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5.2 Diskussion der Ergebnisse

5.2.2 Ergebnisse der Untersuchung der Proben aus dem Gelatine-

5.2.2.1 Vergleich der Herstellungsverfahren

Im Rahmen der statistischen Auswertung dieser Ergebnisse wurden Vergleiche angestellt zwischen den einzelnen Herstellungsverfahren bezüglich ihrer Eignung, die ursprüngliche Tetracyclin-Konzentration im Knochen zu reduzieren. Legt man bei diesen Vergleichen die Reduktion während des gesamten Produktionsprozesses (Knochen → Gelatine) zugrunde und betrachtet dabei die Reduktion der Gesamt-Tetracyclin-Konzentration, so ergibt sich folgende Rangfolge der Herstellungsverfahren.

Platz 1: Alkalisches Aufschlussverfahren

Platz 2: Saures Aufschlussverfahren mit 14-tägiger Mazeration Platz 3: Saures Aufschlussverfahren mit 10-tägiger Mazeration Platz 4: Handwerkliche Methode

Platz 5: Saures Aufschlussverfahren mit einer Salzsäure-Endkonzentration von 7,5 % Platz 6: Saures Aufschlussverfahren (Mazeration 7 Tage, Salzsäure-Endkonzentration 5 %) Platz 7: Saures Aufschlussverfahren mit einer Salzsäure-Endkonzentration von 10 %

Im folgenden sollen die Ergebnisse der Untersuchung der einzelnen Herstellungsverfahren näher beleuchtet werden. Verfahren 1-3 führten dazu, dass in der entstandenen Gelatine keine Tetracyclin-Rückstände mehr nachweisbar waren.

1. Alkalisches Aufschlussverfahren

Das alkalische Aufschlussverfahren gehört zu den drei Verfahren, die zu einem Absinken der ursprünglichen Gesamt-Tetracyclin-Konzentration bis unter die HPLC-Nachweisgrenze führen. Dies geschah beim alkalischen Aufschlussverfahren schon während der anfänglichen Prozessschritte. Bei Verwendung in der UV-Untersuchung positiv beurteilter Knochen konnten schon nach der Mazeration keine Tetracycline mehr nachgewiesen werden, bei Verwendung stark positiver Knochen nach der Äscherung. Der intensive chemische Aufschluss während der Äscherung war also in der Lage, eventuelle Rest-Tetracyclin-Gehalte im Ossein zu entfernen. Die sensorische Beschaffenheit der so gewonnenen Gelatine wurde als sehr gut beurteilt, so dass es keine Einwände gegen die Anwendung dieses Verfahrens zur Herstellung von Gelatine aus Knochen gibt.

Das alkalische Aufschlussverfahren ist u.a. aufgrund der guten technologischen Eigenschaften der Gelatine und aufgrund der BSE-Problematik heute das mit Abstand am häufigsten eingesetzte Verfahren zur Herstellung von Gelatine aus Knochen. Es ist insofern zu begrüßen, dass dieses Verfahren auch bezüglich der Eliminierung von Tetracyclin-Rückständen im Ausgangsmaterial die besten Ergebnisse lieferte.

Bei näherer Betrachtung der Einzelergebnisse fällt auf, dass bei einer Probe (Probe 1) im Ossein Anhydro-Tetracyclin nachgewiesen wurde, obwohl der Knochen frei von dieser Substanz war (vgl. 4.5.1). Die Erklärung hierfür liegt in der Tatsache, dass Molekül-veränderungen wie eine Epimerisierung oder eine Dehydratation bei den Tetracyclinen sowohl spontan als auch bei Veränderungen des Umgebungsmilieus auftreten. Nach WALTON et al. (1970) entstehen Anhydro-Tetracycline v.a. unter dem Einfluss von Säure oder Lauge, so dass es durchaus nachvollziehbar ist, dass ein Teil der Tetracycline während der Mazeration (pH < 2) in Anhydro-Tetracycline umgewandelt wurde. Im weiteren Verlauf des Herstellungsverfahrens wurden jedoch auch diese Tetracyclin-Derivate eliminiert.

