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5 Fragestellungen und Hypothese

8.3 Untersuchung der allgemeinen Einstellungen zu chronischen Schmerzen

8.3.2 Ergebnisse des Itemwertvergleiches

Bei den Itemmittelwerten aller Skalen fällt auf, dass die Untersuchungsteilnehmer den in den Skalen

„Fatalismus“ und „Stoizismus“ beschriebenen Einstellungen allgemein weniger zugestimmt haben (Mittelwerte <3). Eine fatalistische und stoische Haltung wird – sieht man von den unterschiedlichen Bedeutungen in den beiden Kulturkreisen ab – eher als ungünstig für den Krankheitsverlauf betrachtet.

Die deutschen Gruppen stimmen den biomedizinischen Kontrollattributionen generell weniger zu und akzeptieren auch weniger alternative Behandlungsmöglichkeiten (beide Itemmittelwerte sind kleiner als drei). Insgesamt ist die Zustimmung zu den biomedizinischen Attributionen stärker als den psychosozialen Attributionen. Die Einstellung gegenüber alternativen Behandlungsmöglichkeiten liegt auch insgesamt eher auf mittlerem Niveau, oft wird hier ein „stimme teils-teils zu“ gewählt.

Bei den „biomedizinischen Kausalattributionen“ wird die Aussage „Rückenschmerzen können nur auf körperliche Ursachen zurückgeführt werden“ von allen Gruppen am wenigsten akzeptiert (der gesamte Mittelwert ist <3). Diese Tendenz lässt sich dadurch erklären, dass die meisten Probanden eine zu präzise körperliche Ursachenzuschreibung vermeiden wollen, da sie diese Aussage als Laien nicht begründen können. Auch wenn aus den Ergebnissen dieser Studie nicht geschlossen werden kann, dass die Teilnehmer ein multimodales Modell verwenden, so kann doch gesagt werden, dass die Teilnehmer den Einfluss psychosozialer (der gesamte Mittelwert ist >3) oder weiterer Faktoren nicht ausschließen wollen. In Ansätzen zeigt diese Untersuchung daher auch das Ergebnis der o.g. Studie von Kirmayer et al. (1994).

Bei den taiwanischen Gruppen findet man zwei verschiedene Tendenzen bezüglich der

„biomedizinischen Attributionen“. Die taiwanischen Patienten stimmen der Aussage - „Um eine wirksame Behandlungsmöglichkeit zu finden, müssen zunächst die genauen körperlichen Ursachen gefunden werden“ – von allen Aussagen der Skala am meisten zu. Die taiwanische Kontrollgruppe akzeptiert am stärksten die Aussage „Schwere körperliche Arbeit ist die Ursache der Rückenschmerzen“.

In Taiwan liegt die Zeit, in der die Mehrzahl der Einwohner körperlich schwer und den Rücken schädigend arbeiten mussten, noch nicht so lange zurück, wie in Deutschland und ist schwere Arbeit immer noch stärker verbreitet; insofern entspricht das Ergebnis der Studie in etwa der taiwanischen Realität. Die deutschen Teilnehmer legen Wert auf eine genaue körperliche Untersuchung und Diagnose.

Die Suche nach der genauen körperlichen Ursache und die Entwicklung verbesserter medizinischer Untersuchungsmethoden sind für sie die wichtigsten Aussagen. Diese Zustimmung zeigt vor allem, dass die deutschen Teilnehmer ein gewisses Vertrauen in das schon hochentwickelte Diagnosesystem haben und sich noch mehr Hilfe davon erhoffen.

