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Antifaschismus als Erfahrungsgeschichte

Im Dokument Deutschland im 20. Jahrhundert (Seite 108-113)

Wir nähern uns dem Ende des Jahrhundert und des Jahrtausends. Die Geschichte ist mehr denn je offen. Mittelfristige oder langfristige Prognosen zur Entwicklung Europas sind kaum möglich. Aufmerksamkeit erheischen gleichwohl die Warnun-gen, die der Bericht des Club of Rome 1991 »Die Globale Revolution« aussprach.

Er stellte fest, »dass die Demokratie heute ausgehöhlt und gefährdet ist und dass sie Grenzen hat«. Er warnte vor Erscheinungen, die mit Rechtsextremismus kor-respondieren oder die zu dessen Charakteristiken zählen: vor allem Nationalis-mus, Rassismus und rechtsgerichtete Diktaturen.1

Was bleibt in diesem Jahrhundert real vom Antifaschismus? Und: Welche Sich-ten auf ihn werden bleiben? Das neue, größere, ökonomisch starke Deutschland:

Wie wird es mit antifaschistischen Werten umgehen? Es gibt vehemente Aktivitä-ten, mit der Vereinigung den Antifaschismus wegzuschmelzen, ihn zurückzudrän-gen, zu tilzurückzudrän-gen, allerhöchstens ihn als strikt historisch zu fassendes Phänomen zuzulassen. Wer sich dem Thema stellt, der weiß, dass Politik mit ihren unter-schiedlichen und gegensätzlichen Interessenlagen, Wissenschaft, Ideologie, Moral, dass Biographien und Familiengeschichten ganz dicht nebeneinanderstehen und miteinander verwoben sind.

Zuvorderst sei nachdrücklich und unspektakulär für eine Historisierung des Antifaschismus plädiert. Das heißt zunächst für eine grundlegende Versachlichung der Diskussion einzustehen. Das heißt aber auch, zumindest den Antifaschismus als eine reale Bewegung und als eine geschichtliche Leistung festzumachen, die gegen die die Weltzivilisation bedrohenden Kräfte mit ihrem germanozentrischen Welt-herrschaftsstreben, mit dem Holocaust, mit dem Vernichtungskampf gegen die Arbeiterbewegung und die Sowjetunion, mit ihrer elementaren Menschenfeind-lichkeit gerichtet und die – nicht zu vergessen – in hohem Maße im Besitz von technischer Modernität waren. Indes, nicht jeder, der auf der antifaschistischen Seite in diese geschichtsbewegenden Auseinandersetzungen einbezogen wurde, war ein hochgebildeter, konsequent humanistisch denkender Mensch, wurden doch die unterschiedlichsten Gegenkräfte ungewollt und ungefragt zu einer Not-gemeinschaft, einer Schicksalstruppe zusammengeschüttelt und so zum Teil durch die Welt getrieben. Am Beginn des Antifaschismus stand nicht selten der Bruch einer Biographie, die Unterbrechung oder gar die Zerstörung eines Lebenskonti-nuums.

1 Die Globale Revolution. Bericht des Club of Rome 1991, in: Spiegel-Spezial, Hamburg, 2/91, S. 9, 16, 43 f., 68, 72.

Historisierung mag auch heißen, weit genauer und strikt historisch die unter-schiedlichen geschichtlichen Stufen, Qualitäten, den Reichtum und die Problema-tik unterschiedlicher Wege (einschließlich der Irr- und Umwege) aufzuhellen. Der Reiz liegt dabei im Detail und im Diagnostizieren von konzeptionellen und prak-tischen Innovationen in der Geschichte des Antifaschismus von den zwanziger Jahren bis zur Gegenwart. Die Historisierung des Antifaschismus muss einer Ge-samtgeschichte des deutschen Antifaschismus, die noch fehlt, dienen, wobei diese – möglicherweise – als Geschichte von Antifaschismen geschrieben werden muss.

Natürlich muss diese Historisierung die innere Widersprüchlichkeit der antifa-schistischen Ströme ebenso erfassen, wie sie der Befreiung von parteitaktisch motivierten Legenden, Verkrustungen und Überinterpretationen zu dienen hätte.

Historisierung der Forschungen und Interpretationen zum Antifaschismus heißt vor allem, einen Paradigmenwechsel zu vollziehen von einer linear aufsteigenden Erfolgsgeschichte – als Geschichte einzelner Siegestreppen – zu einer reichen, differenzierten und widersprüchlichen Erfahrungsgeschichte.

