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Die Entwicklung der Sprachwahrnehmung und ihre Auswirkung auf den Erwerb sprachlicher

Im Dokument DIPLOMARBEIT / DIPLOMA THESIS (Seite 27-30)

4. Verknüpfungspunkte zwischen dem Hörprozess, der Sprache und unterschiedlichen

4.1. Die Entwicklung der Sprachwahrnehmung und ihre Auswirkung auf den Erwerb sprachlicher

Die Entwicklung auditiver Wahrnehmungsfähigkeiten lässt sich aufgrund der Tatsache, dass auch die Entwicklung des Hörorgans bereits in der dritten Schwangerschaftswoche einsetzt, bereits äußerst früh konstatieren, ihre Bedeutung in Bezug auf nahezu alle Bereiche spracherwerbsspezifischer Prozesse nimmt auch im weiteren Verlauf der Entwicklung nicht im Geringsten ab. In vorliegendem Teilbereich werden zunächst jene Prozesse herausgearbeitet, die das auditive Erkennen und Interpretieren sprachlicher Äußerungen in frühen Entwicklungsphasen ermöglicht.54

Die anatomische Voraussetzung, also die Entwicklung des Hörorgans bildet sich bereits nach den ersten Schwangerschaftswochen allmählich aus. Ab dem vierten Schwangerschaftsmonat lassen sich erste Reaktionen auf vorgeburtliche Gespräche klar identifizieren. Bei der Geburt eines Kindes ist das Hörorgan bereits vollständig entwickelt und es ist dem Kind möglich, auf Hörerfahrungen der letzten Schwangerschaftsmonate zurückzugreifen.55 Die Lautwahrnehmung beginnt sich innerhalb des fünften und sechsten Monats an herauszubilden, dicht gefolgt von ersten Fähigkeiten zur Lautunterscheidung. Folglich vollziehen sich Sprachlernprozesse bereits intrauterin, weshalb Neugeborene über die Fähigkeit zur kategorialen Lautwahrnehmung verfügen, auch wenn sich diese innerhalb der ersten Lebensmonaten noch erweitern. Dessen ungeachtet, lässt sich jedoch festhalten, dass der Wahrnehmungsapparat eines Kindes bereits von Geburt an auf sprachliche Kontraste sensibilisiert ist. Darüber hinaus konnte mithilfe elektroenzephalografischer Untersuchungen nachgewiesen werden, dass Kinder rhythmisch-intonatorische Regelmäßigkeiten der Sprache von Geburt an wahrzunehmen und folglich die vorherrschenden Betonungsmuster der

53 Vgl. Calvin; Ojemann: Einsicht ins Gehirn. S. 228-229.

54 Vgl. Müller: Psycholinguistik – Neurolinguistik. S. 43-45.

55 Vgl. Günther: Sprache hören – Sprache verstehen. S. 32-33.

23 Zielsprache erkennen. Bereits vor dem sechsten Lebensmonat ist es dem Kind möglich, Satzgrenzen aufgrund prosodisch-rhythmischer Merkmale zu identifizieren.56 Bis zum zwölften Lebensmonat verfügen Kinder über eine Art universelle lautliche Diskriminationsfähigkeit, eine weitere Besonderheit der menschlichen Sprachfähigkeit, wodurch ihre Sensibilität für sprachrelevante akustische Signale dem Erwerb einer jeden Sprache zugutekommen kann. Im Laufe ihrer weiteren Entwicklung stellen sie sich jedoch allmählich auf die lautlichen Gegebenheiten ihrer Erstsprache ein, schärfen ihre Diskriminationsfähigkeiten also dahingehend, dass sie vermehrt in der Lage sind, sprachspezifische Betonungsmuster ihrer Erstsprache und die damit einhergehenden Wortgrenzen eindeutig zu erkennen.57 Das allgemeine Wahrnehmungsvermögen für lautliche Sprachreize schwindet im Rahmen dieses

„Schärfungsprozesses“ nicht, sondern die Diskriminationsfähigkeit wird für sogenannte

