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1. EINLEITUNG

1.6 F ORMGEDÄCHTNISLEGIERUNGEN

1.6.1 Biokompatibilität der FGL-Drähte

Formgedächtnislegierungen (FGL) sind Legierungen, die scheinbar plastische Verformungen rückgängig machen und eine zuvor eingeprägte Form wieder exakt einnehmen.

Von den bisher technisch bekannten Formgedächtniswerkstoffen sind bisher lediglich 3 für den Einsatz geeignet: NiTi, CuZnAl und CuAlNi. Wegen des hohen Anteils reversibler Dehnung und der geringen FG-Ermüdung sind NiTi-Legierungen die zurzeit bedeutsamsten FG-Werkstoffe.

Insbesondere lässt sich die Umwandlungstemperatur in einem großen Bereich durch Veränderung der Konzentrationsverhältnisse einstellen. Die Veränderung der Ni-Konzentration um 1 at% verschiebt die As-Temperatur um ca. 100K (48).

Darüber hinaus sind NiTi-Legierungen biokompatible Werkstoffe, die aufgrund ihrer Passivierung durch eine Titanoxidschicht (TiO2) einen hohen Korrosionswiderstand aufweisen und daher gerade für den medizinischen Einsatz interessant sind (26).

Das Material eignet sich z.B. ideal für Implantate in der Zahnmedizin und Chirurgie.

Die Anforderung für klinische Anwendungen wurden in Untersuchungen zur Korrosion dieses Legierungstyps in unterschiedlichen, künstlich erzeugten, körperähnlichen Medien, wie z.B. Speichel erfüllt (30). Zum Vergleich wurde hierfür auch Edelstahl herangezogen, der in den gleichen Medien auf Biokompatibilität getestet wurde. Verglichen wurde hierbei die Abgabe von toxischem Nickel an das umgebende Medium. Trotz des im Gegensatz zu Edelstahl in NiTi-Legierungen wesentlich höheren Nickelgehaltes sind die Mengen an Nickel, die aus den beiden Metalllegierungen abgegeben werden, nicht signifikant unterschiedlich. Weitere Untersuchungen ergaben, dass NiTi-Legierungen in ß-Phasen-Sruktur am stabilsten gegenüber Korrosion sind (26).

Studien bezüglich der Verträglichkeiten der NiTi-Legierungen zeigten, dass Nickel-Titanium-Verbindungen besonders stabile Struktur besitzen, die kaum allergische

vitro-Versuchen mit humanen Fibroblasten zeigen, dass keine signifikante Effekte bezüglich der Zellteilung nachzuweisen waren. Bei den In-vitro-Versuchen von Shabalovskaya(93) kam heraus, dass NiTi-Legierungen einen zelltoxischen Effekt aufweisen. Dies galt für NiTi-Legierungen mit Wasserstoffperoxid behandelte Oberfläche. Die Studie zeigte auch, dass der zelltoxische Effekt mit dem Gehalt an Nickel variierte. Wever et al. führten ebenfalls einige In-vitro-Versuche bezüglich der biologischen Sicherheit der Legierungen durch. Sie fanden heraus, dass NiTi-Legierungen weder cytotoxische, allergische noch gentoxische Aktivität zeigen.

Ryhänen et al.(92) untersuchten in einer In-vitro-Vergleichsstudie Testscheiben aus NiTi-Legierungen, rostfreiem Stahl und Titanium mit humanen Osteoblasten und Fibroblasten. Die Zellen wurden inkubiert und für etwa zehn Tage auf die Testscheiben mit der Größe 6x7mm angebracht. Die Kulturen wurden nach 2,4,6,8 Tagen fotografiert, gezählt und analysiert. Die Proliferation der Fibroblasten betrug 108% (NiTi), 134% (Titanium), 107%( rostfreiem Stahl) und 48% für Kontrollkulturen.

Die Proliferation der Osteoblasten ergab 101% (NiTi), 100% (Titanium), 105%

(rostfreiem Stahl) und 54% für Kontrollkulturen. Anfangs setzte Nitinol mehr Nickel (87-129 µg/l) in die Zellkulturen frei als rostfreier Stahl (7µg/l), doch nach zwei Tagen war die abgegebene Konzentration annährend gleich. Man kam zu dem Schluss, dass Nitinol eine gute In-vitro-Biokompatibilität bezüglich humanen Fibroblasten und Osteoblasten besitzt. Trotz der anfangs höheren Nickelfreisetzung induziert Nitinol weder einen toxischen Effekt, noch eine Verminderung der Zellproliferation oder eine Hemmung des Zellwachstums beim Kontakt mit metallischen Oberflächen (92).