Bei der Skala „biomedizinische Kontrollattributionen“ findet die taiwanische und die deutsche Kontrollgruppe die Aussagen „Vorsicht bei alltäglichen Aktivitäten“ und „Rückenschmerzspezialisten zu finden“ am wichtigsten. Die taiwanische Patientengruppe stimmt am wenigsten der Aussage zu, dass man mit Rückenschmerzen nicht zur Arbeit gehen kann, worin sich evtl. noch die Nachwirkungen der früheren geringen sozialen Absicherung wiederfinden. Jedoch stimmt sie zu, dass man den Körper schonen sollte. Die deutsche Patientengruppe lehnt dagegen eher die Aussage ab, dass man den Körper bei Rückenschmerzen schonen sollte, insofern Rückenschmerzen in Deutschland eher weniger auf harte körperliche Tätigkeiten zurückgeführt werden können.

Bei der Skala „psychosoziale Kausalattributionen“ lehnen die meisten Teilnehmer die Aussage ab, dass Unzufriedenheit mit der persönlichen oder beruflichen Lebenssituation die Ursache der chronischen Rückenschmerzen ist. Möglicherweise sehen die Teilnehmer keinen Zusammenhang zwischen dem Gefühl der „Unzufriedenheit“ und Rückenschmerzen sehen, insofern das Gefühl „Unzufriedenheit“ sich durch Rückenschmerzen eher nicht symbolisieren lässt. Die deutsche Kontrollgruppe lehnt außerdem noch die Einstellung „Angst vor Schmerzen verschlimmert Rückenschmerzen“ ab, vermutlich, weil im deutschen Alltagswissen „Angst“ nicht mit chronischen, sondern mit akuten Schmerzphänomenen verbunden wird. Die restlichen Einstellungen werden akzeptiert. Die größte Meinungsdifferenz zwischen der taiwanischen und der deutschen Kontrollgruppe findet sich beim Item „Wenn man sich in einer schlechten seelischen Verfassung befindet, ist man besonders anfällig für Rückenschmerzen“.

Taiwaner glauben stärker daran, dass Gefühle Rückenschmerzen beeinflussen können. Die deutsche Patientengruppe stimmt am stärksten zu, dass Sorgen und Kummer Rückenschmerzen verstärken können. Vermutlich spielt hier das Bild der seelischen bzw. körperlich-metaphorischen Belastung hier seine Rolle.

Bei der Skala „psychosoziale Kontrollattributionen“ wird allgemein die Einstellung abgelehnt „wenn man seine persönlichen Probleme lösen kann, kann man auch die Rückenschmerzen in den Griff bekommen“. Dieses entspricht dem oben bei der Skala „psychosoziale Kausalattributionen“ erwähnten Ergebnis über den Zustand der „Unzufriedenheit“. Man daraus schließen, dass die Befragten dieser Studie entweder keinen direkten Zusammenhang zwischen persönlichen Problemen und Rückenschmerzen sehen oder aber die Aussage als widersprüchlich betrachten. So haben sie die Erfahrung gemacht, dass jemand glücklich sein kann, aber dennoch körperliche Schmerzen hat. Die Aussage „regelmäßige sportliche Übungen zur Stärkung des Rückens“ wird von beiden Patientengruppen negativ bewertet. Dieses spiegelt möglicherweise ihre eigene Erfahrung wider.

Bei der Skala „Fatalismus“ werden Aussagen wie „Es gibt keine wirkliche Erklärung für Rückenschmerzen, man muss sie einfach hinnehmen“ und „Man kann selbst nichts gegen Rückenschmerzen tun, man sollte sie einfach akzeptieren“ von den taiwanischen Teilnehmern am besten akzeptiert. Die deutsche Gruppe stimmt diesen beiden Einstellungen statistisch signifikant weniger zu. Ein gegensätzliche Meinungstendenz findet man dagegen bei der Einstellung:

„Rückenschmerzen lassen sich nicht gezielt beeinflussen, egal was man macht“. Während die taiwanische Patientengruppe am wenigsten zustimmt, stimmt die deutsche Patientengruppe im Vergleich mit den anderen Aussagen der Skala am ehesten zu, obwohl diese Einstellung in beiden deutschen Gruppen insgesamt abgelehnt wurde. Da sich die deutschen Patienten u. U. einer Vielzahl von erfolglosen Behandlungsmethoden unterzogen haben, zeigt sich darin vermutlich ihr Resignationsgefühl. Die Mitglieder der taiwanischen Gruppe, die eher zur Akzeptanz von Schmerzen neigen, resignieren in diesem Fall nicht.

