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Evaluation des forschungsmethodischen Vorgehens

Dem Ablauf der Verwendung folgend werden die Verfahren kurz reflektiert und evaluiert.

6.1 Evaluation der Erhebungsverfahren

6.1.1 Evaluation des problemzentrierten Interviews

Die Interviews, die Aussagen und die Begegnungen sind einzigartige Erlebnisse gewesen. Der organisa-torische Ablauf hat gut funktioniert, das Zeitmanagement ist immer wichtiger geworden: Insgesamt haben die Gespräche fast 50 Stunden gedauert. Die Bereitschaft, sich den Bedürfnissen und Wünschen der Be-fragten anzupassen, führte dazu, dass nicht alle das Interview und den Fragebogen beantwortet haben und dass der Verlauf der Gespräche sehr unterschiedlich war. Dadurch ist der Arbeitsaufwand bei der Datenaufbereitung zwar grösser geworden, es hat aber das einzelne Interview sehr persönlich werden lassen und auch tieferliegende Aspekte erfasst, vor allem in der narrativen Phase. Der Aufbau der Leit-fragen hat sich bewährt. Die Kriterienliste des Online-Fragebogens hat die Auseinandersetzung zusätz-lich bereichert und erweitert.

6.1.2 Evaluation der Gruppendiskussion

Die Gruppendiskussion (GD) wurde in fröhlich-entspannter Stimmung geführt. Die Gruppe strukturierte die Diskussion meistens selbst, entwickelte Ideen und erarbeitete konsensfähige Ergebnisse. Themenin-halt waren die Bereiche des Online-Fragebogens und erste Resultate bezüglich der Relevanz einzelner Kriterien (Kapitel 5.1.2). Die Videoaufzeichnung wurde durch Milestone Aufnahmen der Beteiligten er-gänzt, sodass alle Teilnehmenden, auch bei gleichzeitigem Reden, gut verstanden werden konnten. Die Ergebnisse dieses 90-minütigen Gesprächs zeigten differenzierende Einstellungen und Haltungen, die erlaubten, weitere Vermutungen zu äussern und neue Schlüsse zu ziehen. Sie bereicherten die Gesprä-che und die Begegnung mit den Interviewten in jeder Beziehung, für die Befragten wie die ForsGesprä-chende.

Weil die Teilnehmenden das Gespräch weitgehend selber moderierten, konnte sich die Forschende auf das Beobachten der Kommunikation und Interaktion in der Gruppe konzentrieren und diese erfassen. Ur-sprünglich war geplant, die Gruppendiskussion mit sehenden Mitstudierenden durchzuführen. Im Fokus dieser Arbeit sind aber die Musikstudierenden selber, insofern machte es auch Sinn, das Gruppenge-spräch mit ihnen durchzuführen und in der Diskussion ihre Anliegen tiefer zu erforschen. Die Gruppen-diskussion und die Interviews bleiben unvergessliche Höhepunkte dieser Arbeit.

6.1.3 Evaluation der Online-Befragung

Beim Erstellen des Online-Fragebogens war nicht bekannt, dass es sich bei den schliesslich befragten Musikstudierenden ausschliesslich um Pianisten und Pianistinnen, Organisten und Organistinnen sowie Gesangsstudierten handelte. Wäre das der Fall gewesen, hätten ihre spezifischen Bedürfnisse gezielter und tiefer erforscht werden können (wie die Klaviertechnik, Kapitel 5.2.1.4). Vielleicht ist diese Ausgangs-lage insofern eine Chance, als die Ergebnisse dadurch in einigen Bereichen breiter bleiben und somit all-gemeiner gültig sind (also auch für allfällige musikstudierende blinde Bläser und Bläserinnen). Die kurz dargestellte besondere Ausgangslage blinder Musikstudierender und die Lösungsansätze zu den psy-chomotorischen und bewegungsbezogenen Funktionen erlauben Rückschlüsse für andere Instrumental-bereiche, ohne dabei zu sehr ins klavierspezifische Detail zu gehen.

Das Kriterium „Funktionen der Orientierung“ hätte nach den Probeinterviews nicht gestrichen werden sol-len, vor allem in Anbetracht der Tatsache, dass schliesslich alle blinden Musikstudierenden den Fragebo-gen in einem persönlichen Gespräch beantwortet haben (und somit die Möglichkeit für ErklärunFragebo-gen und Präzisierungen gegeben war). Nur ein blinder Musiker und Probekandidat, ein echter „Cracker“, hat es versucht und geschafft, den Fragebogen allein online auszufüllen. Rückfragen gab es zu den Stimm- und Sprechfunktionen: Gerade weil 4 der befragten Musikstudierenden (unter anderem) über ein Gesangs-studium verfügen, gab es Unsicherheiten, ob diese Frage nun in Bezug auf Gesang oder ein Musikstudi-um im Allgemeinen gestellt sei. Bei den Musikstudierenden konnte dies direkt im Gespräch geklärt wer-den. Eine Fachperson hat nachgefragt; in Anbetracht der tiefen Werte der Antworten der Fachpersonen kann davon ausgegangen werden, dass die Fragen richtig verstanden wurden: die Fragestellung betrifft, wie alle anderen auch, das „Musikstudium im Allgemeinen“. Schwierigkeiten bereiteten zwei Fachperso-nen die drei Fragen mit der Ergänzung „falls Sehrest“, vor allem weil sie keine Erfahrung mit hochgradig sehbehinderten Lernenden hatten. Eine Fachperson hat die Skalierung mit drei verbalen Marken als un-zureichend empfunden. In Anbetracht des Umfangs der Kriterien sowie der verwendeten Befragungsfor-men scheint die Reduktion von 6 auf 3 aber doch ein guter Entscheid gewesen zu sein. Eine Fachperson hat sich den Fragebogen sofort ausgedruckt und ihn als sehr gut befunden.

