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Exkurs: Polytope

Im Dokument Ebene euklidische Geometrie (Seite 168-181)

Mercator-Projektion

3.5 Exkurs: Polytope

Definition 3.5.1 Ist H ⊂ Rn eine affine Hyperebene, dann heißt die Menge der Punkte vonRn, die auf einer Seite vonHliegen, inklusiveHabgeschlossener Halbraum.

Abbildung 165 H

Abb. 165

Definition 3.5.2 Eine TeilmengeP ⊂Rnheißt(n-dimensionales) Polytop,falls gilt:

1. P ist Durchschnitt endlich vieler abgeschlossener Halbräume;

2. P ist kompakt;

3. Das Innere vonP ist nicht leer, d.h. es existiert ein Punktp∈P und einε >0, so dass

Bε(p) :={x∈Rn|dE(x, p)< ε} ⊂P.

Abbildung 166 ε p P

Abb. 166

Bemerkung 3.5.3 Da ein endlicher Durchschnitt abgeschlossener Mengen (was die abgeschlossenen Halbräume ja sind) wieder abgeschlossen ist, Mengen aber genau dann kompakt sind, wenn sie beschränkt und abgeschlossen sind, kann die Bedingung 2 in der Definition ersetzt werden durch

2. P ist beschränkt.

Bemerkung 3.5.4 Da abgeschlossene Halbräume konvex sind, sind auch Polytope konvex.

Hieran sieht man auch, dass nicht jedesn-Eck ein Polytop ist.

Abbildung 167

b b b

b

a1

a3

a2

a4

n-Eck Polytop

Abb. 167

Bemerkung 3.5.5 Ist das Polytop der Durchschnitt der abgeschlossenen Halbräume H1, . . . , Hk, dann lässt sich der Rand des Polytops angeben als

∂P = [k j=1

(P∩Hj).

Die einzelnen Segmente (P∩Hj) des Randes erfüllen die Eigenschaften 1 und 2 aus der Definition, jedoch 3 im Allgemeinen nicht.

Für dreidimensionale Polytope P besteht ∂P aus Ecken, Kanten und Flächen. Wir bezeichnen die Anzahl der Ecken mit e(P), die der Kanten mit k(P) und die der Flächen mitf(P).

Beispiel 3.5.6 Einige Werte füre(P),k(P)undf(P)bei bekannten Körpern:

Tetraeder: e(P) = 4, k(P) = 6, f(P) = 4

Abbildung 168

Diese und die folgenden Abbildungen können mit der Maus gedreht werden.

Abb. 168

Würfel: e(P) = 8, k(P) = 12,f(P) = 6

Abbildung 169

Abb. 169

Oktaeder: e(P) = 6, k(P) = 12,f(P) = 8

Abbildung 170

Abb. 170

Ikosaeder: e(P) = 12,k(P) = 30,f(P) = 20

Abbildung 171

Abb. 171

Dodekaedere(P) = 20,k(P) = 30,f(P) = 12 Abbildung 172

Abb. 172

Wir wollen nun einen Zusammenhang zwischen diesen Zahlen für Polyeder finden.

Diesen liefert uns der folgende

Satz 3.5.7 (Euler’scher Polyedersatz) IstP⊂R3 ein Polytop, so gilt:

e(P)−k(P) +f(P) = 2.

Um diesen Satz zu beweisen, formulieren wir zunächst einen allgemeineren Satz, der aber einfacher zu beweisen ist. Vorher benötigen wir dazu noch eine Definition.

Definition 3.5.8 Ein sphärischer Graph ist ein Paar Γ = (E,K), wobei E ⊂ S2 endlich und nicht leer ist (Der Graph besitzt mindestens eine, aber nicht unendlich viele Ecken) undK={c1, . . . , ck}eine Menge stetig differenzierbarer Kurvencj: [0,1]→S2 mit den Eigenschaften

1. cj(0), cj(1)∈ E (Anfangs- und Endpunkt voncj sind Ecken);

2. cj(t)6∈ E ∀t∈(0,1)(sonst enthältcjkeine Ecken);

3. cj

(0,1)ist injektiv;

4. c1 (0,1)

, . . . , ck (0,1)

sind paarweise disjunkt.

Γheißtzusammenhängend,falls

|Γ|:=

[k j=1

cj (0,1)

∪ E ⊂S2

eine zusammenhängende Teilmenge der Sphäre ist, d.h. wenn es zu je zwei Punkten x, y∈ |Γ|eine stetige Kurvef: [0,1]→ |Γ|gibt mitf(0) =x, f(1) =y.

