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Folgerungen für die Beziehung zwischen Arzt und Patient

2 Die Arzt-Patient-Beziehung im deutschen Gesundheitswesen

2.3 Folgerungen für die Beziehung zwischen Arzt und Patient

In den letzten zwanzig Jahren wurde mit über 200 Einzelgesetzen versucht, die Beitragssätze, die sich aus dem Verhältnis der Einnahmen und der Ausgaben ergeben, zu stabilisieren (vgl. dazu Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung 2000, Ziffern 470-471). Dabei waren die Erfolge dieser Kostendämpfungspolitik im allgemeinen nur von kurzer Dauer, da sie nicht auf den Kern des Problems, eine Strukturreform des staatlichen Ge-sundheitswesens, abzielten. Denn trotz eines hohen Versicherungsgrades, einer hohen Arzt- und Krankenhausdichte, der umfassenden Versorgung mit Heil- und Hilfsmitteln und hohen Forschungsausgaben ist das deutsche Gesundheitswesen im internationalen Vergleich nicht in der Spitzengruppe.12

Neben den Defiziten in der medizinischen Versorgung ist das deutsche Gesund-heitssystem auch durch falsche Anreizstrukturen, unzureichende Qualitätssiche-rung und Organisationsmängel gekennzeichnet (vgl. Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung 2000, Ziffern 4 72 und 473). Dabei sind auf der Arzt-Patient-Ebene fünf ursächliche Fehlanreize und Schwachstellen zu finden:

• Die Entscheidung, ob eine Befindlichkeitsstörung als Krankheit anzusehen ist und sich hieraus ein Versicherungsfall ergibt, liegt im Ermessen des einzel-nen. 13 Je freier die Arztwahl ausgestaltet ist und je geringer die durch den Nachfrager zu tragenden Kosten sind, desto häufiger wird dieser auch bei einer nur geringfügigen Beeinträchtigung des Gesundheitszustands den Arzt aufsuchen. Ein derartiges Verhalten ist für den einzelnen rational, da die Beiträge zur GKV Zwangsabgaben darstellen, denen er weder durch eine ge-sunde Lebensweise, noch durch eine geringere Nachfrage ausweichen kann.

Im Durchschnitt liegt die Anzahl der Arzt-Patienten-Kontakte in Deutschland bei ca. zwölf pro Jahr und damit doppelt so hoch wie in den Vereinigten Staaten oder Großbritannien, im Vergleich mit Skandinavischen Ländern so-gar viermal so hoch.

12 In einem Ranking von 191 Ländern der Weltgesundheitsorganisation (WHO) nimmt Deutschland hinsichtlich des medizinischen Leistungsstandards den 14. Platz und hinsichtlich der Kosten den 25. Platz ein. In einer OECD-Studie wird dem deutschen Gesundheitssystem eine durchschnittliche Gesundheitsleistung bei überdurchschnittlichem Ressourceneinsatz bescheinigt (vgl. Sachverständigenrat für die Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Ent-wicklung 2000, Ziffer 4 71 ).

13 So gaben 18 % der ambulanten Patienten an, daß ihre Befindlichkeitsstörungen, die sie zum Besuch eines Arztes veranlaßten, als geringfügig einzustufen sind. Die behandelnden Ärzte sahen sogar 30 % der Gesundheitsstörungen als geringfügig an (vgl. Sachverständigenrat zur Beurteilung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung 2000, Ziffer 485).

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• Zweitens bestimmt der Arzt, sofern der Patient ihn erst einmal konsultiert hat, nicht nur die Diagnose und Therapie, sondern aufgrund seiner medizinischen

· Kenntnisse über sein Angebot hinaus auch die Nachfrage des Patienten nach medizinischen Leistungen. Diese Tendenz zu einer angebotsseitigen Nachfra-geausweitung wird dabei durch Abrechnungsverfahren auf der Basis der Ver-gütung von Einzelleistungen noch verstärkt.

• Drittens wird ein solches exzessives Angebotsverhalten durch eine nur be-grenzt mögliche Kontrolle der erbrachten Leistungen sowie der Behandlungs-qualität und des -ergebnisses erleichtert.

• Viertens wird ein exzessives Nachfrageverhalten der Patienten, das durchaus als individuell rational angesehen werden kann, durch die für ihn mangelnde Kostentransparenz hinsichtlich der Höhe und Verteilung der entstandenen Kosten begünstigt. 14 In der Regel besitzt der in der GKV versicherte Patient keine Kenntnis über die tatsächlichen Kosten seiner Inanspruchnahme, da das Sachleistungsprinzip vorherrschend ist.

• Fünftens führt die uneingeschränkt freie Arztwahl zu einer Vielzahl von irre-levanten Mehrfachuntersuchungen und u.U. zu beträchtlichen Kostensteige-rungen oder auch zu nicht abgestimmten Parallelbehandlungen. Dabei ist Deutschland das einzige Industrieland, in dem eine freie Wahl auch der Fachärzte möglich ist. Es gibt keine vorgelagerte Gatekeeper-Institution (vgl.

Breyer und Zweifel 1999, S. 15), bei der bspw. der Hausarzt als Lotse tätig ist und neben der eigenen Behandlung auch die Funktion übernehmen würde, bei einem seinen Kompetenzbereich überschreitenden Krankheitsverdacht oder -befund den Patienten an einen Facharzt weiterzuleiten.15

Aus diesen bestehenden Organisationsmängeln und fehlenden Anreizstrukturen folgert der Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswe-sen, daß es einer Förderung der Eigenverantwortung im Gesundheitswesen be-darf (vgl. SVRKAiG 1994, Ziffer 606). Daneben sollte die zukünftige Steuerung neben der Verbandsebene und der Lenkung durch den Staat auch stärker auf In-dividualebene stattfinden, so zum Beispiel zwischen Versichertem und Kran-kenversicherung, Patient und Leistungserbringer oder Krankenversicherer und Leistungserbringer. Dies kann durch preisliche Instrumente, Mengenvorgaben

14 Zur Überkonsumption von versicherten Gütern und Leistungen aufgrund von Informa-tionsmängeln (Moral Hazard) siehe Abschnitt 3.3.

15 In der politischen Diskussion wurden solche Ansätze bereits als Primärarztmodell diskutiert (vgl. o.V. 1999, S. 19). Die Lostenfunktion des Hausarztes soll nach Ansicht der Bundesge-sundheitsministerin in Zukunft gestärkt werden (vgl. o.V. 2001a, S. 20).

oder Informationen erfolgen (vgl. SVRKAiG 1994, Ziffern 538-601). Besonders die Informationsverteilung zwischen den Beteiligten ist durch eine Schieflage zugunsten des Arztes geprägt. Er verfügt über die notwendigen Informationen über die zu behandelnde Krankheit und das zur Auswahl der Therapie benötigte Wissen, während der Patient und der Versicherer diese Informationen nicht be-sitzen. Dies wirkt sich neben der eigentlichen Behandlungssituation vor allem beim Vertragsabschluß über die Honorierung und Leistungserbringung aus. Es ist daher von vorrangigem Interesse, welche Auswirkung die Informationsver-teilung auf die Entscheidungen der Beteiligten des Gesundheitswesens ausübt und wie diese Entscheidungen durch die Vertragsgestaltung beeinflußt werden können.

Informationsökonomische Grundlagen

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