist, in den sich zum Teil stark unterscheidenden Angaben zu Auflagenhöhen der jeweiligen Karten zum Ausdruck kam. Dieser Befund lässt sich besonders eindrucksvoll mit der Auswertung von Kartendrucken in zeitgenössischen Fachzeitschriften visualisieren. Aus diesem Grund werde ich mich im letzten Abschnitt des zweiten inhaltlichen Kapitels einer der bekanntesten geografischen Zeitschriften des 19. Jahrhunderts, nämlich Petermanns Geographischen Mitteilungen, widmen.

Dabei wird nicht die Darstellung des Inhaltes der Zeitschrift oder der Vergleich mit anderen, ähnlicheren zeitgenössischen Publikationen im Vordergrund stehen, sondern vielmehr die Frage, welche Bedeutung einem Kartografen als Werbefigur seiner eigenen Arbeit und für den ihn beschäftigten Verlag beigemessen werden kann.14

Denn August Petermann galt nicht nur als begnadeter Kartograf, sondern auch als Wissenschaftsunternehmer. Seine Arbeit für den Gothaer Perthes Verlag katapultierte das kleine Verlagsunternehmen binnen weniger Jahre an die Spitze der europäischen Forschung auf dem Gebiet der Geografie, was vor allem dem engen, globalen Autorennetzwerk Petermanns zu verdanken war. Zeitgleich ermöglichte der Verlag dem Kartografen Petermann mit einer eigenen Zeitschrift nicht nur das aus dem Netzwerk bezogene Raumwissen publizieren zu können, sondern seinen eigenen Kartenstil in dem konstant erschienenem Periodikum weiterzuentwickeln. Dies führte unweigerlich zu Bildung einer eigenen Personenmarke und zur Frage, wie der Autor das so entstandene Image mithilfe immer neuer Karten für seine eigene akademische Reputation und zur Steigerung des Absatzes anderer Verlagsprodukte nutzte, deren Inhalte vom genannten Netzwerk in mindestens gleicher Weise wie Petermanns Geographische Mitteilungen profitierten.

Nachdem ich in den vorherigen Kapiteln zunächst die Kartenprodukte sowie die Akteure des Kartenhandels im 19. Jahrhundert in Deutschland beschrieben habe, allen voran die Rolle der Kartografen als Akteure des Handels mit Karten selber, stellt sich am Schluss eine ganz zentrale Frage: Ist es möglich einen Raum des Kartenhandels im 19. Jahrhundert zu lokalisieren? Ferner muss gefragt werden, ob die Bedeutung der einzelnen Akteure innerhalb der dann so verorteten räumlichen Struktur erkannt, beschrieben und analysiert werden kann.

14 Die Bedeutung Petermanns Geographischer Mitteilungen für die Geschichte der Kartografie Europas im 19.

Jahrhundert wurde umfassend erörtert, z.B. bei: Ute Wardenga, Petermanns Geographische Mitteilungen, Geographische Zeitschrift und Geographischer Anzeiger: Eine vergleichende Analyse von Zeitschriften in der Geographie 1855 – 1945, in: Sebastian Lentz und Ferjan Ormeling (Hrsg.), Verräumlichung des Welt-Bildes.

Petermanns Geographische Mitteilungen zwischen explorativer Geographie und "Vermessenheit" europäischer Raumphantasien, Stuttgart, 2008, 31 – 44 und Jan Smits, Petermann's Maps. Carto-bibliography of the maps in Petermanns Geographischen Mitteilungen, MS ‘t Goy-Houten, 2004.