6.1.4 Evaluation der Methodentriangulation

Die Methodentriangulation bei der Erhebung hat sich gut bewährt: Die Interviews ermöglichten eine tra-gende persönliche Basis zu schaffen und individuelle Studiengänge, subjektive Sichtweisen und Situatio-nen im Detail zu erfassen. Die darauf folgende Online-Befragung hat eine zweite Gesprächsrunde mit zahlreichen klärenden Sondierungsgelegenheiten erlaubt und sichergestellt, dass alle Bereiche erfragt wurden. Die abschliessende Gruppendiskussion hat neue Aspekte aufgezeigt und die Hintergründe ver-schiedener Aussagen im interaktiven Rahmen aus einer anderen Perspektive beleuchtet. Sie hat bei al-len Beteiligten zu einem Erkenntnisgewinn geführt, der sehr geschätzt wurde. Während dem For-schungsprozess konnte laufend auf die Daten der Online-Befragung zugegriffen werden. Das erlaubte, die Resultate sofort in der Gruppendiskussion zu thematisieren, sie zu hinterfragen und die Aussagen kommunikativ zu validieren. Die quantitative Erfassung untermauerte immer wieder die kommunikative Befragung und vermittelte in diesem Prozess wenigstens ein „Gefühl“ der Sicherheit (wegen der doch kleinen Stichprobe). Zusätzliche oder differierende Erkenntnisse ermöglichte in ausgewählten Bereichen auch die Perspektiventriangulation, wie beim Kriterium des Dirigierens, wo die Aussagen der einzelnen

Stichproben zur Wichtigkeit weit auseinander liegen (von 0%, 33% und 67% OL, Anhang I). Die Offenle-gung der Quellen in der Darstellung der Ergebnisse durch die systematisch vorgenommenen Abkürzun-gen (M, E, FH+F) verbessert das Verständnis und Nachvollziehen der AussaAbkürzun-gen. Gewonnene Daten (Selbstwahrnehmung von Musikstudierenden) werden Fachpersonen (Expertenurteil als Fremdwahrneh-mung) präsentiert (taktiles Lernen, Kapitel 5.2.2.1.b). Es gibt Methodentriangulation bei der Auswertung:

Aussagen zu einzelnen Kriterien werden mittels qualitativer Inhaltsanalyse quantitativ und qualitativ aus-gewertet (Anhang L) und anschliessend mit den quantitativen Ergebnissen der Online-Befragung vergli-chen (Kapitel 5.2.4.1). Oder die ausgewerteten Schweizer Daten werden mit einer amerikanisvergli-chen Stich-probe verglichen (Datentriangulation) und die Diskrepanzen (vermeidendes Coping im Umgang mit Men-schen) alternativ gedeutet und interpretiert (Kapitel 7.2 / 8.1.4 ). Bei der Durchführung wird das methodi-sche Vorgehen jeweils transparent gemacht und dokumentiert.

6.1.5 Evaluation der Datenerfassung

Die Erfassung mittels Online-Fragebogen verlief problemlos. Bei zwei Interviews konnte der Schluss nicht mehr aufgenommen werden, weil das Gespräch zu lange dauerte (es wurden 60- und 90-minütige Mini-DV-Kassetten verwendet). In diesen Situationen wurden jeweils Notizen gemacht. Es hat sich bewährt, bei der Gruppendiskussion mehrere Aufnahmegeräte einzusetzen. Die besten Aufnahmen lieferten aber die Musikstudierenden selber. Im Allgemeinen bewährten sich die verwendeten technischen Hilfsmittel.

6.2 Evaluation der Aufbereitungsverfahren

6.2.1 Evaluation des zusammenfassenden Protokolls

Diese Technik war zentral beim Aufbereiten der meistens um die 10 Seiten umfassenden Interviews. Der Materialumfang konnte beträchtlich reduziert und der Inhalt zunehmend abstrahiert und höher gesetzt werden. Die am meisten verwendeten reduktiven Prozesse waren die Bündelung und die Generalisation, die schönste Aufgabe war die Selektion zentraler Aussagen für die Zitate.

