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Stress und Überlastung, die durch steigenden Zeit- und Leistungsdruck und wachsende sozia-le Unsicherheiten entstehen, sind heute vielfach Thema in Medien, aber auch in Alltagsge-sprächen. Dass die psychisch und physisch zerstörerischen Wirkungen, die hieraus folgen, in individuellen Lebensläufen vielfältige Krisen produzieren, wird auch zunehmend in Diskussi-onen über staatliche und unternehmerische Politik aufgegriffen. Deutlich wird dabei, dass sich Menschen nicht nur einem steigenden Druck gegenübersehen, in allen Lebensbereichen in immer weniger Zeit immer mehr Anforderungen zu erfüllen. Vielmehr hat sich auch die Art und Weise, wie diese Anforderungen an die Einzelnen herangetragen werden, grundlegend gewandelt. Wo früher deutliche Trennungen zwischen den verschiedenen Lebensbereichen gesellschaftlich einen hohen Stellenwert hatten und durch arbeitsrechtliche Regulierungen, Leitbilder staatlicher Politik und Geschlechter- und andere Differenzkonstruktionen abgesi-chert waren, sind diese Grenzen nun fließend geworden. Inhalte der Erwerbsarbeit beschäfti-gen Menschen (teils aus Interesse, teils aus Zwang) auch dann, wenn sie zu Hause sind. Er-werbsarbeitszeiten, aber auch familiäre Aktivitäten aller Familienmitglieder sind flexibler geworden und haben sich vielfach ausgeweitet. Welche Grenzen zwischen Erwerbsarbeit, Reproduktionsarbeit (für sich und andere) und Zeiten der Muße gezogen werden, ist zuneh-mend zu einer individuellen Angelegenheit geworden. Die eigene Lebensweise muss in einer Vielzahl von Aushandlungsprozessen und in Anbetracht verschiedenster Anforderungen im-mer wieder neu entworfen werden.

Diese Entgrenzungsprozesse und damit einhergehende soziale Praxen haben widersprüch-lichen Charakter. In den fordistischen Grenzziehungen waren Hierarchien und Herrschafts-verhältnisse angelegt. Dass Vollzeit-Erwerbstätige ein gesichertes Maß an relativ frei gestalt-barer Zeit hatten, die der Reproduktion diente, war eine Normalität, die für männliche weiße Arbeitende vorgesehen und gesellschaftlich gesichert war. Die konkrete Arbeit, die zur Her-stellung dieser Erholungsräume notwendig war, wurde von weiblichen Familienangehörigen geleistet, die hierdurch gleichwohl keine eigenständige Existenzsicherung erreichen konnten.

Eine Verallgemeinerung dieser Lebensweise auch für Geringqualifizierte oder MigrantInnen war zudem gesellschaftlich nicht vorgesehen. Diese Arbeitsteilungen korrespondierten mit einer Vielzahl von Normen und Moralvorstellungen, die Menschen in ihrer Entfaltung eineng-ten. Dass die fordistischen Grenzen in Auflösung begriffen sind, eröffnet daher teilweise neue Freiräume. Allerdings findet Entgrenzung gegenwärtig unter Bedingungen statt, in denen im-mer größere Bereiche des menschlichen Lebens an Marktprinzipien ausgerichtet werden.

Wenn Menschen dabei zunehmend ihre gesamte Zeit und ihre Persönlichkeit an der Erwerbs-arbeit ausrichten, ist dies oft ein Ergebnis struktureller Notwendigkeiten; es entspricht zugleich auch neoliberalen Aktivierungsbestrebungen zu Selbstverantwortung. Im Bereich prekärer Beschäftigung kann aufgrund geringer Einkommen oft trotzdem keine umfassende Existenzsicherung realisiert werden. Aber auch der vergleichsweise abgesicherte Lebensstan-dard in hohen Einkommenssegmenten geht oft mit Anforderungen einher, die im gesamten Lebenszusammenhang die Beschränkung all jener Bedürfnisse nötig macht, die zu marktori-entierten Praxen im Widerspruch stehen. Vielen Menschen bleibt weder ausreichend Zeit für Muße noch für gelingende Reproduktion.