Es wird mir dabei in Abschnitt 4.1 vor allem darauf ankommen, zunächst einen Raum oder entsprechende Räume zu finden, in denen der Handel mit verschiedenen Produkten kartografischer Verlage stattfand sowie deren eigene Raumverfassung zu dekonstruieren. Hierzu werde ich mich zu Beginn auf die Suche nach dem eigentlichen Handelsraum für Kartografie begeben und fragen, wo man Karten vor über 100 Jahren vertrieb. Ohne schon zu viel an dieser Stelle zu verraten – die Suche nach jenen Orten wird keineswegs linear verlaufen, da die Verortung des Handels mit Druckerzeugnissen nicht geradlinig nachvollzogen werden kann, auch wenn die Vermutung auf den ersten Blick eine andere sein mag. Es wird schließlich nicht möglich sein, den einen ganz speziellen Ort zu lokalisieren, weil es erforderlich ist, unterschiedlich genuin als Märkte verstandene Räume zu beschreiben.15 Deren eigene Verortung als Markt für Karten muss gleichzeitig wiederum zwingend historisiert werden, da die zeitgenössische Beschreibung des jeweiligen ökonomischen bzw. kulturellen Raumes, der als Markt tituliert wurde, nicht immer mit gegenwärtigen Vorstellungen entsprechender Märkte übereinstimmt. Dies wird vor allem in dem in Abschnitt 4.1 zu klärenden Wandel in der Bedeutung von Buchmessen für den Handel mit Druckerzeugnissen ab Mitte des 19. Jahrhunderts offensichtlich.

In diesem Sinne werde ich in Abschnitt 4.2 außerdem die Grenzen der regionalen Betrachtung des Handels mit entsprechenden Publikationen überwinden, um die Frage aufzuwerfen, ob der Handel mit Karten für deutsche Verleger im 19. Jahrhundert überhaupt auf den geografischen Raum, den man als Deutschland verstand, beschränkt blieb oder nicht doch eine Verwendung des Adjektivs

«deutsch» für den Landkartenhandel deutschsprachiger Verleger im 19. Jahrhundert überdacht werden muss. Diese Betrachtung fokussiert dabei die spannende Frage, ob handelnde Akteure an einen ökonomischen Raum gebunden sein müssen oder welche Anforderungen an deren Arbeit

15 Zur Einführung in die Raumtheorie in den Geisteswissenschaften siehe: Susanne Rau, Räume. Konzepte, Wahrnehmungen, Nutzungen, Frankfurt und New York, 2013.

Die Literatur bzgl. der Darstellungen von Clustern als Zentren der Kartenproduktion in Deutschland im

Zusammenhang mit der Bereitstellung von Raumwissen beschränkte sich bisher auf Wissensräume und nicht auf deren ökonomische Bedeutung für den Handel mit Kartografie. Als Beispiel für eine Studie zu einem solchen Raum siehe: Heinz Peter Brogiato, Gotha als Wissensraum, in: Sebastian Lentz und Ferjan Ormeling (Hrsg.),

Verräumlichung des Welt-Bildes. Petermanns Geographische Mitteilungen zwischen explorativer Geographie und

"Vermessenheit" europäischer Raumphantasien, Stuttgart, 2008, 15 – 29.

Singuläre Studien zu historischen Orten des Buchhandels finden sich dagegen selten. In diesem Bereich sind vor allem Arbeiten zu Buchmessen als zentrale Orte des frühneuzeitlichen Buchhandels und Studien zur Geschichte einzelner Verlage zu nennen. Vgl.: Peter Weidhaas, Zur Geschichte der Frankfurter Buchmesse, Frankfurt am Main, 2003.

Studien zu deutschsprachigen Kartenverlagen, finden sich vor allem zu Unternehmen des 18. Jahrhunderts, siehe:

Katharina Middell, «Die Bertuchs müssen doch in dieser Welt überall Glück haben»: Der Verleger Friedrich Justin Bertuch und sein Landes-Industrie-Comptoir um 1800, Leipzig, 2002 oder Markus Heinz, A Programme for Map Publishing: The Homann Firm in the Eighteenth Century, in: Imago Mundi (49), 1997, 104 – 115.

Für das 19. Jahrhundert liegen wenige Arbeiten zur Geschichte ausgewählter Kartenverlage vor, unter anderem bei:

Für das 19. Jahrhundert liegen wenige Arbeiten zur Geschichte ausgewählter Kartenverlage vor, unter anderem bei: