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Folklore versus Experiment

Im Dokument Textilzirkel in der DDR (Seite 141-191)

Mit der Differenzierung in eine künstlerische Breitenarbeit und eine Leis-tungsspitze werden verschiedene inhaltliche und stilistische Ausrichtungen, also eine Ausdifferenzierung der Bildsprache, innerhalb der Textilgestaltung erkennbar: Auf der einen Seite entwickelte sich eine mit der professionellen, bildenden Kunst wetteifernde Laienkunst, auf der anderen Seite eine sich mit Folklore und historischer Volkskunst auseinandersetzende Laienkunst.

Diese Breite und Vielfalt der künstlerischen Textilgestaltung im bildneri-schen Volksschaffen schildert Ute Mohrmann:

„Zudem beinhaltet die kontrastreiche Vielfalt bildnerischer Gestal-tungsweisen der letzten Jahre ein Nebeneinander [Anm.: Hervorhe-bung im Original] von immer deutlicheren Bindungen an gegenwärtige Charakteristika der professionellen Kunst der DDR, An-lehnungen an naive Kunst beziehungsweise eigenständiges naives Schaffen, Übernahmen und Verarbeitungen der historischen Volks-kunst sowie dilettantische Gestaltungen.“372

Viele Gruppen und Personen lösten sich in Motivik und Darstellungsweise teilweise gänzlich von den traditionell-bäuerlichen Vorbildern der Anfangs-zeit und tendierten nun zum Experimentieren mit neuen Techniken und Darstellungsweisen. Gleichzeitig etablierten sich Gruppen, welche im Sinne der Erbepflege eng mit volkskundlichen Museen zusammenarbeiteten und die historischen Objekte als Vorlage und Anregung für eigene Arbeiten nutzten. Helga Graupner verweist ebenfalls auf dieses Themenspektrum in der Ausstellung zu den 19. AFS 1982, wobei sie eine zunehmende Tendenz hin zu elaborierten, bildkünstlerischen Arbeiten feststellte:

371 Dies wird beispielsweise im Vergleich mit Wübbenas Studie deutlich. Vgl. Wübbena 1993, Bildnerisches Laienschaffen.

372 Mohrmann, Ute: „Bildnerisches Volksschaffen als Gegenstand praxisbezogener Forschung.“ In:

Bildnerisches Volksschaffen 2/1981, S. 66-70.

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„Der thematische Erlebnis- und Darstellungsbereich bei Textilien, so-weit dieser gegenständlich faßbar bzw. ablesbar ist, greift in fast alle Lebenssphären. Familie, Urlaub, Liebe, Ökologie, Folklore, Jahreszeit-liches, wissenschaftlich-technischer Fortschritt, Heimat, Freundschaft zu anderen sozialistischen Ländern und vieles mehr wurden in unter-schiedlicher Weise im Rahmen der textilgestalterischen Möglichkei-ten interpretiert. Streng ornamentale, teilweise stark abstrahierte Motive und grenzüberschreitende, sich den bildenden Künsten stark annähernde Darstellungen sind gleichwertig vertreten, doch scheint die Tendenz sich den letzteren zuzuwenden.“373

Vor allem die weniger geschulten Laiengruppen blieben in der stärker nach-bildenden, folkloreorientierten Textilgestaltung verhaftet, während sich die Leistungsspitze stärker an aktuellen Tendenzen der professionellen Kunst und Mode orientierte. Zum Teil agierten die Gruppen selbst aber auch zwei-gleisig bzw. versuchten, die offiziellen Forderungen nach Erbepflege einer-seits und künstlerischer Qualifizierung anderereiner-seits zu vereinen.

Folklorerezeption & Zusammenarbeit mit Museen

„Für das Festival der Sorben 1972 haben wir vor, kollektiv einen Wandbehang in Applikation zu schaffen mit dem Thema: ‚Sorbische Hochzeit’ in Auswertung unserer Studienreise 1970. Es ist dies eine Arbeit, die der Pflege unseres nationalen Kulturerbes dient.“ 374