In-vivo-Biokompatibilitätversuche zeigten vergleichbare Resultate. Bei den Versuchen von Cutright et al. wurden Nitinol-Drähte für 9 Wochen subkutan in Ratten implantiert. Eine Gewebereaktion war zu keinem Kontrollzeitpunkt sichtbar.

Bei den Versuchen von Wen et al. wurden der Korrosionswiderstand und die Gewebeverträglichkeit von NiTi-Legierungen und Ti50Ni50-Cux verglichen. Es war kein signifikanter Unterschied unter den Drähten bezüglich der Gewebereaktion nach zwei und drei Monaten nachzuweisen. Auch nach viermonatiger Implantation war keine Korrosion der Oberfläche feststellbar. In den tierexperimentellen Studien von Rabkin et al. wurden endovaskuläre NiTi-Prothesen in Hunden implantiert. Langzeitresultate über einen Zeitraum von 14 Monaten zeigten eine gute und anhaltende Permeabilität der NiTi-Prothesen.

Prince et al. (80) setzten NiTi-Blutgerinnselfilter in die Venae cavae von 16 Hunden ein. Die Ergebnisse wurden in einem Zeitraum von einer Woche und bis zu vier Jahren analysiert. Es zeigte sich, dass saubere NiTi-Prothesen offen blieben, unreine Prothesen zeigten dagegen organisierte Thromben. Die Ergebnisse zeigten außerdem, dass die Beschaffenheit der NiTi-Prothesen keinen wahrnehmbaren Effekt auf die Thrombogenität hat. Histologische Untersuchungen ergaben, dass unreine Prothesen eine chronische Entzündung der benachbarten Gefäßbezirke verursachten, während bei den nicht verunreinigten Prothesen eine einzige, eine benigne fibröse Gewebereaktion verursachte. Nach Meinung der Autoren sind NiTi-Legierungen geeignete Materialen für vaskuläre prothetische Anwendung (80).

Auch in den orthopädischen und odonthologischen Bereichen hat die Anwendung der NiTi-Legierungen Einzug gehalten.

Drugacz et al. testeten die klinische Anwendung von Ti50Ni48,7Co1,3 Formgedächtnislegierung-Klammern zur Stabilisierung mandibulärer Frakturen. Nach zirka sechs Wochen wurden die Klammer entfernt. 77 Patienten mit mandibulären Frakturen wurden mit den NiTi-Klammern behandelt. Bei 72 Patienten war die Behandlung mit den Formgedächtnis-Klammern zufrieden stellend, während sich in fünf Fällen Infektionen ereigneten. Die histologische Untersuchung der entfernten Klammern ergab weder eine pathologische oder atypische Gewebereaktion, noch Zeichen einer Zellzerstörung. Nach Meinung der Autoren erleichtert die Anwendung der Formgedächtnislegierung die Stabilisierung und chirurgische Behandlung von mandibullären Frakturen (24).

Silberstein konnte in einer klinischen Studie mit 84 Patienten mit Frakturen und Tumoren in cervikalen und lumbalen Wirbelsäule ebenfalls demonstrieren, dass die Implantation von NiTi auch hier zur Anwendung kommen kann und dass die NiTi-Implantate einen hohen Grad an Biokompatibilität zeigen(97).

All diese Studien und Versuche zeigen, dass NiTi-Legierungen oder auch Formgedächtnislegierungen nicht nur einen hohen Grad an Biokompatibilität aufweisen, sondern darüber hinaus heutzutage Anwendung in unterschiedlichen Bereichen der Chirurgie, Orthopädie, Orthodonthlogie und Gefäßprothetik finden.

1.6.2 Medizinische Anwendungsbereiche der FGL-Drähte

Durch die Kombination aus guter Biokompatibilität, guter Stärke und Dehnbarkeit mit den spezifischen funktionellen Eigenschaften der FGL, nämlich der (Formgedächtnis-Effekt und Superelastizität) eignen sich Formgedächtnislegierungen als Material für verschiedene medizinische Anwendungsbereiche.

In den späten 1960er sahen Johnson und Alicandri das Potential der NiTi-Legierungen für medizinische Implantation. Einige Pioniere auf diesem Gebiet waren Baumgart et al., die NiTi-Stäbe für die Behandlung von Skoliosen verwendeten (7).