„phonemdistinktive“ Kontraste, also für bedeutungsunterscheidende Laute der Erstsprache ausgebaut.58 Ein besonderer Fokus gilt auf die Entwicklung der sogenannten phonologischen Bewusstheit zu richten, da der erfolgreiche Erwerb sprachlicher Kompetenzen, insbesondere im schriftsprachlichen Bereich, maßgeblich durch die Fähigkeit determiniert wird, Sprache auditiv wahrnehmen und einzelne Phoneme aus dem gesprochenen Wort herauszulösen zu können. Die Fähigkeit, Sprache in ihre spezifischen Einheiten zu zergliedern, Laute zu identifizieren und zu analysieren, bildet folglich die Grundlage für den späteren Schriftspracherwerb, da hierfür das erfolgreiche Zuordnen von auditiv zu visuell wahrnehmbaren Sprachelementen notwendig ist. Hierbei handelt es sich um kognitiv gesteuerte Lernprozesse, die nicht vorausgesetzt werden dürfen. Folglich bedarf es einer bewussten Förderung der phonologischen Bewusstheit, um den Schriftspracherwerb bestmöglich einleiten und unterstützen zu können.59

Vor dem Schriftspracherwerb lassen sich jedoch noch weitere Etappen der frühkindlichen Sprachentwicklung differenzieren, die es zugunsten des Verständnisses vorliegender Untersuchungsthematik kursorisch zu skizzieren gilt. Mit Beginn des siebten Lebensmonates ist es dem Kind beispielsweise allmählich möglich, Wortgrenzen festzustellen und sprachliche Äußerungen bereits in ihre Einzelkomponenten zu zergliedern. Die Entwicklung der Segmentierungsfähigkeit geht mit der Fähigkeit des Kindes einher, sein konzeptuelles Wissen mit unterschiedlichen lautlichen Sprachsignalen zu verbinden. Zwischen dem neunten und dem zwölften Lebensmonat kommt die Fähigkeit hinzu, andere Informationsquellen heranzuziehen,

56 Vgl. Karnath; Thier (Hg.): Kognitive Neurowissenschaften. S. 440-441.

57 Vgl. Bremer: Spracherwerb – Vielfältige Perspektiven gefragt. S. 346.

58 Vgl. Müller: Psycholinguistik – Neurolinguistik. S. 49.

59 Vgl. Günther: Sprache hören – Sprache verstehen. S. 47-48.

24 die der Worterkennung und der Analyse von unbetontem Sprachmaterial dienen. Folglich lässt sich zusammenfassend festhalten, dass ein Mensch bereits im Laufe seiner ersten Lebensmonate aufgrund auditiver Wahrnehmungsprozesse das Lautvokabular und die Betonungsmuster seiner Erstsprache erwirbt.60 Das Hörvermögen schafft folglich die Basis für die Entwicklung sprachlicher Fähigkeiten und determiniert sowohl die Lautrezeption als auch die Lautproduktion. Ohne intaktem Hörvermögen würde der Säugling mit Sicherheit beginnen, die Produktion von Lauten allmählich einzustellen. Zusätzlich ist eine spezifische Sprachform, die sogenannte „Motherese“, ausschlaggebend für den erfolgreichen Spracherwerb. Es handelt sich hierbei um eine kindergerechte Sprache, die vom sozialen Umfeld in der frühkindlichen Entwicklungsphase angewandt wird, um mit Kindern zu kommunizieren. Diese Sprachform zeichnet sich durch eine Vielfalt an unterschiedlichen Merkmalen aus, beispielweise durch äußerst vereinfachte syntaktische Strukturen oder durch eine spezifische Wortbetonung und Sprachmelodie, Merkmale, die das auditive Aufmerksamkeitsvermögen der Kinder steigern.

Mit zunehmender sprachlicher Kompetenz wird die kindergerechte Sprache schrittweise von sprachlich ausgereifteren Strukturen abgelöst.61