Wie das Zitat zeigt, blieb die Auseinandersetzung mit Folklore unter der Zielsetzung der Erbepflege in einigen Gruppen zentrales Thema. Die Folklo-rerezeption wurde jedoch zu einem Teil „innerhalb des gegenwartsbezoge-nen, modernen textilen Gesamtschaffens“.375 Jedoch ist in den 1970er Jahren ein Folklore-Revival im künstlerischen Volksschaffen festzustellen. Die Entwicklung stand im Zusammenhang mit den kulturpolitischen Diskussio-nen um die Erbeaneignung zu dieser Zeit376 und war zugleich Teil der Suche nach einer selbstbestimmten kulturellen Identität.377 Die Wiederentdeckung alter Traditionen und volkskundlicher Themen sollte im Sinne einer Revita-lisierung stattfinden, die über eine bloße Nachahmung hinausgehen sollte.378

373 Graupner, Helga: „Textilgestaltung. Zu Problemen und Tendenzen in der Zentralen Ausstellung des bildnerischen Volksschaffens zu den 19. Arbeiterfestspielen der DDR.“ In: Bildnerisches Volksschaffen 6/1982, S. 225-231. Hier S. 225.

374 Dokumentation des Zirkels für künstlerische Textilgestaltung Potsdam 1971-72, MEK, Inv.Nr. I (65 B) 1114/1990,8.

375 Mohrmann 1983, Engagierte Freizeitkunst, S. 183.

376 siehe Kapitel „Bedeutung und Verständnis von Volkskunst und Folklore in der DDR“

377 Moritz, Marina & Demme, Dieter: Der verordnete Frohsinn. Volksfeste in der DDR. Erfurt 1996, S. 7.

378 Löden 2002, Volkskunst in der DDR, S. 329.

Angestrebt wurde hierbei ein stärkerer Gegenwartsbezug, durch den die Kunst besser politisch nutzbar gemacht werden konnte, wie Löden erläu-tert.379 Der neue Anspruch an die Folklorerezeption bestand darin, nicht rückständig und nostalgisch verklärend zu sein, sondern vielmehr alte Traditionen unter Weiterentwicklung dieser zu pflegen; die Aneignung sollte „kritisch-selektiv“ erfolgen.380 Den Laienschaffenden, welche sich in ihren Werken mit traditionellen Themen und Techniken auseinandersetzten und somit zu deren Erhalt und Wiederbelebung beitrugen, wurde die Funk-tion von „Brauchträgern“ zugesprochen, wie Günter Latsch es in seinem Vortrag auf dem Kolloquium zum II. Folklorefestival nannte.381 Es sollte nicht um das bloße Kopieren von Vorlagen gehen, sondern um eine theoreti-sche Auseinandersetzung mit den historitheoreti-schen Vorbildern.

Zu dieser Zeit kam es zu einer besonders engen Zusammenarbeit verschie-dener Textilzirkel mit volkskundlichen und ethnologischen Museen. Sie dienten als wichtige Ansprechpartner und Förderer des textilen Laienschaf-fens. Die Gruppen nutzten museale Sammlungen als Inspirationsquelle, profitierten von den Fachkenntnissen der MuseumsmitarbeiterInnen und wurden mitunter von den Museen durch den Ankauf von Arbeiten oder die Vergabe von Aufträgen gefördert. Die Grafik- und Batikkünstlerin Elisabeth Hohensee, der Zirkel für textile Volkskunst im Schloss Biesdorf und der Zirkel für künstlerische Textilgestaltung Potsdam sind nur einige Beispiele von Laienschaffenden, welche unter anderem die Schweriner, Berliner und Potsdamer Museen mit ihren Objekten, ihrer Fachliteratur und ihren Kennt-nissen für Studienzwecke zur Vorbereitung der Textilarbeiten nutzten.

Ein Beispiel für die intensive Zusammenarbeit eines Textilzirkels mit dem Museum für Volkskunde (MVK) in Ost-Berlin ist der Zirkel für textile Volks-kunst im Schloss Biesdorf (kurz: Textilzirkel Biesdorf) unter der Leitung von Ruth Pydde. Dieser Zirkel schloss am 1. Januar 1975 mit dem Museum einen

„Freundschaftsvertrag“, wie der damalige Direktor Wolfgang Jacobeit in einem Zeitungsartikel berichtete:

„So besteht beispielsweise ein Freundschaftsvertrag mit dem Textil-zirkel im Kulturhaus Biesdorf, dessen Mitglieder sich von Stickmus-tertüchern, Trachten, Tischwäsche, Stickereien u.a. Anregungen für

379 Ebd., S. 332.

380 Mohrmann 1983, Engagierte Freizeitkunst, S. 183.

381 Latsch, Günter: „Brauchpflege. Weiterentwicklung durch Rekonstruktion und Aktualisierung.“

In: Institut für Volkskunstforschung beim Zentralhaus für Kulturarbeit der DDR (Hg): Sitte und Brauch. Beiträge zur Folklorepflege im künstlerischen Volksschaffen. Leipzig 1987, S. 23-28.

