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5.4 Besonderheiten

Da dieses Programm auf individuelle Erfahrungen setzt und Schüler zur freien Meinungsäuße-rung ermutigt, ist es besonders wichtig, eine offene Atmosphäre in der Klasse zu begünstigen.

Durch einen Stuhlkreis zu Beginn des Kurses, wird die gewohnte Frontalunterrichtsumgebung aufgelöst und ermöglicht auf diese Weise gute Bedingungen für eine Gesprächsrunde als lo-ckeren Einstieg in den Projekttag. Im Dialog zwischen Schülern und Pädagoge ist es außerdem relevant wiederholt darauf hinzuweisen, dass egal wie sich Schüler zu dem Thema Cybermob-bing äußern, es keine richtige oder falsche Meinung gibt. Besonders für das Ampelspiel ist es zentral, den Schülern zu verdeutlichen, dass die dargestellten Szenarien nicht unbedingt ein-deutig als Cybermobbing einzuordnen sind. Die Schüler sollen dabei aufgrund ihrer Erfahrun-gen selbst einschätzen, ob dies für sie persönlich akzeptabel, grenzwertig oder gemein ist. Dies kann allerdings zu Irritationen seitens der Schüler führen, denn durch das Setting Schule, das oftmals durch Autorität und Konkurrenzkampf geprägt ist, kann es Schülern schwer fallen sich von schulischen Verhaltensmustern zu lösen. Wie fest dieses Muster verinnerlicht ist, zeigt sich selbst in der Ansprache der Kursleitung mit „Sie“, anstelle des zu Beginn angebotenen „Du“.

Auch bei der Methode „Böse Nachrichten“ zeigt sich Verunsicherung und Hemmungen, da die Schüler zunächst nicht wissen was mit diesen Nachrichten passiert, vielleicht aber auch weil es Schülern tatsächlich schwer fällt eine böse Nachricht zu verfassen beziehungsweise diese auf Papier niederzuschreiben. Über diesen Aspekt gibt die anschließende gemeinsame Reflexion dieser Methode Aufschluss. In Kleingruppen sollen die Nachrichten gelesen werden und ein Austausch zur Wirkung dieser massenhaften, anonymen Nachrichten stattfinden. Obwohl die Methode anfangs für Verwirrung sorgte, verstanden die Schüler nach der Reflexion der Me-thode den Rollentausch zwischen Täter, als Verfasser der Nachrichten und dem Opfer, als Empfänger der Nachrichten.

6 Evaluation

Zur Evaluation des Programms wurden Daten durch Bewertungen der Schüler zum Projekttag erhoben, welche die Zufriedenheit und Reaktion auf das Programm abbilden. Die Evaluation basiert auf einem offenen Feedbackbogen in Form einer kurzen SMS-Reflexion. SMS-Reflexion bedeutet, dass Schüler in ca. 160 Zeichen42 ihre Meinung zum Projekttag anonym schriftlich mitteilen. Dieser Feedbackbogen gestaltet sich in Form eines „Smartphones“ (siehe Anhang S.

2) in dessen Bildschirm die Jugendlichen Kommentare und ihre Meinung zu den Aspekten Was mir gut gefallen hat, … , Was mir nicht gefallen hat, … und Was ich noch loswerden wollte, … ,

42 Anzahl der verfügbaren Zeichen für eine SMS.

6 Evaluation|35 äußern können. Mit dieser offenen Herangehensweise zur Prüfung der Zufriedenheit können Jugendliche ihren eigenen Schwerpunkt setzen und Inhalte, die sie besonders hervorstellen möchten betonen.

Positiv wurde besonders häufig die intensive Auseinandersetzung mit Cybermobbing und die Reflexion über eigenes Medienverhalten genannt. Das Gespräch im Stuhlkreis gab hierfür ei-nen geschützten Raum, in dem die gesamte Klasse die Möglichkeit dazu hatte medienkritische Fragen zu stellen und zu diskutieren. In diesem Zusammenhang wurde auch die Reflexion über eigenes Medienverhalten und die Vermittlung von Medienbotschaften und deren Wirkung auf andere aufgegriffen, was ebenfalls Anklang auf Seite der Schüler fand. Neben inhaltlichen As-pekten wurden auch Methoden bewertet. Hierbei zeigt sich ein sehr positives Bild zur Gestal-tung und Anwendung von Neuen Medien. Denn der Einsatz von Videos und dem eigenen Han-dy wird mehrfach in positiven Aussagen thematisiert. Festzuhalten ist allerdings, dass sich manche Schüler einen umfassenderen Einsatz des Handys gewünscht hätten.

