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Formen und Ausgangspunkte betrieblichen Engagements

6 Handlungsfähigkeit zwischen Zufriedenheitsdiskursen, individueller

6.4 Gruppe 4: Betriebliche Gestaltungsmacht durch institutionalisierte Konfliktformen

6.4.4 Formen und Ausgangspunkte betrieblichen Engagements

Insgesamt kann man feststellen, dass es zwei unterschiedliche Formen gibt, wie die Befragten den Zusammenhang zwischen ihrer politisch-kollektiven Positionierung im Betrieb und dem eigenen Umgang mit der hohen Belastung konstruieren. Während Frau Pfaffe, Frau Prust und Herr Immenhaus berichten, dass sie sich auch für ihre persönlichen Freiräume einsetzen, äh-neln sich die Subjektkonstruktionen von Herrn Illig, Frau Itzenau und Herrn Pieneheim da-hingehend, dass sie nicht von spürbaren Auswirkungen ihres betrieblichen Engagements auf ihre eigenen Lebensbedingungen erzählen. So ist Frau Itzenau aktiv in einer gewerkschaftli-chen Kampagne und im Betrieb als Jugend- und Auszubildendenvertreterin, wo sie für den Erhalt der Übernahmegarantie der Auszubildenden kämpft. Herr Pieneheim spricht viel über den Kampf gegen ein betriebwirtschaftlich schlechtes Management. Herr Illig arbeitet aktuell an der Gründung eines gewerkschaftlichen Netzwerks für IngenieurInnen mit, in dem über

„Zukunft des Unternehmens und Rückwirkung auf uns“ diskutiert werden soll. Wieviel Hoff-nung er dort hineinsetzt, bleibt unklar: Seines Erachtens wäre viel Kommunikation zwischen den KollegInnen nötig, um sich nicht gegeneinander ausspielen zu lassen. Gerade diese aber sei heute durch das Fehlen von Freiräumen, in denen man sich „mit Leichtigkeit treffen kann und (…) sich austauschen, sich auseinandersetzen oder Anteilnahme entwickeln kann“, schwierig geworden. Zudem wirken heute verschiedene Grenzziehungen – zwischen Leihar-beiterInnen, Festangestellten und Freien sowie zwischen ethnischen Communities im Betrieb – der Netzwerkbildung und dem gemeinsame Abwehren von Anforderungen entgegen. Er spricht selbst davon, dass das Netzwerk, das gegründet werden soll, solch „andere soziale Aspekte“ eher nicht „mit sich“ bringt und spricht von Mutlosigkeit. Für sich persönlich sieht er ein Sabbatical als Möglichkeit, seinen Wunsch nach Ausstieg aus dem Betrieb umzusetzen.

Zwar sehen auch Frau Pfaffe, Frau Prust und Herr Immenhaus die Bedingungen, unter de-nen sie arbeiten, in einem größeren betrieblichen und gesellschaftlichen Kontext; sie beteili-gen sich dementsprechend auch an Demonstrationen, fordern grundsätzliche Veränderunbeteili-gen im Betrieb oder auch in staatlicher Politik, wofür es „Straßenproteste“ braucht, wie Frau Pfaf-fe formuliert. Allerdings sind diese drei Interviews anders als die drei vorher beschriebenen zugleich von Erzählungen darüber geprägt, wie sie arbeitsrechtlich und tariflichvertraglich festgeschriebene Regelungen auch nutzen, um sich gegenüber betrieblichen Leistungsanforde-rungen persönliche Freiräume zu verschaffen. Auch hier werden an den unterschiedlichen Formen, in denen das geschieht, die Unterschiede zwischen den Arbeitsbereichen deutlich:

Für die Erwerbstätigkeit von Herrn Immenhaus gibt es in Tarifverträgen und Arbeitsrecht eindeutige Arbeitszeitregelungen. Er beschreibt, dass er sich an dieses Maß genau hält, wenn es um Überstunden und Zusatzschichten geht. Außerdem hält er sich an die Freistellungsrege-lungen für seine Ämter in der Beschäftigtenvertretung. Dass diese Grenzziehung – trotz der Anfeindungen durch Kollegen – weitgehend gelingt, wird auch daran deutlich, dass Herr Im-menhaus keine bedeutenden Konflikte zwischen Erwerbsarbeitszeit und Freizeit beschreibt.

