• Keine Ergebnisse gefunden

Empfehlungen zur Gestaltung des Übergangs

B. Gestaltung des Übergangs: Schulempfehlung

4. Empfehlungen zur Gestaltung des Übergangs

Insbesondere von Barczak wird diskutiert, ob aus der empirisch belegten Benachtei-ligung eine Pflicht des Gesetzgebers folgt, die Schulgesetze zu korrigieren. Die Fort-schreibung sozialer Ungleichheit an den Schulübergängen sei seit den 1960er Jahren bekannt. Barczak wendet dabei die für die Steuerpflicht und Wehrpflicht in der Recht-sprechung entwickelten Grundsätze des strukturellen Vollzugsdefizits auf den unglei-chen (benachteiligenden) Vollzug der Schulpflicht an. Die Übergangsentscheidung sei ein integraler Bestandteil der Schulpflicht, der sich Eltern und Kinder nicht entziehen könnten. Letztlich verneint er jedoch eine Zurechnung des fehlerhaften Gesetzesvoll-zugs durch die empfehlenden Lehrkräfte, da die Gesetze und untergesetzlichen Rege-lungen hinreichende Gewährleistungen enthielten, um Benachteiligungen aufgrund sozialer Herkunft zu unterbinden. Der Gesetzgeber sei daher nicht zur Korrektur

ver-294 Die Anfechtung einer für fehlerhaft gehaltenen Schulempfehlung steht ihnen natürlich offen.

295 Huster/Kirsch, RdJB 2010, 212 (215).

296 BVerfG, NJW 2010, 2333; s. a. Barczak, 2011, 203 ff.

297 Vgl. Becker/Schuchart in: Becker, 2010, 413 (416 f.).

298 Vgl. Ditton/Krüsken 2010, 35, zitiert nach: Jennessen/Kastirke/Kotthaus, 2013, 15.

pflichtet.299 Für eine gesetzgeberische Verpflichtung aus Art. 3 GG lässt sich jedoch eine strukturelle Mitverantwortung des Staates für ein Schulsystem anführen, das soziale Ungleichheiten über die Bildungsinstitutionen fortschreibt, verfestigt und verstärkt.300 Selbst wenn man eine Novellierungsverpflichtung des Gesetzgebers verneint, stellt sich die Frage, inwieweit Schulgesetze verbessert werden können, um diskriminieren-de Empfehlungspraxen einzudämmen. Partiell könnte eine klarere Beschreibung diskriminieren-der Entscheidungskriterien, mindestens im Verordnungswege, die Entscheidungsqualität verbessern. Die Vagheit der Kriterien in manchen Schulgesetzen kann schon unter Berufung auf den Gesetzesvorbehalt problematisiert werden.301 Klare Ausdifferenzie-rungen ermöglichen den empfehlenden Lehrkräften eine Orientierung und dienen zudem der Überprüfbarkeit seitens der Eltern. Neben eindeutigeren Kriterien können derartige Regelungen auch explizite Gleichstellungsgebote oder Diskriminierungsverbo-te enthalDiskriminierungsverbo-ten, deren Orientierungswirkung noch durch ergänzende AuslegungsmaDiskriminierungsverbo-teri- Auslegungsmateri-alien verstärkt werden könnte. Darüber hinaus sollte über weitere Kompensationsre-gelungen bezüglich der Leistungstests nachgedacht werden: Neben der Kompensation von behinderungsbedingten Einschränkungen könnten hier auch Sprachbarrieren o. ä. Berücksichtigung finden und etwa Prüfungsmodifikationen auslösen.

b) Korrektive durch Beratungsverfahren

Die Möglichkeit, dass eine Schulempfehlung auf diskriminierende Weise zustandekam oder von Eltern (diskriminierend) nicht ausgeschöpft wird, spricht für die Implemen-tierung prozeduraler Korrektive.