Gemessen an den Feedbackbögen zeigt sich, dass nicht nur eine dominierende Zufriedenheit der Schüler erreicht wurde, sondern auch eine mutige Anti-Cybermobbing-Haltung gereift ist und die Schüler größtenteils eine respektvolle Haltung sowohl in der realen also auch in der virtuellen Welt verinnerlicht haben. Dies zeigt sich in folgenden Zitaten von Schülern. Ein Schü-ler schrieb beispielsweise, „Man soll aufhören so was zu tun!“. Ein weiterer verdeutlich in sei-nem Feedback Cybermobbing nicht zu akzeptieren und ist sich seiner Rolle als aktiver Helfer bewusst. Er schreibt: „Ich werde versuchen bei Mobbingattacken dazwischen zu gehen“. Wei-tere Auszüge des Feedbacks sind Tabelle 4 zu entnehmen.

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Gut gefallen hat mir… Nicht gefallen hat mir… Loswerden wollte ich noch…

Intensive Auseinandersetzung mit Cy-bermobbing

Gruppenarbeit/-einteilung „Ich fand den ganzen Tag gut, alles war interessant.

Fragen habe ich keine mehr.“

Einsatz von Video, Präsentation und Handy

Trauriger Filmbeispiel „Heute war es echt schön.“

Reflexion über eigenes Medienverhal-ten

Kein Interneteisatz (strukturell nicht möglich) „Ich habe es sehr gut gefunden. Ich hab auch viel ge-lernt “

Methode „Böse Nachrichten“ Nicht alle bösen Nachrichten verlesen wurden „Loswerden wollte ich die Wut in mir.“

Aktive Mitarbeit in guter Atmosphäre „Es war zu laut.“ „Man soll aufhören so was zu tun!“

Kompetenz und Ausstrahlung der Kurs-leitung

+/- Fotobeispiele „Ich finde es ist was Gutes, dass wir das Thema machen, aber ich hab nichts Neues gelernt.“

Tabelle 4: Auszüge des Feedbacks

6 Evaluation|37 Aufgrund dieser Form der Erhebung kann allerdings keine Aussage zur nachhaltigen Wirksam-keit des Programms auf Klassen- und Individualebene getroffen werden. Um die WirksamWirksam-keit zu ermitteln, bedürfte es einer weiteren Untersuchung in Form eines Posttests, der ca. 6 Mo-nate nach der ursprünglichen Durchführung verschiedene Aspekte von Cybermobbing erneut thematisiert. Hierzu würden die Klassen, die bereits an dem Programm teilgenommen haben sowie Kontrollklassen, die nicht an dem Programm teilgenommen haben, mithilfe eines Frage-bogens untersucht werden. Eine solche Überprüfung der Langzeitwirkung war im Rahmen dieser Arbeit nicht vorgesehen. Dennoch zeichnet sich auch 18 Wochen nach der Maßnahme ein positiver Erfolg der Prävention ab. Nach Informationen der Schulleitung wurden seither keine erneuten Cybermobbing- bzw. Mobbing-Fälle in diesen Klassen festgestellt. Die Wirk-samkeit ist hiermit nicht empirisch gesichert, aber aufgrund der Einschätzung der Schulleitung, deutet sich eine Verbesserung der Situation in Bezug auf Cybermobbing in den teilnehmenden Klassen ab. Dieses Ergebnis bekräftigt die Schulleitung darin weiterhin präventiv gegen Cyber-mobbing vorzugehen.

Um die Umsetzung des Kurses weiterhin zu verbessern, ist eine Reflexion nach jeder Kursein-heit nötig, um sich auftretenden Problemen bewusst zu werden und spontan auf diese reagie-ren zu können, wie zum Beispiel das Zeitmanagement, die Aufnahme neuer Methoden oder Ersatzmethoden bei einem Mangel struktureller Gegebenheiten.

