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3  Ausstattung und Zustand des Natura 2000-Gebiets

3.3  Lebensstätten von Arten

3.3.5  Eremit (Osmoderma eremita) [*1084]

Erfassungsmethodik

Detailerfassung bzw. Stichprobenerfassung

Da für die Teilflächen Rot- und Schwarzwildpark Ergebnisse aus den letzten Jahren vorliegen, die im Rahmen verschiedener Projekte ermittelt worden sind, fand im Rahmen der MaP-Kartierungen dort keine erneute Aufnahme und Baumbeprobung statt, sondern es wurden ältere, vom Artmodul-Bearbeiter selbst erbrachte Daten übernommen. Vergleichbar gilt dies auch für den Bereich des Rosensteinparks, zusätzlich Berücksichtigung fanden dort jedoch weitere, im Jahr 2018 bei einer Untersuchung erfasste Brutbäume.

Im übrigen FFH-Gebiet fand im Frühjahr 2015 eine flächendeckende Begehung baumbe-standener Bereiche statt. Höhlenbäume mit zu erwartenden Großhöhlen (Starkastausbrüche, Stammhöhlungen, Astschnitte, Wipfelbrüche usw.) wurden hierbei verortet und eingemes-sen. Eine Auswahl dieser Verdachtsbäume wurde im September und Oktober 2015 beprobt:

Die Höhlungen sind mit Seilklettertechnik durch L. SIKORA erklettert worden, die obere Mulmschicht wurde durch einen saugkraftgedrosselten Industriestaubsauger mit gepufferter Auffangmechanik kurzzeitig entnommen, vor Ort auf Spuren (Larvenkot, Fragmente, Puppenwiegen) untersucht und anschließend wieder in die Höhlung zurückgegeben.

Eine Markierung der Brutbäume durch Anbringung von Natura-Plaketten (mit Aluminium-nägeln, in der Regel wegabgewandt) erfolgte nur im Greutterwald und Pfaffenwald (abgestorbene Brutbäume). In den übrigen Nachweisflächen sind die Bäume weitgehend anderweitig eindeutig markiert (Aluminiumplaketten der jeweiligen Baumkataster).

Erhaltungszustand der Lebensstätte des Eremits LS = Lebensstätte

am Natura 2000-Gebiet [%]

-- 32,59 5,17 37,76

Bewertung auf Gebietsebene B

Beschreibung

Der Eremit (Osmoderma eremita) ist eine in Deutschland und in Baden-Württemberg „stark gefährdete“ (Rote-Liste-Kategorien BW und D), Großhöhlen mit Mulmkörpern in alten Laub-bäumen besiedelnde Käferart, die in Baden-Württemberg nach aktuellem Kenntnisstand nur noch verstreut in der Rheinebene, im Mittleren Neckarraum und Filstal bis Gingen, im Kraich-gau und Tauberland, am Bodensee und im Landkreis Heidenheim vorkommt. Näheres zu Ökologie und Verbreitung ist SCHAFFRATH (2003a und 2003b) zu entnehmen.

Der Eremit als Urwaldreliktart mit enger Bindung an Großhöhlen in Altbäumen hat von Natur aus von der Tätigkeit großer Pflanzenfresser und der landschaftsgestaltenden Kraft der gro-ßen Ströme und ihrer periodischen Hochwässer und Eisgänge profitiert, die ein Mosaik lich-ter Waldbestände aufrechlich-terhalten haben. Mit der viele Jahrhunderte praktizierten Waldwei-de und Waldwei-der Schnaitelung hat Waldwei-der Mensch ein Stück weit nach Ausrottung oWaldwei-der Verdrängung der großen Pflanzenfresser bereits einen Ersatzlebensraum geschaffen. Nach der Aufgabe dieser Waldbewirtschaftungsform um 1830 und der als weiterer Nettoverlust zu sehenden Mittelwaldwirtschaft (die immerhin teilweise großkronige Eichen mit der grundlegenden

Tief-reliktär nur dort halten, wo Reste dieser Wälder in den Hoch- und damit Schattwald hinein-gewachsen waren und dort noch bis in jüngste Zeit stellenweise erhalten geblieben sind.

Mit der Naturverjüngung und der Bedrängung großkroniger Laubbäume, allen voran Eichen, die aus ehemaliger Mittelwaldstellung hervorgegangen sein dürften, besteht eine Situation für den Juchtenkäfer, die über absehbare Zeit überall dort zu einem Verlust dieser Art führen wird, wo nicht gezielt Parkwald- oder vergleichbare Waldstrukturen erhalten, gefördert und entwickelt werden, wie dies von Natur aus am besten Wisent, Wildpferd, Rothirsch und auch Biber können und konnten.