In dem Forschungsprojekt „Handlungsfähigkeit in entgrenzten Verhältnissen“1, dessen Er-gebnisse wir in diesem Bericht darstellen, stellen wir die Frage, wie Menschen die

1 Das Projekt wurde von 2009 bis 2011 unter der Leitung von Prof. Gabriele Winker unter Mitarbeit von Iris Nowak und Jette Hausotter an der TU Hamburg-Harburg durchgeführt. Vgl. www.tu-harburg.de/agentec/forschung/widersetzung.htm

sprüchlichen Tendenzen, die in Entgrenzungsprozessen angelegt sind, subjektiv erleben. Wir verknüpfen Aussagen über strukturelle Veränderungen mit Analysen dazu, wie Menschen in ihren sozialen Praxen und alltäglichen Denkweisen Entgrenzungsprozesse, denen sie ausge-setzt sind, wahrnehmen und welche Probleme und Konflikte sie hierin als bedeutungsvoll ansehen. Damit einhergehend arbeiten wir heraus, wie sie ihre Handlungsmöglichkeiten im Umgang mit diesen Konflikten beschreiben. Unser Ziel ist eine Analyse von Handlungsfähig-keit, mit der wir die subjektiven Sichtweisen der von uns Befragten als Positionierung in ge-sellschaftlichen Auseinandersetzungen diskutieren können. Im Folgenden geben wir einen kurzen Überblick über unser Projekt.

Die Erosion fordistischer Lebensweisen stellt die – in Westdeutschland in den 1960er Jah-ren relativ stabilen – gesellschaftlichen Verhältnisse zwischen Erwerbsarbeit, Reproduktions-arbeit sowie weiteren Lebensbereichen (Freizeit, politisches und soziales Engagement) zur Disposition. Gesamtgesellschaftliche Veränderungen in entgrenzten Verhältnissen lassen sich daher nicht allein durch die Betrachtung veränderter Erwerbsarbeitsverhältnisse analysieren.

Wir nehmen bei unserer Untersuchung insofern eine feministisch-kapitalismuskritische Per-spektive ein, als wir Entgrenzungen der Erwerbs- und der Reproduktionssphäre in ihrer jewei-ligen Eigenlogik analysieren und die Vermittlung dieser beiden Lebensbereiche zum Aus-gangspunkt unserer Analyse von Handlungsfähigkeit machen.2 Insgesamt interessiert uns, wie die Planungs- und Gestaltungsunsicherheiten sowie Verwundbarkeiten konkret aussehen, die sich durch die „mangelnde Passfähigkeit“ (Klenner/Pfahl 2011: 417) unterschiedlicher Le-bensbereiche ergeben. (Vgl. Kap. 3) Wir fragen danach, wie unsere InterviewpartnerInnen die unterschiedlichen Lebensbereiche zueinander ins Verhältnis setzen. Wir wollen wissen, in welcher Weise sie dies als belastend oder konflikthaft erleben und ob und wie sie die Gestal-tung des eigenen Lebens dennoch als gelungene Angelegenheit erfahren.

Mit diesen Fragen untersuchen wir die sozialen Praxen und Auffassungen von Beschäftig-ten in zwei Erwerbsbereichen: in technischen Berufen in Industrieunternehmen3 sowie in sta-tionären Pflegeeinrichtungen.4 Damit sind Entgrenzungsphänomene sehr unterschiedlicher Qualität Gegenstand unseres Projekts. (Vgl. Kap. 4) Diese Unterschiedlichkeit hängt grund-sätzlich mit dem Unterschied des Arbeitsgegenstandes zusammen. Im Bereich Industrie geht es um technische Produkte in hochgradig technisierten Herstellungsprozessen, während in der Pflege der Mensch „Arbeitsgegenstand“ und die Lebensqualität von Menschen das Ziel ist.

Damit einher geht eine jeweils unterschiedliche Zeitlogik der Arbeit, da sich die Auseinander-setzung mit menschlichen Bedürfnissen nur begrenzt der Logik einer immer weiteren Effi-zienzsteigerung unterwerfen lässt. Die Unterschiedlichkeit der Bereiche, wie wir sie heute vorfinden, erklärt sich desweiteren darüber, dass Geschlechterverhältnisse diese Unterschied-lichkeit der Arbeitsinhalte vielfach überformt haben. In der Folge weichen die historischen Entwicklungen der Arbeitsorganisation, die betrieblichen Strukturen und Kulturen, aber auch die Formen, in denen Konflikte um die Gestaltung von Arbeitsprozessen oder um Vertei-lungsfragen ausgetragen werden, in beiden Bereichen stark voneinander ab.

