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5.2 E NTWICKLUNG DER FRÜHEN AKUSTISCH EVOZIERTEN P OTENTIALEN DER K ATZE

5.2.3 Entwicklung der Latenzen und Interpeaklatenzen

Die Ausreifung der Kochlea und des Hörnerven hat einen Einfluß auf die FAEP der Katze. Die Verkürzung der Latenzen und der Interpeaklatenzen ist bedingt durch eine zunehmende Myelinisierung der Nervenfasern und der Verknüpfung von Synapsen (MOORE 1985). Dies ist ein maßgebliches Zeichen für den Ausreifungsgrad der zentralen Hörbahn.

Die Ausreifung der Kochlea erfolgt longitudinal von der Mitte der basalen Windung zum apikalen und basalen Ende. Trotz dieser primär zentripetalen Ausreifung der Kochlea reagieren die Tiere zu diesem Zeitpunkt eher auf langsame, niedrigere Frequenzen (EHRET u. ROMAND 1981). Dies ist zum einen bedingt durch die Filterfunktion des unreifen Mittelohres. Außerdem ist die Basilarmembran der Kochlea nach der Geburt noch weicher als bei der erwachsenen Katze, bedingt durch einen geringeren Anteil an Filamenten und einen höheren Anteil zellulärer Komponenten in der Kochlea des Katzenwelpen.

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Mehrere Autoren registrierten bereits eine Abhängigkeit der Latenzen und Interpeaklatenzen vom Lebenstag. So erwähnten JEWETT und ROMANO (1972) eine rapide Verkürzung der Latenzen bei den Katzen im Alter von 14-25 Tagen. Bei ihnen erreichte Potential I bereits am 27. Tag die Latenz des erwachsenen Tieres, während Potential IV erst nach dem 35. Lebenstag ausgereift war.

BUCHWALD und SHIPLEY (1986) stellten einen logarithmischen Abfall der Latenzen fest, der für die 1. Welle am 35. Lebenstag beendet war. Sie bemerkten weiterhin bei ihren Untersuchung der FAEP einen Gradienten in der Entwicklung der Latenzen: Die frühen Potentiale (I-IV) der FAEP reiften schneller aus als die durch weiter zentral gelegene Anteile generierte Potentiale. Die FAEP sind bei Katzenwelpen nach Untersuchungen von BUCHWALD und SHIPLEY (1986) mit 3 bis 4 Wochen ausgereift.

Auch VAN DEN HONERT und STYPULKOWSKI (1986) wiesen in ihrer Arbeit signifikante Änderungen der Latenzen nach. Die Werte der von ihnen gemessenen Latenzen der FAEP der Katze sind zusammen mit anderen Autoren in Tab. 12 dargestellt. Nach MOORE (1989) ist die Entwicklung der Latenzen mit 4 Wochen abgeschlossen, danach sind die Werte adulter Katzen erreicht.

WALSH et al. (1992) beschäftigten sich ebenfalls mit der Entwicklung von akustisch evozierten Potentialen bei der Katze. Die Latenz des Potential I ist auch bei ihnen am Anfang länger und unterliegt einer rapiden Ausreifung. Sie stellten bei ihren vom 0 - 90. Lebenstag durchgeführten Messungen in der Anfangsphase eine lineare Latenzverkürzung fest. Am 18. Lebenstag ging die Latenzveränderungen in eine zweite Phase mit exponentieller Abnahme der Latenzen über. Nach ihren Untersuchungen ist die auditorische Peripherie bei drei Wochen alten Katzenwelpen funktionell wie bei erwachsenen Tieren, die Latenzen für die frühen Potential sind mit drei Wochen im Bereich der adulten Werte. Die zentralen Anteile bleiben noch deutlich unreif.

Im Vergleich zu diesen Autoren war nach den eigenen Messungen die deutliche Verkürzung der Latenzen und Interpeaklatenzen erst mit dem 60. Lebenstag der Katzenwelpen abgeschlossen, ab dem 90. Lebenstag sind keine deutlichen Abnahmen mehr festzustellen. Dieser Intervall ist größer als der Zeitraum der

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Ausreifung der Kochlea, er entspricht der Ausreifungsphase des Hörnerven. Die zentripetale Ausreifung der Potentiale konnte durch die eigenen Untersuchungen bestätigt werden.

Durch die hohe Hörschwelle in den ersten Lebenstagen kommt es zu einer deutlicheren Verkürzung der Latenzen in den ersten Lebenstagen. Die Latenzverkürzung ist trotz ähnlichem Kurvenverlauf im ersten Lebensjahr jedoch nicht ausschließlich durch den Verlauf der Hörschwelle bedingt. Der charakteristische Verlauf ist auch bei einem konstanten dB-Wert oberhalb der Hörschwelle festzustellen (s. Abb. 17).

Für die Latenzen der Potentiale I-V läßt sich im Gegensatz zu den IPL eine deutliche Abhängigkeit vom Schalldruckpegel feststellen, die auch von WALSH et al. (1992) nachgewiesen wurde. Für Potential V ergab sich über den Meßbereich von 50 bis 110 dB SPL nach ihren Untersuchungen eine Latenzverkürzung um 0,6 ms. Dieses Ergebnis stimmt mit eigenen Meßergebnissen überein (s. Abb. 19). Für die IPL konnte dagegen nach eigenen Untersuchungen und nach FULLERTON et al. (1987) keine Abhängigkeit vom Schalldruckpegel festgestellt werden.