Der Rosensteinpark als Schlosspark im englischen Stil mit 1.562 in das Baumkataster der Wilhelma aufgenommenen Bäumen, davon ca. 350 Höhlenbäume und etwa 47% Anteil an Bäumen mit über 150 cm Stammumfang und der Rot- und Schwarzwildpark als ehemaliger Wildpark mit zahlreichen noch erhaltenen, aber teils stark eingewachsenen bis 600-jährigen Huteeichen und -buchen sind derzeit die Hauptvorkommensgebiete der Art im Gebiet. Für den Rot- und Schwarzwildpark sind in den letzten Jahren ca. 5.000 Baumveteranen und

„Anwärterbäume“ durch die FH Rottenburg im Auftrag des RP Stuttgart aufgenommen und markiert worden, darunter befinden sich ca. 1.900 Baumveteranen mit Höhlungen.

Im Rot- und Schwarzwildpark konnten 50 Brutbäume verortet werden, diesen stehen aktuell mindestens 108 Verdachts- und Potenzialbäume gegenüber. Aus dem Rosensteinpark sind aktuell 22 Brutbäume bekannt.

Darüber hinaus befindet sich am Westrand des NSG Greutterwald eine abgestorbene Altei-che mit Nachweis des Eremiten, ein womöglich ehemals mit aktuellen Vorkommen im be-nachbarten Schelmenwasen (außerhalb des FFH-Gebiets) vernetzter Bereich. Die Be-standssituation im Greutterwald ist als äußerst prekär zu sehen: ein lokales und u.U. voll-ständiges Erlöschen in diesem Bereich, das mit dem einzigen, bereits abgestorbenen Brut-baum unmittelbar bevorsteht, ist die Folge nicht gegebener aktueller BrutBrut-baumnachhaltigkeit, da kaum aktuell besiedlungsgeeignete Bäume im unmittelbaren Umfeld stehen.

Ein weiteres kleines Vorkommen ist im Süden des FFH-Gebietes im Schönbuch zwischen Neuweiler und Waldenbuch dokumentiert (Kotpellet-Nachweise aus 2010). Hier konnten 2010 insgesamt sieben Brutbäume ermittelt werden, von denen vermutlich vier nur ehemals besiedelt waren. Insgesamt 40 Verdachtsbäume befinden sich im Umfeld. Eine größere Teil-fläche dieses Bereichs wird von der Deutsche Bahn AG als KohärenzTeil-fläche für den Eremiten entwickelt und wurde in das FFH-Gebiet integriert. Hier finden sich noch Reste einer ehema-ligen Hutewaldnutzung als Uralteichen sowie sehr alte Eichenbestände in dichterem Be-stand. Der Zustand wird als langfristig abnehmend eingeschätzt. Das Vorkommen steht mit einem weiteren Vorkommen im FFH-Gebiet „Schönbuch“ in Verbindung und ist daher von landesweiter Bedeutung.

Überwiegend werden im Gebiet Eichen, selten Buchen besiedelt (Rot- und Schwarzwild-park), im Rosensteinpark außerdem Linden, Platanen, Eschen, Schwarzpappel, Schwarz-nuss und weitere Baumarten. Es befinden sich im Rot- und Schwarzwildpark mit Pfaffenwald sowie im Rosensteinpark eine erhebliche Zahl zusätzlicher Verdachtsbäume und vermutlich auch eine nennenswerte Zahl bisher unbekannter Brutbäume. Dies ändert jedoch weder die Einstufung der Gesamtpopulation noch die Gesamtwertung der Beeinträchtigungen.

Die sonstigen Wälder im Gebiet werden im Gegensatz zu den beiden historischen Parkanla-gen regulär forstlich bewirtschaftet und weisen daher nur wenig aktuell besiedelbares Poten-zial für diesen Mulmhöhlen bewohnenden Käfer auf. Einige verstreute Bäume wurden hier beprobt, jedoch nicht als Verdachtsbäume erfasst, da sie ohne Nachweis blieben und fernab bekannter Vorkommen stehen.

Der Zustand der Population im FFH-Gebiet ist gesamt mit gut - Wertstufe B zu werten: 76 Brutbäume besiedelt, der Nachweis vereinzelter Larven (explizit nicht Ziel der Beprobung) und z.T. größere Mengen frischer Kotpellets würden eine Wertung als ‚sehr gut‘ rechtferti-gen, die aktuelle Situation im Greutterwald und bei Neuweiler sowie die Isolierung der

Erfas-sungseinheiten und teilweise auch der Brutbäume voneinander lässt aber die Wertung mit

„gut“ sinnvoll erscheinen.

Obwohl die aktuelle Population im Rotwildpark mit 50 Brutbäumen groß ist, überwiegen hier die Beeinträchtigungen (s.u.).

