• Keine Ergebnisse gefunden

Fluoxetin in der Allgemeinpraxis: eine Anwendungsbeobachtung

Fluoxetin hat einen ver­

gleichbaren antidepressiven Effekt wie tri­

zyklische Anti­

depressiva

Zum Inhalt

Art der Studie: Anwendungsbeobachtung Studienteilnehmer: 3366 Patienten mit Depres­

sionen

Geprüftes Präparat: Fluoxetin

Ergebnis: »75,2% waren am Ende der Beob­

achtungszeit deutlich gebessert oder beschwer­

defrei.«

Einleitung

Der Stellenwert der sog. Anwendungsbeobach­

tung (AWB) in der Phase-IV-Forschung ist auch heute noch heftig umstritten. Ihre entschieden­

sten Gegner sprechen ihr jegliche wissenschaft­

liche Aussagekraft ab. Andererseits hat sich in den letzten Jahren gezeigt, daß die Phase IV

»diejenige Periode im Leben eines Medikamen­

tes ist, in der eine definitive Beurteilung von

Es wird über Methodik und erste Ergebnisse einer in der frühen Nachzulassungsphase durchgeführten Phase-lV-Studie mit dem nichttrizyklischen Antidepressivum Fluoxetin berichtet. Planung und Auswertung erfolgten in Zusammenarbeit zwischen zwei universitä­

ren Phase-P/-Forschungsgruppen und dem Hersteller. Die demographischen Daten der 1433 teilnehmenden Allgemeinmediziner und Internisten und der 3366 mit Fluoxetin behan­

delten Patienten waren für Deutschland reprä­

sentativ. 96% dieser Patienten wurden wegen einer Depression therapiert, die bei 29% des Gesamtkollektivs als endogen eingestuft wurde. Zwei Drittel hatten chronische bzw. re- zidivirende Verläufe, häufig mit unzureichen­

dem bisherigen Behandlungserfolg. 75% wa­

ren am Ende der Beobachtungszeit unter Fluo­

xetin deutlich gebessert oder beschwerdefrei.

Eine psychotrope Begleitmedikation erfolgte nur in 11%. Die unerwünschten Arzneimittel­

wirkungen entsprechen qualitativ dem bekann­

ten Profil, waren mit 9,3% aber seltener als in kontrollierten klinischen Studien.

Nutzen zu Risiko« überhaupt erst möglich wird (6), da in ihr erstmals Erfahrungen unter klini­

schen Routinebedingungen mit der neuen Sub­

stanz gewonnen werden (8). Die relevanten Fragen, die vor dieser Abwägung im einzelnen beantwortet werden müssen, wurden 1990 im sog. IMPETUS-Profil zusammengefaßt (9) (Tab. 1).

Voraussetzung dafür, daß eine AWB die an Phase-IV-Studien gerichteten hohen Erwartun­

gen überhaupt erfüllen kann, ist jedoch die ständige Verbesserung in der Methodik der Da­

tenerhebung und -auswertung, die derjenigen von kontrollierten Studien schrittweise qualita­

tiv angenähert werden muß. Mit diesem Ziel wurde die nachfolgend beschriebene AWB mit dem Antidepressivum Fluoxetin (Fluctin®) be­

gonnen. Sie wurde unter der Leitung unab­

hängiger und in der Phase-IV-Forschung er­

fahrener Wissenschaftler zweier psychiatri­

scher Universitätskliniken geplant und durch­

geführt.

