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Fazit: Verlust an programmplanerischer Pluralität durch das „süße Gift“ der Integrations- und

Die Themenbereiche im Zeitverlauf

3. Fazit: Verlust an programmplanerischer Pluralität durch das „süße Gift“ der Integrations- und

gangenheit primär Deutsche über Fluchtgründe und Lebensumstände der Flüchtlinge aufgeklärt, werden aktuell primär Geflüchtete selbst adressiert.

Kursangebote für beide Zielgruppen, Einheimische und Zugewanderte wie im „Donnerstagskreis“ der VHS Bremen in den Jahren 1956 bis 1961 sind rar. In diesem mehrjährig etablierten Angebot wurden explizit beide Ziel-gruppen zu einem Diskurs eingeladen. Mit dem Thema Fremdenfeindlichkeit wurde in den Programmen der 1990er Jahre intensiv umgegangen. In den letzten Jahren hat das Thema allerdings relativ an Bedeutung verloren. In der jüngeren Vergangenheit werden Aufrufe für ehrenamtliches Engagement oder Spendenaufrufe in den Programmen gemacht. Insgesamt betrachtet, ist der Umgang mit Geflüchteten eine Normalität in fast allen Programmen ge-worden, was früher so flächendeckend nicht der Fall war. Gleichzeitig hat die Pluralität der Angebote abgenommen.

3. Fazit: Verlust an programmplanerischer Pluralität durch das „süße Gift“ der Integrations- und Orientierungskurse?

Eine historische Programmanalyse hilft, Genesen zu verstehen und Alternati-ven zu sondieren. Für Planende, die vom Alltag mit seinen Handlungslogiken beeinflusst sind, bieten die empirischen Befunde eine Chance, reflexiv in Distanz zu Routinen zu treten. Der historische Blick ist wertvoll, da er an diverse Planungsstrategien und Ansätze erinnert, die in einer Bildungsinsti-tution wie der VHS möglich sind bzw. waren. Fortschritte werden sichtbar;

z. B. die Öffnung der VHSn für Diversität. Flüchtlinge sind weniger als frü-her Bildungsgegenstand, sondern nun Zielgruppen. Wo gab es Rückschritte und welche Kursideen gingen verloren? Aus forschungsmethodologischer Sicht hilft die Methode der Programmanalyse bei Feldbeobachtungen. Pro-grammarchive, wie das Archiv des DIE oder das Weiterbildungspro-grammarchiv Berlin/Brandenburg, sind wertvoll, da sie Ausschnitte von Bildungswirklichkeiten dokumentieren und der Analyse zugänglich machen.

Verlässlicher bzw. anders als (Zeitzeugen-)Interviews. Recherchen und Nachfragen in Volkshochschulen zeigen, dass offene Veranstaltungen sich heute oft nicht im gedruckten Programm oder digitalen Archiven finden las-sen, sondern über das Internet anlassbezogen relativ kurzfristig lanciert wer-den, um nahezu tagesaktuell zu sein:

 

 

1990er, 2000er Jahren der Umgang mit Geflüchteten als physisch präsente, in Deutschland lebende Menschen an. Bedeutet dies, dass Planende nur auf den Zeitgeist reagieren? Die empirischen Ergebnisse liefern z. T. Gegenbelege.