2 Auf Ähnlichkeiten und Unterschieden zum Forschungsprojekt „Entgrenzte Arbeit – entgrenzte Familie“

von Jurczyk, Schier, Szymenderski, Lane und Voß (2009), dessen Ergebnisse während unserer eigenen Arbeit an dem Thema veröffentlicht wurden, gehen wir in Kapitel 3.3 ein.

3 Wir beziehen technische FacharbeiterInnen sowie angestellte IngenieurInnen und IngenieurInnen, die als Führungskräfte arbeiten, in die empirische Untersuchung ein.

4 Insgesamt haben wir 28 leitfadengestützte narrative Interviews geführt. Da der Fokus unseres Projekts auf der Verbindung von Anforderungen aus verschiedenen Arbeits- und Lebensbereichen lag, war neben dem beruf-lichen Status eine verschieden hohe Intensität der Anforderungen im Bereich der Sorgearbeit ein weiteres Krite-rium für die Auswahl der Befragten.

Die Unterschiede gehen so weit, dass selbst die Aussagekraft des Begriffs Entgrenzung in beiden Feldern sehr unterschiedlich ist: Bereiche der industriellen Produktion setzten mit der Arbeitsorganisation, die hier in fordistischen Zeiten herrschte, die Norm dessen, was damals als erstrebenswerte Grenzziehungen allgemein anerkannt war. Auch der Maßstab für das, was heute als Entgrenzung diskutiert wird, orientiert sich oft an den (vergangenen) Verhältnissen in diesem Bereich. Im Bereich stationärer Pflege hingegen wurde immer schon unter prekären und entgrenzten Bedingungen gearbeitet. Bis in die 1960er Jahre hinein wurde die Pflege alter Menschen in Deutschland vor allem als Ausdruck von Gottesliebe oder spezifisch weiblicher Veranlagung zu Nächstenliebe und Fürsorge betrachtet und in kirchlichen Kontexten organi-siert. Das heißt, dass bis dahin die gesellschaftliche Organisation der Pflege darauf aufbaute, dass für die Pflegenden keine Trennung zwischen Pflegearbeit und Privatleben vorgesehen war.5 Neben solchen historisch gewachsenen Unterschieden zwischen beiden Bereichen un-terliegen sie gegenwärtig auch ähnlichen Entwicklungen. Beide sind in den letzten Jahrzehn-ten Vermarktlichungsprozessen ausgesetzt, durch die das konkrete Arbeitshandeln der Be-schäftigten stärker und direkter an die betriebswirtschaftlichen Rahmenbedingungen gekop-pelt wird. Mit unserem Forschungsprojekt arbeiten wir heraus, wie sich die Unterschiedlich-keit der Erwerbsbereiche, aber auch die GemeinsamUnterschiedlich-keiten in den sozialen Praxen und subjek-tiven Wahrnehmungsweisen der Beschäftigten wiederfinden.

Die Perspektive auf die Subjektivität und das Handeln von Menschen ist für uns in zweier-lei Hinsicht interessant. Zum einen gehen wir gesellschaftstheoretisch davon aus, dass neue Formen von Arbeit und kapitalistischem Wirtschaften nur dann möglich sind, wenn Men-schen aktiv Lebensweisen und Alltagspraxen entwickeln, die damit korrespondieren. Die Er-forschung subjektiver Wahrnehmungen und Orientierungen halten wir daher für einen zentra-len Baustein in der Diskussion um gesellschaftliche Entwicklungsdynamiken. Dies gilt für soziologische Gegenwartsdiagnosen ebenso wie für die Entwicklung von eingreifenden politi-schen Praxen. Zum zweiten möchten wir mit unserer Forschung zum Verständnis und letzt-lich zur Überwindung der gesellschaftletzt-lich vorherrschenden Individualisierung der sozialen Kosten, die durch gesellschaftliche Herrschaftsverhältnisse produziert werden, beitragen. Die Bewältigung von Zeit- und Grenzkonflikten im Verhältnis unterschiedlicher Lebensbereiche wird trotz der gesellschaftlichen Ursachen verstärkt als eine subjektiv oder individuell zu ver-antwortende Angelegenheit betrachtet (vgl. Kap. 3.3). Planungsunsicherheit und soziale Ver-wundbarkeit entspringen jedoch einem gesellschaftlichen Widerspruch zwischen kapitalisti-scher Verwertungslogik und einem guten und genussvollen menschlichen Leben, der sich durch individuelle Handlungsstrategien nicht aufheben lässt. Wir möchten nachvollziehbar machen, wie es dennoch dazu kommt, dass die in entgrenzten Verhältnissen auftretenden Probleme überwiegend individuell verarbeitet werden.