Auch bei der ersten Durchführung entstanden Situationen, die der Kursleitung ein flexibles Handeln abverlangte. Es verschob sich beispielsweise der Zeitplan, teilweise wurde die Dauer einzelner Einheiten zu lange eingeschätzt und an anderer Stelle haben sich Methoden in der Praxis als zeitintensiver erwiesen als theoretisch gedacht. Dies zeigte sich beispielsweise in der Gestaltung des Verhaltenskodex. Hierfür wurde genug Zeit für das Fotografieren, das Unter-schreiben des Plakats, der Übertragung der Daten von Schülerhandys auf das Laptop und der Besprechung des Plakats eingeplant. Jedoch wurde der Aspekt vernachlässigt, dass Schüler ein besonderes Interesse daran haben diesen Vertrag kunstvoll zu gestalten. Daher wurde von der Kursleitung vorgeschlagen, dies in den Kunstunterricht einzubinden und dort fertigzustellen. In darauffolgenden Kursen wurde zu Beginn geklärt, dass das Plakat nicht an diesem Tag, sondern erst im Kunstunterricht vollendet wird. Somit kam es zu keiner Enttäuschung seitens der ler und der Projekttag verlief ohne Zeitdruck. Um die Akzeptanz des Vertrags seitens der Schü-ler zu erhöhen, kann diese Methode auch etwas variiert werden. Bei einem größeren zeitlichen Rahmen, können die Regeln selbst von den Schülern erstellt werden und möglicherweise auch über mögliche Folgen nachgedacht werden, wenn jemand aus der Klasse eine Regel bricht.

6 Evaluation|38 Durch die Eigendynamik im Gesprächskreis der zweiten Gruppe, wurde beispielsweise der Fall Amanda Todd von Schülern angesprochen. Da nicht alle Schüler der Klasse dieses Video kann-ten, es allerdings diesbezüglich Gesprächsbedarf gab, wurde das YouTube Video spontan in der Klasse gezeigt. Erstaunlich war hier die Motivation der Schüler, die trotz der englischen Sprachbarriere ohne Untertitel gespannt dieses Video verfolgt und sich gegenseitig bei der Übersetzung geholfen haben.

Flexible Reaktion wurde auch in einer weiteren Situation gefordert, denn nach der handlungs-orientierten Medienpädagogik sieht das Programm auch den Einsatz Neuer Medien vor. Nach dem Prinzip Bring your own Device sollten Schüler nicht nur über ihr Medienverhalten reden, sondern das eigene Mobilgerät auch aktiv in dem Kurs einbinden dürfen. Die Aufhebung des Handyverbots am Projekttag motivierte die Schüler und weckte das Interesse an Methoden, die am eigenen Smartphone durchgeführt werden können. Der Einsatz der eigenen Smartpho-nes konnte jedoch nicht immer in geplanter Form umgesetzt werden. Grund dafür war haupt-sächlich, dass nicht alle Schüler in Besitz eines Smartphones waren, sei es, weil diese ein Handy haben oder es nicht in die Schule mitnehmen. Für manche geplanten Methoden war es jedoch notwendig, dass jeder Schüler über ein Smartphone verfügt. Da dies nicht gegeben war und niemand ausgeschlossen werden sollte, wurde die jeweilige Methode in einer etwas abgewan-delten Form ohne Einsatz von digitalen Medien durchgeführt. Beispielsweise wurde beim Ja-Nein-Quiz statt online auf eine Frage mit Ja oder Nein zu antworten, mit aufstehen (für Zu-stimmung) und sitzen bleiben (für Verneinung) abgestimmt.

Als Fazit der Reflexion des Programms ist festzuhalten, dass das theoretisch erarbeitete Pro-gramm, zwar dem gleichen Plan folgt, jedoch jede Sitzung immer etwas von den anderen vari-iert. Dies hängt neben strukturellen und technischen Gegebenheiten vor allem damit zusam-men, dass sich das Wissen und die Erfahrung der Teilnehmer jeweils anders zusammensetzt und daher immer andere Fragen oder Diskussionen aufkommen. Allgemein lässt sich der Kurs nicht nur von Schülerseite als zufriedenstellend, interessant und wichtig bezeichnen, sondern auch aus der Sicht der Kursleitung. Das Programm konnte durch aktive Mitarbeit und Einbezug aller Schüler, einen Anstoß ermöglichen, um über Cybermobbing nachzudenken und auf das eigene Medienverhalten beziehen. Durch den enormen Gesprächsbedarf, der zeigt, dass Schü-ler zum Thema Cybermobbing bereits Vorwissen haben, jedoch durch die Behandlung in einem eigenen Programm, ein besseres Verständnis dafür bekommen und damit reflektiert auf ihre Lebenswelt übertragen können. Hier ist es in der Rolle der Kursleitung besonders wichtig, sich nicht zu verstellen, sondern mit einer offenen und positiven Einstellung in das Projekt zu ge-hen. Denn diese Ausstrahlung wurde von den Teilnehmern wahrgenommen und übertrug sich

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