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– Die Aufbaugeneration in der künstlerischen Textilgestaltung –

Im Dokument Textilzirkel in der DDR (Seite 99-104)

Vor allem die Befragten der Aufbaugeneration erwähnen kriegsbedingte Hindernisse bzw. in einem Fall die politische Situation der Nachkriegszeit, welche sie an der Ausübung des Berufswunsches hinderten. Gleichzeitig verweisen die Erzählungen auf den erschwerten Zugang zu Bildung in der Nachkriegszeit. Als Hindernisse werden genannt: die fehlende Schulbildung durch den kriegsbedingt abgebrochenen Unterricht und die Tätigkeit als Landarbeiterinnen (Margot Schwarz, Ingrid König); die begrenzte Zahl an Studienplätzen in der Nachkriegszeit, bei deren Zuteilung die Kriegsheim-kehrer bevorzugt und Frauen zweitrangig behandelt wurden sowie eine Benachteiligung bei der Studienplatzzuteilung durch den „kapitalistischen“

Beruf des Vaters (Jutta Lademann); der erschwerte Zugang zu

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stätten durch kriegsbedingten Geldmangel (Ruth Pydde) oder durch die Zerstörung der Stätten im Krieg (Ingrid König).

Als Folge des nicht umsetzbaren Berufs- bzw. Ausbildungswunsches absol-vierten zwei der Befragten eine dem Berufswunsch nahe Schneiderausbil-dung (Ruth Pydde, Ingrid König). Die anderen beiden Befragten konnten keine dem Berufswunsch nahe Ausbildung absolvieren. Margot Schwarz gab ihren Wunsch, Pianistin zu werden auf und suchte eine Alternative im kunsthandwerklichen Bereich, da sie bereits als Kind Interesse an Bastelar-beiten hatte und eine Begabung in diesem Bereich vermutete. Jutta Lade-mann absolvierte eine Ausbildung im naturwissenschaftlichen Bereich und arbeitete dort bis zu ihrer Familiengründung. Mit der Geburt der Kinder beendete sie ihre berufliche Tätigkeit.

Die Frauen der Nachkriegszeit berichten davon, dass sie vor dem Beginn der Tätigkeit im textilen Laienschaffen auf Arbeitssuche bzw. auf der Suche nach einer Aufgabe waren und teilweise über Kontakte, beispielsweise zu Inge-borg Bohne-Fiegert (Ingrid König), über den DFD (Margo Schwarz), oder die Kenntnisnahme in der Zeitung bzw. allgemeinen Öffentlichkeit (Ruth Pydde, Jutta Lademann) hierzu kamen bzw. erzählen, dass sich die Spezialschulaus-bildung einfach anbot (Barbara Wachholz). So war für zwei dieser Frauen die Geburt des Kindes ein Einschnitt, der mit einer Veränderung der berufli-chen Situation einherging und letztlich zum Eintritt in den Textilzirkel führte. Ruth Pydde berichtet davon, wie sie nach der Geburt des Sohnes ihre Tanztätigkeit beendete und zunächst zu Hause war, bis sie in den 1960er Jahren zur Arbeit in den Textilzirkeln kam:

„Naja dann hab ich erst mal nix gemacht, der Sohn war geboren. Dann war ich zuhause und da hat mir dann irgendwas gefehlt. Da hab ich eine Annonce gelesen, dass irgendwo wurde dann so Kunstgewerbe-zirkel gemacht. Und zwar war das glaube ich im Schloss in Biesdorf, ein Kunstgewerbezirkel. Na und da bin ich dort hin, hab dort mitge-macht.“ (Pydde, Absatz 23)

Jutta Lademann erzählt wiederum, wie sie nach der Schwangerschaft ihren erlernten Beruf beendete und bereits Ende der 1950er Jahre in einem Tex-tilzirkel anfing:

„Dann war das noch nicht mit Kindergärten und da hat man auch kein Schwangerschaftsgeld beantragt, da habe ich gekündigt in Berlin, ja.