Fluoxetin ist ein selektiver Serotonin-Wie- deraufnahmehemmer mit einer den Trizyklika vergleichbaren antidepressiven Wirkung (7), aber einem deutlich verschiedenen Nebenwir- kungsprofil. Die wichtigsten bekannten uner­

wünschten Nebenwirkungen sind Übelkeit und innere Unruhe, andererseits ist die Substanz frei von anticholinergen und kardiovaskulären Begleiterscheinungen und verursacht keine Se- dierung (2). Bei Überdosierungen in suizidaler Absicht besteht im Gegensatz zu den bekann­

ten trizyklischen Antidepressiva eine hohe Si­

cherheitsspanne (1). Außer in der Depressions­

therapie ist die Substanz auch bei Zwangser­

krankungen (12, 14), Bulimie (4) und chroni­

schen Schmerzsyndromen (3) wirksam. Die Gesamtzahl der mit dem Präparat behandelten Patienten wird weltweit auf 6 Millionen ge­

schätzt. Im folgenden soll über Durchführung und erste Ergebnisse einer 1990 mit Fluoxetin nach §67,6 AMG begonnenen AWB in 1433 allgemeinärztlichen und internistischen Praxen berichtet werden.

Z. Allg, Med. 1993; 69: 780-785. © Hippokrates Verlag GmbH, Stuttgart 1993

Therapie von Depressionen 1 herapiestudie:

Methodik Ergebnisse

Anstelle eines - bei Anwendungsbeobachtun­

gen allein schon aufgrund der gesetzlichen Rahmenbedingungen nicht möglichen - Prüf­

plans (Studienprotokolls) wurde in Anlehnung an die von der Deutschen Gesellschaft für me­

dizinische Dokumentation, Informatik und Sta­

tistik erarbeiteten Richtlinien für Anwendungs­

beobachtungen (15) ein sog. »biometrisches Konzept« entwickelt. Dieses legt von vornher­

ein Fragestellung, Durchführung und Auswer­

tung der AWB in allen wichtigen Punkten ver- hindlich fest. Anhand dieser Vorgaben wurde dann ein sechsseitiger Erhebungsbogen zur Erfassung von Patientenanamnese, Vormedi­

kation, Begleiterkrankungen und -therapie, Symptomatik und Verlauf der gegenwärtigen Depression entwickelt. Dosierung, Dauer und Ergebnis der Behandlung mit Eluoxetin sowie von unerwünschten Ereignissen wurden auch erfaßt.

Die im Bogen erfragten Daten wurden von den teilnehmenden Ärzten zu Beginn und am Ende der Behandlung, spätestens aber nach sechs Wochen, dokumentiert. Fehlten beim Rücklauf der Bögen wichtige Angaben, erfolgte eine te­

lefonische Rückfrage beim Arzt zur Ergänzung und Verifikation der Quellendaten. Im Klartext gemachte Angaben des Erhebungsbogens wurde vor Dateneingabe codiert, wozu im ein­

zelnen offene Kategoriensysteme (unter ande­

rem für Leitsymptome und Wirkungsqualitä­

ten), ICD-9 (für die psychiatrische Diagnose und sonstige Erkrankungen) und die Rote Liste (für Vor- und Begleitmedikation sowie Weiter­

behandlung) zum Einsatz kamen.

Da es sich hei den an der AWB teilnehmenden Ärzten nicht um eine im epidemiologischen Sinne repräsentative Stichprobenziehung han­

delte, wurden zur Abschätzung eventueller Stichprobenverzerrungen Arzt- und Patienten­

daten mit einer repräsentativen Stichprobe al­

ler Allgemeinmediziner und aller von ihnen mit Eluoxetin behandelten Patienten in Deutsch­

land verglichen. Als Referenzstichprohe diente dazu ein von I-i-G Infratest und GfK Gesund- heits- und Pharmamarkt-Eorschung GmbH zur Verfügung gestelltes repräsentatives Panel mit insgesamt 47 Ärzten und 1773 Patienten, die mit Antidepressiva behandelt wurden.

Die AWB zu Fluctin bei Allgemeinmedizinern und Internisten begann mit der Markteinfüh­

rung im September 1990. Im folgenden sollen die Ergebnisse der bis April 1992 abgeschlos­

senen 3366 Einzelfallbeobachtungen von 1433 Ärzten berichtet werden.