Wir gehen davon aus, dass sich Menschen mit ihren alltäglichen Praxen stets innerhalb von gesellschaftlichen Konflikten positionieren. Gegenwärtig wird in diesen Konflikten um die Regulierung sich verschärfender Widersprüche gerungen, die aus der Ausrichtung immer wei-terer Bereiche menschlichen Lebens an der Verwertungslogik erwachsen. Indem Menschen

5 Zu der Unterschiedlichkeit der Felder gehört es auch, dass der Bereich Altenpflege von den Organisations-formen her deutlich vielfältiger strukturiert ist: Bezahlte und unbezahlte Formen, in denen diese Arbeit geleistet wird, stehen in Wechselwirkung. Innerhalb der bezahlten Pflegearbeit reicht das Spektrum von informalisierten und formalisierten Betreuungsformen in Privathaushalten über Pflegedienste bis hin zu Wohngemeinschaften und Pflegeheimen. Um die Vergleichbarkeit mit betrieblich organisierter industrieller Produktion zu erhöhen, haben wir uns auch im Pflegebereich auf die Form beschränkt, in der diese von der Arbeitsorganisation her räumlich fixiert in Betrieben geleistet wird, d.h. wir haben Beschäftigte in stationären Pflegeeinrichtungen be-fragt.

die Bedingungen, in denen sie handeln (müssen), aktiv mit Bedeutungen versehen, tragen sie zu bestimmten gesellschaftlichen Entwicklungen bei, während sie andere verhindern. Durch rein individualisierte Bewältigungsweisen entsprechen sie einem neuen gesellschaftlichen Arrangement, das sie zu privater Vorsorge, Eigeninitiative, Prävention und anderen „Varian-ten der Aktivierung von Eigenverantwortung“ und zur „Eigenaktivität im Interesse der gesell-schaftlichen Gemeinschaft anhält“ (Lessenich 2008: 83). In diesem Sinne gehen wir in diesem Projekt folgenden Forschungsfragen nach:

ƒ Wie nehmen Menschen die Anforderungen in entgrenzten Verhältnissen wahr?

ƒ Welche Konflikte betrachten sie darin als relevant für ihre Situation und ihr Handeln?

ƒ Welche Handlungsmöglichkeiten sehen sie im Umgang mit den Konflikten?

Uns interessiert, inwiefern Menschen durch ihre Haltungen und Sichtweisen das neoliberale Prinzip der Eigenverantwortung ermöglichen und aufrechterhalten, und wo in ihrem Denken Ansatzpunkte für alternative gesellschaftliche Entwicklungen sind. Emanzipatorische Alterna-tiven würden beinhalten, dass Menschen beginnen, gemeinsam mit anderen über ihre eigenen Lebensbedingungen zu verfügen und in die Veränderung gesellschaftlicher Verhältnisse ein-zugreifen. Für die Entwicklung solidarisch-kollektiver Handlungsformen, die dieses Ziel ver-folgen, sehen wir es als Voraussetzung an, dass Menschen sich der Grenzen von individuali-sierten Bewältigungsstrategien bewusst werden. Unsere Forschung verstehen wir als einen Beitrag zu entsprechenden (Selbst-)Reflexionsprozessen, in denen Menschen diese Strategien bei sich selbst und anderen nachvollziehen können, um deren Brüche und Widersprüche zu begreifen sowie Handlungsalternativen zu entwickeln.

In der Interviewauswertung verbinden wir zwei theoretische Perspektiven: die intersektio-nale Mehrebenenanalyse (Winker/Degele 2009) sowie Ansätze der Kritischen Psychologie (Holzkamp 1983, 1992). (Vgl. Kap. 2) Winker/Degele folgend rekonstruieren wir aus dem Interviewmaterial Subjektkonstruktionen „im Schnittfeld von Identitätskonstruktionen, sozia-len Strukturen und symbolischen Repräsentationen“ (Winker/Degele 2009: 63f). Diese Re-konstruktion der sozialen Positionierungen der Befragten verbinden wir mit dem Begriff der Handlungsfähigkeit der Kritischen Psychologie (Holzkamp 1983). D.h. wir arbeiten heraus, inwiefern Menschen ihr Alltagsleben so bewältigen, dass sie ihre Lebensbedingungen stets nur in ihrer Unmittelbarkeit wahrnehmen und die Bedingungen als gegeben akzeptieren (re-striktive Handlungsfähigkeit) und wo sie im Unterschied hierzu die gesellschaftliche Vermit-teltheit ihrer eigenen Praxen nachvollziehen und auf dieser Basis versuchen, gemeinsam mit anderen auf ihre Lebensbedingungen Einfluss zu nehmen (erweiterte Handlungsfähigkeit).