Das Erkennen sogenannter Funktionswörter einer Sprache ist ebenfalls äußerst früh in der Entwicklung möglich, weshalb grammatische Strukturen einer Sprache problemlos erworben werden können. Damit einhergehend wächst die Sensibilität für die Konstituentenstruktur von Sätzen und die interne Wortstellung. Innerhalb der Spracherwerbsforschung wird das erste Lebensjahr als äußerst heikle Phase charakterisiert, in der eine verlangsamte Reizleitung, eine Verzögerung der Sprachentwicklung nach sich ziehen kann. Diese Tatsache zeugt unter anderem von der enormen Relevanz auditiver Wahrnehmungsprozesse für den weiteren Spracherwerb. Ein umfangreiches rezeptives Sprachwissen in allen grammatischen Bereichen lässt sich zwischen dem zweiundzwanzigsten und vierundzwanzigsten Lebensmonat konstatieren. Die rasante Entwicklung der Sprachfähigkeiten eines Kindes ist insbesondere auf die hohe Sensibilität in Bezug auf lautliche Impulse zurückzuführen.62 Folglich sind es die rezeptiven Sprachfähigkeiten, die zu Beginn der Sprachentwicklung überwiegen, in dieser Zeit ist es einem Kind möglich, dreißig bis vierzig Wörter aktiv zu produzieren, zweihundert bis dreihundert hingegen rezeptiv zu verarbeiten und zu verstehen. Der passive Wortschatz ist folglich zu Beginn der Sprachentwicklung weitaus umfangreicher als der aktive Wortschatz, eine Diskrepanz, die sich erst ab dem vierten Lebensjahr allmählich auszugleichen beginnt.

Zusätzlich lässt sich in diesem Zeitraum die enge Beziehung zwischen Sprach- und

60 Vgl. Karnath; Thier (Hg.): Kognitive Neurowissenschaften. S. 441-442.

61 Vgl. Günther: Sprache hören – Sprache verstehen. S. 36-37.

62 Vgl. Karnath; Thier (Hg.): Kognitive Neurowissenschaften. S. 441-443.

25 Hörprozessen aufgrund der Herausbildung zweier weiterer wichtiger Lernprozesse deutlich konstatieren. Zum einen handelt es sich um die Fähigkeit, auditiv wahrgenommene Wörter mit bereits gespeicherten Klangmuster in Beziehung zu setzen und zum anderen um die Fähigkeit, die eigenen sprachlichen Äußerungen selbständig zu überprüfen. Mit diesen Fähigkeiten werden Hörkreisläufe markiert, die entweder als „interpersoneller“ Kreislauf bezeichnet werden, folglich auf die Sprache der anderen bezogen oder als „intrapersoneller“, auf die eigene Sprache bezogener Kreislauf. Diese Hörkreisläufe nehmen in Bezug auf die Weiterentwicklung und Feindifferenzierung sprachlicher Kompetenzen einen wichtigen Stellenwert ein, da sie es dem Kind ermöglichen, sprachliche Äußerungen auf ihre Korrektheit und situationsbedingte Angemessenheit hin zu überprüfen und den Erwerb ziel- und normgerechter sprachlicher Strukturen zu gewährleisten. Ab dem fünften Lebensjahr sollte ein Kind in der Lage sein, alle Laute der Erstsprache in Form von Wörtern erfolgreich zu bilden und die phonologischen Regeln des Lautsystems zu beherrschen. Von diesem Zeitpunkt an erfolgt das stetige Weiterentwickeln und Festigen der sprachlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten, die sich im Laufe der Kleinkindphase auszubilden begonnen haben.63

Der Erwerb produktiver Sprachkompetenzen weist eine ähnliche Kontinuität auf und zeichnet sich bereits in den ersten Lebensmonaten in Form einer Schreivokalisation ab. Anschließend setzt eine sogenannte „Lallphase“ ein, in der es erstmals zu der Produktion von Lauten und Lautkombinationen kommt. Darüber hinaus lässt sich im Zeitraum zwischen dem sechsten und dem zwölften Lebensmonat eine Systematisierung in Bezug auf die Wortbetonungsmuster der Zielsprache konstatieren. Von diesem Zeitpunkt an erfolgt eine enorm effiziente Entwicklung des Wortschatzes, da es zu einem kontinuierlichen Aufbau an Wortelementen kommt, dessen Höhepunkt zwischen dem achtzehnten und dem vierundzwanzigsten Lebensmonat erreicht wird. Der Syntaxerwerb vollzieht sich ebenfalls über einen längeren Zeitraum hinweg, wobei es im Bereich der Satzstrukturebene bis zum dritten Lebensjahr zu einem kontinuierlichen Erwerb syntaktischer Regeln kommt. Aufbauend auf diese Sprachkenntnisse forciert sich auch der Wissenserwerb über das unzertrennbare Verhältnis syntaktischer und semantischer Strukturen.64

Im Dokument DIPLOMARBEIT / DIPLOMA THESIS (Seite 27-30)