Repräsentativität der teilnehmenden Ärzte und Patienten: Hinsichtlich der Variablen Ge­

schlecht, Alter, regionale Verteilung und Ver­

ordnungsvolumen bei den Ärzten und hinsicht­

lich der Geschlechtsverteilung bei den Patien­

ten ergaben sich keine signifikanten Unter­

schiede, lediglich das Patientenalter war in der AWB mit 54 ± 16 Jahren signifikant niedriger als in der Referenzstichprobe, wo es 58 ±16 Jahre betrug (p < 0,001).

Psychiatrische Diagnose: Bei 28,9% aller Pa­

tienten lag eine endogene Depression vor, in 20,7% eine neurotische bzw. reaktive Depres­

sion und in 3,5% eine nichtdepressive Erkran­

kung. Die restlichen 46,9% entfielen auf selte­

nere Depressionsformen (bipolar 0,5%, sekun­

där, d. h. organisch bedingt, 1,3%) oder auf die große Restkategorie »nicht näher spezifizierte Depression« (45,1%).

Tabelle 1: Ziel der Arzneimittel-Evaluation in der frühen Nachzulassungsphase: Erarbeitung des soge­

nannten IMPETUS-Profils durch die Beantwortung der Fragen nach

Indikation:

Bei welchen Erkrankungen bzw. Symptomen wird das Arzneimittel in der Routine eingesetzt?

Multimorbidität:

Welche Begleiterkrankungen sind bei den behandelten Patienten häufig? Welche Therapierelevanz haben sie?

Polypharmakotherapie:

Welche Begleitmedikation wird häufig verabreicht? Be­

stehen Arzneimittel-Interaktionen?

Erwünschte Wirkungen:

Wie ist die Wirksamkeit unter Routinebedingungen?

Entspricht sie derjenigen in kontrollierten Studien?

Therapiestrategien:

Dosierungsstrategie, Applikationsform und Dauer der Anwendung?

Unerwünschte Wirkungen:

Wie häufig sind die typischen unerwünschten Arznei­

mittelwirkungen (UAW) in der Routineanwendung? Gibt es seltenere, in klinischen Studien bisher unentdeckte UAW?

Setting:

Wie verändern sich alle diese Aspekte je nach dem therapeutischen Setting? (Arztgruppe; Klinik oder Pra­

xis; Stadt oder Land usw.)

Für die Anwen­

dungsbeobach­

tung wurde ein spezielles »bio­

metrisches Konzept« ent­

wickelt

Bei 28,9% aller Patienten lag eine endogene Depression vor

Als Referenz­

stichprobe diente ein Panel mit 47 Ärzten und 1773 Patienten

Therapie von Depressionen

ii.^HWii... Miftliilll... NHiii,iimii<iiM*-..*<H.il8Slii5c^erapiestudie^ . ---'

Jeder zweite Patient hatte eine internisti­

sche Begleit­

erkrankung

Häufigster Grund für das Umsetzen auf Fluoxetin war eine unzurei­

chende Wirk­

samkeit der Vormedikation

Verlaufsform: 33,2% der Erkrankungen wur­

den von den Ärzten als Erstmanifestationen, 42,4% als rezidivirende Formen und 24,4% als chronische bzw. chronisch-exazerbierende Er­

krankungsverläufe eingestuft. Die Dauer der aktuellen Krankheitsepisode bei Beobach­

tungsbeginn lag zwischen wenigen Tagen und über 5 Jahren; bei 44,7% der Patienten betrug sie über 4 Wochen. Das Ersterkrankungsalter zeigte eine Normalverteilung mit Gipfel im fünften Lebensjahrzehnt.

Leitsymptomatik: Tabelle 2 gibt die Häufig­

keitsverteilung der bei Beobachtungsbeginn vorherrschenden Leitsymptome wieder.

