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3. Kartografen und Verleger als maßgebliche Akteure eines Marktes für Kartografie

3.1 Humankapital im Kartenverlag – Zur Genese des Kartografen als Mitarbeiter

3.1.4 Ausbildung und Mitarbeiternetzwerke

Im Fall der Kartografen wandelte sich die Art und Weise der Beschäftigung schrittweise im Laufe des 19. Jahrhunderts. Für den Perthes Verlag markierte beispielsweise die Akquise August Petermanns und der Umbau des Verlages in eine Geografische Anstalt während der Mitte der 1850er Jahre den Beginn eines völlig neuen Verständnisses als Unternehmen sowie einer damit einhergehenden veränderten Mitarbeiterkultur. Gleichwohl stellt dies in jener Form eine Singularität für den deutschen Kartenmarkt, weniger für den europäischen dar. Deutsche Landkartenverleger zögerten lange wissenschaftliches Personal fest anzustellen. Sei es wegen der geläufigen Praxis des

40 Ebd.

41 Ebd., 148.

42 Ebd.: 143.

Buchhandels auf lokaler und regionaler Ebene Autoren Honorare zu gewähren, eine Praxis die sich bis heute kaum gewandelt hat, oder aufgrund nicht existenter Absatzmöglichkeiten für die industrialisierte Landkartenproduktion. Jener Umstand sollte sich im 19. Jahrhundert, wie bereits beschrieben, schlagartig ändern und Verlagshäuser, wie z.B. den Gothaer Justus Perthes Verlag, vor weitreichende Veränderungen stellen.

Mit der Umgestaltung des Unternehmens durch Bernhardt Perthes firmierte der Verlag nicht nur zu einer selbst betitelten Geografischen Anstalt, sondern verstand sich zunehmend als akademischen Wissensbetrieb. Diese neue Ausrichtung des Verlagsgeschäftes erforderte geschulte Mitarbeiter, um einen stetigen Output an neuen Karten zu erzeugen. Da die Ausbildung geeigneter Mitarbeiter nicht in externen Institutionen wie Universitäten oder Berufsschulen erfolgen konnte (die Ausnahme bildete die nur wenige Jahre existente Kunstschule von Heinrich Berghaus in Potsdam), blieb dem Verleger nichts anderes übrig, als die Ausbildung der zukünftigen für den Verlag tätigen Kartografen selber zu organisieren. Diese Ausbildung überließ er ab Mitte der 1850er Jahre dem neu eingestellten August Petermann. Jener vermochte es bis zu seinem Tod 1878 eine neue Generation junger Kartografen zu prägen, die dem Verlag zum Teil über Jahrzehnte durch ihre Arbeit zur Verfügung standen.

Um die Gründe für diese lange Beschäftigung dieser Mitarbeiter im Verlag und den von ihnen zum Teil ausgelösten Wissenstransfer in andere Verlage im 19. Jahrhundert zu verstehen, kann es sinnvoll sein den Begriff der Generation auf die Analyse des konkreten Falles anzuwenden, da der der Begriff in diesem Zusammenhang durchaus für die Beschreibung einer historisch – sozialen Einheit unterschiedlicher Individuen benutzt werden kann.43 Gleichwohl kann für eine Gruppe zur selben Zeit vom gleichen Lehrer ausgebildeter Kartografen kein Generationsbegriff im wörtlichen Sinne gebraucht werden, da das Kriterium der Bindung an eine soziale Lage in der Gesellschaft durch die Geburt für den Fall der im Perthes Verlag tätigen Kartografen und darüber hinaus nicht angenommen werden kann, schließlich handelt es sich in dem untersuchten Fall immer noch um Mitarbeiter eines Unternehmens und keine soziologischen Einheiten, wie die bestimmter gesellschaftlicher Gruppen.