Abbildung 173 Γ1

zusammenhängend

Γ2

nicht zusammenhängend Abb. 173

Wir führen die folgenden Notationen ein:

e(Γ) := #E, k(Γ) := k= #K,

f(Γ) := #{Zusammenhangskomponenten vonS2− |Γ|}. Für den zusammenhängenden GraphenΓ1aus Abbildung 173 ist

e(Γ1) = 4, k(Γ1) = 6, f(Γ1) = 4.

Für den nicht zusammenhängenden GraphenΓ2 aus der Abbildung ist e(Γ2) = 4, k(Γ2) = 4, f(Γ2) = 3.

Satz 3.5.9 (Eulerformel für sphärische Graphen) Für jeden zusammenhängen-den sphärischen GraphenΓgilt:

e(Γ)−k(Γ) +f(Γ) = 2.

Beweis.Wir führen die vollständige Induktion nachk(Γ).

I.A. k(Γ) = 0. Dann iste(Γ) = 1, dennΓmuss mindestens einen Eckpunkt besitzen, und hätte er zwei, so wäre der Graph nicht zusammenhängend.|Γ|besteht also nur aus einem Punkt, und damit ist f(Γ) = 1. Wir überprüfen die Gültigkeit der Gleichung:

e(Γ)−k(Γ) +f(Γ) = 1−0 + 1 = 2X

I.S. Wir nehmen die Gültigkeit der Aussage fürk(Γ)−1an. Nun entfernen wir eine Kante von Γ und erhalten den sphärischen Graphen Γ. Die Menge E bleibt dabei unverändert.

1. Fall: Γist zusammenhängend. Dann gilt:

e(Γ) =e(Γ) (dennE haben wir nicht modifiziert),

k(Γ) =k(Γ)−1 (denn wir haben schließlich eine Kante entfernt) und

f(Γ) =f(Γ)−1,

denn entweder haben wir eine Kante entfernt, die eine Ecke mit sich selbst verbindet –

Abbildung 174

Γ −→ Γ

Abb. 174

dann geht die Fläche, die von dieser Kante umlau-fen wird, in der Umge-bung auf –;

oder wir haben eine Kante entfernt, die zwei verschiedene Ecken mitei-nander verbindet – aber da auchΓ zusammenhängend ist, muss es noch einen anderen Weg geben, der diese Ecken miteinander verbindet, und dieser schließt zusammen mit der entfernten Kante ein Gebiet ein, was auch in diesem Fall in der Umgebung aufgeht und somit entfällt.

Abbildung 175

b

Γ −→ Γ

Abb. 175 Also gilt

e(Γ)−k(Γ) +f(Γ) =e(Γ)− k(Γ) + 1

+ f(Γ) + 1I.V.

= 2.

2. Fall: Γ ist nicht zusammenhängend. Dann besteht dieser Graph aber aus zwei zusammenhängenden Teilstücken, daΓzusammenhängend war.

Abbildung 176

Γ −→ Γ

Abb. 176

In diesem Fall entfernen wir zusätzlich noch eine der Ecken, die die eben entfernte Kante miteinander verband, und führen alle darin einlaufenden Kanten in die andere Ecke. Man kann zeigen, dass dies so möglich ist, dass das entstandene Gebilde alle Bedingungen an einen sphärischen Graphen erfüllt, und nach Konstruktion ist dieser zusammenhängend. Nennen wir ihnΓ′′.

Abbildung 177

Γ −→ Γ′′

Abb. 177 Nun gilt

e(Γ′′) =e(Γ)−1 (wir haben eine Ecke entfernt),

k(Γ′′) =k(Γ)−1 (auch eine Kante haben wir entfernt) und

f(Γ′′) =f(Γ),

denn dadurch, dass wir eine Ecke – wir können uns vorstellen: entlang der entfernten Kante – auf eine andere Ecke verschieben, bekommen wir weder zusätzliche Zusammenhangskomponenten inS2 − |Γ′′|noch gehen uns solche ausS2− |Γ|verloren. Wir erhalten also

e(Γ)−k(Γ) +f(Γ) = e(Γ′′) + 1

− k(Γ′′) + 1

+f(Γ′′)I.V.= 2.

Nun können wir auch den Euler’schen Polyedersatz beweisen:

Abbildung 178 q

ε

b

b b b

b

Abb. 178

Wir wählen einen Punkt q im Inneren des Polytops (was laut der Definition von Polytopen möglich sein muss) und eine Zahl ε > 0 so, dass Bε(q)⊂ P ist. Nun wird ∂P auf ∂Bε(q) projiziert – diese Abbildung ist bijektiv – und dann durch eine Ähnlichkeitstransforma-tion in S2 überführt. Durch diese Hintereinanderausführung zweier Abbildungen werden die Ecken und Kanten des Polytops auf einen sphärischen Graphen abgebildet.