Das war damals noch so. Und, tja und wo mit den Kindern hin? Also bin ich dann zu Hause geblieben und habe meine Kinder versorgt und

da habe ich denn gehört von dieser Zirkelarbeit, ja, so zeitig denn schon.“ (Lademann, Absatz 57)

Die beiden Frauen erfuhren von den Textilzirkeln in einer Zeit der Sinnsu-che, als sie nach der Geburt des Kindes und dem Zuhausebleiben eine Be-schäftigung neben den familiären Verpflichtungen suchten. Durch ihr bereits bestehendes textiles bzw. kreatives Interesse traf die Möglichkeit, sich einem Zirkel anzuschließen, auf Zuspruch. Nach einer regulären Mitglied-schaft absolvierten sie die Spezialschule und übernahmen eigene Zirkel. Für Lademann und Pydde wurde die Zirkeltätigkeit zu ihrer Hauptbeschäfti-gung, die den kreativ-künstlerischen Interessen nahekam. Frau Lademann selbst reflektiert, dass sie die Textilzirkeltätigkeit „fast berufstätig gemacht“

habe.260

Auch bei Schwarz, König und Wachholz war diese Beschäftigung gut mit ihrem bereits in der Kindheit geprägten textilen bzw. kreativen Interesse vereinbar. Schwarz fand eine Anstellung im Ernst-Thälmann-Pionierpark und stellte im Gespräch eine Verbindung zwischen der gestalterischen Begabung und den in der Kindheit erlernten Fertigkeiten her. Sie hebt sich von den anderen Befragten dieser Generation durch ihre späte Spezialschul-ausbildung in den 1980er Jahren ab. Ingrid König kam über den Kontakt zu Bohne-Fiegert zum künstlerischen Volksschaffen. Aufgrund von Kinderbe-treuung und Zirkeltätigkeit arbeitete sie nicht Vollzeit, da dies zeitlich nicht machbar gewesen wäre:

„Ich hab nicht voll gearbeitet. Ich hab das gar nicht geschafft. Ich hatte ja noch den Zirkel und in der ersten Zeit auch noch Mädels, die noch zur Schule gingen oder bzw. in die Lehre und dann hatte ich ja meine Frauen, die mussten ja auch versorgt werden.“ (König, Absatz 398) Von den fünf Befragten dieser frühen Zirkelphase waren alle zumindest eine Zeit lang hauptberuflich bzw. als aktive Hausfrauen im Rahmen des künstle-rischen Volksschaffens tätig.

Vor dem Hintergrund der kriegsbedingten Ausbildungshindernisse sah vor allem die Aufbaugeneration die Bildungs- und Beschäftigungsmöglichkeit des künstlerischen Volksschaffens (Spezialschulausbildung und Zirkeltätig-keit) als eine Chance der persönlichen und beruflichen Weiterentwicklung.

Durch den Bedarf an anleitenden Kräften konnten sie Bildungs- und Auf-stiegschancen in diesem Bereich nutzen und wurden selbst zu

Zirkelleite-260 Interview Lademann, Absatz 709

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rInnen. Als solche waren sie wesentlich am kulturellen Aufbau der neuen Gesellschaft beteiligt und legten den Grundstein für die Textilzirkel sowie deren Ausbau und Verbreitung.

Vermutlich ist es auch mit den Ausbildungshindernissen zu begründen, dass die älteren SpezialschülerInnen in der Ausbildung besonders engagiert waren und unbedingt das Zeugnis erwerben wollten, wie es in einem Artikel heißt.261 Dieses Bild vermittelt auch Margot Schwarz. Sie erläutert, wie wichtig ihr die Ausbildung war, da sie kriegsbedingt keinen Schulabschluss machen konnte:

„Wissen Sie und dadurch, dass ich keine Schule hatte, keinen Schulab-schluss, das hat mir so viel gegeben, dass ich gebraucht wurde. Kön-nen Sie sich da rein versetzen? Dass ich auch wer war. Ich war ja nichts als ich nach Berlin kam und keine Ausbildung und nichts. Es war grauenvoll. Die Schulbildung fehlt heute noch.“

(Schwarz, Absatz 39)

Für sie war die Spezialschulausbildung eine wesentliche Qualifizierungs-möglichkeit, von der sie nach der Wiedervereinigung profitierte. Durch ihre Spezialschulausbildung in den 1980er Jahren erfuhr Schwarz erst spät eine Integration in diese Form von Interessengemeinschaft und war daher weni-ger von den Erfahrungen und Erlebnissen der Zirkelgemeinschaft geprägt.

Dies ist vermutlich ein Grund dafür, warum sie ihre Hochphase eher in der Nachwendezeit sieht. Ihr Einsatz nach 1990 in der kreativen Anleitung von Jugendlichen und ABM-Kursen262 gab ihr das Gefühl, gebraucht zu werden.