Man kann selbstredend davon ausgehen, dass keine größere Anzahl von Individuen oder Mitglieder unterschiedlicher sozialer Milieus, basierend auf ihren Erfahrungen aus der Tätigkeit für einen einzigen Verlag als eine genau definierte Generation in der deutschen Geschichte beschrieben werden können. Nichtsdestotrotz fällt im Zusammenhang mit der Tätigkeit Petermanns für die Verlagsgeschichte auf, dass spezielle Persönlichkeitsmerkmale der durch ihn ausgebildeten

43 Beate Fietze, Historische Generationen. Über einen sozialen Mechanismus kulturellen Wandels und kollektiver Kreativität, Bielefeld, 2009, 72f.

Kartografen die Zuordnung zu einer «Generation Petermann» rechtfertigen. Diese prägenden Generationslagerungen waren zum einen die gemeinsame Herkunft aus Thüringen, das Jahr der Geburt und natürlich die Art und Weise der Ausbildung in der «Ära Petermann» sowie das dadurch erworbene Wissen, wie man im Speziellen Karten entwerfen und zeichnen kann.44 Man kann also von einer Zeit des gemeinsamen Unterrichts an einer Schule der Kartografie sprechen, deren Inhalte von August Petermann geprägt wurden.

Die gemeinsame sozialen Lage von im Verlag oder darüber hinaus tätiger Kartografen war für den Perthes Verlag bis zur Anstellung Petermanns durchaus etwas Neues. Neben Adolf Stieler oder Emil von Sydow prägten Heinrich Berghaus oder Autoren wie Friedrich von Stülpnagel und Karl Spruner von Merz die Arbeit an den frühen Kartenpublikationen. Diese Personen verband außer ihrer Tätigkeit im Staatsdienst und die Arbeit für den Perthes Verlag allerdings oft wenig miteinander, auch wenn sie durchaus in gegenseitigem Kontakt standen. Erst mit August Petermann begann die auch vertraglich enge Bindung der Kartografen an das Unternehmen, was nach Petermanns Tod den Verlag fortan weiter prägen sollte. Mit Hermann Habenicht sollte wiederum ein Kartograf der Generation Petermann selber zum Ausbilder für zukünftige Kartografen werden, unter anderem für den dann im 20. Jahrhundert als zentrale Figur im Verlag tätigen Hermann Haack. Inwieweit die um die Jahrhundertwende im Verlag beschäftigten Kartografen auch zu einer Kartografengeneration zuzurechnen sind, bleibt fraglich. So fehlen dieser Gruppe, die ich fortan als «Kartografen des Umbruchs» bezeichne, die gemeinsamen prägenden sozialen Lagerungen.45 Der Name dieser Generation erklärt sich aus der Beschäftigung der dazugehörigen Kartografen zur Zeit des Endes der Ära Petermann im Perthes Verlag sowie den sich veränderten Anforderungen an die Kartografie, aufgrund der inzwischen fortgeschrittenen Akademisierung des Fachs.

Die Erfahrung des prägenden sozialen Wandels, der für die Bildung einer Generation unerlässlich ist, blieb jedoch in der Geschichte des Verlages der Gruppe der Schüler August Petermanns vorbehalten.46 Hierbei stellt sich in diesem Zusammenhang unweigerlich die Frage des ökonomischen Nutzens dieser engen Bindung der Mitarbeiter an ihr Unternehmen und welchen Einfluss dies auf die Kartenproduktion auszuüben vermochte.

Zunächst dürfen Unternehmer oder im Unternehmen tätige Fachkräfte, die für die Ausbildung zahlreicher Mitarbeiter notwendig sind, nicht als isolierte Akteure betrachtet werden. Gerade die Vernetzung innerhalb der Branche bzw. von führenden Mitarbeitern zur Geschäftsleitung ist für den

44 Zum Begriff der «Ära Petermann» siehe: Matthias Hoffmann und Rainer Huschmann, August Heinrich Petermann.

Eine neue Ära beginnt, in: Gottfried Suchy (Hrsg.), Gothaer Geographen und Kartographen: Beiträge zur Geschichte der Geographie und Kartographie, Gotha, 1985, 77 – 84.