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eigene Arbeiten holten. Manchen Nachmittag verbrachten die Bies-dorfer in unseren Arbeitsräumen, um Materialien zu studieren, Tech-niken und Farbabstimmungen kennenzulernen und Möglichkeiten des Umsetzens alter Volkskunstmotive für moderne Gebrauchszwecke zu diskutieren. Aus all dem entstand eine gemeinsam erarbeitete kleine Kabinettausstellung, die viel Anklang fand. Gleichzeitig sollte sie zum Ausdruck bringen, daß wir gern auch anderen interessierten Zirkeln diese Schätze zum Studium und zur Anregung anbieten.“382

Historisches Fotomaterial (Abb. 14) veranschaulicht die Arbeit der Gruppe im Museum.383 Dort sieht man die Beteiligten an einem großen Tisch sit-zend. Auf diesem sind gewebte, bestickte und gestrickte Textilien sowie Backmodel und bemalte Holzkästchen verteilt. Es handelt sich hierbei um Objekte aus dem Museumsbestand, welche von den TeilnehmerInnen kon-zentriert betrachtet werden. Sie zeichnen Muster und Motive ab, zählen Maschen aus und beratschlagen sich gegenseitig. Hier zeigt sich ein kreati-ver Umgang mit Museumsobjekten, die als Wissens- und Inspirationsquelle genutzt wurden. Der Textilzirkel nutzte das Depot als Ideenfundus für eige-ne Arbeiten. Ein Beispiel hierfür ist ein Nadelkissen mit Applikatioeige-nen und Stickereien, welches von den Stickereien auf einem Brustlatz inspiriert wurde.384 Die Ergebnisse der Zusammenarbeit zwischen Museum und Tex-tilzirkel wurden in der von Wolfgang Jacobeit erwähnten Ausstellung

„Volkskunstschaffende im Museum“ vom 26. März bis zum 30. April 1976 im Alten Museum auf der Museumsinsel präsentiert.385 Das MVK befand sich zu dieser Zeit im Pergamonmuseum auf der Museumsinsel. Die enge Zusam-menarbeit mit den Museen und die Präsentation und Vorführung des Laien-schaffens ist im Zusammenhang mit der Losung nach Breite und Vielfalt zu verstehen, da hierdurch eine größere Öffentlichkeitswirksamkeit erreicht werden konnte.386

382 Jacobeit, Wolfgang: „Schnittmuster aus dem Fundus.“ In: BZ am Abend, 26.01.1977, 29.Jg. Nr. 26.

383 siehe Wassermann 2017, Tradition als Inspiration, S. 40.

384 Nadelkissen, ca. 1973, MEK, Inv.Nr. I (14 B) 87/1973. Siehe Wassermann 2017, Tradition als Inspiration, S. 92.

385 Dokumentationsmaterial zur Ausstellung „Volkskunstschaffende im Museum“, Ordner „Volks-kunstschaffen Dokumentation“, MEK, ohne Inv.Nr.

386 N.N.: „Hauptaufgaben des bildnerischen Volksschaffens in den Jahren 1971-1975.“ In: Bildneri-sches Volksschaffen 6/1971, S. 167-171.

Dasselbe Museum erwarb zwei Jahre später eine Serie von neun Trachten-teppichen (MEK, I (17 J) 117/1978 – 125/1978), die Trachtenpaare aus verschiedenen Regionen in Ostdeutschland, unter anderem aus Burg (Spreewald), Jüterbog (Fläming), Mönchgut (Rügen) und Altenburg (Thürin-gen), darstellen. Es handelte sich dabei um eine Auftragsarbeit der Arbeits-gemeinschaft Teppichgestaltung Cottbus, deren Leiterin Ingrid König seit 1977 am Museum als Magazinverwalterin der Textilsammlung arbeitete.