2. Saures Aufschlussverfahren mit 14-tägiger Mazeration

Auch dieses Verfahren führte zum frühzeitigen Absinken der ursprünglichen Gesamt-Tetracyclin-Konzentration unter die HPLC-Nachweisgrenze. Nach dem 14-tägigen Salzsäurebad waren keine Tetracyclin-Rückstände mehr nachweisbar. Allerdings führte diese massive chemische Behandlung zu einer so starken Aufweichung des Rohmaterials, dass die sensorische Beschaffenheit der gewonnenen Gelatine mangelhaft war (vgl.4.5.3). Die starke Trübung und Verfärbung der Gelatine macht sie unbrauchbar für die Verwendung im Lebensmittel- oder Arzneimittelbereich. Aus diesem Grunde scheidet das saure Aufschluss-verfahren mit 14-tägiger Mazeration trotz guter Ergebnisse bezüglich der Eliminierung von Tetracyclin-Rückständen für die Anwendung zur Gelatineherstellung aus Knochen aus.

3. Saures Aufschlussverfahren mit 10-tägiger Mazeration

Dieses Verfahren ist das dritte Verfahren, das zu einem Absinken der Gesamt-Tetracyclin-Konzentration unter die HPLC-Nachweisgrenze führte. Die Tetracyclin-Reduktion während der Mazeration betrug bereits im Mittel 97,94 %, der Rest wurde durch die Gelatine-Extraktion entfernt, so dass das Produkt Gelatine keine nachweisbaren Tetracyclin-Rückstände mehr aufwies. Die sensorische Qualität der so gewonnenen Gelatine wurde als gut beurteilt. Sie gelierte sehr gut, wies jedoch eine geringgradige Trübung sowie geringe Spuren von Restbestandteilen des Osseins auf (vgl. 4.5.3). Es ist anzunehmen, dass diese geringfügige Beeinträchtigung der sensorischen Qualität der Frischgelatine durch nachfolgende Reinigungsschritte zu beheben ist.

Der direkte Vergleich dieses Herstellungsverfahrens mit dem sauren Aufschlussverfahren (Mazeration 7 Tage, Salzsäure-Endkonzentration 5 %) und mit dem sauren Aufschlussverfahren mit 14-tägiger Mazeration führt zu der Erkenntnis, dass eine Verlängerung der Mazeration bezüglich der Eliminierung von Tetracyclin-Rückständen durchaus zu empfehlen ist. Dabei ist eine Verlängerung auf 10 Tage ausreichend, um eine vollständige Eliminierung der Tetracyclin-Rückstände herbeizuführen. Eine weitere Verlängerung der Mazerationszeit ist nicht ratsam, da dies zu einer deutlichen Verschlechterung der sensorischen Qualität der Gelatine führt.

4. Handwerkliche Methode

Dieses Verfahren führte nicht zu einer vollständigen Eliminierung der Tetracyclin-Rückstände im Knochen, wenn auch die prozentuale Reduktion der Gesamt-Tetracyclin-Konzentration mit im Mittel 95,36 % relativ hoch lag (vgl. 4.5.5). Die Höhe der Tetracyclin-Rückstände in der so gewonnenen Gelatine lag ausnahmslos über 100 µg/kg, der Rückstandshöchstmenge, die der Gesetzgeber für Muskulatur und Milch vorsieht. Die nachgewiesenen Tetracyclin-Konzentrationen lagen zwar ebenfalls ausnahmslos unter den gesetzlichen Rückstandshöchstmengen von Niere (600 µg/kg), Leber (300 µg/kg) und Eiern (200 µg/kg), da es jedoch keine speziell für Gelatine definierte Höchstmenge gibt, sollte aus Sicherheits-gründen die strengste Regelung, nämlich die für Muskulatur und Milch, zugrundegelegt werden.

Bei der Anwendung dieser Methode ist auch nicht davon auszugehen, dass die Gelatine nach der Extraktion einer Reinigung wie z.B. einer Filtration oder einem Ionenaustausch unterzogen wird, so dass nicht mit einer weiteren Reduktion der Tetracyclin-Rückstände gerechnet werden kann. Da die Gelatine aus diesem Verfahren zudem von minderer sensorischer Qualität war, ist die Anwendung der handwerklichen Methode nicht zu empfehlen.

