sie liebt die intensive Kürze in
dem, was man
ihre feuerfarbene Augenblicklichkeitnennen
könnte,denn
in derTat
sind es jetzt die Augenblickssituationen des Lebens, dasmomentane Aussehen
der Natur,was
Dichtungund
Malerei uns ver-mitteln wollen. Ehrlichkeitund Treue
wird der Künstler natürlichimmer
haben; aber künstlerische Ehrlichkeit ist bloss die plastische Vollendung der Ausführung,ohne
die ein Gedicht oder ein Gemälde,mag
dieEmpfindung noch
so edel, seine Herkunftnoch
so menschlich sein, nurvergeudete
und
unwirkliche Arbeitist,und
treu sein
kann
der Künstler nicht einem festgelegten Lebensgesetz oder System, sondern nurdem
Prinzip der Schönheit, durch das dieschwankenden
Schatten des Lebens in ihrem flüchtigsten Augenblick festgehaltenund
verewigtwerden.Er
wird sichzum
Beispiel inDingen
der Erkennt-nis nicht bei derbequemen
Orthodoxie unserer Zeit beruhigenund
ebensowenig verlangt es ihnnach dem
feurigenGlau-ben
der antikenZeit,derdiePhantasiezwar intensivermachte, aber beschränkte;noch
weniger wird er zugeben, dass der Friede seiner Kultur von der misstönenden Ver-zweiflung des Zweifels oder der Düster-keit unfruchtbarer Skepsis zerrissen wird,denn
das Tal der Gefahr,wo
dieHeere
derUnwissenden
zurNacht
rasselnd zu-sammenstossen,istkein schicklicher Ruhe-platzfür die*derdieGötter dashelleHoch-land,
den
heiteren Gipfelund
die sonnige Luft bestimmthaben —
lieber wird er esimmer
in Neugier mit neuenFormen
des Glaubens versuchen,wird seine
Natur
in
den
Gefühlen untertauchen lassen, die142
noch
um
alten schönen Glauben zittern,und wenn
er, der die Erfahrung selbst, nicht ihre Früchte sucht, ihr Geheimnis geborgtenhat,wirderohne Bedauern
vieles lassen,was ihm
einmal sehr teuer war.„Ich bin
immer
unaufrichtig," sagt Emer-son irgendwo,„da
ich weiss, es gibtauch
andere Stimmungen.'* „Les £motions,"schrieb Th^ophile Gautiereinmal in einer Kritik über Arsene Houssaye, „les 6mo-tionsneseressemblentpas,mais etre
6mu
—
voilä Timportant.'4Dies alsoist dasGeheimnisder Kunst der romantischen Schule unserer Zeit
und
gibt uns den rechten Grundton, sie zu er-fassen; aber das eigentliche
Wesen
allerWerke,
die wie die Gedichte Rodds, wie ich sagte,nach
einer rein künstlerischenWirkung
streben,kann
nichtmitdenWor-ten, die der Sprache begrifflicher Kritik zur
Verfügung
stehen, beschrieben wer-den; sie sind dafür unzugänglich.Man kann
vielleichtam
besten inAusdrücken
zu ihnen führen, dieden
andern Künstenentnommen
sindund
auf sie hinweisen;und
wirklich, einige dieser Gedichteiri-143
sieren wie ein entzückendes Stück
vene-tianisches Glas
und
sind ebenso köstlich;andere sind so duftig in der
Vollkommen-heit ihrer
Ausführung und
so einfachim
Naturmotiv wie eineRadierung Whistlers oder wie eine der schönen kleinen grie-chischen Figuren, die
man
inden
Oliven-hainenum Tanagra
heutenoch
finden kann,mitdermattenVergoldung und dem Hauch von
Karmesin, dienoch
nichtganzvon Haar und
Lippenund Gewand ge-schwunden
sind;und
vielevon
ihnen gleichenden Dämmerungen
Corots, die eben zuMusik
werden,denn
nicht bloss in der sichtbaren Farbe, sondern auch in derEmpfindung —
die die Farbe der Poesie ist— kann wohl
eine ArtTon
hegen.
Aber
ich glaube, das beste Gleichnis fürdasWesen
derGedichte diesesjungen Poeten, das ich je sah, fand ich in der Loirelandschaft.Er und
ich hielten uns einmalindem
kleinen Städtchen Amboise auf, mit seinen grauen Schieferdächernund
seinen steilen Strassenund dem
schmalen, finsteren Torweg,wo
diefried-144
liehen Hütten wie weisse
Tauben
in den düstern Spalten der grossen Felsenfestung nisten,und
die stattlichen Renaissance-gebäude schweigsamund vornehm
dastehn—
jetzt sehr öde, aber die feingedrehten Säulenund
die geschnitztenTore
mit ihren grotesken Tierenund
lachendenMasken und
wunderlichen Wappen-sprüchennoch von mancher
Erinnerungan
die altenTage
umschwebt,und
dasalles erzählt
von einem
Menschenschlag, der sich dasLeben
nicht wirklichden-ken
konnte, solange er's nicht phantas-tischgemacht
hatte.Und
oberhalb des Städtchens, jenseits derBiegung
des Flusses, gingen wir gewöhnlich nach-mittagsund
zeichnetenvon
einem der grossenKähne
aus, dieim
Herbstden Wein und im
Winter das Holzzum Meer
bringen, oder wir lagen
im hohen
Grasund
entwarfen Pläne pour la gloire, et pour ennuyer les Philistins, oder wir spa-zierten anden
niedrigen, schilfbewach-senen Ufernund
„bliesen unsere Rohr-pfeife in fröhlichem Wettkampf'4, wie es Gefährten in den altenTagen
Siziliens145
gern taten;
und
dasLand war
ein ziem-lich gewöhnlichesLand und
sogar kahl,wenn man an
Italien dachte, wieda
dieOleanderbäume
dieBerge
beiGenua
mit Scharlachschmückten und
dieCyklamen
mit ihrem Purpur jedes Talvon
Florenz bisRom
erfüllten;denn
esgab
nicht viel wirkliche Schönheit hier, nur lange, weisse, staubige Strassenund
gerade, feierliche Pappelalleen, aberdann und wann
verlieh einkleinerflüchtigerSchim-mer
gebrochenen Lichtsdem
grauen Feld oder der stillenScheune
ein Geheimnisund
eine Weihe, die sie nicht wirklich besassen,und
verklärte für einen ein-zigen köstlichen Augenblick die Bauern, dieden Weinberg
herabstiegen, oderden
Schäfer, der aufdem Hügel
weidete, be-tupfte dieWeidenbäume
mit Silberund
verwandelteden
FlussinfliessendesGold
;