Als entscheidende Strategien für die erfolgreiche Gestaltung von Übergängen gelten zunächst die Kooperation zwischen abgebender und aufnehmender Bildungsinstitu-tion und die partnerschaftliche Beteiligung der Eltern an den Entscheidungsprozes-sen.302 Die Zusammenarbeit von Einrichtungen der Elementarbildung, der Grundschu-len und der weiterführenden SchuGrundschu-len ist daher zwingend zur Vermeidung von

Benachteiligung erforderlich.

Der Ausgestaltung von Beratungs- und Unterstützungsangeboten kommt daher große Relevanz zu. Sie sollten sich auch an Kindesinteressen ausrichten und Kindern die Mög-lichkeit bieten, ihre eigene Position – auch unabhängig von den Eltern – zu entwickeln.

299 Barczak, 2011, 308 ff., 384.

300 Siehe oben II C 3.

301 Vgl. Huster/Kirsch, RdJB 2010, 212 (216); einen Verstoß gegen den Wesentlichkeitsgrundsatz für das SchulG Ber-lin aF bejahend, VG BerBer-lin, NVwZ 2001, 948: „Im Ergebnis stellt sich damit das Grundschulgutachten als von objek-tiven Kriterien losgelöste und vollständig der Vorstellung des Begutachtenden über das, was Gymnasialeignung bedeutet, anheimgegebene Meinungsäußerung dar. (...) Damit hat aber der Gesetzgeber die wesentlichen Fragen der zu treffenden Auswahlentscheidung nicht – und sei es nur durch ein Aufgreifen einer bestehenden einheitlichen und durch Verwaltungsvorschriften gelenkten Praxis – selbst geregelt, sondern ihre Beantwortung Dritten überlassen.“

Großzügiger bezüglich des SchulG NRW, OVG Münster, NvWZ-RR 2008, 539: „Ob die Schülerin oder der Schüler aller Voraussicht nach den Anforderungen der gewählten Schulform gewachsen sein wird, ist Inhalt des Merkmals Eig-nung und bedarf daher nicht der ausdrücklichen gesetzlichen Bestimmung. Den gesetzlichen Bestimmungen selbst ist daher ohne Weiteres zu entnehmen, dass sich die Eignung für die gewählte Schulform an dem Anforderungsprofil auszurichten hat, das durch Gesetz schulformspezifisch für die Hauptschule und das Gymnasium in §§ 14 Abs. 1, 16 Abs. 1 SchulG NRW und – was hier von Belang ist – in § 15 Abs. 1 SchulG NRW für die Realschule bestimmt ist.“

302 Jennessen/Kastirke/Kotthaus, 2013, 15.

Sofern das Kind die Tragweite der Laufbahnentscheidung überschaut, besitzt sein Wille erhebliches Gewicht im Rahmen der Kindeswohlprüfung. In der Konsequenz kann hieraus ein Vetorecht des Kindes folgen.303

Wesentliche Bedeutung könnte hier qualifizierten Beratungsangeboten sowie einer Einbeziehung unbeteiligter Fachkräfte zukommen.304 Mit ihnen können auch Distan-zen und Vorbehalte der Eltern gegenüber weiterführenden Schularten überwunden werden. Ebenso können (verpflichtende) Beratungsangebote an die Eltern genutzt werden, um eventuelle Unterforderungen der Kinder bei niedrigerer Schulwahl zu thematisieren.305

So sieht das baden-württembergische Schulrecht nach der Novellierung im Dezember 2011 mindestens ein verbindliches Elterngespräch pro Jahr vor sowie Informations-angebote der Grund- und weiterführenden Schulen in der 4. Klasse. Zusätzlich ist ein besonderes Beratungsverfahren implementiert, nach dem auf Elternwunsch eine Bera-tungslehrkraft hinzugezogen werden kann, die auch Begabungstests anbietet. Ergeb-nisse des Tests werden nur mit Zustimmung der Eltern an die Schule übermittelt.