Der Entwicklung der Trachtenteppiche ging eine intensive inhaltliche sowie künstlerische Auseinandersetzung voraus. Fachliche Unterstützung hatte der Zirkel hierbei durch den Ethnologen Lotar Balke387, der zugleich Mit-glied der Gruppe war. Der Berufskünstler Günter Hoffmann, der zusammen

387 Lotar Balke (1928 – 2008): Studium der Ethnologie an der Humboldt-Universität Berlin &

Promotion. Von 1969 bis 1992 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Instiut für sorbische Volksforschung in Bautzen. Veröffentlichungen u.a. „Sorbisches Trachtenbuch“ (zus. mit Albrecht Lange, Bautzen 1985) und „Sorbische Stickereien“ (Bautzen 1976). Kittan, Udo: „Lotar Balke.“ In:

Internetseite Feuerwehr Traditionsverein Petershain,

https://petershain- niederlausitz.de/index.php/dorf/bemerkenswertes/55-das-dorf/bemerkenswertes/178-lotarbalke (zuletzt abgerufen am 14.05.2019).

Abbildung 14:

Der Textilzirkel Biesdorf arbeitet im Museum für Volkskunde nach historischen Vorlagen.

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mit seiner Frau Christa selbst Bildteppiche entwarf und herstellte,388 unter-stützte die Gruppe als künstlerischer Berater, vermutlich in Vorbereitung offizieller Aufträge.389 Das Honorar für die Auftragsarbeit des Museums wurde nach der gültigen Honorarordnung auf 12.600 Mark (DDR) abzüglich zwanzig Prozent Honorarsteuer berechnet. Die Materialkosten wurden auf 1.200 Mark festgelegt.

Da der Ankaufsetat des Museums eine so hohe Summe nicht vorsah, bat das MVK in einem Schreiben den Ankauf aus dem Kulturfonds des Ministeriums für Kultur zu unterstützen.390 Bereits Ende des Jahres 1977 wandte sich der Museumsdirektor Wolfgang Jacobeit mit einem Schreiben an den Weberhof Lübz bezüglich einer „Befürwortung zwecks Materialbereitstellung“ für die Teppich-AG.391 Dies verweist auf die schwierige Materialbeschaffung für Laiengruppen, die aufgrund der Mangelwirtschaft oft nur durch Kontakte und mit offizieller Unterstützung möglich war. Insbesondere Textilzirkel benötigten einen hohen Materialaufwand für größere Webarbeiten, Mode-kollektionen und ähnliches.

Auch die Fördergruppe im Bezirk Potsdam unter der Leitung von Ingeborg Bohne-Fiegert beschäftigte sich wiederholt mit den Themen Brauchtum und Erbepflege und illustrierte diese in Gemeinschaftsarbeiten – beispielsweise zu Themen wie dem Fastnachtsbrauch „Kariedeln“ (1977), zu Hochzeits-bräuchen („Hochzeit in Bluno“, Abb. 15) oder zur wendischen Fastnacht

„Zapust“ (1985). Dabei stand insbesondere die Auseinandersetzung mit

sor-388 Christa Hoffmann (*1924): Besuch der Kunstgewerbeschule in Dresden, Studium an der Meis-terschule des Deutschen Handwerks in Breslau, Fachrichtungen Entwerfen und Handweben bei Prof. Johanne Rump-Gramatte. Günter Hoffmann (*1923) Studium an der Meiserschule in Breslau, Fachrichtungen Malerei und Wandmalerei bei Prof. Albert Helm. 1946 Heirat und 1947 Umzug nach Senftenberg. Dort war Günter Hoffmann als Zeichenlehrer der Senftenberger Rathenau-Schule tätig, ab 1951 als dessen Direktor. Christa Hoffmann gab u.a. Handarbeitsunterricht und leitete eine Arbeitsgemeinschaft Handweben. Ab 1966 waren sie künstlerisch freischaffend tätig. Sie fertigten zirka 250 Gobelins und Knüpfteppiche an.

Witzmann, Ralf-Peter: „Gewebte Poesie. Stadt Senftenberg und FH Lausitz zeigen Bildteppiche von Christa und Günter Hoffmann.“ In: Webseite idw – Informationsdienst Wissenschaft, 27.02.2008, https://idw-online.de/de/news248866 (zuletzt abgerufen am 14.05.2019).