Zu einer solchen Erfahrungsgeschichte wäre der Sieg über den Hitlerfaschis-mus als zivilisatorische Leistung ebenso festzumachen, wie die Erfahrung Nr. 1 aus der widersprüchlichen Geschichte des Antifaschismus: dass Menschen, Par-teien, »politische Kräfte«, Regierungen, Staaten, Völker auch mit gegensätzlichen politischen Orientierungen und Wertvorstellungen zusammenfinden können, um zivilisationsbedrohende Gefahren – und der Faschismus namentlich in seiner na-tionalsozialistischen Variante war eine solche – abzuwehren.

Als im Jahre 1947 Walter Markov über das »Ende des Antifaschismus« nach-dachte, sprach er von einer »beschränkte(n) Aufgabe«2, die der Antifaschismus vor der Geschichte schlecht oder recht erfüllt habe. Markov sah indes nicht ein einfaches Ende des Antifaschismus, sondern verwies natürlich auf die weiterhin existenten und möglicherweise neu entstehenden »Bedingungen« für »eine Neu-auflage« von Faschismus »unter anderem Firmenschild«. Markov resümierte seine Betrachtungen wie folgt: »Dem Antifaschismus könnte es zufallen, sich aus seinen Erfahrungen heraus dem Wiederaufflackern einer wiederholten Völker-hetze entgegenzuwerfen und eine Toleranz der Tat vorzulegen, ehe ein neues Ver-hängnis einen gequälten Erdteil nochmals auf den Kehricht fegt. Er müsste frei-lich – und nicht jeder seiner Lippendiener wird sich dazu durchringen – die Größe besitzen, das wohlerworbene historische Verdienst auf sich beruhen zu lassen und jenes Vertrauen, das ihm heute nur spärlich gespendet wird, dort erweisen, wo ihn die Verantwortung für das Heute und Morgen hingestellt hat.«3

Für die Annäherung an eine Erfahrungsgeschichte wäre auch die These zu ver-treten, dass der Antifaschismus sein historisches Optimum nicht erreicht hat. Es gelang nicht – und dies war durchaus in Praxis, Programmen, Geist der

antifaschi-2 Walter Markov: Ende des Antifaschismus?, in ders.: Kognak und Königsmörder. Historisch-literarische Miniatu-ren, Berlin und Weimar 1975, S. 200.

3 Ebenda, S. 204.

stischen Bewegungen angesiedelt – eine zutiefst demokratisch, freie, tolerante und friedliebende Gesellschaft ohne Rüstungs- und Großkapital zu schaffen. Die Geschichte des Antifaschismus ist auch eine Geschichte nicht ausgeloteter, nicht ausprobierter Möglichkeiten und auch eine Geschichte verschmähter und zer-schlagener Chancen. Die Defizite lagen, bezogen auf die DDR-Geschichte, vor allem im Demokratiebereich und im Gesamtverständnis der Gesellschaft von po-litischer Kultur, Individualität und Freiheit. Der Lernprozess, den die KPD seit 1918 mit dem VII. Kongreß der Komintern 1935 als Zäsur durchmessen hatte, er-wies sich als entschieden zu schwach. Das Verständnis der SED von Partei und von Demokratie stand praktisch und theoretisch quer zum Antifaschismus. Das SED-SPD-Dialogpapier vom August 19874bewegte sich in der Tradition bester Verarbeitung antifaschistischer Erfahrungen. Dass sich das Gesellschaftssystem in der DDR als nur sehr schwer oder gar als nicht reformierbar erwies, hat offen-sichtlich auch mit einer ungenügenden Umsetzung antifaschistischer Erfahrungen zu tun. Es gab in der DDR nicht zu viel, sondern zu wenig Antifaschismus.

Zum Umgang mit antifaschistischen Erfahrungen gehört auch, deutsche Geschichte als Betroffenheits- und Haftungsgeschichte anzunehmen. Jedwede Diskussion in Ostdeutschland über Nationalsozialismus (der Geschichte) und Rechtsextremismus (der Gegenwart) wird diese als Teil eigener Geschichte und Verantwortung zu begreifen haben. Die Losung von den »Siegern der Geschichte«

hat hier auch für tieferreichende antifaschistische Gesinnung manches versperrt.