Die Habitatqualität ist abgesehen von den ungünstigen Verhältnissen im Greutterwald und bei Neuweiler aktuell in den Erfassungseinheiten insgesamt als noch günstig – Wertstufe B zu werten: Der überwiegende Anteil der Brutbäume und ebenso der Verdachtsbäume hat einen Stammdurchmesser >60cm. Sie sind jedoch im Rot- und Schwarzwildpark überwie-gend bereits sehr alt und nur bedingt als vital einzustufen. Im Rosensteinpark ist die Habitat-qualität gemäß bundesweitem Bewertungsschema als sehr gut zu bewerten unter der An-nahme, dass viele der rund 350 im Baumkataster erfassten Höhlenbäume bereits aktuell eine grundsätzliche Habitateignung für die Art aufweisen und somit als Verdachts- oder Po-tenzialbäume eingestuft werden können oder mittelfristig diese Habitateignung entwickeln werden.

Bereichsweise ist die Vernetzung der Brutbäume innerhalb der Erfassungseinheiten zweifel-haft, da sie zumeist von bedrängender Sukzession abgeschirmt werden, die einem Aus-tausch genauso hinderlich entgegensteht wie eine zu weite Entfernung voneinander. Als po-sitiv muss eindeutig die bisherige Erhaltung der Altbäume und stellenweise ihre begonnene Freistellung im Rotwildpark erwähnt werden sowie die inzwischen altbaumschonende Be-handlung der Bäume im Rosensteinpark.

Die Beeinträchtigungen müssen insgesamt als stark – Wertstufe C bewertet werden: Obwohl eine große Zahl aktuell besiedelbarer Bäume im Großteil der Erfassungseinheiten bereit-steht, sind diese ebenso wie die Brutbäume zum Teil sehr alt und überwiegend gleichaltrig.

Insbesondere im Rot- und Schwarzwildpark werden die meisten Brut- und Verdachtsbäume sowie die meisten Potenzialbäume kurz- bis mittelfristig innerhalb eines relativ schmalen Zeitfensters ausfallen.

Truppweise, vor allem im Schwarzwildpark, sind mittelalte Eichen und andere Laubbäume vorhanden; als kleinkronige Bestandsbäume werden sie jedoch nicht die Voraussetzungen künftiger Brutbäume erfüllen. Sukzession durch Einwachsen der Alteichen und in den Wald-flächen des FFH-Gebiets praktizierte reguläre Forstwirtschaft auf der ganzen Waldfläche als

„Schattwaldbewirtschaftung“ zur Erzielung langschäftiger kleinkroniger Bäume, wo nicht spe-zielle Baumpflegemaßnahmen getroffen werden (vereinzelt in Parkwaldflächen des Rotwild-parks), stehen den Erfordernissen des Eremiten entgegen.

Verbreitung im Gebiet

Für den Eremiten wurden vier voneinander räumlich weit getrennte Erfassungseinheiten in den Bereichen Bereich Rotwildpark, Rosensteinpark, Schönbuch bei Neuweiler und Greutterwald abgegrenzt. Darüber hinaus befinden sich über das Gebiet verteilt nur sehr wenige Höhlenbäume und wegen der räumlichen Entfernung zu Vorkommen kaum ggf.

künftig besiedlungsgeeignete Bäume.

Bewertung auf Gebietsebene

Das FFH-Gebiet beherbergt wichtige zahlenstarke baden-württembergische Vorkommen des Eremiten. Das FFH-Gebiet stellt einen in jeder Hinsicht, räumlich und populationsmäßig zentralen baden-württembergischen Fundort des Eremiten dar, der an der historischen Ausbreitungsschiene Neckar liegt, in dessen Einzugsbereich auch heute noch vereinzelte unbekannte Streuvorkommen zu erwarten sind. Auch als denkbare Spenderfläche und Ausgangspunkt anzustrebender Vernetzungen ist das Gebiet extrem wichtig. Das Vorkommen ist auch daher von überragender landesweiter, wenn nicht bundesweiter Bedeutung.

Dennoch ist mit Ausnahme des Rosensteinparks (lichte Parksituation mit frei zufliegbaren

rechnen (mehr oder weniger gleichaltrig hohes Bestandesalter der Brut- und Verdachts-bäume, Sukzession, Habitatbäume entstehen unter aktuellen Hoch- und Schattwald-Bedingungen nicht). Die lastenden Beeinträchtigungen bedingen eine drohende gravierende Verschlechterung des Erhaltungszustands auf Gebietsebene, die aktuellen Populationen der Teilgebiete sind zudem nicht untereinander vernetzt. Aus landesweiter Sicht wird der aktuelle Zustand bei der Bewertung stärker gewichtet, wodurch die LUBW aufgrund der großen Population und der aktuellen Habitatausstattung die Gesamtbewertung als gut (Erhaltungs-zustand B) einschätzt, bei akut drohender Verschlechterung.