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Experiment 1: Krebs und Mond

Im Dokument Lux IN TENEBRIS (Seite 38-41)

2. ZUR ASTROLOGIE IM ROMAN

2.2 DIE KONSTELLATION WAR GLÜCKLICH

2.2.1 Experiment 1: Krebs und Mond

Bereits Weydt weist auf die Vagheit des Horoskops hin:

Diese sich um den "Krebs" gruppierenden Angaben sind nun teilweise so allgemein gehalten, daß sie praktisch auf jeden Menschen angewandt werden können. Einige jedoch tragen ein derart spezifisches Gepräge, daß man glauben darf, hier sei Grimmelshausen aufmerksam geworden und habe sie auf sich oder seinen Helden bezogen. (Weydt 1968: 286)

Es entgeht ihm dabei jedoch die auffallende Ähnlichkeit des Horoskops mit einigen Eigenschaften und Charakteristiken der Romanfigur nicht. Zu solchen Merkmalen zählt z.B. die Erwähnung des Zeichens am Schenkel und rechten Arm - Simplicius wird in der Tat an den betreffenden Stellen verwundet (vgl. V/4; V/21), allerdings geht aus der letzteren TextsteIle nicht hervor, welcher Arm verletzt wurde (V/21; 558). Aber Weydt hegt anhand dieses Details

"kein[en] Zweifel" an der "bewußt herbeigeführten Analogie" (1968: 287). Der Stier im zehnten Haus oder im zweiten Winkel, d.i. in der Mitte des Himmels, soll dazu beitragen, dass der im

40 Von Bedeutung könnte weiter sein, dass das jüdische Jahr sich den Bewegungen des Mondes strukturiere (vgl.

Jaeger 1996: 211). Die Verbundenheit des Mondes mit dem Jüdischen dürfte man als typologisch zu wertenden implizit vorhandenen Sachverhalt auffassen.

41 Haberkamm (1972: 243) bezweifelt anhand des folgenden Zitats aus dem EC, dass über Simplicii Geburt der Mond herrsche. Ich aber bin der Meinung, dass der EC sich nur auf solche Fälle bezieht, in denen der Mond zum Zeitpunkt der Geburt mit der Sonne im Tierkreiszeichen des Geborenen zusammentrifft. Diese Konstellation bewirkt dann die Verschiebung der Regenten der Geburt. Für Simplicius würde das jedoch nicht gelten, denn wie man schon dem Schema der Großen Konjunktion entnehmen kann, befand sich Luna in Opposition zur Sonne und kann sich daher unmöglich im Haus des Krebses befunden haben:

Hiebey mustu auch wissen / daß ob wol die Sonne und der Mond Haupt=Planeten seynd / und die andern weit übertreffen daß sie dannoch nimmer Herren einigs Menschen Geburt seyn: und solches recht zuverstehen so nimb dessen ein Exempel: Ich setze daß in einer Geburt der ivlon iauffe in ZwiHingen oder im Krebs welcher sein eigen Hauß ist / so wird er doch nicht fiir den Herrn der Geburt geachtet / sondern vielmehr der Planet des nechst stehenden Hauses /etc. Also die Sonn im Löwen in ihrem Hauß in der Geburtsstund / ob sie wol des Löwen Herr ist / verleuret sie doch die Herrschaft der Geburt / und vertritt sie Mercurius der nachgehend Planet in der Jungfrawen / darnach dem Löwen folgt in der Ordnung die Jungfrau / deren Herr Mercurius ist; Ist dann der Mon in der Jungfrau / so ist Venus der Geburt Herr von wegen der Wag dem nachgehenden Zeichen / deren Herr die Venus ist / [ ... ]. (EC V 191)

