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Entstehung des Logogen-Modells und Sprachverarbeitung bei Erwachsenen

4. Aktueller Forschungsstand zur Therapie von Lese-Rechtschreib-Störungen

4.3 Das Logogen-Modell und seine Erweiterungen

4.3.1 Entstehung des Logogen-Modells und Sprachverarbeitung bei Erwachsenen

Das ursprüngliche Modell von Morton beschreibt Prozesse der Sprachverarbeitung von monomorphematischen Wörtern und ist modular aufgebaut. Anfänglich sprach sich Morton für ein einziges Logogensystem aus (siehe Abbildung 6), revidierte seine Mei-nung nach einigen Experimenten jedoch wieder und postulierte dann, wie in Abbil-dung 7 ersichtlich, drei getrennte Logogensysteme (Morton 1980, 118).

Er nahm dabei an, dass die verschiedenen Teilschritte bei der Verarbeitung von Sprache jeweils von einem spezifischen kognitiven Teilsystem (Modul) ausgeführt werden. Auf der Grundlage von Beobachtungen der Sprache hirnverletzter Menschen konnte die Annahme aufrechterhalten werden, dass die einzelnen Module im Modell unabhängig voneinander arbeiten und auch unabhängig voneinander beeinträchtigt sein können.

Bei Störungen in einer Komponente bestehen also nicht zwangsläufig auch Beeinträch-tigungen in einer anderen Komponente (Stadie & Schröder 2009, 18).

Abb. 6: Frühe Version des Logogen-Modells (Morton 1969, 166)

Abb. 7: Überarbeitete Version des Logogen-Modells (Morton 1980, 122) Die Logogensysteme sind nach Morton Langzeitspeicher, welche sogenannte Logogene enthalten. Jedes Wort oder Morphem wird durch ein Logogen repräsentiert. Logogene sind dabei abstrakte Einheiten die Informationen aus sensorischen Analyse-Systemen sammeln können. Ab einer bestimmten Menge an Informationen wird ein Schwellen-wert überschritten, sodass daraufhin ein bestimmtes Logogen aktiviert wird. Das

Logogen gibt dann eine spezifische Reaktion frei, sodass Informationen über die Form des Wortes weitergegeben werden (Morton 1969, 165).

Bei Morton ist das kognitive System noch sehr weit gefasst. Es übernimmt alle übrig gebliebenen Aufgaben, die von keiner anderen Komponente vertreten werden. Ellis und Young differenzierten die Begrifflichkeiten und Komponenten weiter aus, indem sie 1988 das Model so veränderten, dass nun vier Lexika und ein zentrales semantisches System bestanden (siehe Abbildung 8). Während in den Lexika Wissen über die Wort-formen gespeichert sein sollte, wurde angenommen, dass im kognitiven System das Wissen über die Wortbedeutungen abgelegt sei (Ellis & Young 1996).

Abb. 8: Erweiterung des Logogen-Modells (Ellis & Young 1996, 222)

Im Folgenden wird die Verarbeitung von Sprache in dem Modell nach Ellis und Young anhand der einzelnen beteiligten Komponenten dargestellt.

Nach den Autoren werden gehörte Klänge zunächst im auditiven Analyse-System (1) überprüft. Es findet eine Entscheidung darüber statt, ob überhaupt Sprache vorliegt oder es sich um nicht-sprachliche Geräusche handelt. Das auditive Analyse-System ist in der Lage, unabhängig von Akzenten, Stimmlagen, Sprechgeschwindigkeiten und Hintergrundgeräuschen die Sprachlaute herauszufiltern und zu identifizieren. Im phonologischen Input-Lexikon (2) werden bereits einmal gehörte Wörter

wiederer-kannt. Zu den bereits bekannten Wortformen kann über das semantische System (4) die Wortbedeutung abgerufen werden (Ellis & Young 1996, 223). Soll das Wort laut ausge-sprochen werden, wird im phonologischen Output-Lexikon (8) nach der entsprechen-den Wortform gesucht. Kann auf das semantische System nicht zugegriffen werentsprechen-den oder gibt es dort keinen Eintrag, kann das phonologische Output-Lexikon auch direkt von dem phonologischen Input-Lexikon aus angesteuert werden (13). Das Wort würde dann nachgesprochen werden ohne dass der Sprecher die Bedeutung versteht. Auf dem Phonem-Level (9) werden bedeutungsunterscheidende Einheiten des Lautsystems, also Phoneme, vorgehalten. Bei späteren Weiterentwicklungen des Models wird diese Ebene als phonologischer Output-Buffer bezeichnet. Es ist ein Kurzzeitspeicher, der Informatio-nen für die später folgende weitere Verarbeitung bereithält (Ellis & Young 1996, 224 ff.).