Er definiert dieses Verhalten dabei explizit nicht als Widersetzung – das wäre es, wenn er die Ausführung legitimer Arbeitsaufträge verweigern würde –, sondern als Wahrnehmen seiner tariflich verbrieften Rechte. Darüber hinaus sei er „zu keinem Kompromiss bereit“. Für die beiden Pflegerinnen geht es bei Konflikten um die Arbeitszeit meist um ein Ablehnen von Diensten, um die sie kurzfristig gebeten werden, weil ihre jeweiligen Stationen unterbesetzt sind. Beide betonen dabei ausführlich ihr Verständnis dafür, dass ihre Vorgesetzten manch-mal in die Situation kommen, sie darum bitten zu müssen. Beiden ist es daher wichtig, dass sie nicht jede Anfrage spontan ablehnen, sondern hierzu grundsätzlich gesprächsbereit sind.

Beide regen sich aber darüber auf, dass diese Anfragen Normalität geworden sind und

neh-men sich das Recht heraus, genau zu überlegen, ob sie hierzu Ja oder Nein sagen: „Oder halt, wenn ich einspringen muss, dass ich sag, ich spring keine acht Stunden ein. Ich spring vier Stunden ein, ich spring sechs Stunden ein. Und wenn das nicht geht, tut’s mir leid, kann ich nicht. Ist meine Zeit und meine Gesundheit.“ In beiden Interviews wird deutlich, dass dies außergewöhnlich ist, da sich Pflegekräfte in der Regel zu diesen Diensten überreden lassen.

Der Effekt von diesem regelmäßigen Grenzenziehen ist im Falle von Frau Pfaffe, dass sie seltener um Zusatzarbeit gebeten wird. Über diesen selbstbewussten Umgang mit Anfragen nach Spontandiensten hinaus nutzen diese beiden Pflegerinnen auch ein weiteres Instrument.

Sie stellen, wenn sie auf der Arbeit stark überlastet sind, Gefährdungsanzeigen.30 Beide Pfle-gerinnen machen deutlich, dass Vorgesetzte und Heimleitungen sehr ablehnend auf diese An-zeigen reagieren und eine betriebsrätliche (sowohl mentale als auch juristische) Unterstützung hierbei nötig ist.

Herr Immenhaus und Frau Prust beschreiben es als eine wichtige Motivation für ihren all-täglichen Umgang mit den betrieblichen Anforderungen, dass sie sich auch als Vorbild für ihre KollegInnen sehen. Allerdings beschreiben sie gleichzeitig sehr unterschiedlich, wie ihr eigenes Engagement im kollegialen Kontext eingebunden ist und wirksam wird. Für Herrn Immenhaus ist sein gewerkschaftliches Engagement zentral in seiner Subjektkonstruktion, und es ist offensichtlich, dass es ihn ratlos und wütend macht, wenn er sieht, wie seine jungen KollegInnen widerstandslos die betriebliche Leistungssteigerung vorantreiben – auch wenn er ihre persönlichen Beweggründe wie gezeigt verstehen kann – und sich ablehnend gegenüber seiner Arbeit als gewerkschaftlicher Vertrauensmann verhalten. Dass er selber auch unter diesen schwierigen Bedingungen konsequent dabei bleibt, auf seine Rechte zu bestehen, be-gründet er auch aus seinem Lebenszusammenhang heraus: Zum einen, weil er sieht, dass er der Leistungspolitik des Unternehmens aufgrund seines Alters körperlich schlechter standhält.