Die Latenzen sind abhängig von der Frequenz des verwendeten Stimulus (MOORE 1981). Die Entwicklung der Latenzen ist für die unterschiedlichen Frequenzen nicht einheitlich, die Verwendung eines Clicks ist weniger spezifisch als der Einsatz von reinen Sinustönen.

Die Position der Ableitelektroden hat nach EGGERMONT (1985) Einfluß auf die Dauer der Ausreifungsphase: Extracraniale, mittels Fernfeldtechnik gewonnene Aufnahmen zeigen eine langsamere Entwicklung und eine verlängerte Ausreifung gegenüber den intracranial, im Nahbereich gemessenen Potentialen. Dies ist bedingt durch die Ausbildung der Synchronisation der Zellen entlang der auditorischen Bahn.

Die Entwicklung der Interpeaklatenzen verläuft analog zu den absoluten Latenzen.

Im Gegensatz zu den einzelnen Latenzen ist bei den Interpeaklatenzen keine auffällige Abhängigkeit vom Schalldruckpegel nachzuweisen (s. Abb. 19).

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5.2.4 Entwicklung der Amplitude

In den ersten 60 Lebenstagen kommt es zu einem Anstieg der Amplitude. Die niedrigen Amplituden am Beginn der Meßperiode sind bedingt durch die fehlende Ausreifung und dadurch bedingte Filterfunktion des Mittelohres sowie die anfangs noch mangelhafte Compliance der Basilarmembran. Die synaptischen Verbindungen der OHC und der IHC sind ebenfalls noch nicht ausgereift, die Verstärkerfunktion der OHC ist noch nicht vollständig ausgeprägt. WALSH et al. (1986c) konnten analog zu eigenen Untersuchungen einen Anstieg aller Amplituden in der ersten 60 Lebenstagen nachweisen.

Die Amplitude wird insgesamt beeinflußt von der Stimulusintensität, bei höheren Stimuli kommt es zu einem vermehrten Recruitment von Nervenfasern und damit zu einer höheren Amplitude. Die Abnahme der Amplitude von Potential IV nach dem 60.

Lebenstag bei hohen Stimulationspegeln war bedingt durch das Konfluieren von Potential IV und V. Dies führt zu einer Anhebung des Minimalwertes von Potential IV und damit bei der Bestimmung der Amplitude (Min.-Max.) zu einer kleineren Ampitude.

Die Amplitude der einzelnen Potentiale wird außerdem beeinflußt durch die Position der Ableitelektroden (s. Abb 9). Zusätzlich hat die Applikationsart der akustischen Stimuli einen Einfluß auf die FAEP (GORGA u. THORTON 1989). Die Amplitude der einzelnen Potentiale weist insgesamt starke Schwankungen auf, die Amplituden sind weniger stabil als die Latenzen oder Interpeaklatenzen.

5.3 Erkennen von Taubheit

Eine vollständige Taubheit kann meist bereits durch eine Verhaltensuntersuchung festgestellt werden. Eine sicherere und objektive Meßmethode ist die Messung von akustisch evozierten Potentialen. Die ERA ist vor allem zur definitiven Diagnose einseitiger Taubheit oder ein- bzw. beidseitiger Schwerhörigkeit erforderlich (STRAIN 1991).

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Nach unseren Untersuchungen von experimentell ertaubten Katzen und klinischen Patienten läßt sich eine Schwerhörigkeit oder Taubheit mit Hilfe der Messung von FAEP sehr gut diagnostizieren. Die charakteristischen Veränderungen (Anhebung der Hörschwelle, Verminderung der Amplitude, Verkürzung der Latenzen und untypisches Ausehen der Potentiale) ermöglichen eine leichte Unterscheidung von hörenden Katzen und Tieren mit einer Hörstörung.

Eine diagnostizierte Hörstörung kann dabei verschiedenen Ursachen haben. Bei weißen Katzen handelt es sich mit großer Wahrscheinlichkeit um eine angeborene Taubheit. Diese genetisch determinierte Hypopigmentation führt im Innenohr zur epitheliosensorischen oder neuroepithelialen Degeneration und damit zu einem kochleären Hörschaden, der bereits in der ersten Lebenswoche elektrophysiologisch nachgewiesen werden kann (REBILLARD et al. 1981a).

Auch die lokale oder systemische Applikation von ototoxischen Medikamenten kann zu einem kochleären Hörschaden führen (MOUNT et al. 1991; MANSFIELD 1990, MAIR 1979). So wurde z.B. für die experimentelle Ertaubung der Katzen in Gruppe 2 das zu den Aminoglykosiden zählende Antibiotikum Neomycin eingesetzt. Es schädigt in erster Linie die basal gelegenen Haarzellen durch Blockierung der Ionenkanäle in der Zellmembran und führt so zu einer anfänglichen Hochtonschwerhörigkeit, die sich später ausbreitet und zur vollständigen Taubheit führt.

Bei klinischen Patienten kann bei älteren Tieren auch eine Altersschwerhörigkeit (Presbyakusis) Ursache für veränderte FAEP sein. Es kommt hierbei zur Degeneration der basalen Windung der Kochlea (Hochtonschwerhörigkeit) (MAIR 1979) sowie zur Atrophie des Spiralganglions (FAITH 1979). Auch eine Leitungsschwerhörigkeit durch eine Otitis externa/media oder altersbedingte Verknöcherung des Mittelohres sind möglich (ROSE 1977c).

Auch wenn mit der Messung der FAEP eine eindeutige Diagnose der Taubheit möglich ist, so ist deshalb zur Ermittlung der genauen Taubheitsursache eine ausführliche anamnestische Untersuchung der Katze notwendig.

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