Die Basis hierfür sieht sie jedoch in der Spezialschulausbildung. Sie betont die dortigen Bildungsanstrengungen als besondere Leistung, auf welche sie stolz ist.

Weiteres Quellenmaterial verweist darauf, dass die Erkenntnisse der Inter-views keine Einzelfälle sind, sondern sich auf andere Beispiele übertragen lassen. So heißt es in einem Artikel über die Zirkelleiterin Ingrid Tampe (vermutlich *1930), dieser sei die Lust am schöpferischen Gestalten „in die Wiege gelegt“ worden. „Der Berufswunsch, Modegrafikerin zu werden, blieb ein Jugendtraum, unerfüllbar in der Zeit der Punktkarten und

Stoffknapp-261 Demgegenüber wird durchaus auch von Fluktuation, also Personen, welche die Ausbildung vorzeitig abbrachen, berichtet. Vgl. Zichner, Erika: „Ausdauer und Begeisterung.“ In: Bildnerisches Volksschaffen 5/1964, S. 15-17.

262 ABM = Arbeitsbeschaffungsmaßnahme. Dabei handelte es sich um staatlich geförderte Arbeits-programme, die als Reaktion auf die hohe Arbeitslosigkeit nach der Wiedervereinigung etabliert wurden. Ziel war es vor allem, die Menschen in Beschäftigung zu halten und ihnen eine Aufgabe zu geben.

heit.“ Über die Ausbildung in der Spezialschule wurde sie beruflich als Zir-kelleiterin aktiv und leitete die Elementarstufe der Spezialschule an.263 Die Batikkünstlerin und Zirkelleiterin Elisabeth Hohensee (*1928) betont wie-derum in autobiografischen Aussagen insbesondere die Möglichkeit der Wissensaneignung durch das künstlerische Volksschaffen, welche „einem in jungen Jahren durch widrige Lebensumstände verwehrt war – wie meiner Generation durch Krieg und Nachkrieg.“264

Über die ZirkelleiterInnentätigkeit bzw. die Ausbildung in der Spezialschule fanden die AkteurInnen teilweise gezielt die Möglichkeit, eine dem Wunsch-beruf nahe Betätigung auszuüben, sich Wunsch-beruflich neu zu orientieren oder sie fanden als Hausfrau einen Weg zurück in die Erwerbstätigkeit. In den später gegründeten Fördergruppen wurde diese Generation besonders aktiv. Aus der Zusammensetzung der Fördergruppe von Helga Graupner 1976 in Dresden wird ersichtlich, dass eine hohe Anzahl dieser Frauen ausschließ-lich bzw. hauptberufausschließ-lich im textilen Laienschaffen bzw. im Kulturbetrieb tätig waren. Elf von achtzehn Frauen aus der Fördergruppe werden als Hausfrauen (2), kulturpolitische Mitarbeiterinnen (2), Fachmethodikerin-nen (2) oder ZirkelleiterinFachmethodikerin-nen (5) aufgeführt.265 Ebenso bestand die Förder-gruppe Weben des Bezirks für Kulturarbeit Suhl aus sieben Mitgliedern, die alle zwischen 1920 und 1940 geboren waren und bis auf eine als Lehrerin tätige Frau entweder als Fachmethodikerin, Spezialschuldozentin, Zirkellei-terin und/oder Hausfrau tätig waren.266

263 Grabe, Eva: „Porträt: Ingrid Tampe.“ In: Bildnerisches Volksschaffen 8/1968, S. 13.

264 Schreiben von Elisabeth Hohensee an Sarah Wassermann vom 22.02.2017 und angefügte Kurzbiografie. Details zur Künstlerin siehe: Wassermann 2017, Tradition als Inspiration, S. 49-52.

265 Ich zähle diese zusammen, da sie vermutlich alle in der künstlerischen Textilgestaltung aktiv waren. Die FachmethodikerInnen beispielsweise in der Spezialschulausbildung. Vgl. Schulze, Annerose: „Wir grüßen unsere Gäste.“ In: Bildnerisches Volksschaffen 6/1976, S. 219f.

266 Vgl. Reising, Barbara: „Gobelin für das Interhotel Panorama.“ In: Bildnerisches Volksschaffen 6/1970, S. 12-14.

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