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3   DIE WEITERENTWICKLUNG DER PFLEGEVERSICHERUNG

3.8   F AZIT

derzeit etwa vier von zehn Pflegebedürftigen in vollstationärer Pflege in Pflege-stufe I eingestuft sind, ist die hiervon betroffene Gruppe nicht klein.

Etabliert wird durch den einheitlichen Eigenanteil ein Ausgleichsverfahren zwi-schen den Bewohnern einer Einrichtung, das für Neufälle dazu führt, dass es im Vergleich zum Status quo ante Gewinner und Verlierer gibt. Allerdings ist die alte Regelung als Bezugspunkt nur wenig geeignet, weil die mit den Pflegestufen steigenden Eigenanteile normativ nicht gerechtfertigt sind. Vielmehr erscheint die neue Verteilung der Eigenanteile aus den oben genannten Gründen deutlich sinnvoller.

An-tragsteller verändert wurde, sowie auf die Überleitungsregelung und die Leis-tungsbemessung im ambulanten Bereich.

Durch diese konkrete Ausgestaltung bringt auch das PSG II als dritte Stufe der Pflegereform noch einmal erhebliche Leistungsverbesserungen mit sich – und entsprechende Mehrausgaben. Es stellt sich daher die Frage nach einer nach-haltigen Finanzierung, deren Weiterentwicklung – gerade im Vergleich zur Leis-tungsgestaltung – nur minimal vorangetrieben wurde.

Zur Deckung der laufenden Ausgaben wird an der Finanzierung der Pflegeversi-cherung fast ausschließlich durch Beiträge auf Löhne und Gehälter sowie Lohn-ersatzleistungen festgehalten. Da die Finanzierung der Pflegeversicherung dabei in den drei Reformschritten nicht – im Sinne einer Bürgerversicherung (vgl. z. B.

Dräther et al. 2009; Rothgang 2014b) – auf eine breitere Grundlage gestellt wurde, müssen alle laufenden Mehrausgaben durch Erhöhungen des Beitrags-satzes zur Pflegeversicherung finanziert werden. Dieser wird im Zeitraum von 2012 bis 2017 um insgesamt 0,6 Prozentpunkte auf 2,55 % für Versicherte mit Kindern und auf 2,8 % für Kinderlose angehoben. Da hiervon 0,1 Prozentpunkt direkt in den Pflegevorsorgefonds abgeführt wird, stehen zur Finanzierung der drei Reformschritte die Mehreinnahmen aus 0,5 Prozentpunkten zur Verfügung.

Inwieweit die Mehrausgaben durch die Mehreinnahmen gedeckt werden können, wird die Zukunft zeigen.

Zwar wurde im Rahmen des PSG I der – auch in anderer Hinsicht vielfach kriti-sierte (vgl. z. B. Jacobs & Rothgang 2014; Rothgang 2014a) – Pflegevorsorge-fonds eingeführt, welcher jedoch nicht der laufenden Finanzierung, sondern nur zur Dämpfung der Beitragsanstiege ab dem Jahre 2035 dient. Er stellt somit eine zum Mittelbestand der Pflegeversicherung parallele Kapitalrücklage dar, welche später – allerdings mit quantitativ vernachlässigbarem Effekt (Bowles 2015;

Jacobs & Rothgang 2014; Rothgang 2014a) – zur geringeren Beitragssatzstei-gerung eingesetzt werden soll. Da die infolge des PSG II entstehenden Kosten der Überleitung und des stationären Bestandsschutzes in Höhe von 4,4 Mrd. € für die Jahre 2017 bis 2020 aus Rücklagen finanziert werden sollen (BMG 2015a: 77), ergibt sich eine kuriose Situation: Für den genannten Zeitraum wer-den die Gesamtrücklagen bestehend aus dem Mittelbestand der Pflegeversiche-rung und dem Pflegevorsorgefonds trotz dessen gebundener MittelzufühPflegeversiche-rung in

Höhe von etwa 5,3 Mrd. € kaum steigen können. Die allgemein großzügige Aus-gestaltung der Regelungen des PSG II kann somit indirekt auch als vierjährige Aussetzung der im PSG I forcierten Bildung von Kapitalrückstellungen interpre-tiert werden. Dabei ist zusätzlich bemerkenswert, dass die Kosten der Überlei-tungsregelungen und des Bestandsschutzes im Gesetzentwurf nur für die ge-nannten vier Jahre ausgewiesen wurden (BMG 2015a: 77), ein Teil der vom Bestandsschutz betroffenen Pflegebedürftigen aber deutlich länger leben dürfte.