5. Saures Aufschlussverfahren mit einer Salzsäure-Endkonzentration von 7,5 %

Dieses Verfahren führte zu einer Reduktion der ursprünglichen Gesamt-Tetracyclin-Konzentration von im Mittel 91,43 % (vgl. 4.5.4). Dieser Wert mag hoch erscheinen, betrachtet man jedoch die Höhe der Gesamt-Tetracyclin-Konzentration im Produkt Gelatine, so ist festzustellen, dass die Tetracyclin-Konzentrationen in der hier gewonnenen Gelatine allesamt über 600 µg/kg, der höchsten gesetzlich vorgeschriebenen Rückstandshöchstmenge, lagen. Unter Berücksichtigung der Aufkonzentrierung der Frischgelatine (vgl. 5.1.1) ergibt sich sogar eine völlig inakzeptable Gesamt-Tetracyclin-Konzentration von 24,23 mg/kg im Endprodukt Gelatine. Bedenklich ist insbesondere die mit im Mittel 569,77 µg/kg hohe Konzentration an Anhydro-Tetracyclinen in der Frischgelatine bei einer ursprünglichen Konzentration von 383,32 µg/kg im Knochen. Dieses Verfahren hat also zu einem Anstieg der Anhydro-Tetracyclin-Konzentration um 48,64 % geführt. Nach Aufkonzentrierung der Frischgelatine läge die Anhydro-Tetracyclin-Konzentration in der Gelatine sogar bei 19,37 mg/kg.

Den Anhydro-Tetracyclinen werden starke toxische Wirkungen zugeschrieben (WALTON et al. 1970, KLIMOVA u. ERMOLOVA 1976, BERTRAND et al. 1984, SCHNAPPINGER u.

HILLEN 1996), so dass ihr Vorkommen in einem Lebensmittel sehr kritisch zu beurteilen ist.

Da auch die sensorische Qualität der so gewonnenen Gelatine stark zu wünschen übrig ließ, scheidet dieses Verfahren für die industrielle Herstellung von Gelatine aus Knochen aus.

Bei näherer Betrachtung der Einzelergebnisse fallen einige Besonderheiten auf. Zum einen kam es auch hier zu der schon beim alkalischen Aufschlussverfahren diskutierten Umwandlung von Tetracyclinen in Anhydro-Tetracycline. Eine Steigerung der Salzsäure-Endkonzentration bei der Mazeration von 5 % beim alkalischen Aufschlussverfahren auf hier 7,5 % führte zu einem erheblichen Anstieg der Anhydro-Tetracyclin-Konzentrationen, wohingegen es beim alkalischen Aufschlussverfahren noch im Mittel zu einer Abnahme der Anhydro-Tetracyclin-Konzentration kam. Diese Tatsache ist auf den niedrigeren pH-Wert bei einer Salzsäure-Konzentration von 7,5 % zurückzuführen.

Weiterhin auffällig ist bei einer Probe (Probe 1) die Zunahme der Summe der Tetracycline während der Gelatine-Extraktion (Summe TC: + 19,11 %). Über die Ursache dieses Phänomens können nur Vermutungen angestellt werden. Eine Vermutung ist, dass eine einwöchige chemische Behandlung mit bis zu 7,5 %-iger Salzsäure zu einer solchen Veränderung der molekularen Strukturen führt, dass die Tetracycline im Ossein noch relativ fest gebunden sind und so einer Extraktion zur Vorbereitung auf die HPLC-Untersuchung zum Teil entgehen. Durch die Hitzebehandlung während der Gelatine-Extraktion könnten sie jedoch aus ihrer Bindung gelöst werden und sich so in der Gelatine wiederfinden. Die zweite Vermutung ist, dass es sich hierbei schlichtweg um einen Messfehler handelt oder aber Fehler bei der Extraktion gemacht wurden. Dazu ist allerdings anzumerken, dass auch bei einer wiederholten Extraktion dieser Probe eine Zunahme der Summe der Tetracycline festgestellt wurde. Was letztendlich zu dieser unerwarteten Steigerung geführt hat, muss hier unbeantwortet bleiben.

6. Saures Aufschlussverfahren (Mazeration 7 Tage, Salzsäure-Endkonzentration 5 %)

Da dieses Verfahren in der Industrie angewendet wird, sind die Ergebnisse bezüglich der Reduktion von Tetracyclin-Rückständen im Ausgangsmaterial keineswegs zufriedenstellend.