In die Beratungsgespräche sollten Kinder möglichst einbezogen werden, um der Grundrechtsrelevanz ihrer Ausbildungsfreiheit gerecht zu werden. Zudem erscheint es überlegenswert, spezifische Beratungsangebote nur für Kinder durch externe Bera-tungslehrkräfte oder auch Schulsozialarbeit auszubauen, um auf Divergenzen zwi-schen Bildungsaspirationen der Kinder gegenüber Eltern (und Lehrkräften) reagieren zu können.306

c) Korrektiv Rechtsschutz

Soweit die Schulwahlempfehlung nur Empfehlungscharakter besitzt, über den sich Eltern und Kinder hinwegsetzen können, besteht mangels Beschwerde auch kein Rechtsschutzbedürfnis.307 Flankierend sollten die Verordnungen hier jedoch die Klar-stellung enthalten, dass die Grundschulempfehlung bei den weiterführenden Schulen nicht vorgelegt werden muss, um negative Konsequenzen zu verhindern.308

Sofern die Empfehlung jedoch bindend ausgestaltet ist und die weiterführende Schule zur Ablehnung berechtigt wird, erscheint es problematisch, Eltern und Kinder

zunächst auf die Korrektive einer Aufnahmeprüfung bzw. eines Probeunterrichts zu verweisen309, zumal nicht allen Familien das alternative Ausweichen auf Privatschulen bzw. Gesamtschulen möglich sein wird. Wurden beim Zustandekommen der Empfeh-lung fehlerhafte oder sachfremde/diskriminierende Kriterien zugrunde gelegt, erscheint es unverhältnismäßig, die Korrektur auf den Schultern des Kindes (und der Eltern) auszutragen und es der Prüfsituation auszusetzen. Hier sind Zweifel

ange-303 Weitgehender, da es ein Wohl des Kindes gegen dessen Willen nach Hölbling nicht geben könne: Barczak 2011, 205.

304 Kritisch Giesinger, ZfE 2009, 171 (179).

305 Barczak, 2011, 217, misst derartigen Modellen paternalistische Elemente bei.

306 Siehe unten III E.

307 Beaucamp, NVwZ 2009, 280 ff.

308 So wohl die geplante VO BW.

309 Detailliert zur Regelung in NRW: Wallrabenstein, DVBl 2010, 147 ff. (insb. 149).

bracht, ob es sich hierbei um den einfacheren Weg im Vergleich zur Anfechtung der Bildungsempfehlung handelt.310 Selbst wenn man der Schulempfehlung eine Verwal-tungsaktqualität311 abspricht, käme eine Leistungsklage in Betracht.312

d) Korrektiv der elternunabhängigen Unterstützung

Die Alternative zu elterlicher Unterstützung stellt meist bezahlter Nachhilfeunterricht dar, der jedoch nicht von jeder Familie finanziert werden kann. Diese Unterschiede in den Unterstützungsmöglichkeiten der Eltern werden mit der aktuellen Ausgestaltung des sogenannten Bildungs- und Teilhabepaketes (SGB II) nicht ausgeglichen. Daher sind an den Schulen stattfindende differenzierte Angebote geboten, um Unterstützung unabhängig von den finanziellen Ressourcen der Eltern zu gewährleisten. Vorausset-zung ist eine ausreichende Zahl von Lehrkräften, die eine solche Differenzierung in der Klasse oder außerhalb vornehmen können.

e) Durchlässigkeiten zwischen Schulformen

Zentrale Bedeutung kommt schließlich der Verbesserung von Durchlässigkeiten (nach oben) im Bildungsverlauf zu, die zumindest die Bedeutung fehlerhafter Bildungsemp-fehlungen nachträglich korrigieren kann. Hierfür spricht auch, dass der prognostische Wert der Empfehlungen unterhalb von Gymnasialempfehlungen insgesamt eher gering ist, da Schüler_innen, die nur eine Empfehlung für die Hauptschule bzw. Real-schule erhalten haben, gleichwohl in hohen Prozentsätzen auf dem Gymnasium erfolgreich sein können.313

C. Gestaltung von Bildungsinhalten, Auswahl- und Entscheidungsmechanismen

1. Kriterien für die Zulassung und Einführung von Lernmitteln, insbesondere