Begleiterkrankungen und nicht-psychotrope Begleitmedikation: Bei 57,8% aller Patienten waren - zumeist internistische - Begleiterkran­

kungen angegeben, die in den meisten Fällen therapiebedürftig waren; so nahmen 43,3%

außer Fluoxetin mindestens ein weiteres nicht- psychotropes Präparat ein. Die mit Abstand größte Untergruppe von Begleiterkrankungen betraf das Herz-Kreislauf-System mit 34%.

Präparateklassen, die mit großer Häufigkeit (> 100 Patienten) in der AWB mit Fluoxetin kombiniert wurden, sind in Tabelle 3 zusam­

mengestellt.

Psychotrope Vormedikation: Bei 788 der 3366 Patienten (23,4%) wurden in den zwei Wochen vor Beginn der Fluoxetin-Behandlung eines oder mehrere Psychopharmaka abge­

setzt. Bei diesen handelte es sich überwiegend um Antidepressiva (n = 431) und in zweiter Linie um Tranquilizer/Anxiolytika (n = 198)

Tabelle 2: Häufigkeitsverteilung der wichtigsten Leit- symptome im Patientengut bei Beobachtungsbeginn (Mehrfachnennungen waren möglich)

N %

Depressive Verstimmung 1996 59,9

Hemmung 1491 44,7

Angst, Phobie 1062 31,9

Schlafstörung 1060 31,8

Somatische Beschwerden 904 27,1

Agitation 646 19,4

Insuffizienzgefühle, Kontaktstörung 485 14,5 Suizidalität, Aggressivität 168 5,0 Konzentrations-, Denk-, Gedächtnis­

störungen 127 3,8

Zwangssymptome 7 0,2

Sonstige Nennungen 153 4,6

Tabelle 3: Nicht-psychotrope Begleitmedikation, die im Patientengut mit einer absoluten Häufigkeit von mindestens 100 Fällen mit Fluoxetin kombiniert wurde (kategorisiert nach den Hauptgruppen der Roten Liste, Mehrfachnennungen waren möglich)

N %

Beta-Rezeptorenblocker und Kalzium-

Antagonisten 374 11,1

Kardiaka 250 7,4

Analgetika/Antirheumatika 234 7,0

Antidiabetika 161 4,8

Koronarmittel 160 4,8

Magen-Darm-Mittel 152 4,5

Diuretika 125 3,7

Antihypertonika 124 3,7

Durchblutungsfördernde Mittel 106 3,1

oder Neuroleptika (n = 158), während pflanz­

liche Psychopharmaka und reine Hypnotika mit 35 bzw. 33 Fällen nur eine sehr untergeord­

nete Rolle spielten.

Als häufigster Grund für das Umsetzen auf Fluo­

xetin wurde von den behandelnden Ärzten eine unzureichende Wirksamkeit der Vormedikation genannt; dies war in 58,6% der Fall; bei der Subgruppe, die ein anderes Antidepressivum als Vormedikation erhielt, sogar in 62,1%. Demge­

genüber waren weitere wichtige Umsetzungs­

gründe wie »Nebenwirkung« mit 10,8% und

»Abususgefahr« mit 3,2% wesentlich seltener.

Psychotrope Begleitmedikation: 382 Patien­

ten (11,3%) erhielten auch während der AWB mit Fluoxetin mindestens ein weiteres Psycho­

pharmakon. Am häufigsten waren hierbei Tranquilizer/Anxiolytika (n = 147), Hypnotika (n = 89), Neuroleptika (n = 77) und andere - überwiegend sedierende - Antidepressiva (n = 69). In nur 79 Fällen wurde diese Therapie während der AWB neu angesetzt, während sie bei 303 Patienten aus der Phase vor Beginn der Fluoxetingabe in die AWB mit übernommen wurde. Bei der großen Mehrheit aller Patienten (88,7%) wurde hingegen Fluoxetin als einzige psychotrope Medikation gegeben.

Dosis von Fluoxetin: 91,6% der Patienten er­

hielten die empfohlene Standarddosis von 20 mg täglich; der Rest verteilte sich zum über­

wiegenden Teil auf die Dosisspanne von 10-40 mg täglich in verschiedenen, zum Teil auch alternierenden Therapieschemata. 66,5% der Patienten nahmen ihre Tagesdosis morgens ein, 24,7% am Abend.