So fallen die eklatanten Unterschiede zwischen Volkshochschulen in den jeweiligen Epochen auf. Die VHS Bremen hatte mit den offenen Lernzirkeln („Donnerstagskreis“) für Geflüchtete und Einheimische ein spezielles Ange-bot etabliert. Auch die Sprachkurse der VHS Neuss in den 1970er Jahren sind ein Beispiel für ein regional spezielles Planungsergebnis. Das könnte aller-dings auch eine Kontextabhängigkeit sein, da Erwachsenenbildung stark regional ausgehandelt wird. Während in den 1990er Jahren die öffentliche Debatte um das Asylrecht sich in den VHS-Programmen stark widerspiegelt, scheinen sich die Volkshochschulen schon ab den 2000er Jahren beginnend bis heute in der öffentlich geführten Diskussion um den Umgang mit Ge-flüchteten relativ wenig als Akteur bzw. als Bühne einzubringen. Vielleicht haben diese Rollen andere zivilgesellschaftliche Akteure und Institutionen von den Volkshochschulen übernommen, während diese primär systemfunk-tional im Kontext des Zuwanderungsgesetzes funktionieren? Wäre dem so, dann wären die Integrationskurse „süßes Gift“ für die Volkshochschulen, weil es diese zwar stetig füllt, aber die Programmplanung vereinseitigt. Zwar gibt es auch heute brisante Kursangebote wie „Zwischen ISIS und PEGIDA – Über die Sicherheitsfrage in Deutschland und die Gefahr einer gesellschaftli-chen Spaltung“, aber im Vergleich zu den Dimensionen, die die öffentliche Debatte angenommen hat, und den früheren VHS-Programmen sind brisante VHS-Angebote hier aktuell relativ selten. So manche VHS scheint tendenzi-ell in Distanz zu tagespolitischen Entwicklungen zu gehen und agiert mit Sprachkursen für Geflüchtete und Integrationskursen für Anerkannte inner-halb der administrativ vorgegebenen Regeln offizieller Integrationspolitik. Es wird mit administrativem Auftrag geplant und weniger in breit ausgelegter Verantwortung, was man als Entpolitisierung und stärkere Abhängigkeit vom administrativen Kontext („VerBAMFung“) werten könnte. Zusammenfas-send lässt sich festhalten, dass Programmplanungshandeln sowohl von ge-sellschaftlichen Kontexten beeinflusst wird als auch gege-sellschaftlichen Zeit-geist mitgestaltet. Es ließe sich in anderen Analysen fragen, was wir über ähnliche Dynamik in anderen Programmbereichen wie Arbeit, Gesundheit oder Kultur wissen. Was können wir aus der Analyse von Bildungsansätzen in der Vergangenheit für Gegenwart und Zukunft lernen?

Rechtskurse: Wäre es heute möglich, Rechtskurse für Geflüchtete separat von den staatspolitisch vorgegebenen Orientierungskursen anzubieten?

An Universitäten gibt es unabhängige „Law Clinics“ für Helfer und Ge-flüchtete. Könnten VHSn ein ähnliches, von der administrativen Integra-tionspolitik unabhängigeres Angebot haben? Wirkliche Zielgruppenange-bote statt Auftragsmaßnahmen?

 

Multikulturelle Angebote: Das Beispiel der gemeinschaftlichen, offenen Lernzirkel der VHS Bremen in den 1950er/1960er Jahren zur Begegnung von Einheimischen und Geflüchteten könnte als eine Blaupause für wei-tere, ähnliche Lehr-Lernarrangements dienen. Welchen Beitrag kann die Volkshochschule leisten zur Implementierung bzw. Reaktivierung einer

„Agora“ (vgl. Martin 2000); eines öffentlichen, demokratischen Diskussi-onsorts? An der VHS Leipzig gibt es wie gezeigt solche Agoren, aber wie sehr gilt dies auch in der Breite? Oder finden sich solche Agoren heute eher bei anderen Anbietern oder im Ehrenamtsbereich? Warum scheuen viele Volkshochschulen hier anscheinend eher die Öffentlichkeit?

Offene Diskussionsangebote für Einheimische: Die früheren Programme, insbesondere jene der 1980er Jahre, hatten eher allgemeinbildenden Cha-rakter und zielten auf Information und Aufklärung der Deutschen über die Fluchtursachen. Tun VHSn aktuell genug, um den Deutschen zu erklären, warum Geflüchtete ihre Heimat verlassen, Schutz suchen und wie man zusammenleben kann? Eine Anregung wie das früher aussah:

Quelle: VHS Bocholt-Rhede-Isselburg, Programm 1. Semester 1980, S. 20

Bildungsübergänge: Über den Untersuchungszeitraum hinweg gibt es u. a. relativ wenige berufliche Weiterbildungsangebote für Flüchtlinge.

Da die Volkshochschulen primär Anbieter der allgemeinen Erwachsenen-bildung sind, ist dies verständlich. Dennoch war der Anteil beruflicher Weiterbildung früher höher als heute. Wäre es nicht sinnvoll, wenn die Volkshochschulen berufliche Vorbereitungskurse für Geflüchtete in grö-ßerem Umfang anbieten würden? Analysen verweisen auf Bedarfe der

 

Geflüchteten, die über Sprachkurse hinausgehen (vgl. Fleige et al. 2015;

Robak 2015). Wie können Übergänge in andere Kurse gestaltet werden?