Bei der Skala „Stoizismus“ werden die Einstellungen „nicht offen nach außen tragen“ und „mit sich allein ausmachen“ von der taiwanischen Kontrollgruppe durchschnittlich positiv im Bereich von

„stimme teils-teils zu“ und „stimme zu“ bewertet. Folgerichtig akzeptieren die beiden taiwanischen Gruppen die Aussage „Rückenschmerzen haben etwas mit Wehleidigkeit zu tun“ am wenigsten.

Dagegen stimmen die beiden deutschen Gruppen der Einstellung „mit sich allein ausmachen“ von allen anderen am wenigsten zu. Auf eventuelle Gründe dafür wurde oben bereits eingegangen.

Bei der Skala „Einstellung zu alternativer Behandlungsmöglichkeit“ bejaht die taiwanische Gruppe allgemein am stärksten, dass die Ernährungsumstellung einen positiven Einfluss auf chronische Rückenschmerzen hat. Die Aussage, dass pflanzliche Präparate und Naturheilverfahren helfen, sehen die Taiwaner skeptisch. Nach Ansicht der TCM und der taiwanischen Volksmedizin enthalten auch Nahrungsmittel Heilkräfte wie Medikamente, stärken den Körper und unterstützen seine Selbstheilungskräfte. In den Medien finden sich häufig Informationen über die Heilwirkung des Essens.

Da es in Taiwan eine große Vielfalt von Nahrungsmitteln gibt und die Essenszubereitung und das Essen

an sich traditionell einen hohen Wert hat, liegt dieses nahe. Das geringere Vertrauen in pflanzliche Präparate kann dagegen mit der staatlichen Gesundheitspolitik zusammenhängen: Die taiwanische Regierung unterstützt vor allem die westliche Schulmedizin, es gibt kein staatliches, an der TCM orientiertes Krankenhaus. „Kräuterläden“ und sog. „chinesische Apotheken“ werden weder kontrolliert noch zertifiziert (s. z. B. Cheng 2001).

Deutsche bevorzugen eher Entspannungsverfahren und Massagen. Die Angebote der Entspannungsverfahren sind im deutschen Alltag mehr populärer als in taiwanischen Allatag. Außer zu diesen beiden Verfahren zeigen die deutschen Patientengruppe kein Vertrauen in alternative Behandlungsmöglichkeiten. Allerdings stimmen sie auch der Aussage zu, dass man Medikamente wegen ihrer Nebenwirkungen nicht über längere Zeiträume nehmen sollte. Hausmittel, pflanzliche Präparate oder Heizkissen lehnt die deutsche Kontrollgruppe eher als unwirksam ab.

Den Taiwanern ist Selbstbeherrschung wichtig. Sie lehnen häufiges Grübeln ab und versuchen, den Einfluss der Schmerzen auf das alltägliche Leben so gering wie möglich zu halten. Für Taiwaner bedeuten chronische Rückenschmerzen eine Belastung, der man am besten ausweicht und die man so weit wie möglich zu ignorieren versucht. Die deutschen Probanden bevorzugen Methoden, die Stress abbauen, sowie Ressourcen und persönlichen Freiraum eröffnen. Ihnen ist eine entspannte (Körper-)Haltung und ein entspanntes Verhalten wichtig. Deutsche haben prinzipiell die Möglichkeit, durch das Erlernen entspannterer Verhaltensweisen und Stressabbau gleichzeitig mit der Behandlung der Rückenschmerzen ein Stück Lebensqualität zu gewinnen.