Therapie von Depressionen

Therapieergebnis: Zur Abschätzung des klini­

schen Schweregrades der Erkrankung durch die Ärzte diente eine siebenteilige Skala (Clini­

cal Global Impression, CGI). Die Entwicklung des Gesamtkollektivs zwischen Beobachtungs­

beginn und Beobachtungsende ergab einen statistisch hochsignifikanten Rückgang des Schweregrades unter der Behandlung mit Fluo- xetin (p < 0,001, Wilcoxon-Test). Bei der Sub­

gruppenanalyse zeigte sich, daß Patienten mit kürzerer Erkrankungsdauer und ohne antide­

pressive Vor- oder Begleitmedikation eine deutlichere klinische Verbesserung aufwiesen als Patienten mit eher chronischem Verlauf und multiplen Medikationen.

Abbildung 1 zeigt die vom Arzt bei Beobach­

tungsende abgegebene Beurteilung des Thera­

pieerfolgs für das Gesamtkollektiv. 75,2% der Patienten waren bei Beobachtungsende be­

schwerdefrei oder zumindest deutlich gebes­

sert. Für die Subgruppen »ängstlich-agitiert«

und »Patienten mit Schlafstörungen« fanden sich mit 73,9 bzw. 76,4% Ergebnisse, die sich von demjenigen im Gesamtkollektiv nur ge­

ringgradig unterschieden, während in der Sub­

gruppe der geriatrischen Patienten der Pro­

zentsatz der beschwerdefreien oder deutlich gebesserten Patienten mit 68,6% geringer aus- fiel.

Wirkungseintritt: Bei 16,4% der Patienten wurde die depressionslösende Wirkung von Fluoxetin bereits in der ersten Behandlungs­

woche beobachtet, bei 42,1% in der zweiten Woche. Die entsprechenden Häufigkeiten für die dritte, vierte und fünfte Woche betrugen 20,6%, 7,6% und 4,4%. In 1,4% setzte die De­

pressionslösung erst nach der fünften Woche ein, während in 7,5% aller Fälle der behan­

delnde Arzt überhaupt keinen Effekt sah.

Beobachtungsdauer und Therapieabbrüche:

Die Beobachtungsdauer der Behandlung mit Fluoxetin betrug im Median 43 Tage und lag bei fast zwei Drittel aller Patienten zwischen 4 und 8 Wochen. Die Abbrüche während der ersten drei Wochen waren mit 6,8% insgesamt gering. Der Prozentsatz aller Patienten, bei de­

nen die Therapie entweder während des Beob­

achtungszeitraumes oder unmittelbar an des­

sen Ende abgesetzt wurde, betrug 37,6%.

Hauptgründe für die Beendigung waren Be­

schwerdefreiheit (19,9%), deutliche Besserung (4,6%), Verschlechterung (3,1%) oder uner­

wünschtes Ereignis.

leichte Besserung 15%

deutliche Besserung 51%

keine Besserung 5%

Verschlechterung 1%

nicht beurteilbar 4%

völlig oder nahezu beschwerdefrei 24%

Abbildung 1: Beurteilung des individuellen Therapieerfolges durch den behandeln­

den Arzt

Unerwünschte Ereignisse: Bei 90,7% der 3366 Patienten wurden keinerlei unerwünschte Er­

eignisse (UE) beobachtet, bei 9,3% traten solche Ereignisse auf, was bei 4,5% aller Patienten zum Absetzen von Fluoxetin führte. Die häufigsten UE waren Übelkeit (3,0%), Nervosität (1,9%), Kopfschmerzen (1,2%), Schwindel (1,1%), Tre­

mor (0,7%), Schwächegefühl (0,7%), Diarrhoe, Erbrechen, Mundtrockenheit und Schlafstörun­

gen (jeweils 0,6%) sowie Angst (0,5%).