Hierdurch werden auch über das Jahr 2020 hinaus weitere Bestandschutzkosten entstehen, welche die geplante Kapitalbildung verlangsamen.

Die großzügige Überleitung sorgt gemeinsam mit den entsprechenden Leis-tungshöhenfestsetzungen und den Bestandsschutzregelungen dafür, dass Pfle-gebedürftige, die bereits zum 31.12.2016 als pflegebedürftig anerkannt sind, durch die Reform nicht schlechter gestellt werden.10 Bei den Neufällen stellt sich dies dann anders dar. Insbesondere im stationären Bereich ist damit zu rechnen, dass sich mehr als ein Drittel der ab 1.1.2017 hinzukommenden Neufälle besser gestanden hätten, wenn es die Reform nicht gegeben hätte. Grund hierfür ist die mit der Reform intendierte und realisierte Umverteilung der Eigenanteile von Pflegestufe III zu Pflegestufe I bzw. den entsprechenden Pflegegraden. Diese ist sozialpolitisch allerdings sehr plausibel – warum soll höhere Pflegebedürftigkeit zu höheren Eigenanteilen führen? –, baut das Konfliktpotential innerhalb von Pflegeheimen zwischen Einrichtung auf der einen sowie Pflegebedürftigem und Angehörigen auf der anderen Seite ab, schafft mehr Planungssicherheit für Heimbewohner und erhöht die Markttransparenz.

Bemerkenswert ist, dass die Mehrausgaben des PSG II – entsprechend dem Grundsatz ambulant vor stationär – überwiegend in den ambulanten Sektor fließen. Von den vorstehend ausgewiesenen rechnerischen Mehrausgaben

10 Es gibt nur eine Gruppe, für die dies nicht gilt. Hierbei handelt es sich um die Härtefälle in der ambulanten Pflege, die den erhöhten Betrag der zusätzlichen Betreuungsleistungen nach § 45b SGB XI in Anspruch nehmen. Da der neue Entlastungsbetrag mit 125 € niedriger ist als der erhöhte Betrag für die zusätzlichen Betreuungsleistungen (208 €), verringert sich deren Leistungsanspruch um monatlich 83 €. Allerdings hat er sich erst mit dem PSG I um 85 € erhöht, so dass die beiden Pflegestärkungsgesetze zusammen auch für diese zahlen-mäßig sehr kleine Gruppe von weniger als 2 Tsd. Pflegebedürftigen keine Leistungskürzun-gen mit sich brinLeistungskürzun-gen.

ßen 3,2 Mrd. € in den ambulanten und mit 1,4 Mrd. € weniger als halb so viel in den stationären Teil. Dabei erhöhen die Mehrausgaben im ambulanten Bereich die kaufkräftige Nachfrage, während die Mehrausgaben im stationären Bereich aufgrund der budgetneutralen Überleitung der Pflegesätze lediglich die Ausga-benstruktur zwischen Pflegebedürftigen/Sozialhilfeträger und Pflegekassen ver-ändern. Zu erwarten ist – auch ausweislich der Gesetzesbegründung (BMG 2015a: 76f.) – zudem, dass die Mehrausgaben im stationären Bereich mit Ab-schmelzen der Überleitungskosten weitgehend entfallen, während sie im ambu-lanten Bereich zu größeren Teilen auch langfristig erhalten bleiben.

Abschließend bleibt darauf hinzuweisen, dass auch diese große Pflegereform nicht das letzte Wort bleiben wird. Weiterer Reformbedarf besteht im Kontext des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs, aber auch darüber hinaus (vgl. Rothgang 2015a). So muss das im PSG II angekündigte Personalbemessungsverfahren erst noch entwickelt werden und generell müssen die Vertragspartner in ihren Verträgen dafür Sorge tragen, dass das im neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff sichtbar gewordene breitere Pflegeverständnis auch Einzug in die Pflegepraxis hält. Darüber hinaus sind aber auch die Baustellen zu beachten, die mit dem Pflegebedürftigkeitsbegriff selbst nichts oder nur am Rande zu tun haben. Zu nennen sind hier insbesondere die Fragen nach zukunftsfester Finanzierung der Pflegeversicherung und nach einer Bekämpfung des drohenden Pflegenot-stands, aber auch Dauerbrenner wie die Pflegequalität und die unzureichende Rehabilitation bei Pflegebedürftigkeit. Trotz einer insgesamt gelungenen, großen Reform gibt es also auch weiterhin noch viel zu tun.

4 Pflege im Spiegel amtlicher Statistiken und

Im Dokument Barmer-GEK-Pflegereport: (Seite 56-60)