Sofort klar ist hierbeie(P) =e(Γ)undk(P) =k(Γ), es stellt sich nur noch die Frage, ob auchf(P) =f(Γ)gilt. Die Flächen des Polytops werden von seinen Kanten umlaufen, und da die Projektion stetig und bijektiv ist, sind auch die Bilder der Flächen die Gebiete, die von den Bildern der Kanten umlaufen werden. Aber die Anzahl der von den Kanten eines sphärischen GraphenΓumlaufenen Gebiete ist ja genauf(Γ), also gilt auch diese Gleichheit, und aus Satz 3.5.9 folgt direkt Satz 3.5.7.

Definition 3.5.10 Eine MengeX ⊂S2 heißtsphärisch konvex,falls die Menge {t·x|x∈X, t≥0}

im herkömmlichen Sinne konvex ist.

Abbildung 179

X S2

Abb. 179

Definition 3.5.11 Ein Tupel(A1, . . . , AN)mitAj∈S2 heißtnicht entartetes sphä-risches N-Eck, falls dS(Aj, Aj+1) < π (j ist immer modulo N zu betrachten), das von den verbindenden Großkreisbögen umschlossene Gebiet sphärisch konvex ist und die Innenwinkel alle kleiner alsπsind.

Abbildung 180

, nicht oder b

Abb. 180

Proposition 3.5.12 Sei(A1, . . . , AN)ein (konvexes) nicht entartetes sphärischesN -Eck. Seiena1, . . . , aN die sphärischen Seitenlängen;α1, . . . , αN die Winkel imN-Eck.

Dann gilt:

a1+· · ·+aN <2π, α1+· · ·+αN >(N−2)π.

Beweis.Zunächst beweisen wir die Aussage über die Winkelsumme mittels vollständi-ger Induktion nachN:

N = 3: Das ist genau Satz 3.1.15.

N−1→N: Zerlege das sphärische N-Eck (A1, A2, . . . , AN1, AN) in das Dreieck (A1, A2, AN)und dasN−1-Eck(A2, . . . , AN1, AN).

Abbildung 181

A1

A2

A3

AN−1

AN

α1

α2

γ2

β2

α3

αN−1

αN

γN

βN

Abb. 181

Aus der Induktionsvoraussetzung wissen wir einerseits über das Dreieck:

α12N> π; andererseits jedoch auch für dasN−1-Eck:

γ23+· · ·+αN1N> (N−2)−1 π.

Addiert man nun die Gleichungen, so erhält man sofort:

α122

| {z }

2

3+· · ·+αN−1NN

| {z }

N

>(N−3)π+π= (N−2)πX

Für die Seitenlängensumme sei hier lediglich ein Beweis skizziert: Sei(A1, . . . , AN)das zugehörigePolar-N-Eckzu(A1, . . . , AN), d.h. es gelte (moduloN):

Aj:= Aj×Aj+1

kAj×Aj+1k.

Das Polar-N-Eck ist ebenfalls ein (konvexes) nicht entartetes sphärischesN-Eck. Wie bei Dreiecken (vgl. Korollar 3.1.23) sieht man

αi=π−ai, also

(N−2)π < α1+· · ·+αN

= (π−a1) +· · ·+ (π−aN)

= N π−(a1+· · ·+aN)

⇔ a1+· · ·+aN < 2π.

Lemma 3.5.13 Sei P ⊂ R3 ein Polytop, sei q ∈ ∂P eine Ecke. Der Punkt q sei Eckpunkt der FlächenS1, . . . , SN des Polytops, und der Winkel beiqin der FlächeSj

heißeαj. Dann gilt:

α1+· · ·+αN<2π.

Abbildung 182

α1α2

α3

Abb. 182

Beweis.O.B.d.A. seiq= 0. SeienA1, . . . , ANdie Schnittpunkte der vonqausgehenden Kanten mit S2 (mit anderen Worten, die Endpunkte der vonqausgehenden Kanten, auf Einheitslänge normiert). Dann ist (A1, . . . , AN) ein (konvexes) nicht entartetes sphärisches N-Eck mit den Seitenlängenα1, . . . , αN, da die sphärischen Seitenlängen gerade als die Winkel im Koordinatenursprung definiert sind. Die Aussage des Lemmas entspricht dann genau derjenigen der Proposition 3.5.12.

Definition 3.5.14 Wir nennen ein gleichseitiges n-Eck in der euklidischen Ebene regelmäßig, falls alle Winkel gleich sind.

Definition 3.5.15 Ein PolytopP ⊂R3 heißt platonischer Körper, falls alle Rand-flächen kongruente regelmäßige gleichseitige n-Ecke sind und in jeder Ecke dieselbe Anzahlgvon Kanten anliegt. Man nenntgdenGraddes Polytops.