Die Schulddiskussion, die es nach 1945 unter Antifaschisten (und darüber hinaus) gab, wurde nicht aufgearbeitet und produktiv gemacht. Vieles, was im Zuge der 1968er Bewegung in der alten BRD an neuem antifaschistischem Bewusstsein entstand, blieb der DDR verborgen.

Erfahrungsgeschichte wird auch die Verständigung über individuelles Versagen von Antifaschisten einschließen müssen. Nur ein Beispiel: Als es in den siebziger und achtziger Jahren in der DDR zu Ausbürgerung, Verfolgung und Diffamierung von kritischen Demokraten kam, schwiegen viele der alten und jungen Antifa-schisten.

Erfahrungsgeschichte – d. h. auch das Diskutieren und Anerkennen der Legiti-mität unterschiedlicher historischer Wege, von gesellschaftlichen Alternativen.

Hier liegt wohl der entscheidende Punkt der Auseinandersetzung. Deutet man die Geschichte der DDR bereits von den Prämissen her als Entwicklung eines Un-rechts- oder Verbrecherstaates oder sieht man sie als einen gescheiterten Versuch, eine sozial gerechtere Gesellschaft aufzurichten als der Kapitalismus und dabei auch antifaschistische Leistungen anzustreben. So etwa jene, die wohl in allen be-deutenden antifaschistischen Programmen vor 1945 zu finden waren: die Enteig-nung von Nazi- und Kriegsverbrechern. Alle antifaschistischen Dokumente von Rang, auch Schriftsteller und Künstler von Weltruf, die Schlussdokumente der

4 Streit der Ideologien und die gemeinsame Sicherheit, in: Dokumente der SED, Bd. XXI, Berlin 1989, S. 420-429.

Antihitlerkoalition bekannten sich dazu und stellten diese Forderung an die wei-tere deutsche Geschichte. In diesem Umbruch, bei diesem Versuch, Geschichte auf neue Weise zu gestalten, fanden viele Menschen zum Antifaschismus, die zu-vor auf ganz anderen Orten politisch zu Hause waren. Das alles als »verordnet«,

»zelebriert« und als »stalinistisch« qualifizieren zu wollen, dürfte nicht schlüssig sein. Statt Antifaschismus besser Antitotalitarismus – dies sei, so sollen wir ler-nen, »das Gebot der Stunde«.

Zu diesem Thema ist viel geschrieben worden, zumal die Totalitarismusdoktrin in der Alt-BRD zu einer offiziell geförderten und verordneten Staatsideologie (siehe Beschluss der Kulturministerkonferenz der frühen sechziger Jahre) hoch-stilisiert wurde. Hier geht es um einen neuen Aspekt. In seiner Schrift »Folgen ei-ner uei-nerhörten Begebenheit« schreibt Wolf Lepenies, seit 1986 Rektor des Wis-senschaftskollegs zu Berlin: »Bis heute weigern sich die Westdeutschen, im Bekenntnis der DDR zum Antifaschismus mehr als eine Propagandafloskel zu se-hen. Aber auch wenn die Geschichte der DDR nicht durch ihren Antifaschismus zu legitimieren ist, auch wenn die Säuberungspraktiken von Willkür geprägt wa-ren, auch wenn schnell sichtbar wurde, dass in der DDR das Nazipersonal ver-schwand, während Strukturen überlebten oder neu entstanden, die wiederum die autoritäre Persönlichkeit hervorbrachten – das vereinte Deutschland könnte eine Gemeinsamkeit der politisch-moralischen Orientierung auch dadurch finden, dass es an den Antifaschismus der frühen Jahre anknüpft.«5

Interessant und erhellend ist die Reaktion, die auf diesen Gedanken erfolgte. In der »Berliner Zeitung« schoss Ralf Altenhof sofort Sperrfeuer. Das Bekenntnis zum Antitotalitarismus und die rigide Ablehnung der Überlegung von Lepenies begründete er wie folgt: »So erscheint die Forderung nach einer Selbstüberprü-fung deutscher Politik unter den gegebenen Bedingungen praktisch nicht durch-führbar. Dieser Staat ist gewiss kein Paradies. Doch sollte die Entwicklung eher dazu animieren, den reformorientierten Weg der Bundesrepublik weiterhin zu be-schreiten, als ihre Politik grundlegend zu ändern (sic!). Die Folgenlosigkeit der deutschen Einheit, die Lepenies kritisiert, könnte eher die Problemlösung sein.

