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Die Beziehung zwischen Kognition und Sprache

Im Dokument DIPLOMARBEIT / DIPLOMA THESIS (Seite 21-25)

3. Konstrukt Sprache

3.2. Die Beziehung zwischen Kognition und Sprache

Sprache im Sinne der Sprachtätigkeit umfasst die Fähigkeit des Menschen, nicht nur sprachliche Äußerungen wahrzunehmen, ihre Einzelaspekte zu erfassen und die damit einhergehenden Bedeutungsinhalte zu erschließen, sondern auch die Fähigkeit, eigenständige Gedanken und Assoziationen zu bilden, selbstständig sprachliche Äußerungen zu planen und zu produzieren und ebenso die Fähigkeit, die für eine erfolgreiche Sprachproduktion notwendige Muskulatur zu steuern. Es handelt sich hierbei um eine Vielzahl an Leistungen, die auf unterschiedliche Funktionen beziehungsweise Fähigkeiten des Gehirns zurückzuführen sind und auf neuronalen Anregungen innerhalb der verschiedenen Hirnareale beruhen.39 Der Versuch, jene anatomischen Strukturen im Gehirn ausfindig zu machen, die den Sprachkortex darstellen, erweist sich als äußerst schwierig und komplex, da es hierfür ebenfalls der Auseinandersetzung mit verschiedenen Störbildern und Hirnschädigungen bedürfe, um letztlich nachvollziehen zu können, welche Bereiche des Gehirns für spezifische sprachliche Funktionen zuständig sind. Das Ausbleiben verschiedener neuronaler Leistungen aufgrund unterschiedlicher Schädigungen des Gehirns, beispielsweise bedingt durch einen Schlaganfall, lässt gleichzeitig Rückschlüsse auf das „intakte“ Funktionieren des neuronalen Systems zu.40

3.2.1. Neurophysiologische Grundlagen der Sprache

Im Bestreben einen systematischen Zugang zu schaffen, bedarf es zunächst dem Anführen jener Errungenschaften, die auf den französischen Neurologen PAUL BROCA und den deutschen Psychiater CARL WERNICKE zurückzuführen sind. Diese ebneten bereits in der Mitte des 19.

Jahrhundert den Weg für die Erforschung neuronaler Grundlagen in Bezug auf unterschiedliche Sprachprozesse. Folglich trägt jenes Hirnareal, das für die Sprachproduktion zuständig ist und sich im Frontalhirn der linken Hemisphäre befindet den Namen seines Entdeckers, den Namen

38 Vgl. ebd. 16-18.

39 Vgl. Fink, Helmut: Einleitung: Die natürlichen Grundlagen der Sprache. In: Fink, Helmut; Rosenzweig, Rainer:

Neuronen im Gespräch. Sprache und Gehirn. Paderborn: mentis Verlag GmbH. 2008. S. 9.

40 Vgl. Calvin, William H.; Ojemann, George A.: Einsicht ins Gehirn. Wie Denken und Sprache entstehen. Aus dem Amerikanischen von Hartmut Schickert. München: Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG. 2000. S. 51-55.

17 des französischen Neurologen, während jenes, das im linken Schläfenlappen das Zentrum für das Sprachverstehen bildet, mit dem Namen des deutschen Psychiaters bezeichnet wird.

Heutzutage ist es auf die modernen bildgebenden Verfahren, beispielsweise die funktionelle Kernspintomographie, zurückzuführen, dass ein derart breites Wissen über jene gehirnphysiologischen Prozesse verfügbar ist, die unzertrennbar mit sprachlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten zusammenhängen.41 Mit dem Anführen der Errungenschaften des Neurologen PAUL BROCA und des deutschen Psychiater CARL WERNICKE wird häufig der Eindruck erweckt, dass eine klare Zuweisung der unterschiedlichen sprachbezogenen kognitiven Tätigkeiten auf spezifische Hirnbereiche möglich ist. Das Gegenteil ist der Fall, da die unterschiedlichen Sprachfunktionen keinesfalls ausschließlich in der linken Hemisphäre anzusiedeln sind. Im Anschluss an das auditive Wahrnehmen einer sprachlichen Äußerung bedarf es dem Erstellen eines mentalen Modells dessen, was jene Klangfolge zu repräsentieren sucht, um diese vollständig erfassen und verstehen zu können. Eine Leistung des Gehirns, die ohne zahlreiche Tätigkeiten der rechten Hemisphäre nicht möglich wäre.42 Bereits anhand dieses kursorisch umrissenen Beispiels lässt sich die komplementäre, sich optimal ergänzende Funktionsweise der Hemisphären erkennen. Aus dieser beeindruckenden „Zusammenarbeit“ beider Hemisphären des menschlichen Gehirns resultiert auch die Tatsache, dass nicht alle Hirnfunktionen, die den Erzeugungs- und Verarbeitungsprozessen der Sprache zugrunde liegen ausschließlich in einer der beiden Hemisphären zu lokalisieren sind.