Zum anderen betont er, dass er seinen Vater unterstützt und dafür Pendler geworden ist. Er verknüpft all dies mit einer klaren Positionierung: „Ich arbeite, um zu leben, und lebe nicht, um zu arbeiten.“ Im Unterschied zu Herrn Immenhaus beschreibt Frau Prust ihr Engagement und ihre Konfliktfähigkeit nicht einfach als Ausdruck einer selbstverständlichen Identität ei-ner Arbeiterin mit entsprechenden Rechten, sondern als Ergebnis eines langen persönlichen Lernprozesses. Während sie früher bei jeder Anfrage nach spontanen Zusatzdiensten „Ja“

gesagt habe, wägt sie heute sehr genau ab. Dass sie diese Entwicklung durchmachen konnte, liegt zum einen an einigen Schlüsselerfahrungen, in der ihr bewusst wurde, dass sie von Vor-gesetzten lediglich als Kostenfaktor behandelt wird. Zum anderen hatte sie in der Form einer Vernetzung betrieblicher Akteure und insbesondere eines konkreten Ansprechspartners darin ermutigende Unterstützung. Heute sucht Frau Prust bei Konflikten zunächst das direkte Ge-spräch mit Vorgesetzten und Heimleitung, wobei sie sich als Vorbild für viele begreift, die an ihr erleben, dass man Nein-Sagen kann, ohne dass man „ausflippen oder sich profilieren“

muss. Was sich auf diesen Weg nicht klären lässt, trägt sie – mit Unterstützung des genannten Netzwerkes – auch juristisch aus. Innerhalb dieser Auseinandersetzungen konstruiert sie sich selbst als eine, „die weiß, wovon sie spricht und aus dem Volk“ ist und über deren Erscheinen bei Prozessen die Richterin daher „immer froh“ ist.

30 Die Möglichkeit, Gefährdungsanzeigen zu schreiben, geht auf verschiedene Bestimmungen des Arbeits-schutzgesetzes zurück, nach dem die Beschäftigten verpflichtet sind, ihren Arbeitgeber auf Missstände und dro-hende Gefahren sofort hinzuweisen. Gesetzlich ist dieser dann seinerseits verpflichtet, Abhilfe zu schaffen. Ge-fährdungsanzeigen haben große Relevanz für Situationen, in denen es um Schadensersatzforderungen aufgrund von Behandlungsfehlern o.ä. geht. Indem Beschäftigte eine solche Anzeige gegenüber ihrer Dienstleitung vor-nehmen, können sie verhindern, dass ihnen in einem solchen Falle die letztendliche Verantwortung für Schäden bei den Pflegebedürftigen übertragen wird.

Insgesamt finden wir bei der Frage nach der Motivation der Befragten, über rein individu-elle Bewältigungsstrategien hinauszugehen, tendenziell drei verschiedene Antworten: Zwei Befragte, Herr Pieneheim und Herr Immenhaus, werden aus einem grundsätzlich kritischen Gesellschaftsbild heraus aktiv und sehen es als notwendig an, diese Kritik in Form konkreter betrieblicher Arbeit praktisch umzusetzen. Die beiden technischen FacharbeiterInnen be-schreiben, dass Gewerkschaft mit Beginn ihrer Tätigkeit im Unternehmen ein zentraler sozia-ler Kontext für sie wurde, deren Grundverständnis von sozialen Rechten (und Pflichten) heute ihre Identität prägt. Bei den beiden Pflegerinnen Frau Pfaffe und Frau Prust wird deutlich, dass die Entscheidung, im Betrieb aktiv zu werden, von der Unterstützung im persönlichen Umfeld abhängt. Da diese oft nicht von KollegInnen kommt, sind hier andere politisch Aktive nötig, die sie ermutigen oder gemeinsam mit ihnen handeln. Sofern diese fehlen, bleibt das Handeln auf individuelle Konfliktaustragung begrenzt, für die Institutionen aber wichtige Be-ratung liefern.