Könnte gerade nicht hier eine – aktuell wenig genutzte – Stärke der plu-ralen Volkshochschulen gegenüber reinen Sprachkursträgern liegen?

Vielleicht wird hier in wenigen Jahren das Angebot „explodieren“, wenn die Volkshochschulen ähnlich administrativ beauftragt werden?

Der Vergleich der Ergebnisse der Programmplanung diverser Generationen birgt die Chance zum intergenerativen Lernen, wenngleich Geschichte sich nicht wiederholt. Verlorengegangenes, Adaptionen und Innovationen werden im Zeitverlauf in Programmen sichtbar. Der Blick zurück hilft, den Blick anders informiert und inspiriert nach vorne zu richten.

Literatur

Cervero, Ronald M./Wilson, Arthur L. (1994): The politics of responsibility. Adult Education Quarterly, 45, 1, S. 249-268.

Fleige, Marion/Zimmer, Veronika/Lücker, Laura (2015): Programmplanung und die Ansprache von Adressatinnen und Adressaten ‚vor Ort‘. In: Bernhard, Christian et al. (Hrsg.): Erwachsenenbildung und Raum. Bielefeld: w. Bertelsmann, S. 117-128.

Gieseke, Wiltrud (Hrsg.) (2000): Programmplanung als Bildungsmanagement? Reck-linghausen: Bitter.

Gieseke, Wiltrud/Opelt, Karin (2003): Erwachsenenbildung in politischen Umbrü-chen. Volkshochschule Dresden 1945-1997. Opladen: Leske + Budrich.

Heuer, Klaus/Hülsmann, Karin/Reichart, Elisabeth (2008): Neuer Service für die Programmforschung. In: DIE-Zeitschrift für Erwachsenenbildung, 4, S. 46-48.

Kade, Sylvia/Nittel, Dieter/Nolda, Sigrid (1993): Werte Bürgerinnen und Bürger!

Liebe Teilnehmerinnen und Teilnehmer! Institutionelle Selbstbeschreibungen von Volkshochschulen in politischen Veränderungssituationen. In: Zeitschrift für Pädagogik 3, S. 409-426.

Käpplinger, Bernd (2008): Programmanalysen und ihre Bedeutung für pädagogische Forschung. In: Forum Qualitative Sozialforschung. http://www.qualitative-rese-arch.net/index.php/fqs/article/view/333 [Zugriff: 06.08.2016].

Käpplinger, Bernd (2011): Methodische Innovationen durch neue Nutzungen und Kombinationen einer alten Methode. In: REPORT – Zeitschrift für Weiterbildungsforschung 1, S. 36-44.

Käpplinger, Bernd (2015): Addressing 21st Century Learners – A Comparative Anal-ysis of Pictures and Images in Programs of Adult Education Providers. Konfer-enzpapier bei der CASAE 2015 in Montreal, S. 171-177. journals.msvu.ca/

ocs/public/CASAE-2015-conference-proceedings.pdf [Zugriff: 06.08.2016].

Käpplinger, Bernd/Sork, Tom (2015): Making program planning more visible. In:

Jütte, Wolfgang/Lattke, Susanne (Hrsg.): Professionalisation of Adult Educators.

Frankfurt/Main: Peter Lang, S. 183-200.

Martin, Ian (2000): Reconstituting the Agora. AERC Conference Proceedings, Vancouver. http://www.adulterc.org/Proceedings/2000/martini-final.PDF [Zugriff: 06.08.2016].

 

Nolda, Sigrid (2010): Programmanalyse – Methoden und Forschung. In: Tippelt, Rudolf/Hippel, Aiga von (Hrsg.): Handbuch Erwachsenenbildung/Weiterbildung.

4. Auflage. Wiesbaden: VS Verlag, S. 293-307.

Pehl, Klaus (2004): Ein wertvoller Schatz – Die Volkshochschul-Programme als historisches Archiv. dis.kurs, 2, S. 4-6.

Robak, Steffi (2015): Angebotsentwicklung für Flüchtlinge. In: EB Erwachsenenbil-dung, 4, S. 10-13.

Stanik, Tim/Feld, Julia (2016): Organisationale Positionierung und Umgangsweisen von Volkshochschulen im Flüchtlingsdiskurs. In: Hessische Blätter für Volksbil-dung, H. 4, S. 364-372.

Teil III