389 Dass die Unterstützung im Kontext offizieller Aufträge stattfand kann nicht eindeutig belegt werden, sondern ist eine Vermutung aufgrund der Erkenntnis, dass in anderen Gruppen für offizielle Anlässe ebenfalls professionelle Unterstützung hinzugeholt wurde, bspw. die professionel-le Textilgestalterin Sigrun Rinck bei der Dippoldiswalder Modenschau für das Folklorefestival.

Glindemann, Gerda: „Mode und Folklore.“ In: Bildnerisches Volksschaffen 4/1983, S. 21-26. Die Zirkelleiterin Ingrid König erwähnt lediglich, dass der Künstler die Gruppe unterstützte. König, Absatz 58-60.

390 Schreiben des MVK an den Generaldirektor der Staatlichen Museen zu Berlin, 23.01.1978, SMB-ZA / VA 12543.

391 „Befürwortung zwecks Materialbereitstellung“, Schreiben von Wolfgang Jacobeit an den Weber-hof Lübz, 09.11.1977, SMB-ZA / VA 12543.

bischen Bräuchen im Vordergrund und wurde gezielt gefördert, beispiels-weise durch die Vergabe von Auftragsarbeiten durch das Haus für sorbische Volkskunst Bautzen.392 Die Sorben stellten in der DDR die einzige offiziell anerkannte Minderheit dar.393 In Vorbereitung der Arbeiten besuchte die Fördergruppe die Veranstaltungen in der Region für ethnologische Studien.

Sie fotografierten und zeichneten das Geschehen und sprachen mit Fachleu-ten wie MuseumswissenschaftlerInnen und EthnologInnen. Bei der Umset-zung kam es ihnen nach eigener Aussage auch auf die „ethnographische Genauigkeit an“.394 Allen Behängen ging eine intensive Auseinandersetzung mit der Geschichte voraus, wie Jutta Lademann mit Verweis auf die inhaltli-che Einführung durch eine/n EthnologIn berichtet. Wie zuvor zitiert, wertet sie die Hinwendung zu Folklorethemen als Abkehr von politischen Inhalten.

Ebenso suchten Einzelschaffende wie die Batikkünstlerin Elisabeth Hohen-see den Kontakt zu und Austausch mit dem Museum. Ab 1974 bestand zwischen der Batikkünstlerin und dem MVK ein enger Kontakt. Dies belegt der langjährige Schriftverkehr, der im Museum dokumentiert ist. Als Wolf-gang Jacobeit in einem Brief bedauert, dass sich Elisabeth Hohensee so wenig mit der heimischen Folklore beschäftige, antwortet diese: „Ich glaube, was man heute unter Folklore versteht, lebt echt in Mecklenburg nur noch bei den Teppichknüpfern an der Ostsee.“ 395 Ihre Anmerkung verweist auf die teils überkommenen Traditionen und Bräuche, welche größtenteils zu dieser Zeit bereits nicht mehr gepflegt wurden und die LaienkünstlerInnen vor besondere Herausforderungen stellten. Einerseits war es die Maßgabe, sich mit Folklorethemen zu beschäftigen und in die neue Zeit zu übertragen, andererseits waren diese Themen gar nicht mehr aktuell und man suchte nach neuen Inhalten mit Gegenwartsbezug. Einzig die Fischerteppiche396 ordnete sie in die noch lebendige traditionelle Folklore ein.

392 Interview Lademann & Anonym, Absatz 144.

393 Vgl. N.N.: „Erste zentrale Ausstellung ‚Freizeit, Kunst und Lebensfreude’ in der DDR.“ In: Bildne-risches Volksschaffen 5 & 6/1972, S. 136-151. Informationen zur Pflege der „Sorbischen Volkskul-tur“ in der DDR siehe Dietrich 2018, Kulturgeschichte der DDR Band III, S. 1690-94.

394 Bohne-Fiegert, Ingeborg: „Sorbische katholische Hochzeit.“ In: Brandenburgische KSP 11/1972, S. 23-26. Hier S. 26.

395 Schreiben von Hohensee an Jacobeit, 18.10.1976, Volkskunstschaffen Dokumentation MEK.

396 Handgeknüpfte Teppiche mit maritimen Motiven aus der Region Ostvorpommern, die ursprüng-lich von Fischern gefertigt wurden und ihnen in einer Zeit des Fischfangverbots Anfang des 20.Jh.

ein Einkommen ermöglichte. In der NS-Zeit wurden sie ideologisch vereinnahmt. Nach dem Ende des 2. Weltkrieges wurde die Produktion in der DDR wieder aufgenommen und eine Produktions-genossenschaft „Volkskunst an der Ostsee“ gegründet. Vgl. Feltkamp, Kurt & Oberdörfer, Eck-hard: Freester Fischerteppiche. Greifswald 2011.