Bei Schwere­

grad der Er­

krankung ging unter Fluoxetin statistisch si­

gnifikant zu­

rück

Schwerwiegende UE: Schwerwiegende uner­

wünschte Ereignisse im Sinne der FDA-Krite- rien (EDA: Food and Drug Administration [Amerikanische Gesundheitsbehörde]) kamen insgesamt bei 46 Patienten vor. Allein 24mal handelte es sich um eine zur Krankenhausein­

weisung führende Verschlechterung bzw. feh­

lende Besserung der Depression während der Beobachtungsperiode; lediglich zweimal wurde dabei die Neuentstehung von Suizidgedanken beobachtet. Bei 3 Patienten war Agitation der Einweisungsgrund. Die 24 verbleibenden schwerwiegenden Ereignisse waren überwie­

gend Exazerbationen vorbestehender, meist internistischer Begleiterkrankungen. Sie wie­

sen keinerlei typische Häufungen auf

Diskussion

Ziel einer Arzneimittel-Evaluation der frühen Nachzulassungsphase ist die Erarbeitung eines IMPETUS-Profils. Die Güte der durch eine AWB gewonnenen Daten ist zunächst vor allem daran ersichtlich, wieweit es mit ihrer Hilfe gelingt, die in Tabelle 1 formulierten Fragen zu beantworten.

Indikation: Die Tatsache, daß bei nur 3,5%

aller eingeschlossenen Patienten eine nichtde­

pressive Erkrankung therapiert wurde, bei

Das IMPETUS- Profil dient der Arzneimittel- Evaluation

Therapiestiidle Therapie von Depressionen

1

Die Therapie in der Allgemein­

praxis orien­

tierte sich eher an Leitsympto­

men als an nosologischen Kategorien

Die Häufigkeit von Begleit­

erkrankungen war mit fast 60% hoch

In der vorlie­

genden Studie wurden Re- sponse-Raten bis zu 75,2%

erreicht

96,5% hingegen eine Form der Depression, deutet darauf hin, daß Fluoxetin bei den deut­

schen Allgemeinmedizinern und Internisten in der frühen Nachzulassungsperiode eher kon­

servativ eingesetzt wurde. Obwohl eine Reihe anderer Indikationen für Fluoxetin diskutiert wird und die Wirksamkeit bei ihnen zum Teil auch durch Studien belegt ist, beschränkt sich die Routineanwendung überwiegend auf die einzige derzeit in Deutschland zugelassene In­

dikation.

Der relativ hohe Anteil nicht näher spezifizier­

ter depressiver Syndrome (45,1%) weist auf eine Besonderheit der allgemeinärztlichen The­

rapie im Vergleich zur klinischen Vorgehens­

weise hin. Die Therapie orientiert sich an Leit­

syndromen (10) und weniger an nosologischen Kategorien, was im Widerspruch zu manchen Lehrbuchkonzepten, aber in Übereinstimmung mit klassischen und auch modernen Vorstel­

lungen zu »Zielsyndromen« (5) oder auch zur

»Denosologisierung« in der Psychopharmako- therapie steht.

Multimorbidität und Polypharmakotherapie:

Die Häufigkeit von Begleiterkrankungen, hauptsächlich internistischer Art, im Patien­

tenkollektiv war mit fast 60% erwartungsge­

mäß hoch, wenn man bedenkt, daß es sich um Patienten von Allgemeinmedizinern und Inter­

nisten handelt. Gleiches gilt für die Häufigkeit der internistischen Begleittherapie. Eine Be­

gleitmedikation mit anderen Psychopharmaka war mit 11,3% vergleichsweise selten.