Außenpolitisch freilich wird das vereinte Deutschland in Zukunft mehr Verant-wortung übernehmen müssen.«6Die Totalitarismusdoktrin wird hier zur Anwen-dung gebracht, um die Frage nach grundlegenden Veränderungen in der Bundes-republik gar nicht aufkommen zu lassen.

Dem ist natürlich zu widersprechen. Zum ersten ist dem Antifaschismus als Teil der Geschichte von gleichsam drei Nationalgeschichten (vor und nach 1945) nachzuspüren. Zum zweiten muss er in der individuellen und gesellschaftlichen Alltagskultur wie im politisch strategischen Denken im vereinten Deutschland heimisch gemacht werden. Im Austragen von objektiven gesellschaftlichen

Wi-5 Wolf Lepenies: Folgen einer unerhörten Begebenheit. Die Deutschen nach der Vereinigung, Berlin 1992, S. 74.

6 Ralf Altenhof: Folgenreiche Begebenheit, in: Berliner Zeitung, 5.1.1993, S. 5.

dersprüchen – und sie wachsen, ohne das seitens der herrschenden politischen Klasse ernsthafte Strategieangebote sichtbar wären – wie im Ausarbeiten und Umsetzen einer neuen Verfassung, kann er perspektivisch neue Bedeutung erhal-ten. Im Zurückdrängen des Rechtsextremismus erweist er sich von unersetzbarem Wert. Dabei geht es nicht um ein enges antifaschistisches Geschichtsverständnis, sondern um die Sichtung und Nutzbarmachung aller demokratischen Erfahrun-gen, auch z. B. der antistalinistischen.7

Erfahrungsgeschichte müsste wohl auch die Gleichzeitigkeit von Entgegenge-setztem und Unvereinbarem beachten. So gab es in der DDR-Geschichte stets ein

»sowohl – als auch«, und dies nebeneinander, gleichzeitig wie nacheinander und phasenversetzt. Der Antifaschismus – so wäre hypothetisch zu behaupten – verlor tendenziell an Anziehungskraft, weil er nicht mit einer längst überfälligen grund-legenden Innovation der Demokratie und der politischen Kultur verknüpft wurde.

Schließlich gehören zur antifaschistischen Erfahrung in Ostdeutschland auch schwerwiegende Defizite aus der DDR-Geschichte. Stichworte genügen hier zur Verständigung: Staat Israel und jüdische Geschichte. Und auf einer völlig anderen Ebene: deutsche Kriegsgefangene, Kriegsverletzte und Hinterbliebene, Soldaten-gräber... Wenn der Schritt vollzogen werden soll zu einer universal- und global-historischen Geschichtsbetrachtung, dann gilt es, den Antifaschismus als kulturellen Erfahrungswert einzubeziehen, so etwa in Auseinandersetzung mit Rechtsextremis-mus, RassisRechtsextremis-mus, Nationalismus und europäischer Festungsmentalität. Die Zukunft wird zeigen, ob der Antifaschismus nur eine Ideologie und Gesinnung (Politik, Bewegung) kurzer oder mittlerer Reichweite war, die zur Zerschlagung faschisti-scher Aggressoren 1945 reichte, deren weitere Schub- und Integrationskraft hin-gegen begrenzt blieb und schwächer wurde, wie der Zerfall der aus dem antifa-schistischen Kampf entstandenen osteuropäischen Länder belegen könnte.

Antifaschismus gilt es, als einen für das neue Jahrhundert bedeutsamen Erfah-rungswert zu bewahren und als eine transferwerte Vision, als Aufforderung zur Bewahrung der Zivilisation zu nutzen in einer Zeit, die völlig neue Koalitionen erheischt.

Aus Historisierung mag so Revitalisierung erwachsen.

7 Meine Sicht zu Antifaschismus und Stalinismus ist nachzulesen in Rolf Richter: In der Pflicht des Antifaschis-mus, in: Einheit, Berlin, Heft 12/1989; ders.: Antifaschismus-kritisch befragen, in: Ideen für antirassistische und antifaschistische Arbeit, Frankfurt a. M., Heft 7/1992; ders.: Erfahrungen und Überlegungen, in: Angriff von Rechts. Rechtsextremismus und Neonazismus unter Jugendlichen Ostberlins, hrsg. von Robert Harnischmacher, Rostock u. Bornheim-Roisdorf 1993.

Über Theoretisches und Praktisches

Im Dokument Deutschland im 20. Jahrhundert (Seite 108-113)