45 Beate Fietze, Historische Generationen [wie Anm. 43], 80.

46 Ebd., 76.

Abb. III. 1: Organigramm einzelner für den Justus Perthes Verlag im 19. Jahrhundert tätigen Kartografen, inklusive Lebensdaten und Geburtsort sowie ihrer Beziehungen untereinander und zu unterschiedlichen Verlagshäusern; rot:

«Gründungskartografen» des Verlages, grün: «Generation Petermann», grau: «Kartografen des Umbruchs», blau:

«Kartografen der Potsdamer Kunstschule». (Eigene Darstellung)

Erfolg der gesamten Unternehmung maßgeblich.47 Der Begriff des Sozialkapitals beschreibt in diesem Zusammenhang die Summe aller sozialen Beziehungen eines Individuums, speziell eines Mitarbeiters oder Unternehmers im vorliegenden Fall. Durch einen erleichterten Zugang zu Informationen innerhalb eines sozialen Netzwerkes ist die Aneignung von essentiellem Sozialkapital deutlich einfacher. Dies fördert nicht nur gemeinschaftliches Handeln, sondern verringert durch vertrauensbildende Maßnahmen auch innerhalb des Unternehmens Koordinations-und Transaktionskosten erheblich.48 Dennoch kann der zu starke Ausbau eines solchen Netzwerkes auch kontraproduktiv für die Arbeit im Unternehmen sein, nämlich dann, wenn Mitarbeiter, welche als Netzwerkknoten aufgrund ihres hohen Humankapitalbestandes gelten oder mit zu vielen

47 Peter Preisendörfer, Sozialkapital und unternehmerisches Handeln. Das soziale Netzwerk von

Unternehmensgründern als Erfolgsfaktor, in: Axel Franzen und Markus Freitag (Hrsg.): Sozialkapital. Grundlagen und Anwendungen, Wiesbaden, 2007, 272 – 293, hier: 272 – 275.

48 Isabelle Stadelmann-Steffen und Markus Freitag, Der Ökonomische Wert sozialer Beziehungen. Eine empirische Analyse zum Verhältnis von Vertrauen, sozialen Netzwerken und wirtschaftlichem Wachstum im interkulturellen Vergleich, in: Axel Franzen und Markus Freitag (Hrsg.): Sozialkapital. Grundlagen und Anwendungen, Wiesbaden, 2007, 294 – 320, hier: 304.

administrativen Aufgaben betraut wurden, zu stark belastet werden und ihre eigentlichen Aufgaben für das Unternehmen nicht mehr wahrnehmen können.49

Inwieweit dies im Fall des Perthes Verlages eintrat, lässt sich nur spekulieren. Der wesentliche Vorteil des Netzwerkes der «Generation Petermann» war sicherlich der hohe Sozialkapitalbestand der Mitglieder und die enge, aber nicht erdrückende Nähe zu August Petermann, der in der Mitarbeiternetzwerkstruktur des Verlages als deutlicher Knoten im 19. und frühen 20. Jahrhundert sichtbar ist (siehe Abbildung III. 1). Durch die zugeschriebene Kompetenz vermochte es der Verlag mit Petermann zusammen ab Mitte der 1850er Jahre begabte junge Männer, mehrheitlich aus der näheren Umgebung, für die Ausbildung im Unternehmen zu gewinnen und ihnen damit einen ähnlichen beruflichen Werdegang, wie ihn August Petermann selbst erlebt hatte, zu ermöglichen.