1986 implantierten Lu et al. NiTi-Stäbe Patienten mit Skoliose und zwar mit guten Resultaten und ohne Komplikation.

Eine der ersten im menschlichen Körper verwendeten medizinischen Formgedächtnislegierung war ein NiTi-Heftdraht. Dies wurde 1981 in China vorgestellt. Es folgten weitere Verwendungen der NiTi-Heftdrähte und Klammern für Fixation mandibulärer Frakturen (24), für metatarsale Osteotomien (110), für kleine Frakturfragmente und für die Stabilisierung von cervikalen Wirbelsäulenfrakturen.

Von 1986 bis 1999 führten Barouk et al. eine Studie mit 1850 Patienten durch, bei denen Nickel-Titanium-Klammer mit Formgedächtnis-Effekt zur Hallux valgus-Korrektur, Arthrodese des ersten Metatarso-phalangeal-Gelenks und Arthrodese des Lisfranc-Gelenks zur Anwendung kamen. Es konnte gezeigt werden, dass die FGL-NiTi-Klammer kaum lokale Toleranzprobleme, was die Gewebeverträglichkeit anbelangt, verursachten. Darüber hinaus demonstrierten die Ergebnisse, eine hohe operative Stabilität und eine schnellere Heilung (5,6,105).

Der Simon-Nitinol-Filter (SNF) war das erste klinisch erfolgreich verwendete vaskuläre Material. Es wurde für die Behandlung pulmonale Embolien verwendet und mittels eines Katheters angebracht. SNF veränderte seine Form als Formgedächtnislegierung bei Körpertemperatur und konnte sich so am Lumen des Gefäßes gut anlegen.

In Anlehnung an Simon-Nitinol-Filter sind verschiedene Implantate entwickelt worden, um zum Beispiel ein Vorhof-Septum-Defekt zu verschließen (52,65). Die traditionelle Herzchirurgie zur Behebung dieser Anomalie ist sehr invasiv und risikoreich. Die alternative Methode durch Formgedächtnislegierungen aus zwei Hälften bestehend, wird wie beim Simon-Filter mittels eines Katheters über die Vena Cava in geschlossener Form in das Herze platziert, miteinander verbunden und wie

ein Schirm aufgespannt. Dies verschließt den Septumdefekt und verhindert den ungehinderten Blutfluss von einem Vorhof zum anderen.

Endoluminale Deckung von infrarenalen abdominellen Aortenaneurysmen mit Dacron überzogenen NiTi-Stents konnte zeigen, dass sie sicher und klinisch effektiv sind.

Intracoronare und peripher vaskuläre NiTi-Stents scheinen auch Anwendung zu finden, allerdings sind die Daten über Restenosierung nicht ausreichend.

Auch bei der Behandlung von benignen biliären Strikturen sind NiTi-Stents zur Anwendung gekommen, die über längeren Zeitraum offen bleiben konnten. NiTi-Stents kamen ebenfalls zur palliativen Behandlung von malignen ösophagealen Obstruktionen zur Anwendung, mit geringem Risiko und Komplikationen(22). Eine Reihe von Autoren untersuchten die Verwendung von NiTi-Stents bezüglich ösophagealen Strikturen und palliative Behandlung von Malignomen (1,110). Auch werden von einigen Autoren NiTi-Stents bei Patienten mit rektosigmoidalem Karzinom als Alternative zu den wiederholenden palliativen Lasertherapien oder palliativen chirurgischen Maßnahmen diskutiert (31,32).

Die Anwendung von NiTi-Prostatastents wurde erstmalig durch die Studien von Lopatkin et al. beschrieben (64). Für Hochrisiko-Patienten mit Prostatacarcinom oder benigne Prostatahyperplasie bietet das Einbringen von permanenten NiTi-Stentssysteme eine nützliche Alternative zur transurethralen Resektion (32,64).

Weitere Anwendungsbereiche für Nitinol oder Formgedächtnislegierungen sind beschrieben für Prothesen für die laparaskopische Hernioplastik in den Studien von Himpens (41). Rauber et al. beschreiben in ihren Studien die Verwendung von NiTi-Stents zur Vermeidung von Okklusion der großen Luftwege. Sie schienen sehr nützlich und effektiv zu sein bei der Behandlung von inoperablen trachealen und bronchialen Stenosen verursacht durch intraluminalen Tumoren (84).