42 S. Abb. 6, dort befindet sich eine Kopie des Faksimiles aus dem EC, die TextsteIle über "Krebs".

35 Krebs Geborene auf sein Erbe wenig achte, das vertane Gut jedoch wieder erlange. Ähnlich verursacht die Waage im vierten Haus, d.i. im vierten Winkel oder dem sog. Imum coeli, dass er sein väterliches Gut vertue, aber bald wieder ein anderes dafür bekomme. Man kann das väterliche Gut zunächst konkret auffassen - Knans Hütte wird von den Soldaten verbrannt, die Simplicius durch sein Spiel auf dem Dudelsack zu sich herbeilockt. Wenn er dann seinem Pflegevater das angeheiratete Gut (V/10) überlässt, stimmt dieser Akt mit der Prophezeiung für das Imum caeli überein. Weydt (1968: 288) deutet diese Aussagen in Bezug auf den Roman in übertragener Weise um:

Wird jedoch das "Gut" als geistiges und sittliches Gut, Erbteil als überkommene Frömmigkeit und religiöse Hinterlassenschaft des Einsiedel-Vaters verstanden, Güter also, die Simplicius verwahrlosen läßt und die er erst gegen Ende seiner Geschichte mühselig wiedergewinnt, so bereitet die Übertragung des Kalenderhinweises auf den "Simplicissimus Teutsch" keine große Schwierigkeit.

Denn fasst man das väterliche Erbe als ein geistiges auf, dann passt auf Simplicius auch die Aussage, ihm würden "groß und verborgene Sachen mitgeteilt" (EC V 57). Als solche wären allerdings die drei weisen Ratschläge des Einsiedler-Vaters aufzufassen. Deutet man ferner Simplicii Hinwendung zur Theologie und die damit verbundene Leselust im fünften Buch als Ergebnis, zu dem er erst anhand der vorherigen Erfahrungen gelangen konnte, dann trifft auf ihn auch die Behauptung zu, er weise eine starke Neigung auf "zu erkündigung vieler Heimligkeiten und verborgener Sachen; Und solches geschiehet durch grosse Mühe Angst und Not" (EC V 57). Simplicius selbst spricht in Bezug auf einige Erlebnisse von der durchgehenden Not, Plage - so zum Beispiel bei seiner Rückreise aus Paris nach Deutschland (IVl7), die Charakteristik trifft des Weiteren auf die Leib- und Lebensgefahr im Rhein (lV/10) und die sich anschließende Seelengefahr (IV/11) zu. Der im Krebs Geborene soll weite Reisen unternehmen, vor allem auf Wasser (hierzu vgl. V/22; Cant 17-19). Zutreffend ist die Feststellung, sein Gewinn mache ihn nicht desto reicher, und dass Simplicius einen Schatz (vgl.

EC V 59) findet, stimmt ebenfalls (vgl. 111/12). Dass er sich bei den Herren und Vorgesetzten beliebt machen kann, beweist z.B. die anfängliche und dann wieder einsetzende Gunst des Gubernators Ramsay, ferner das Auftreten des Grafen von Götz (V/4) oder die Zuneigung russischer Fürsten (V/20).

Auf die "Fruchtbarkeit" des Krebses (EC V 95) wird im Romangeschehen hingewiesen durch die Erwähnung der sechs unehelichen Kinder in L. (V/5). Simplicii Erkrankung an Blattern (IV/6) entspricht gleichfalls dem im EC Behaupteten:

Der Widder / Krebs / Scorpion und Fisch in Angelhäusern / bedeuten Außsatz / Blattern / rothe Flecken / französische Hosen / spitzige Räud / Thumbheit der Ohren / Stamlen / kahlheit deß Haupts und wenig Barts. (EC V 95)

Außerdem verfügen die im ersten Angesicht (d.i. in dei eisten Dekade des Krebses) Geborenen über eine schöne Gestalt - Simplicii Pariser Name lautet immerhin Beau Alman. Dieses Detail spricht für die Datierung des Geburtstages am 24.6. und die vermutete Anspielung auf den St.

Johannistag.