Der dann folgende Ausbau des Sozialkapitals Petermanns, als auch der seiner Schüler und die Bindung der Gruppe an den Verlag, sollte nicht nur für die Innovationskraft des Unternehmens prägend sein, sondern war für die Branche insgesamt durch geöffnete Informationskanäle und die Teilhabe an Bildung und Wissen von Vorteil.50 Denn nicht alle ausgebildeten Kartografen verblieben zwangsläufig im Verlag, wie die Erwerbsbiografie von Ludwig Friederichsen oder Georg Hirth dies belegen.51 Insofern kann die Umfirmierung des Verlages als Geografische Anstalt und der Beginn der Herausbildung eines Netzwerkes junger Kartografen auch als Wiedergründung des Verlages begriffen werden. Zahlreiche akademische und nicht-akademische Mitarbeiter wurden dabei als Stakeholder in ein Verlagsnetzwerk eingebunden, welches den direkten Dialog im Unternehmen, anders als die frühere, informelle Informationsbereitstellung durch meistens ungebundene auf Honorarbasis beschäftigte Autoren ermöglichen sollte. Diese Form der internen Kommunikation zwischen den unterschiedlichen Ebenen des Unternehmens förderte nicht nur den Ausbau des Sozialkapitals der einzelnen Mitarbeiter, sondern auch in direkt proportionalem Verhältnis den Bestand ihres Humankapitals.52

Gerade die fundierte Expertise Petermanns, als auch seine engen Kontakte zu anderen Kartografen weltweit, sollte es den wissenschaftlichen Mitarbeitern im Verlag ermöglichen, durch die Bindung an die Person Petermann als Netzwerkknoten im Unternehmen die eigenen Bildungskosten zu reduzieren und dadurch auf günstigerer Weise den Human- und Sozialkapitalbestand zu erhöhen.

49 Alexander Fliaster, Innovationen in Netzwerken. Wie Humankapital und Sozialkapital zu kreativen Ideen führen, München und Mering, 2007, 229f.

50 Ebd.: 108.

51 Zur Biografie Ludwig Friederichsens siehe: o.A., Zum Andenken Dr. Friederichsens, in: Neue Hamburger Zeitung (265) vom 27.5.1915; gefunden in: http://webopac.hwwa.de/PresseMappe20E/Digiview_MID.cfm?mid=P005594 (zuletzt aufgerufen am 29.04.2019). Zur Biografie Georg Hirths siehe: Franz Carl Endres, Georg Hirth. Ein deutscher Publizist, München, 1921.

52 Janine Nahapiet, A Social Perspective: Exploring the Links between Human Capital and Social Capital, in: Alan Burton-Jones und J. C. Spender, The Oxford Handbook of Human Capital, Oxford und New York, 2011, 71 – 95.

Dies geschah auf zwei Ebenen. Zum einen schuf die Expertise Petermanns ein produktives Klima im Unternehmen, da seine zahlreichen fachlichen Fähigkeiten vielfältiger als die der Konkurrenten waren und Petermann damit zum gefragten Lehrer avancierte. Zum anderen band Petermann als Lehrer seine Schüler, ähnlich wie Heinrich Berghaus einige Jahre zuvor in dessen Potsdamer Kunstschule, in die Arbeit mit ein und führte, ohne es so zu nennen, die duale Berufsausbildung der Kartografen im Unternehmen ein. Da die Schüler gerade in der täglichen Arbeit für die verlagseigene Publikation Petermanns Geographische Mitteilungen Schriftgut aus der ganzen Welt sichten und auswerten mussten, wuchs nicht nur ihre fachliche Befähigung in diesem Zusammenhang gegenüber der Arbeit in anderen Fachverlagen der Zeit an, sondern ermöglichte diese enge Bindung an die Mitglieder des Forschungsnetzwerkes Petermanns die Chance auch eigene Kontakte zu Forschern und Reisenden weltweit zu knüpfen. Dieses Sozialkapital wurde für die spätere Arbeit als Kartograf unersetzlich, wollte man exklusives Wissen auch in Zukunft publizieren.