Effektivität: Grundsätzlich bestätigen die Da­

ten zum Therapieergebnis die bereits bekann­

ten Zahlen aus den großen kontrollierten Stu­

dien (7) und die damit vergleichbaren Daten aus der Analyse der Psychiater-AWB (11); in beiden waren Response-Raten von ca. 70% ge­

funden worden. Die Tatsache, daß in der hier vorgelegten Analyse bei Praktikern und Inter­

nisten sogar noch eine höhere Quote von deut­

lich gebesserten bis beschwerdefreien Patien­

ten (75,2%) gefunden wurde, ist wahrschein­

lich auf ein weniger selektiertes - und damit unproblematischeres - Krankengut zurückzu­

führen und entspricht damit allgemeinen the­

rapeutischen Erfahrungen.

Therapiestrategien: Wiederum zeigte sich, wie schon bei den Psychiatern (11), daß die Empfehlungen des Herstellers bezüglich Dosie­

rung und Einnahmezeit weitestgehend befolgt

werden. Eine gewisse Ausnahme hierbei ist die relativ häufige Verordnung am Abend in fast 25%; diese Zahl lag bei Nervenärzten mit 11%

wesentlich niedriger.

Ein wichtiger Unterschied zwischen beiden Arztgruppen betrifft das Umsetzen von psy- chotroper Vormedikation auf Fluoxetin: Zwar stellt in beiden Anwendungsbeobachtungen die Gruppe der Amtidepressiva den größten Anteil an der psychotropen Vormedikation dar, pro­

zentual ist dieser Anteil bei den Allgemein­

medizinern und Internisten deutlich geringer, dagegen ein Umsetzen von Tranquilizern oder Neuroleptika auf Fluoxetin wesentlich häufiger als bei Psychiatern, was auf einen konsequen­

ter betriebenen und strenger indikationsbezo­

genen Einsatz dieser verschiedenen psychotro­

pen Arzneimittelklassen bei Nervenärzten schließen läßt.

Unerwünschte Ereignisse: Hier hat die An­

wendungsbeobachtung qualitativ keine neuen Erkenntnisse gebracht. Das bekannt UE-Profil von Fluoxetin mit Übelkeit und Unruhe, jedoch nahezu fehlenden anticholinergen Nebenwir­

kungen, wurde bestätigt, ln quantitativer Hin­

sicht fällt hingegen auf, daß die Häufigkeit der UE gegenüber den in kontrollierten klinischen Studien gefundenen Inzidenzen wesentlich ge­

ringer ist; dasselbe gilt auch im Vergleich zur AWB, die - mit gleicher Methodik - parallel dazu bei Psychiatern und Neurologen durchge­

führt wurde (11). Während sich die höheren UE-Raten in kontrollierten Prüfungen metho­

disch erklären lassen, ist die zuletzt genannte Diskrepanz schwer zu interpretieren. Neue, bisher unbekannte UE von Fluoxetin konnten nicht gefunden werden. Jedoch ist die Analyse, gerade bezüglich dieser wichtigen Frage, auf der Basis wesentlich höherer Fallzahlen und mit gepoolten Daten zu wiederholen.

Setting: Erkenntnisse zu Settingeffekten wer­

den sich aus einem detaillierten Vergleich der AWB-Daten der internistischen bzw. Allge­

meinpraxis mit den psychiatrischen Praxen ziehen lassen. Dies wird Gegenstand einer ge­

trennten Publikation sein müssen. Einige erste Vergleiche der Therapiestrategie, der uner­

wünschten Arzneimittelwirkungen oder der therapeutischen Wirkung (s. o) zeigen, daß von relevanten Unterschieden ausgegangen wer­

den muß. Daraus folgt, daß eine Generalisie­

rung der unter einem bestimmten Therapieset­

ting gewonnenen Erkenntnisse in ein anderes

Therapie von Depressionen Therapiestudie

Therapiesetting nur mit Einschränkungen möglich ist.

Literatur

1. Borys, D.J., Setzer, S.C., Ling, L. J., Reisdorf, J. J., Day, L. C., and Krenzelok, E. P.: The effects of fluoxetine in the overdose patient. Clin. Toxicol. 1990; 28:

331-340.