6.2.2 Evaluation des selektiven Protokolls

Mit der Technik des selektiven Protokolls konnte das Material geleitet aufbereitet und schliesslich den Kri-terien des Referenzsystems nach ICF zugeordnet werden. Dabei standen die Einschätzungen und die subjektive Beurteilung der Befragten im Zentrum. So wurde zum Beispiel - FHC entsprechend - die neue Kategorie „Raumempfinden und Muskelsinn“ gebildet. Die gemachten Ausführungen hätten auch den in Kapitel 3 verwendeten Kategorien „Mentale Funktionen“ und „Bewegung“ zugeordnet werden können.

6.2.3 Evaluation der Konstruktion deskriptiver Systeme

Neue Kriterien und Kategorien, welche relevant fürs Musikstudium sind, konnten in einfacher Weise in-duktiv während dem Forschungsprozess gebildet und kommunikativ rückbestätigt werden, wie die Krite-rien Reife, Wille, Mut, Risikobereitschaft und Zuverlässigkeit oder die Kategorie „Raumempfinden und Muskelsinn“. Die klaren Aussagen und das hohe Bildungsniveau der Befragten waren dabei sehr hilf-reich.

Die Kriterien des Konstrukts der Sozialen Kompetenz haben im Durchschnitt 30.5 Punkte erhalten (An-hang H). Am meisten Punkte haben die mentalen Funktionen mit 30.6 Punkten erzielt, am wenigsten die Kontextfaktoren der Umwelt mit durchschnittlich 19 Punkten. Die Soziale Kompetenz ist somit im quanti-tativ ermittelten Durchschnitt der Online-Befragung überraschenderweise die zweitwichtigste Kategorie geworden. Insofern kann ausgesagt werden, dass dieses Konstrukt Indikatoren beinhaltet, welche effektiv als relevant im Musikstudium betrachtet werden und weiterführende Rückschlüsse erlauben. Es ist zu-dem von Vorteil, dass diese Kategorie, obwohl nach ICF nicht erfasst, genauer untersucht worden ist: die Ausprägung der Ergebnisse bestätigt die Wichtigkeit. Das Suchen nach sehgeschädigten Posaunisten und Posaunistinnen blieb bislang leider erfolglos, doch das Vorgehen hat erste Versuche ermöglicht, das Verfahren der Gegenstandsbezogenen Theoriebildung zu erproben (Kapitel 5.3).

6.3 Evaluation der Auswertungsverfahren

6.3.1 Evaluation der qualitativen Inhaltsanalyse

Diese Technik erlaubte, grosse Materialmengen effizient auszuwerten. Textstellen, welche durch Inter-pretation erschlossen werden (narratives, autobiografisches Material) sind vorgängig ausgesondert wor-den. Die Form der Zusammenfassung ist zuerst am häufigsten verwendet worden, dann die der Struktu-rierung. Weil die Kriterienliste nach ICF schon sehr umfassend ist, sind wenig induktive Kategorien neu gebildet worden. Die Zuordnung der Aussagen hat sich stellenweise als sehr anspruchsvoll erwiesen, weil oft mehrere Kriterien gleichermassen betroffen waren. Dabei hat sich das schriftliche Festhalten von Kodierregeln als sehr hilfreich erwiesen (vgl. Anhang L, Kodierleitfaden).

6.3.2 Gütekriterien qualitativer Forschung

Die sechs Gütekriterien nach Mayring (2002, S. 144) werden folgendermassen umgesetzt:

- Verfahrensdokumentation; die verwendeten Techniken, Messinstrumente und Methoden sind genau dokumentiert, sowohl jene der quantitativen als auch jene der qualitativen Analyseverfah-ren. Insbesondere bei der kommunikativen Befragungsform wird das Vorgehen im Detail be-schrieben, damit die Durchführung der Erhebung und Aufbereitung nachvollzogen werden kann.

- Argumentative Interpretationsabsicherung; Interpretationen werden einerseits argumentativ begründet, andererseits wird nach Alternativdeutungen gesucht, die sinnvoll theoriegeleitet sein sollen (ebd.) (vgl. dazu Kapitel 5.2.4.1 oder Kapitel 5 und 7).

- Regelgeleitetheit; systematisches Bearbeiten des Materials und sequenzielles, geplantes Vor-gehen mit Hilfe von Ablaufmodellen schaffen die Voraussetzungen dafür (ebd.).

- Nähe zum Gegenstand; in Teilbereichen konnte mit den Musikstudierenden eine Interessen-übereinstimmung geschaffen werden. Das gemeinsame Musizieren, Geniessen und Zusammen-sein nach der Gruppendiskussion hat zudem ein offenes, herzliches Verhältnis geschaffen und Nähe ermöglicht.

- Kommunikative Validierung; sie dient der Überprüfung der Ergebnisse und Interpretationen (ebd.) (vgl. Kapitel 7.3).

- Triangulation; für die Fragestellung werden verschiedene Lösungswege ermittelt und die Ergeb-nisse erlauben Vergleiche auf verschiedenen Ebenen (vgl. Kapitel 6.1.4 und 7.2).

7. Interpretation, Reflexion, Triangulation und kommunikative