Definition 3.5.16 EinTetraeder ist ein platonischer Körper mit n= 3,g = 3und f = 4. Ein Hexaederist ein platonischer Körper mit n = 4, g = 3 undf = 6. Ein Oktaeder ist ein platonischer Körper mitn= 3,g= 4undf = 8. EinDodekaederist ein platonischer Körper mit n= 5,g = 3und f = 12. Schließlich nennen wir einen platonischen Körper mitn= 3,g= 5undf= 20einIkosaeder.

Bemerkung 3.5.17 Je zwei Tetraeder sind zueinander ähnlich.

Äquivalent dazu lässt sich formulieren: Besitzen zwei Tetraeder dieselbe Kantenlänge, so sind sie kongruent.

Beweisskizze.SeiT ein Tetraeder. Wir wenden eine euklidische Bewegung so an, dass eine Seitenfläche in diex-y-Ebene abgebildet wird. Einen Punkt legen wir in den Koor-dinatenursprung, eine Kante an die positivex-Achse. An jede Kante dieser Seitenfläche (welche der Definition zufolge ein gleichseitiges Dreieck ist) schließt eine weitere Sei-tenfläche an.

Abbildung 183

a

b

Abb. 183

Da von einer Ecke aber nach Definition nur drei Kanten ausgehen, fallen die Kanten a und b zusammen und müssen miteinander verklebt werden. Hierbei gibt es zwei Möglichkeiten, die Flächen zu falten, nämlich entweder nach oben oder nach unten. Die dritte Fläche muss dann in dieselbe Richtung gefaltet werden. Die beiden Möglichkeiten gehen durch Spiegelung ineinander über, sind also kongruent.

Bemerkung 3.5.18 Analoge Aussagen lassen sich ebenso für die anderen platoni-schen Körper zeigen. Dabei erkennt man auch, dass die Begriffe Hexaeder und Würfel dieselbe Klasse von Polytopen bezeichnen.

Satz 3.5.19 (Klassifikation der platonischen Körper) Jeder platonische Kör-per P ist entweder ein Tetraeder, ein Hexaeder, ein Oktaeder, ein Dodekaeder oder ein Ikosaeder.

Beweis.

1. Wir überlegen zunächst, dass die Winkelsumme im konvexen euklidischenn-Eck genau(n−2)πbeträgt: Aus Satz 1.3.6 wissen wir bereits, dass die Winkelsum-me im euklidischen Dreieck genau π ist, also gilt die Aussage fürn = 3. Der Induktionsschluss erfolgt analog zum Beweis von Proposition 3.5.12.

Damit wissen wir, dass im regelmäßigen gleichseitigen n-Eck jeder Innenwinkel die Größe (nn2)π besitzt.

2. Istgder Grad des Polytops, so stoßen in einer EckegSeiten und somit auchg n-Ecke aneinander. Auf die Innenwinkel dern-Ecke, deren Scheitel diese Ecke ist, lässt sich Lemma 3.5.13 anwenden, woraus man die Relation

2π > g·n−2 n π

⇔ g < 2n n−2 erhält. Wäre nunn≥6, so wäre 1n16 und damit

n−2 2n =1

2−1 n ≥1

3⇒g < 2n n−2≤3,

aber weniger als drei Kanten in einer Ecke spannten kein räumliches Gebilde auf. Es können also nur die Fällen= 3,4,5auftreten.

3. Als nächstes suchen wir eine Beziehung zwischen der Zahl der Flächen und dem Grad eines platonischen Körpers. Dabei erkennen wir zunächst den Zusammen-hang zwischen Ecken- und Kantenzahl: Von jeder dere(P)Ecken gehengKanten aus, so kommen wir aufg·e(P); aber dabei haben wir jede Kante doppelt gezählt (nämlich für beide Ecken, die die Kante verbindet), also ist

k(P) = 1

2g·e(P).

Analog argumentieren wir für

k(P) =1

2n·f(P), und der Euler’sche Polyedersatz liefert noch

e(P)−k(P) +f(P) = 2.

In der letzten Gleichung lassen sich nun leichte(P)undk(P)eliminieren:

2

gk(P)−k(P) +f(P) = 2 (2−g)k(P) +gf(P) = 2g (2−g)·1

2nf(P) +gf(P) = 2g (2n−gn+ 2g)f(P) = 4g

f(P) = 4g

2n−gn+ 2g.

4. Mit all diesen Beziehungen ergeben sich nun die folgenden Möglichkeiten:

n 2n

n−2 g f(P) P

3 6 3 4 Tetraeder

4 8 Oktaeder 5 20 Ikosaeder

4 4 3 6 Hexaeder

5 10

3 3 12 Dodekaeder

Im Dokument Ebene euklidische Geometrie (Seite 168-181)