Gerade das unterschied die Arbeit im Perthes Verlag im direkten Wettbewerb von anderen Fachverlagen der Zeit. Für den Gothaer Verlag war dies sicherlich von Vorteil gewesen, weil das Unternehmen eben jene Mitarbeiter schließlich langfristig an sich band, sodass diese wiederum durch die Ausbildung zukünftiger Kartografen deren Humankapitalbestand auf ähnliche Kosten reduzierende Weise ausbauen konnten.53 Darüber hinaus schuf das Wissen aus der Übung und dem täglichen Umgang miteinander ein nahezu unmöglich zu reproduzierendes Reservoir an für den Verlag nutzbaren Humankapitalressourcen, was auch für die lange Beschäftigung einzelner Mitarbeiter im Verlag spricht.54

Dieser Umstand sorgte jedoch für große Herausforderungen für die im Verlag tätigen Mitarbeiter, besonders nachdem Petermann verstarb und letztendlich auch seine Schüler den Verlag verließen oder sich zur Ruhe setzten. Die Art der eigentümlichen, idiosynkratischen Erfahrung in der Arbeit an den Karten ging insofern mit dem Tod Petermanns verloren, als dass seine Routinen und die seiner Schüler dann dem Verlag nur noch bedingt zur Verfügung standen.55 Man könnte auch sagen, dass mit Petermann als einer Art Patriarch der eigentliche kreative Kopf des Verlages verlorenging, dessen Verlust auch die Ideen seiner Schüler nicht auszugleichen vermochten. Erst mit Hermann Haacks Wirken im Verlag zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstand ein neuer intellektueller sowie

53 So galt der Petermann Schüler Hermann Habenicht als einer der Lehrer Hermann Haacks, welcher wiederum prägend für die Verlagsgeschichte des Perthes Verlages im 20. Jahrhundert werden sollte.

54 Vgl.: Burkhard Jaeger, Humankapital und Unternehmenskultur. Ordnungspolitik für Unternehmen, Wiesbaden, 2004, 156f.

55 Zum Begriff der idiosynkratischen Erfahrung siehe: Burkhard Jaeger, Humankapital und Unternehmenskultur [wie Anm. 54], 156.

konzeptioneller Mittelpunkt in der Kartenerstellung, der mit August Petermanns Wirken 50 Jahre zuvor verglichen werden kann.

Im Hinblick auf die deutlich spürbare Professionalisierung und Standardisierung des Kartenmarktes am Ende des 19. Jahrhunderts wurde die Akkumulation von unternehmensspezifischem Humankapital für die eigene Wettbewerbsfähigkeit zugleich unabdingbar. Insofern musste es nicht nur jedem Kartenverlag daran gelegen sein, durch gezielte Anwerbung und Ausbildung neue Kartografen mit einem hohen individualspezifischem Humankapital an sich zu binden, sondern diese Form des Kapitals in das für das eigene Unternehmen brauchbaren und damit unersetzbaren Humankapitals umzuwandeln.56 Genau jene Umwandlung kann auch für den Perthes Verlag beobachtet werden. Durch die Ausbildung Petermanns lässt sich nicht nur ein einheitlicher Kartenstil seiner Schüler feststellen, sondern die Art und Weise wie Karten gestaltet und projektiert wurden kann unmittelbar auch in den später publizierten Landkarten eben jener Schüler beobachtet werden, wie z.B. in den Arbeiten Ludwig Friederichsens oder Hermann Habenichts.57

Für die Zeitgenossen mag diese Art der Analyse vermutlich eher intuitiv betrachtet worden sein, wenn auch gerade der Bedarf nach gut ausgebildeten Fachkräften seit den späten 1850er Jahren z.B.

im Perthes Verlag immer dringlicher wurde, wie ein Brief des Verlegers Bernhardt Perthes an Rudolf Besser offenbart:

«Im Geschäft ist es recht gut gegangen, um aber das zuströmende Material zu bewältigen fehlen mir noch wissenschaftliche Kräfte, hoffentlich finde ich noch was ich suche. […]»58