Dennoch gilt festzuhalten, dass auch wenn höhere kognitive Prozesse ein sich gegenseitig ergänzendes Zusammenwirken beider Hemisphären im Rahmen einer komplementären Spezialisierung erfordern, lassen sich in Bezug auf die Sprachverarbeitungsprozesse bereits früh sprachspezifische linkshemisphärischen Verarbeitungsprozessen konstatieren, weshalb die linke Hemisphäre in Bezug auf die Verarbeitung sprachlicher Einheiten als dominant gilt.

Dies äußert sich darin, dass eine Schädigung jener sprachbezogenen neuronalen Regionen, die in der linken Hemisphäre anzusiedeln sind, höchstwahrscheinlich mit einer enormen Beeinträchtigung des sprachlichen Leistungsvermögens im Bereich der Sprachproduktion einhergeht. Schädigungen der rechten Hemisphäre wirken sich indes auf die Sprachmelodie, die Intonation und Betonung, sowie auf die Fähigkeit zur Verarbeitung bildhafter Sprache aus.

Sie rufen jedoch zumeist Störungen der Kognition hervor, die das alltägliche Leben nicht massiv zu beeinträchtigen scheinen.43

41 Vgl. Hellbrück; Ellermeier: Hören. S. 166-169

42 Vgl. Calvin; Ojemann: Einsicht ins Gehirn. S. 88-89.

43 Vgl. Müller, Horst M.: Psycholinguistik – Neurolinguistik. Die Verarbeitung von Sprache im Gehirn. Paderborn:

Wilhelm Fink GmbH & Co. Verlags-KG. S. 75-81.

18 Zusammenfassend lässt sich folglich festhalten, dass die linke Hemisphäre für die Sprachverarbeitung, die rechte Hemisphäre für die satzinterne prosodische Verarbeitung und für die Verarbeitung von Stimmhöheninformationen zuständig ist. Die erfolgreiche Verarbeitung der Satzprosodie nimmt dennoch eine tragende Rolle in Bezug auf Sprachverarbeitungsprozesse ein, da sie Intonationsgrenzen anzeigt, die wiederum auf syntaktische Phrasengrenzen hinweisen. Diese Fähigkeit, das Feststellen der Intonationsgrenzen, entwickelt sich bereits im Kleinkindalter und ermöglicht das Einteilen akustisch wahrgenommener Sprache in einzelne Phrasen.44

3.2.2. Mentales Modell – Mentales Lexikon

Einen weiteren äußerst wichtigen Aspekt hinsichtlich der Sprache und der Kognition des Menschen bilden Prozesse der Wahrnehmung, des Erkennens, der Speicherung und des Abrufens von Gedächtniseinträgen, die im Verlauf der Evolution entscheidend für das Entwickeln sprachlicher Leistungen waren. Die Sprachfähigkeit des Menschen stellt eine komplexe kognitive Leistung, die auf sprachunspezifische, grundlegende kognitive Fähigkeiten des Menschen aufbaut. Aufgrund der Tatsache, dass die Versprachlichung von Informationen zu einer noch effektiveren Informationsspeicherung im Gedächtnis führte, kam der Sprache zunehmend bedeutendere Rolle in Hinblick auf kognitive Leistungen zu. Bereits zuvor wurde anhand eines Beispiels auf die Notwendigkeit hingewiesen, ein mentales Modell zu erstellen, um sprachliche Äußerungen im Anschluss an den Hörprozess vollständig erfassen und verstehen zu können. Das Herausbilden eines mentalen Modells dient der Bedeutungszuweisung und ist ausschließlich mithilfe bereits zuvor gespeicherter Repräsentationen und Gedächtniseinträgen möglich. Zwar sind diese mentalen Repräsentationen zunächst sprachunabhängig, da ihre Versprachlichung erst die nächsthöhere Stufe markiert und nicht ihre Existenz determiniert, dennoch spielen sie eine entscheidende Rolle hinsichtlich der Produktion und Rezeption sprachlicher Äußerungen. Im Anschluss an die akustische Wahrnehmung eines Sprachsignales erfolgt wie bereits zuvor angedeutet, die Analyse und Segmentierung des Sprachsignales. Die nächste Stufe bezieht sich auf das Zuweisen einer Einheit im mentalen Lexikon, ein sich stetig erweiterndes Reservoir von Lautketten, und das Aktivieren einer konzeptuellen Bedeutung, die auf der mentalen Repräsentation basiert. Sprache ermöglicht es dem Menschen, nicht nur Objekte zu erkennen, sondern diese auch mithilfe sprachlicher Ausdrucksmittel zu bezeichnen. Ausdrucksmittel, die

44 Vgl. Friederici, Angela D.: Gehirnkorrelate sprachlicher Verarbeitungsprozesse in den ersten Lebensjahren. In:

Fink, Helmut; Rosenzweig, Rainer: Neuronen im Gespräch. Sprache und Gehirn. Paderborn: mentis Verlag GmbH. 2008. S. 189-190.