2. Cooper, G. L.: The safety of fluoxetine — an update.

Brit. J. Psychiatry 1988; 153: 77-86.

3. Diamond, S., and Freitag, F. G.: The use of fluoxetine in the treatment of headache. Clin. J. Pain 1989; 5:

200-201.

4. Freeman, C.P., and Hampson, M.: Fluoxetine as a treatment for bulimia nervosa. Int. J. Obes. 1987; 11:

171-177.

5. Freyhan, F. A.: Depressionsforschung: Klärung oder Verdunkelung? In: Hippius, H., und Selbach, H. (Hrsg.):

Das depressive Syndrom. Urban & Schwarzenberg, München 1969.

6. Gross, F.: Fortdauernde Prüfung der Arzneimittel.

Münch. Med. Wschr. 1984; 126; 325-329.

7. Lader, M. H.: Fluoxetine efficacy vs. comparative drugs: an overview. Br. J. Psychiatry 1988; 153: 51-58.

8. Linden, M.: Die Phase IV der Therapieevaluation.

Nervenarzt 1989; 60: 453-461.

9. Linden, M.: Comparative analysis of adverse re­

actions in phase III and phase IV (abstract). 32rd Annual Meeting of the Clinical Drug Evaluation Unit (NCDEU) of the NIMH. Boca Raton, USA, 26.-29. Mai 1992.

10. Linden, M.: Symptom, Syndrom, Diagnose - Was wird in der Praxis behandelt? Münch. Med. Wschr.

1988; 130: 849-850.

11. Linden, M., Osterheider, M., Schaaf, B., Flecken­

stein, G., und Weber, H. J.: Fluoxetin in der Anwendung durch niedergelassene Nervenärzte. Münch. Med.

Wschr. 1992; 134; 836-840.

12. Pigott, T. A., Pato, M.T., Bernstein, S.E., Grover, G. N., Hill, J. L., Tolliver, T. L, and Murphy, D. L.; Con­

trolled comparisons of clomipramine und fluoxetine in the treatment of obsessive compulsive disorder. Arch.

Gen. Psychiatry 1990; 47: 926-932.

13. Solyom, L., Solyom, C., and Ledwige, B.; The fluo­

xetine treatment of low-weight, chronic bulimia ner­

vosa. J. Clin. Psychopharmacol. 1990; 10; 421-425.

14. Turner, S.M., Jacob, R. G., Beidel, D.C., and Him­

melhoch, J.: Fluoxetine treatment of obsessive - com­

pulsive disorder. J. Clin. Psychopharmacol. 1985; 5:

207-212.

15. Victor, N., Schäfer, H., Nowak, H. (Hrsg.): Arznei­

mittelforschung nach der Zulassung. Springer, Berlin 1991.

Anschrift:

PD Dr. med. Thomas Nickelsen, Thüringer Str. 5, 61462 Königstein

Persönliche Daten:

Geb. am 22. Juni 1954 in Frankfurt.

Beruflicher Werdegang:

1979 Approbation als Arzt, Promotion, 1979-1982 As­

sistenzarzt am St. Josefs-Hospital Wiesbaden (Radiolo­

gie) und am Bundeswehrkrankenhaus Bad Zwischen­

ahn (HNO und Innere Medizin), 1982-1990 Wissen­

schaftlicher Assistent am Zentrum der Inneren Medizin der Johann-Wolfgang Goethen Universität, zunächst in der Kardiologie, ab 1983 in der Endokrinologie, 1988 Arzt für Innere Medizin. 1990 Habilitation für das Fach Innere Medizin, 1991 Anerkennung der Teilgebietsbe­

zeichnung Endokrinologie.

Jetzige Tätigkeit:

Seit 1990 Klinische Forschung, Lilly Deutschland GmbH.

F orschungssch werpunkte:

Neuroendokrinologie und Chronobiologie.

Buchbespredtiiitg

Brigitte Lohff

Medizin in Ge­