Nichtsdestotrotz lässt sich rekonstruieren, dass es dem Verleger zusammen mit der Sogwirkung Petermanns gelungen war, langfristig Kartografen an den Verlag zu binden. Dies mag unter anderem dem Umstand geschuldet sein, dass die Arbeit für den Verlag Sicherheit für die beschäftigten Kartografen in Form von Lohn- und Honorarzahlungen als auch Weiterbildungsmaßnahmen anbot. Gerade wenn ein Unternehmen die Möglichkeit der Zunahme von Humankapital, bei gleichzeitiger adäquaten Entlohnung anbietet, bleibt es dauerhaft attraktiv für die beschäftigten Mitarbeiter.59

Vor allem der Lohnaspekt lässt sich quantitativ für den Perthes Verlag gut nachweisen. So stiegen seit dem Eintritt Petermanns in den Verlag die Lohnkosten für die Kartografen massiv an. Wurden

56 Zur den unterschiedlichen Arten von Humankapital siehe: Georg von Krogh und Martin W. Wallin, The Firm, Human-Capital, and Knowledge Creation, in: Alan Burton-Jones und J. C. Spender, The Oxford Handbook of Human Capital, Oxford und New York, 2011, 261 – 288.

57 Dies belegen eigene Untersuchungen der Karten im Nachlass Ludwig Friederichsen im Staatsarchiv Hamburg.

58 Brief von Bernhardt Perthes an Rudolf Besser vom 02.1.1856, in: Forschungsbibliothek Erfurt/Gotha, Nachlass Bernhardt Perthes, SPA ARCH FFA 03/02, 3. Blatt 59.

59 Georg von Krogh und Martin W. Wallin, The Firm, [ wie Anm. 56], 278.

1831 noch Löhne und Honorare von ca. 345 preuß. Talern verbucht, waren es 1855 bereits ca. 3100, im Jahr 1865 schon über 5000 und 1895 über 11000 preuß. Taler (siehe Abbildung III. 2).60

Abb. III. 2: Gehaltszahlungen an für den Perthes-Verlag tätige Kartografen 1828 – 1895. (Eigene Darstellung)

Gerade die Honorarzahlungen konnten neben dem Lohn über ein Drittel der gesamten Einnahmen der im Verlag beschäftigten Kartografen ausmachen. Dennoch stellt sich diese Situation deutlich anders dar als die Lage der ersten Geografen, die ganz im Stile Stielers im Nebenberuf Karten für den Verlag entwarfen. Spätestens seit der Generation Petermann war es für angestellte Kartografen möglich, von ihrer Arbeit im Verlag in Gänze zu leben. Gleichzeitig wuchs die Zahl jener Mitarbeiter stark an. Waren in den 1840er Jahren nur fünf Namen auf der Gehaltsliste vermerkt, sollte sich diese Zahl bis in den 1890er Jahre auf 17, Kartografen in der Ausbildung eingeschlossen, erhöhen.61

Fazit

Am Beginn meiner Ausführungen zum Thema Mitarbeiter in Kartenverlagen hatte ich erörtert, dass die Beschäftigung von qualifiziertem Personal zunehmend wichtiger für die Konkurrenzfähigkeit der Unternehmen auf dem deutschen, aber auch internationalen Markt für Druckerzeugnisse wurde.

60 Eigene Berechnungen, siehe: Forschungsbibliothek Erfurt/Gotha, Sammlung Perthes-Archiv, Hauptkontobücher des Perthes Verlages 1828 – 1895, SPA ARCH FFA 01/8 – 01/17.

61 Eigene Berechnungen, siehe: Forschungsbibliothek Erfurt/Gotha, Sammlung Perthes-Archiv, Hauptkontobücher des Perthes Verlages 1842 – 1851 sowie 1889 – 1895, SPA ARCH FFA 01/9 und 01/17.