19 zusammen mit ihren Bedeutungsvarianten in der Kognition des Menschen verankert sind, sodass bereits im Laufe des Hörprozesses unter Einbezug des jeweiligen Situationszusammenhanges, der Kontextinformationen oder der individuellen Erwartungshaltungen die möglichen Wortkandidaten soweit reduziert werden, dass der Analyseprozess und die Bedeutungszuweisung noch vor dem eigentlichen Wortende abgeschlossen werden können.45

Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass nach dem Wahrnehmen einer phonologischen Einheit, die sich als Sprachsignal konstatieren lässt, das Wort zunächst im mentalen Lexikon identifiziert werden muss. Das mentale Lexikon, wie bereits zuvor erwähnt, stellt das individuelle Repertoire an Sprachwissen eines Menschen dar, das in Bezug auf die jeweiligen Worte einer Sprache vorhanden ist und auf das innerhalb von kürzester Zeit zugegriffen werden kann. Es handelt sich also um die impliziten sprachlichen Kenntnisse, die im Rahmen sprachlicher Verarbeitungsprozesse umgesetzt werden, ohne dass der Mensch sich dessen bewusst ist. Die Bedeutung des sprachlichen Signales wird daraufhin mithilfe von syntaktischen, semantischen und pragmatischen Analyseprozessen erschlossen.46

3.2.3. Aspekte frühkindlicher kognitiver Verarbeitungsprozesse von Sprache In dem Bestreben, den vorliegenden Teilbereich erfolgreich abzurunden, bedarf es der Darlegung wesentlicher Aspekte, die in Hinblick auf den Zusammenhang von Kognition und dem erfolgreichen Erfassen und Verarbeiten sprachlicher Signale relevant sind. Das Erforschen jener kognitiven Prozesse, die an der Sprachverarbeitung beteiligt sind, stellt ein äußerst umfangreiches Verfahren dar, das von elektrophysiologischen Untersuchungen und technologischen Ressourcen abhängig ist. Innerhalb der Neurowissenschaften sind diese Untersuchungen zum Teil noch im Entstehen begriffen, weshalb die jeweiligen Erkenntnisse auch nicht als vollständig angesehen werden können. Die Tatsache, dass die erste Begegnung mit Sprache mithilfe der Verarbeitung phonologischer Informationen erfolgt, steht zweifelsfrei fest. Im Bestreben, sich lexikalisches Wissen anzueignen, bedarf es zunächst der Fähigkeit einzelne Wörter aus dem Strom des Gehörten herauszulösen. Folglich sind Kenntnisse über die jeweiligen Betonungsmuster eines Wortes und über mögliche syntaktische Strukturen äußerst wichtig, um sprachliche Signale nicht nur zu erfassen, sondern diese auch erfolgreich zu verarbeiten. Im natürlichen Entwicklungsverlauf eines Kindes sollte das Wissen über die Betonungsmuster seiner Erstsprache bereits vor dem Erreichen des ersten Lebensjahres

45 Vgl. Müller: Psycholinguistik – Neurolinguistik. S. 32-40.

46 Vgl. Karnath: Kognitive Neurowissenschaften. S. 428.

20 verfügbar sein, damit die Abgrenzung unterschiedlicher Worte ermöglicht wird. Darüber hinaus entwickelt sich in dieser Zeit ein phonotaktisches „Anfangswissen“, das jedoch für die lexikalische Verarbeitung erst etwas später herangezogen werden kann. Die phonologische Vertrautheit stellt sich kurz vor dem Erreichen des ersten Lebensjahres allmählich ein und tritt im Alter von etwa zwölf Monaten in eine Wechselwirkung mit semantischem Wissen.47 Die Voraussetzungen, die das erfolgreiche Zusammenspiel zwischen Sprach- und Gehirnentwicklung bedingen, entstehen bereits in der pränatalen Phase, in der auch die Spezialisierung der beiden Hemisphären teilweise erkennbar ist. Die frühkindliche Phase ist durch die hohe Plastizität des Gehirns gekennzeichnet, wodurch bei etwaiger Schädigung, jene Hirnregionen, die im „Normalfall“ für die Steuerung der Sprachentwicklung verantwortlich sind, durch Funktionen anderer Hirnregionen kompensiert werden können. Darüber hinaus beruht die Einzigartigkeit sprachlicher Lernfähigkeit im Kindesalter, die dazu führt, dass sich der Spracherwerb vorwiegend ohne bewusste Lernanstrengung vollzieht, auf dieser hohen Plastizität des Gehirns, weshalb innerhalb der Neurowissenschaften davon ausgegangen wird, dass die sogenannte „sensible Periode“ des Spracherwerbes mit Abschluss der Hirnlateralisation gewissermaßen zu Ende geht.48

Zwar lassen sich keine eindeutigen Feststellungen hinsichtlich der Intensität der Beziehung zwischen Kognition und Sprache treffen, dennoch wird mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen, dass die Sprachentwicklung einen kontinuierlichen Prozess darstellt, der sich in quantitativer Hinsicht zu erweitern scheint.49

4. Verknüpfungspunkte zwischen dem Hörprozess, der Sprache und

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