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Zum Erscheinen der Geschichte der KPD in vier Bänden

Im Dokument Deutschland im 20. Jahrhundert (Seite 44-48)

Die neue linke Geschichtswissenschaft in Deutschland meldet sich nachdrücklich zu Wort: vier Bände zur Geschichte der KPD vom 31.12.1918 bis zum 20. April 1946 liegen vor.1Keine Beschlüsse einer Parteiführung orientieren sie. Die Auto-rinnen und Autoren werden geleitet von dem Leipziger Geschichtswissenschaftler Klaus Kinner. Sie haben in der DDR ihre Ausbildung und ihre Sozialisation erhal-ten. Sie wurden nach 1989 verjagt aus wissenschaftlichen Funktionen, von Lehr-stühlen, aus dem akademischen Lehrbetrieb, ihre Forschungsprojekte wurden zer-trümmert. Der Artikel 5 des Grundgesetzes von der Freiheit der Wissenschaft und des Wortes galt nicht für sie.

Hier schreibt nicht mehr eine Altgarde in machtgeschützter Innerlichkeit, son-dern die nächste Wissenschaftlergeneration, die sich mühselig ihr Brot verdient.

Ausschließlich wissenschaftlicher wie politischer Verantwortung folgend, haben sie dieses recht ehrgeizige Vorhaben verwirklicht.

Sie wirken im Umfeld der Partei DIE LINKE. Stalins Tod 1953 haben sie nicht beweint. Sie waren zu jung. Bereichert wird diese Gruppe durch Frau Ruth Stol-jarowa und Günter Benser.

Nach dem Zusammenbruch des sozialistischen Weltsystems und der DDR war es unumgänglich geworden, auch historisch alles auf den Prüfstand zu rufen. Es ging um nicht weniger als um eine neue Legitimierung der Linken. Neuen theore-tischen Bedürfnissen war zu entsprechen.

Das Bild, das wir heute von der KPD haben, ist anders als etwa jenes aus dem Jahr 1970: Wir wissen vom Ende der Partei. Wir haben ungleich mehr Quellen aus den Archiven zur Verfügung. Massiv werden neue Fragen an die Geschichte die-ser Partei gestellt.

Gleichwohl flossen Ergebnisse von mehr oder minder internen Diskussions-prozessen aus den Jahren der DDR mit ein, als die Situation in der offiziellen Par-teigeschichtsschreibung zur KPD immer unerträglicher wurde.

Einen zentralen Raum nimmt die Rekonstruktion des Selbstverständnisses der KPD ein. Welches Bild machten sich die Kommunisten vom aktuellen Kapitalis-mus? Welche Handlungsspielräume ergaben sich daraus? Das Oszillieren im Er-kenntnisprozess der KPD zwischen Realitätsverbundenheit und

Wirklichkeits-1 Der deutsche Kommunismus. Selbstverständnis und Realität, 4 Bde.: Klaus Kinner: Bd. Wirklichkeits-1: Die Weimarer Zeit; Klaus Kinner u. Elke Reuter: Gegen Faschismus und Krieg (1933 bis 1939); Bd. 3: Klaus Kinner unter Mitarbeit von Elke Reuter, Ruth Stoljarowa, Günter Benser, Hans Coppi, Gerald Diesener u. Wladislaw He-deler: Im Krieg (1939 bis 1945); Bd. 4: Günter Benser: Neubeginn ohne letzte Konsequenz (1945/46). Alle Bände erscheinen im Karl Dietz Verlag, Berlin.

ferne, zwischen Revolutionsutopie und schmerzhaft fühlbar wachsender Kraft des Faschismus wird sorgfältig nachgezeichnet.

Gleichwohl erscheint es nicht selten, als würden die Autoren die Theorielatte zu hoch legen. »Wir waren bettelarm«, sagte ein alter Kommunist 1961. »Ich lief von Frühling bis zum Spätherbst in Holzpantinen. Unsere Wohnung war dunkel und feucht. Vater war arbeitslos. Wir wollten heraus aus dieser Lage. Die KPD gab uns die Perspektive. Und nur die KPD. In Russland, das keiner von uns gese-hen hatte, erkannten wir, gewiss hochgläubig, die Perspektive – auch für uns.«

Diese »roots« der KPD wollen wir, bitte, stets mitdenken.