Mit einer Reduktion der Gesamt-Tetracyclin-Konzentration um im Mittel 89,40 % (vgl. 4.5.2) während des gesamten Produktionsprozesses liegt dieses Verfahren an vorletzter Stelle im

Vergleich der verschiedenen Herstellungsverfahren. Auch die Tetracyclin-Konzentrationen im Produkt Gelatine können daran nichts ändern, sie lagen im Mittel bei 564,29 µg/kg, was weit über den gesetzlich vorgeschriebenen Höchstmengen für Leber, Muskulatur, Milch und Eiern liegt. Unter Berücksichtigung der Aufkonzentrierung der Frischgelatine (vgl. 5.1.1) ergibt sich für die Gelatine aus diesem Verfahren eine Gesamt-Tetracyclin-Konzentration von 19,19 mg/kg, wiederum ein Wert, der nicht zu akzeptieren ist.

Da die Tetracycline bekanntlich zu einem großen Teil an Calcium gebunden vorliegen, könnte es eine Rolle spielen, dass der Calciumgehalt in der sauren Gelatine -ähnlich wie der Aschegehalt- wesentlich höher ist als in der alkalischen Gelatine (vgl. 4.7).

Positiv zu bewerten ist einzig die Tatsache, dass in der Gelatine keine Anhydro-Tetracycline nachweisbar waren. Obwohl die sensorische Qualität der Gelatine durchaus akzeptabel war, scheidet dieses Verfahren, zumindest in der hier durchgeführten Form, für die industrielle Herstellung von Gelatine aus Knochen aus. Es soll allerdings nicht unerwähnt bleiben, dass es im Rahmen der industriellen Herstellung aufgrund der Nachbearbeitung (u.a. Filtration, Ionenaustausch) unter Umständen zu einer weiteren Reduktion der Tetracyclin-Rückstände in der Frischgelatine kommt, so dass hier keine endgültige Aussage über die tatsächliche Eignung dieses Verfahrens zur Eliminierung von Tetracyclin-Rückständen im Ausgangs-material getroffen werden kann.

7. Saures Aufschlussverfahren mit einer Salzsäure-Endkonzentration von 10 %

Es handelt sich hierbei um die Methode, die am wenigsten überzeugen konnte bezüglich ihrer Eignung, zu einem sicheren Lebensmittel im Hinblick auf Tetracyclin-Rückstände zu führen.

Nicht nur, dass die Reduktion der Gesamt-Tetracyclin-Konzentration während des Produktionsprozesses nur bei im Mittel 63,50 % lag, sondern auch die sehr hohen Tetracyclin-Konzentrationen im Produkt Gelatine mit durchweg über 900 µg/kg (vgl. 4.5.4) sprechen eindeutig gegen eine Anwendung dieser Methode. Für diese Gelatine ergäbe sich nach der Aufkonzentrierung (vgl. 5.1.1) eine Gesamt-Tetracyclin-Konzentration von 37,53 mg/kg; dies ist der höchste in dieser Versuchsreihe gemessene Wert. Erschwerend kommt hinzu, dass die nachgewiesenen Anhydro-Tetracyclin-Konzentrationen in der Gelatine bei im Mittel 374,04 µg/kg lagen, und dass, obwohl sich im Ausgangsmaterial im Mittel nur 134,58 µg/kg fanden. Dies bedeutet eine Steigerung um 177,93 %. Die Anhydro-Tetracyclin-Konzentration in der aufkonzentrierten Gelatine läge sogar bei 12,72 mg/kg.

Offensichtlich stieg die Konzentration der unerwünschten Anhydro-Tetracycline umso stärker an, je höher die gewählte Salzsäure-Konzentration war. Auch die sensorische Qualität der so gewonnen Gelatine war inakzeptabel, so dass diese Methode ohne Zweifel nicht geeignet ist für die industrielle Gelatineherstellung aus Knochen.

Bei näherer Betrachtung der Einzelergebnisse fällt bei einer Probe (Probe 3) die Zunahme der Konzentration des Epi-Chlortetracyclins durch die Mazeration auf. Auch hier gilt wie bei den Anhydro-Tetracyclinen die Aussage, dass eine Entstehung von Epimeren durch eine Verschiebung des pH-Wertes in den sauren Bereich begünstigt wird (SCHEDL 2000).

Allerdings sind die Epimere zum einen nicht so kritisch zu beurteilen wie die Anhydro-Tetracycline mit ihren starken toxischen Wirkungen, und zum anderen führte die weitere Bearbeitung dieser Probe zu einer Eliminierung des Epi-Chlortetracyclins. Wie schon beim sauren Aufschlussverfahren mit einer Salzsäure-Endkonzentration von 7,5 % diskutiert, kommt es auch bei diesem Verfahren zu Zunahmen der Summen von Tetracyclinen und Chlortetracyclinen sowie in einem Fall sogar zu einer Zunahme der Gesamtheit aller untersuchten Tetracycline. Auch hier muss offen bleiben, ob es sich bei diesem Phänomen um die Folge der massiven chemischen Behandlung oder um Zufallsbefunde handelt.