Sind alle Informationen vorhanden schließt sich die Phase der motorischen Planung an und das Wort wird laut ausgesprochen. Das ausgesprochene Wort kann wiederum akustisch wahrgenommen (12) und über die auditive Analyse erneut verarbeitet werden (Ellis & Young 1996, 226). Wird ein unbekanntes Wort wahrgenommen (11) und soll nachgesprochen werden, so wird es von der auditiven Analyse direkt zum Phonem-Level weitergeleitet. Diese Route wird vor allem von Kindern während des Spracher-werbs genutzt, um zum Beispiel die Bedeutung unbekannter Wörter von Erwachsenen zu erfragen (ebd.).

Analog zur auditiven Sprachverarbeitung werden die genannten Komponenten auch in Bezug auf die Schriftsprachverarbeitung angenommen. Die visuelle Analyse (5) er-kennt, ob es sich bei dem Geschriebenen um Buchstaben handelt oder um nicht-sprachliche Symbole. Unabhängig von der Größe des Buchstabens, der Schriftart oder der Handschrift wird ein bestimmter Buchstabe identifiziert und erkannt, an welcher Position im Wort sich der Buchstabe befindet. Außerdem werden Buchstaben, die zu demselben Wort gehören, in eine Einheit eingruppiert. Ist das Wort im graphemati-schen Input-Lexikon (6) gespeichert, also ein bereits bekanntes Wort, kann über das semantische System (4) wieder die Wortbedeutung abgerufen werden (Ellis & Young 1996, 224). Ist das Wort auch im graphematischen Output-Lexikon gespeichert (18) wird es zum Graphem-Level (19) weitergeleitet.

Ist das schriftlich wahrgenommene Wort nicht bekannt, kann zwar die Wortbedeutung nicht abgerufen, das Wort aber dennoch laut gelesen werden. Dazu werden die Gra-pheme in Phoneme umgewandelt (15) und zur Weiterverarbeitung an das Phonem-Level weitergegeben. Diese Route wird von Erwachsenen nur selten beim Lesen

ge-nutzt, z. B. beim Lesen von unbekannten Fremdwörtern. Kinder im Schriftspracherwerb werden diese Route intensiver nutzen, da ihnen viele geschriebene Wörter noch unbe-kannt sind (Ellis & Young 1996, 227).

Ellis und Young nehmen außerdem eine direkte Route von der visuellen Analyse zum Graphem-Level an (23). Dieser Verarbeitungsweg würde zum Beispiel beim Lesen und Abschreiben unbekannter Wörter genutzt werden. Diese Route wird in späteren Model-len (Brandenburger & Klemenz 2009, 42; Stadie & Schröder 2009, 19; Costard 2011b, 38) verworfen.

Nach dem Graphem-Level, auf dem die Buchstaben kurzzeitig gespeichert werden bis alle Informationen vorhanden sind, folgt bei der Verarbeitung nach Ellis und Young das Allograph-Level (20). Die Grapheme werden hier ihren Allographen zugeordnet und die Buchstabenformen werden räumlich repräsentiert. Danach folgt eine Ebene, die einen Speicher für graphematische Bewegungsmuster (21) darstellt. Die einzelnen Bewegungen, die für das Schreiben der Buchstaben benötigt werden, sind hier langfris-tig abgespeichert (Ellis & Young 1996, 228).

Analog zu den Output-Buffern, die auch Ellis und Young schon postulierten (Phonem-Level und Graphem-(Phonem-Level), wurden dem Logogen-Modell in einigen Erweiterungen unter Berücksichtigung von Modellen zum Gedächtnis später auch Input-Buffer zwi-schen den Analyse-Systemen und den Input-Lexika hinzugefügt (Brandenburger &

Klemenz 2009, 42; Stadie & Schröder 2009, 19; Costard 2011b, 38). Aktuell wird zudem diskutiert, ob das Kurzzeitgedächtnis nicht eher auf allen Ebenen der Sprachverarbei-tung involviert ist, indem bei allen Komponenten die Zwischeninformationen durch Aktivierung aufrechterhalten werden müssen. Unklar ist, ob dies in separaten Systemen geschieht oder innerhalb des gleichen Systems (Blanken et al. 2011, 11).

4.3.2 Weiterentwicklung des Logogen-Modells: Leseerwerb bei Kindern