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In ihrem Brief führt Elisabeth Hohensee weiter aus, dass sie sich „mehr als andere Volkskünstler“ bemüht habe, „Überkommenes neu zu entdecken“

und in die aktuelle Zeit zu übertragen. Dabei würde sie Skizzen nach Muse-umsobjekten anfertigen und sich thematisch mit Hilfe von Literatur infor-mieren.397 Die Informationen und Bücher erhielt sie vor allem von der volkskundlichen Abteilung des Staatlichen Museums Schwerin. Deshalb flossen unter anderem Muster und Anregungen von dortigen Museumsob-jekten in ihre Entwürfe ein. Beispielsweise diente die Kerbschnitzerei einer Truhe des Schweriner Museums als Vorlage für den umlaufenden Fries auf der Batik „Mecklenburger Volkstrachten“ (Abb. 16).398 Die Ausführungen veranschaulichen ihre Vorgehensweise bei der Herstellung ihrer Arbeiten und verweisen zugleich darauf, dass sich nicht alle Laienschaffenden mit folkloristischen Themen auseinandersetzten.

397 Schreiben von Hohensee an Jacobeit, 18.10.1976, Volkskunstschaffen Dokumentation MEK.

398 Schreiben von Elisabeth Hohensee an Sarah Wassermann vom 22.02.2017 mit angefügter Kurzbiografie und Informationsmaterial. Volkskunstschaffen Dokumentation MEK.

Abbildung 15: „Hochzeit in Bluno“, Zirkel für künstlerische Textilgestaltung / Fördergruppe Potsdam (Leitung Ingeborg Bohne-Fiegert), 1976, Applikation, AdK, ZfK 1444.

Abbildung 16:

„Mecklenburger Volkstrachten“, Elisabeth Hohensee, um 1976, Batik, MEK, I (17 J) 215/1976.

Laut Mohrmann gelang im bildnerischen Volksschaffen vor allem in der Textilgestaltung eine erfolgreiche „Aneignung und Umsetzung handwerk-lich-bäuerlicher Volkskunst“, beispielsweise durch die Übernahme von Gestaltungselementen und folkloristischen Motiven, insbesondere aber durch die Pflege traditioneller Techniken wie beispielsweise der Kelimwe-berei, Klöppelei oder diverser Sticktechniken.399 Der Erhalt und die Wieder-belebung alter Textiltechniken war ein positiver Effekt der Folklorewelle und der gezielt geförderten Erbethematik.400 Die Zielsetzung der Traditi-onspflege im Sinne der Bewahrung von Kulturgut findet sich wiederholt in den Selbstzeugnissen und Artikeln der Textilgruppen wieder. Auch rückbli-ckend reflektieren einige ZeitzeugInnen das Erlernen und den Erhalt alter Techniken als besonderen Wert der Gruppen. Besonders vor dem Hinter-grund des heutigen Verschwindens von Handarbeitstechniken und dem damit verbundenen Wissen wertschätzt Tino Adam das Gelernte:

„Und das war schön eigentlich, dass man das als Kind und (lacht). Das sind ja Kunsthandwerktechniken, die gehen einfach verlo-ren oder reduziert sich auf so ein Minimum (seufzt).“

(Adam, Absatz 133)

Die Zeitzeugin Heidemarie Paul verweist wiederum darauf „dass diese Ausbildung Elementar/Spezialschule nicht unwichtig war für die Leute, weil eben einfach vieles, was an Techniken na jetzt ein bisschen vergessen ist“

dort gelernt und weitergegeben wurde.401 Die „Problematik der Traditions-pflege und -weiterführung“ wurde auf den zweiten Werkstatt-Tagen des angewandten und dekorativen bildnerischen Volksschaffens in Rudolstadt 1977 gezielt thematisiert, wobei „die Beziehungen zur bäuerlichen Volks-kunst und zum traditionellen Kunsthandwerk“ im Mittelpunkt standen.402 An der Veranstaltung nahmen mehr als siebzig ZirkelleiterInnen, Fachme-thodikerInnen und Laienschaffende aus den verschiedenen Bezirken der DDR teil. In Vorträgen wurden verschiedene traditionelle Techniken und deren Umsetzungsmöglichkeiten in den Zirkeln präsentiert. Es ging um die

399 Mohrmann, Ute: „Gedanken zur Folklore.“ In: Bildnerisches Volksschaffen 1/1979, S. 18.

400 Das Thema der Pflege und des Erhalts alter textiler Techniken ist heute wieder unter dem Stichwort „immaterielles Kulturerbe“ der UNESCO aktuell.