5.2.2.2 Vergleich der einzelnen Produktionsschritte

Im Rahmen dieser Arbeit konnten aus bereits diskutierten Gründen nur die beiden grundlegenden Produktionsschritte Mazeration und Extraktion untersucht werden.

Unübersehbar trug die Mazeration am ausgeprägtesten zur Reduktion von Tetracyclin-Rückständen im Ausgangsmaterial bei. Die Reduktion der Gesamtheit aller Tetracycline durch die Mazeration betrug im Mittel 86,04 % bezogen auf die Tetracyclin-Konzentration im Knochen bzw. 94,84 % bezogen auf die mittlere Reduktion während des gesamten Produktionsprozesses, d.h. der Anteil an der Gesamtreduktion, der auf die Mazeration entfiel, betrug 94,84 %. Dieses Ergebnis war zu erwarten, da die Natur der Tetracycline für eine solch hohe Reduktion durch ein derartiges Salzsäurebad spricht. Zum einen lösen sich die Tetracycline bei niedrigen pH-Werten besser aus den Chelat-Komplexen, in denen sie im Knochen gebunden vorliegen (OTTEN 1975, KÜHNE u. EBRECHT 1993). Dieses Phänomen macht man sich auch zunutze bei der Extraktion der Tetracycline aus Knochenproben im Rahmen der Aufbereitung der Proben für die HPLC-Untersuchung.

Zum anderen geht während der Mazeration der mineralische Anteil des Knochens, das Calciumphosphat, in Lösung (SCHRIEBER 1988). Die Tetracycline liegen aber im Knochen vorwiegend an das Calcium gebunden vor (MILCH et al. 1957, BUYSKE et al. 1960), so dass nachvollziehbar ist, dass mit Herauslösung des Calciums aus dem Knochen auch die daran gebundenen Tetracycline entfernt werden.

Der zweite grundlegende Produktionsschritt, die Extraktion, führte im Mittel zu einer Reduktion der Tetracycline von 50,10 % bezogen auf die Tetracyclin-Konzentration im Ossein bzw. 4,68 % bezogen auf die Tetracyclin-Konzentration im Knochen.

Bezogen auf die mittlere Reduktion während des gesamten Produktionsprozesses ergab sich für die Extraktion ein Anteil von 5,16 %.

Bei der Gelatine-Extraktion wird die Gelatine gleichsam aus dem Ossein ausgeschmolzen (SCHRIEBER 1988). Offensichtlich werden dabei die restlichen im Ossein vorhandenen Tetracyclin-Rückstände zumindest zum Teil zusammen mit dem kollagenen Eiweiß ausgeschmolzen und verbleiben nicht -wie aufgrund der Natur der Tetracycline zu vermuten war- in der Matrix gebunden. Betrachtet man die Pharmakokinetik der Tetracycline, so fällt auf, dass sie im Organismus zu einem Anteil von 25 % bis 80 % an Proteine gebunden vorliegen (KROKER et al. 1996). Es ist also durchaus anzunehmen, dass sie im Knochen neben der starken Bindung an zweiwertige Ionen auch Bindungen eingehen mit Proteinen wie zum Beispiel dem Kollagen des Knochens bzw. des Osseins. Legt man diese Annahme zugrunde, liegt die Erklärung für die Tatsache, dass die Tetracycline zusammen mit dem kollagenen Eiweiß aus dem Ossein ausgeschmolzen werden, auf der Hand.

Bei der Berechnung der mittleren Anteile der Mazeration und der Extraktion an der Tetracyclin-Reduktion während des gesamten Produktionsprozesses wurde die handwerkliche Methode nicht einbezogen, da hier der einzige Produktionsschritt die Extraktion war (vgl.

3.1.2.5). Durch diesen Vorgang kam es bei der handwerklichen Methode zu einer mittleren Reduktion der Gesamt-Tetracyclin-Konzentration von 95,36 %, d.h. 4,64 % des ursprünglichen Tetracyclin-Gehaltes wurde zusammen mit dem kollagenen Eiweiß ausgeschmolzen. Im Vergleich zu den anderen Methoden mit chemischer Vorbehandlung verblieb hier also ein weitaus größerer Anteil der Tetracycline im Ausgangsmaterial.