Diese Unterscheidung dient dabei nicht einer dichotomen Kategorisierung des empirischen Materials, sondern als analytisches Werkzeug, mit dessen Hilfe wir die Subjektkonstruktionen in ihrem Bezug zu den sozialen Kontextbedingungen diskutieren. Mit dem Begriff der erwei-terten Handlungsfähigkeit verdeutlichen wir den Standpunkt, von dem aus wir die wider-sprüchliche Eingelassenheit aller Subjektkonstruktion in gesellschaftliche Verhältnisse analy-sieren: Wir gehen grundsätzlich davon aus, dass ein Handeln, das auf eine größere Verfügung über die eigenen Lebensbedingungen zielt, möglich ist, auch wenn Menschen diese Verfü-gung derzeit aufgrund gesellschaftlicher Herrschaftsverhältnisse weitgehend entzogen ist. Wir fragen danach, wo sich Ansatzpunkte für solch ein Handeln bei den von uns Befragten finden – oder aus welchen Gründen sie sich dagegen entscheiden.

Handlungsfähigkeit und Subjektkonstruktionen lassen sich, so unsere Herangehensweise, weder theoretisch noch empirisch voneinander trennen. Subjektkonstruktionen verstehen wir als einen Bestandteil des Erlangens individueller sozial vermittelter Handlungsfähigkeit. Um-gekehrt betrachten wir Handlungsfähigkeit als jeder Subjektivierung immanent. Menschen eignen sich mit der Art und Weise, wie sie sich selbst und ihre Umwelt konstruieren, ihre Le-bensbedingungen an und positionieren sich damit in gesellschaftlichen Verhältnissen.

Unsere Auswertungen zeigen unterschiedliche Umgangsmöglichkeiten mit den vorgefun-denen Konflikten um Belastungen und Grenzziehungen auf. Sie machen auch deutlich, dass ähnliche Umgangsweisen von den Befragten teilweise sehr unterschiedlich beschrieben wer-den. Auch weisen die Befragten den Konflikten und den eigenen Zerrissenheiten in der All-tagsgestaltung unterschiedliche Bedeutungen zu. Im Ergebnis stellen wir die Interviews ent-lang von vier Gruppen dar (vgl. Kap. 6). In drei von ihnen finden sich Subjektkonstruktionen, in denen es – in unterschiedlicher Form – fest verankert ist, dass die eigenen Arbeits- und Lebensbedingungen strukturell vorgeben und nicht veränderbar sind. Die Befragten zeigen zwar eine hohes Engagement, mit dem sie sich in die Erwerbsarbeit einbringen und, sofern vorhanden, auch ihr Familienleben gestalten. Sie beschreiben aber zugleich, dass dies konti-nuierlich eine straffe Zeitplanung und einen einschränkenden Umgang mit Bedürfnissen vor-aussetzt, unter dem sie und ihre Mitmenschen teilweise leiden. Gleichwohl konstruieren sie sich selbst und ihre Umwelt in den Interviews durchgehend so, dass deutlich wird, dass es für sie keine grundlegende Alternative dazu gibt. So bleibt ihnen nur, individuelle Formen zu finden, mit denen sie dem wachsenden Leistungsdruck standhalten, obwohl er teilweise deut-lich ihre Lebensqualität einschränkt. Die vierte Gruppe bilden jene InterviewpartnerInnen, die sich zu einem kollektiv-institutionalisiertem Handeln im Betrieb entschlossen haben bzw.

diesem positiv gegenüberstehen. Anhand unserer Auswertung arbeiten wir die Begründungen für die verschiedenen Handlungsstrategien heraus. Im Anschluss an die Subjektkonstruktio-nen aus allen vier Gruppen lässt sich fragen, an welchen Stellen das individualisierte Handeln brüchig werden könnte und was dies für mögliche kollektive Handlungsformen bedeutet.

2 Handlungsfähigkeit und intersektionale