401 Paul, Absatz 18.

402 Graupner, Helga: „Werkstatt-Tage angewandtes und dekoratives bildnerisches Volksschaffen.“

In: Bildnerisches Volksschaffen 1/1978, S. 13-15. Hier S. 13.

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Entstehung und Entwicklung der Schiffchenspitze; das Spitzenklöppeln; die Herstellung von Perlenschmuck in Näh-, Fädel-, Web- und Stickvarianten in Anlehnung an sorbischen Trachtenschmuck sowie verschiedene Arten der Brettchenweberei. Nach den inhaltlichen Vorträgen konnten die Techniken dann in anschließenden Workshops ausprobiert werden.403

Folklore-Mode

Während der Werkstatt-Tage 1977 wurde insbesondere der Einbezug tradi-tioneller Schmuckelemente am Beispiel der Modegestaltung als eine Mög-lichkeit präsentiert. Vor allem auf dem Gebiet der Mode war die Folklorethematik besonders fruchtbar, da sie zugleich dem internationalen Modetrend entsprach404 und eine spielerische Übernahme verschiedener Gestaltungselemente aus der Folklore ermöglichte. Eine Zeitzeugin reflek-tiert den damaligen Trend: „Da gab es Trends, nach denen haben wir uns auch gerichtet. Gerade die Folkloresachen damals, das war ja/ Da hatten ja die ganzen Künstler, die hatten ja alle Folkloresachen an.“405 Gerda Glinde-mann vom Verlag der Frau sprach sich in einem Artikel zu „Mode und Folk-lore“, in dem sie die Entwürfe der Modegruppe Dippoldiswalde für das II.

Folklorefestival 1983 in Schmalkalden vorstellte, für eine größere Verqui-ckung zwischen textilem Laienschaffen und aktueller Mode aus. Ein bloßes Kopieren von Folklore betrachtete sie als eher rückständig und nicht zeit-gemäß. Die Folklore wurde hier vielmehr als Inspirationsgeber für aktuelle Moden interpretiert: „Wo immer auch Mode gemacht wird, ist stets aufs Neue zu ergründen und zu entscheiden, wie folkloristische Traditionen dem Neuen stilbildend voranhelfen.“406 Dabei würden der Folklore relativ frei Schnittlinien, Farbtöne oder andere modische Elemente entnommen und in neue Entwürfe umgesetzt.407 Beispiele hierfür liefern die Kollektionen des Zirkels für künstlerische Textilgestaltung Potsdam und der Modegruppe Dippoldiswalde im Bestand des MEK.

Das Doppeljubiläum 25 Jahre Gesellschaft der DSF und 20 Jahre ZfK sowie die Veranstaltung des 1. und 2. Festivals der Deutsch-Sowjetischen Freund-schaft 1972 in Halle und 1977 in Magdeburg sollte den Laienschaffenden als Anregung für Arbeiten in Auseinandersetzung mit der Kultur der

sozialisti-403 Ebd.

404 Vgl. Mohrmann 1983, Engagierte Freizeitkunst, S.183.

405 Wachholz, Absatz 492.

406 Glindemann 4/1983, Mode und Folklore, S. 24.

407 Glindemann 4/1983, Mode und Folklore.

schen Nachbarländer dienen. Die Arbeiten sollten „das Engerwerden des Bruderbundes mit der Sowjetunion“ verdeutlichen.408 So entwarf der Zirkel für künstlerische Textilgestaltung Potsdam für das Festival in Halle die

schen Nachbarländer dienen. Die Arbeiten sollten „das Engerwerden des Bruderbundes mit der Sowjetunion“ verdeutlichen.408 So entwarf der Zirkel für künstlerische Textilgestaltung Potsdam für das Festival in Halle die

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