Es stellt sich die Frage, warum die prozentuale Tetracyclin-Reduktion bei diesem Verfahren ohne chemische Vorbehandlung so hoch war bzw. warum bei der Gelatine-Extraktion nur ein

solch geringer Anteil der im Knochen befindlichen Tetracycline mit der Gelatine ausgeschmolzen wurde. Diese Frage kann nicht abschließend geklärt werden, eine Erklärungsmöglichkeit ist im folgenden dargestellt. Hierbei handelt es sich allerdings nur um ein Denkmodell, das anhand der hier durchgeführten Versuche nicht bewiesen werden kann.

Es scheint so zu sein, dass der chemische Aufschluss zu einer Veränderung der Strukturen in der Art führt, dass die Tetracycline bei der anschließenden Extraktion leichter ausgeschmolzen werden. Nach CROOME und CLEGG (1965) kommt es während der Mazeration zu einer teilweisen Säurehydrolyse des Kollagens, d.h. die langkettigen Peptide werden unter Abspaltung von Wasser in kürzere Bestandteile zerlegt. Durch diesen Prozess werden mehr Bindungsstellen an den Peptiden frei, z.B. für Tetracycline. Es ist also folgendes Modell denkbar: durch die Mazeration werden die kollagenen Eiweiße zu einer verstärkten Bindung von Tetracyclinen befähigt. Gleichzeitig werden die Tetracycline bei niedrigen pH-Werten in verstärktem Maße aus ihren Chelat-Komplexen gelöst (KÖRNER 2000) und können somit eine Proteinbindung eingehen. Sie verbleiben bis zur Gelatine-Extraktion gebunden an das Kollagen und finden sich daher in der Gelatine wieder. Da dieser Prozess bei der handwerklichen Methode nicht stattfindet, verbleiben die Tetracycline hier gebunden in Calcium-Chelat-Komplexen und werden nur in sehr geringem Maße mit der Gelatine ausgeschmolzen.

5.2.2.3 Ergebnisse der Untersuchung der Eigenkontrollproben

Die Untersuchung der Eigenkontrollproben erbrachte nur bei den Knochenproben ein positives Ergebnis. Sowohl in der vor Ort entnommenen Frischprobe als auch in der Rückstellprobe aus dem Kontroll-Labor konnten mit 1,29 mg/kg bzw. 3,63 mg/kg hohe Tetracyclin-Konzentrationen nachgewiesen werden. Dieses Ergebnis verdeutlicht, dass selbst bei willkürlicher Auswahl des Ausgangsmaterials für die Gelatineherstellung, d.h. ohne vorherige Auswahl positiver Knochen mittels UV-Licht, eine Tetracyclin-Belastung der Knochen die Regel zu sein scheint.

Bei der Untersuchung der Ossein- und Gelatineproben aus dam alkalischen und aus dem sauren Aufschlussverfahren konnten keine Tetracyclin-Rückstände nachgewiesen werden.

Im Unterschied zur labormäßigen Herstellung scheint bei der industriellen Herstellung die Mazeration bereits ausgereicht zu haben, zu einem Zwischenprodukt zu führen, welches frei von nachweisbaren Tetracyclin-Rückständen ist. Zu berücksichtigen ist hierbei allerdings, dass es sich bei den Eigenkontrollproben um sehr geringe Probenanzahlen handelte (eine Stichprobe pro Produktionsstufe), so dass das Ergebnis nicht als repräsentativ bezeichnet werden kann. Zum anderen war es aufgrund der Gegebenheiten vor Ort und der zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich, Proben eines kompletten Produktionsprozesses zu nehmen, d.h. die Proben stammten aus verschiedenen Produktionslinien. Dadurch ist es nicht möglich, eine Aussage zu treffen über die prozentuale Reduktion der Tetracyclin-Konzentrationen. Es ist denkbar, dass das entnommene Ossein aus einer Charge Knochen hergestellt wurde, die nicht oder nur in geringem Maße mit Tetracyclinen belastet war.

Um eine endgültige Aussage treffen zu können, müssten Probennahmen in größerem Umfang durchgeführt werden, wobei sichergestellt werden sollte, dass diese Proben jeweils aus einer Produktionslinie stammen.