Diese Geschichtsdarstellung bricht radikal mit dem Stalinismus in der Partei-geschichtsschreibung. Damit wird endlich eine alte Aufgabe erfüllt. Es geht nicht ohne Schmerzen ab, wenn der Leser präsentiert bekommt, welche furchtbaren Wirkungen der Stalinismus auf die deutsche Arbeiterbewegung hatte, wie er diese strategisch völlig fehlorientierte, wie er viele ihre Kader verfolgte, moralisch ver-lumpte und ermordet. Der Abschnitt über den Hitler-Stalin-Pakt lässt die Haare sträuben.

Diese Darstellung verabschiedet sich von allen nur denkbaren Mythen und Ver-dikten. Namen wie Paul Levi tauchen wieder auf, Anton Ackermann wird grund-sätzlich gewürdigt, Herbert Wehners Verabschiedung aus der kommunistischen Bewegung sachlich dargestellt, ebenso die Arbeit von Paul Merker und August Thalheimer. Nein, der Thälmann-Ernst wird nicht demontiert. Er wird als kämp-fender, irrender, strategisch überforderter, dem Stalinismus dienender, leidender, standhafter, 1939 überraschter, der Haft Tribut zollender, als von Stalin und seinen Gesellen gedemütigter und schließlich vorsätzlich fallen gelassener gezeichnet. Er ist keine Ikone mehr. Er ist uns zurückgegeben worden. Das ist viel.

Die Darstellung verabschiedet sich von einem primitiven Verständnis des Ver-hältnisses von Kontinuität und Diskontinuität. Sie erkennt keinen glatten, einem selbstverständlichen Aufstieg folgenden Weg der Partei »in Kontinuität«. Wenn in der alten Parteigeschichtsschreibung Widersprüche auftauchten, so in aller Regel dort, wo sie als überwunden angesehen wurden. Die neue Geschichtswissenschaft sucht und nutzt den Widerspruch, »der in den Dingen liegt« (Brecht), auf selbst-verständliche Weise. Nicht nur der als Gegner erkannte wird verantwortlich ge-macht für Nichterreichtes, sondern die eigene Strategie, die eigene Intelligenz und Wirkung werden nüchtern in Anschlag gebracht. Auch von der berüchtigten stali-nistischen Strukturierung von Parteigruppierungen Mitte, Linksradikal, Rechts haben sich die Autoren getrennt. Dies kommt frisch und unkonventionell herüber.

Die Geschichte des Antifaschismus der Partei wird höchst differenziert geschil-dert. Vor uns entfaltet sich eine Partei, deren Widerstand nie erlosch. Es wird deut-lich, was es sie kostete, »die Anstrengung, mitten im Dröhnen, Geschrei und Röcheln auszuharren« (Peter Weiss). Namen wie Knöchel, Kunz bleiben fest ver-ankert; in Saefkows Gruppe wird eine tiefer gehende theoretische Diskussion registriert. Die schwere Niederlage 1933 wurde von der KPD-Führung als

ein-schneidender, grundlegender Umbruch verkannt. Es entsteht ein Bild verzehren-der Unfähigkeit, den Faschismus adäquat zu erfassen. Die deutsche Sektion verzehren-der Kommunistischen Internationale, einer Weltpartei, hielt an ihrer Generallinie, für die Revolution und ein Sowjetdeutschland zu kämpfen, auch nach dem 30. Januar 1933 verbissen fest. Schritt für Schritt verfolgen die Autoren, ob und wie sich die Strategie der Führung veränderte.

Immer wieder zeigt sich, wie in der aufopferungsvoll kämpfenden Partei wirk-lichkeitsfremde, irrige und absurde Orientierungen durchbrachen und Oberhand gewannen. Das gilt besonders für die SPD als ausgemachter Dauergegner. Noch im November 1939 wurde die deutsche proletarische Revolution angestrebt. Die Autoren würdigen auch bemerkenswerte Politikansätze, etwa um das Jahr 1935.

Sie sehen in 1935 indes »eine verlorene Wende«.

Freilich, manchmal wollte es dem Rezensenten scheinen, dass die Stärke der Au-toren, die Theorieanalyse, überdehnt wurde. Es soll deshalb mit Goethe festgehalten werden: Am Anfang stand nicht das Wort, sondern die Tat! Es gab sehr viele Kom-munisten, die noch nie etwas von den Analysen etwa eines Varga oder Günther gehört hatten. Sie warfen dennoch ihr Leben in die Schanze – nicht weil sie die Fa-schismustheorie bereichern wollten, sondern weil sie die einzigartige Gefährlichkeit des deutschen Faschismus erkannt hatten. Weil sie schlicht für Menschlichkeit wa-ren, wurden sie mit ihrem Schädel an die Wände des KZ Hohnstein geschlagen.