Insofern stellt die Analyse der Beschäftigungsverhältnisse einzelner Kartografen keine aus dem Kontext gerissene Inselstudie dar, sondern muss immer auch im Verständnis des stetigen Wandels der Praktiken sowie Produkte und eben auch der Akteure des Marktes für Kartografie verstanden werden. Daher bleibt es essentiell für die Beschäftigung mit Kartenverlagen auch deren Mitarbeiter zu betrachten und ihre Anstellung genauer zu beleuchten.

Im Bezug zur Beschäftigungspraxis deutscher Kartenverleger kann ein Wandel für das 19.

Jahrhundert in drei Schritten belegt werden: Zum einen stellten Kartografen wie Adolf Stieler oder auch Emil von Sydow eine Gruppe von zumeist im Staatsdienst beschäftigten Kartografen dar, die für die eigene ökonomische Existenz in ihrem Haupterwerb nicht auf die Zusammenarbeit mit Verlagen angewiesen war, sondern die die Kartografie als Passion betrachteten, welche ihrem spätaufklärerischem Habitus als Gelehrten entsprach. Demzufolge stellten sie doch den Bildungscharakter ihrer Arbeit in den Mittelpunkt ihrer Kartenwerke.

Dies sollte sich mit der zunehmenden Professionalisierung der Kartografie drastisch ändern, wie das Beispiel Heinrich Berghaus zeigt. Von nun stand man vor der Herausforderung, zunehmend durch eigene Publikationen auf dem Gebiet der Kartografie ein vollumfängliches Einkommen generieren zu müssen. Diese Entwicklung geschah allerdings nicht über Nacht, sodass der Beruf des Kartografen, welcher in jenen Jahren zunächst professionalisiert, weil akademisiert wurde und sich dann stark standardisierte, erst in der uns später bekannten Form erfunden werden musste. Gerade die Erwerbsbiografie von Heinrich Berghaus steht mit ihren ökonomischen Zwängen und ihrer Ambivalenz aus Lehrperson und Autor beispielhaft für jenen Umbruch.

Die letzte Phase des von mir beschriebenen Wandels charakterisiert die Beschäftigung von Kartografen im Hauptberuf. Jene Mitarbeiter waren von nun an fest angestellt und fungierten als Lohnarbeiter, trotz dessen auch weiterhin Honorare für erfolgreiche Publikationen gezahlt wurden.

Ihre Ausbildung übernahmen zunächst die Verlags-Anstalten selber, um dann später auf die ersten Absolventen der an den Universitäten eingerichteten Lehrstühle für Geografie zurückzugreifen. Vor allem die Anstellung August Petermanns im Justus Perthes Verlag als auch die Ausbildung junger Kartografen der von mir zusammengefassten Generation Petermann und der Umbruch im Verlag am Ende des 19. Jahrhunderts symbolisieren diesen Wandel besonders eindringlich.

Aber nicht nur Kartografen waren Veränderungen unterworfen. Auch Kupferstecher und Koloristinnen vermochten die zunehmende Industrialisierung der Kartenproduktion hautnah mitzuerleben, was in großen Teilen die vollkommene Umkehr ihrer früheren Beschäftigungsverhältnisse zur Folge hatte.

Dieser Blick stellt allerdings auch die Frage nach der Bedeutung von Humankapital ganz grundsätzlich in entsprechenden Unternehmen der Zeit. Dabei ist es zunächst unklar, ob durch die Professionalisierung der Geografie als Wissenschaft die Ansprüche an Landkarten und deren Inhalte

Dieser Blick stellt allerdings auch die Frage nach der Bedeutung von Humankapital ganz grundsätzlich in entsprechenden Unternehmen der Zeit. Dabei ist es zunächst unklar, ob durch die Professionalisierung der Geografie als Wissenschaft die Ansprüche an Landkarten und deren Inhalte