36 Der Steinbock im siebten Haus (im dritten Winkel) ist gleichzeitig das Haus Saturns. Im EC liest man:

[ ... ] wann Satumus stehet in einem Winckel der Tag=Geburt / oder Mars in der Nacht=Geburt / seynd die Geborne mit ungestümmen und unvernÜllfftigen Sinnen behaftet / und so1chs geschieht auch gemeiniglich so offt der Krebs / Jungfraw oder Fisch in Angelhäusern gefunden werden. (EC V 95)

Diese Behauptung trifft zwar auf die Romanfigur zu, freilich ist sie so allgemein gehalten, dass sie auf das menschliche Verhalten schlechthin bezogen werden könnte. Nichtsdestoweniger bezeichnet Simplicius wiederholt sein vergangenes Handeln als töricht und närrisch, vornehmlich seine Jägerexistenz und Ignoranz der gut gemeinten Ratschläge des Pfarrers in L.

(11 1/20) sowie des Pfarrers in Philippsburg (IV/11).

Auf er anderen Seite befinden sich im EC Behauptungen, die sich auf die Figur nicht unproblematisch übertragen lassen - der Leser erfährt nicht, welchen Tod Simplicius stirbt, der EC prophezeit ihm einen ehrlichen. Und ob sich der im EC erwähnte heftige, bald gestillte Zorn auf die Figur beziehen lässt, hat schon Weydt (vgl. 1968: 287) in Frage gestellt. Umstritten oder wenig einleuchtend ist die Behauptung, der im Krebs Geborene werde bedeutende Ämter bekleiden (EC V 57; so Weydt 1968: 287). Womöglich ist Simplicii Betätigung in der russischen PulvermOhle dahin gehend auszulegen (V/21).

Im Krebs hat der im Barock hochsignifikante Mond sein Haus. Grimmelshausen spricht von ihm im Einklang mit dem barocken Verständnis als von der Fortuna, ordnet ihm traditionellerweise das Element des Wassers zu und die Eigenschaft der Unbeständigkeit (variabilitas) , ferner die Zahl Sieben. Tiere, über die der Mond seine Herrschaft ausübt, sind unter anderem Gänse, Frösche und Hasen. In der Kunstgeschichte tragen sie viele Bedeutungen, die im Buch aufgegriffen werden, wie Tarot bei der Deutung einiger Szenen, die sich in Hanau abspielen, unter Hinweis auf die niederländische Genremalerei43 demonstriert. Hinzugefügt sei, dass bereits bei Hieronymus Bosch gerade diese Tiere für die Darstellung der Todsünden und Höllenmotive genutzt werden - die Gans kann auf Fraß und Völlerei hindeuten (gula) - und Simplicius wird ja in den Gänsestall eingesperrt, was Tarot (vgl. 1979: 117) als Anspielung auf Verfallenheit des Helden an diese Sünde deutet, der Hase steht für das Narrentum und Torheit und der Frosch (bzw. die Kröte44) für den Unglauben (vgl. Volavkova 1973: 19; 28), aber auch für die drei Todsünden Hochmut, Wolllust, Geiz (vgl. ZerbstiKafka 2003: 279f)45. Die Luna beschirmt alle, die eine unbehauste Existenz führen, an keinem sicheren Ort bleiben. Simplicius begegnet uns im Einklang damit sowohl als Pilger, als auch als Jäger, Vagant, Landfahrer und, seltsam genug: Thyriakskrämer. Nicht vergessen werden darf an dieser Stelle die allegorische

43 In der weltlichen genrehaften Darstellung werden theologische Gedanken versinnbildlicht (vgl. Tarot 1976: 511).

44 V gl. den Hexenreigen: "In diesem Lärmen kam ein Kerl auf mieh dar, der hatte ein ungeheure Krott unterm Arm, gern so groß als eine Heerpauke, deren waren die Därm aus dem Hindern gezogen und wieder zum Maul

hineingeschoppt, welches so garstig aussahe, daß mich darob kotzerte." (11/17; 183)

45 Vgl. Abb. 17.

Figur des Baldanders, der den "Mon" im Wappen führt und die Hauptfigur ihr Leben lang begleitet haben will (vgl. Cont 9).

Ergebnis der Analyse: Abschließend lässt sich durchaus die Bilanz ziehen, dass auffallend viele Merkmale des Krebses und des Mondes auf Simplicius zutreffen.

Im Dokument Lux IN TENEBRIS (Seite 38-41)