Die Bücher zeigen, dass das damalige antifaschistische Modell moskautreuer KP-Führer – linientreues Führungsumfeld, Kampf um die revolutionäre Einheit der Partei, Kampf um die antifaschistische Einheitsfront der Arbeiterklasse unter KP-Führung, schließlich Volksfront – nicht funktionierte. Berührt kann der Leser noch einmal aufnehmen, welche Namen mit Klang mit dem Volksfrontgedanken verbunden waren: Heinrich Mann, Leonhard Frank, Lion Feuchtwanger, Karl Böchel, Willy Brandt, Konrad Heiden u. v. a. m. In diesem Prozess des Suchens nach antihitleristischen Alternativen entstand die Idee von der neuen demokrati-schen Republik nach Hitler. Aber nach dem Scheitern der Volksfronten in Spanien und Frankreich, nach dem Ausbruch des großen Terrors in der UdSSR, der den Kampf gegen den Trotzkismus verstärkt nach vorn rückte und damit in der Volks-front anerkannte Funktionäre wie Münzenberg in die Optik des Stalinschen Ter-rors gerieten, vor allem aber der Hitler-Stalin-Pakt führten zum Scheitern der Volksfrontidee. Die Politik der KPD war selten so weit von der Realität entfernt wie in der Paktzeit. Grundpositionen des Antifaschismus wurden von der Mo-skauer Führung der KPD gnadenlos aufgegeben.

Diese KPD-Geschichte löst sich von dem Märchen, dass die antifaschistische Arbeit der Kommunisten im Lande von einer klugen Parteiführung in Moskau ge-steuert wurde. Ein außerordentlich differenziertes Bild entsteht. Besonders wert-voll hierzu ist der Exkurs von Hans Coppi über die Rote Kapelle. Methodisch werden Ergebnisse der kollektivbiographischen Forschung und des Netzwerk-gedankens aus der Soziologie genutzt.

Der antifaschistische Widerstand, so marginal er war, zeigte den Horizont für ein demokratisches Deutschland nach Hitler.

Der Band 4 stammt aus der Feder des Altmeisters der Geschichtsforschung zu den vierziger Jahren, Günter Benser. Er zeichnet ein faktenmäßig opulentes Bild von der KPD als nunmehr gestaltender Kraft. Er zieht in den Neubeginn die »Alt-lasten« mit ein: den Blutzoll, den die KPD nicht nur den Nazis entrichtete. In den Opfern der politischen Emigranten u. a. in der Sowjetunion »erblickt er das dun-kelste Kapitel der deutschen kommunistischen Bewegung«. Dieses blieb ob des Vertuschens eine »Zeitbombe im Gepäck« der KPD. Der Autor präsentiert ein-drucksvoll die umfassenden Anstrengungen der KPD zur Neugestaltung. Hier ist viel Neues zu holen! Listig umgeht Benser das bekannte Ulbricht zugeordnete Wort, wonach alles demokratisch aussehen solle, und rückt hingegen Ackermanns Wort vom Juni 1946 »Undemokratisches wird sich rächen« ins Zentrum. Er ver-deutlich vorbildlich Förderndes, Kreatives und Hemmendes, der kommunisti-schen Lagermentalität Verpflichtetes in der Parteiarbeit jener Jahre 1945/46.

Der Vierbänder schließt: »Warum blieb den Bemühungen um völlige Abkehr von Fehlentwicklungen und pathologischen Zuständen in der kommunistischen Bewegung (bis 1989 – R. R.) der durchschlagende Erfolg versagt?« So bleibt eine Aufgabe.

Diese Parteigeschichte ist ein wirkungsvoller Beitrag zum Bruch mit dem Sta-linismus. In der linkssozialistischen Bewegung mögen diese packend geschriebe-nen Bände den Sinn für Realität und für Perspektive und nicht zuletzt für die Ge-wissenspflicht des Einzelnen verstärken helfen.

Es wird für die Autoren keine Orden regnen. Dem Karl Dietz Verlag sei eine Präsentation bei hoffentlich kontroverser Diskussion empfohlen. Auch ein cha-raktervoller Wein sollte dabei nicht fehlen.

Es darf auch etwas Kaviar sein.

On some aspects of recent historiography in the German

Im Dokument Deutschland im 20. Jahrhundert (Seite 44-48)