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Stärken und Potenziale des Bogens

Der Bogen kann einen Anstoß geben, die Frage nach den Grenzen der Intensivtherapie ge-genüber dem Patienten und dessen Angehörigen frühzeitig zu stellen. So kann eine Beteili-gung der Betroffenen am Entscheidungsprozess über Therapieziele und Therapiebegrenzun-gen gewährleistet werden. Durch die im BoTherapiebegrenzun-gen explizit abgefragte Kommunikation der Ent-scheidung im Team kann dieser ebenso eine stärkere Einbeziehung des Pflegepersonals in Entscheidungsfindungen am Lebensende bewirken. Dabei können teaminterne Differenzen eher zutage treten und ein gemeinsamer Konsens ärztlicher und pflegender Mitarbeiter ge-sucht werden, sodass letzten Endes eine Entscheidung gemäß der medizinischen Indikation und unter Achtung des (mutmaßlichen) Patientenwillens im Bogen dokumentiert werden kann.

Die Verantwortung für die letztendliche Entscheidung trägt immer der behandelnde Arzt, er kann jedoch in seiner Verantwortungsübernahme durch die gemeinsame Entscheidungsfin-dung im Team unterstützt und entlastet werden. Im Bogen werden die zu unterlassenen Maßnahmen und die Gründe hierfür übersichtlich und nachvollziehbar dokumentiert, sodass für eine etwaige Notfallsituation klare Handlungsanweisungen bestehen. Natürlich kann der Bogen keine Vorbereitung für alle Eventualitäten der gesundheitlichen Entwicklung des Pa-tienten darstellen, aber er kann dem behandelnden Personal eine Sicherheit im klinischen Handeln und im Umgang mit dem Patienten verleihen.

Schwächen in der Handhabung des Bogens

Sobald eine Entscheidung über den Verzicht auf lebenserhaltende Maßnahmen beim Pati-enten getroffen wurde, muss diese durch den verantwortlichen Arzt dokumentiert werden.

Bei der Auswertung der quantitativen Untersuchungsergebnisse traten jedoch einige Fehler und Ungenauigkeiten beim Ausfüllen des Bogens zutage. Teilweise wurden darin keine Gründe für das Unterlassen bestimmter lebenserhaltender Maßnahmen angegeben oder es wurde nicht dokumentiert, durch wen die Einwilligungsfähigkeit des Patienten festgestellt wurde. Um dem Personal die Wichtigkeit eines vollständigen Ausfüllens des Dokumentati-onsbogens zu verdeutlichen, wäre eine ausführliche, oder zumindest eine vereinheitlichte, systematische Einweisung in den Bogen zu diskutieren. Diese fand nur einmal im Jahr 2012 statt. Seitdem finden Einweisungen in die Handhabung des Bogens eher anlassbezogen als systematisch statt. Daraus resultieren unterschiedliche Kenntnisstände über den Bogen, die einen angemessenen Umgang mit diesem erschweren.

Unzureichend ausgefüllte Dokumentationsbögen sollten im Rahmen der Überprüfung durch einen Ober- oder Facharzt auffallen, sodass die fehlenden Informationen nachgetragen wer-den können. Die geforderte Kontrolle des Bogens erfolgt jedoch im klinischen Alltag aus

Gründen des Zeitmangels und möglicherweise auch aufgrund von Nachlässigkeit nicht re-gelmäßig.

Der Bogen soll durch explizites Abfragen dazu anstoßen, Angaben über das Vorliegen von Patientenstellvertreternachweisen oder einer Patientenverfügung zu tätigen, sodass diese ins Krankenhaus befördert und als Kopie dem Bogen beigefügt werden können. Die entspre-chenden Dokumente lagen jedoch oftmals nicht auf der Station vor, sodass teilweise Stell-vertreterentscheidungen getroffen wurden, ohne dass hierfür eine entsprechende Legitima-tion (Vorsorgevollmacht oder Betreuungsausweis) vorlag. Nur bei der Vorlage der entspre-chenden Dokumente können rechtlich legitimierte Stellvertreterentscheidungen im Sinne des Patienten getroffen werden.

Der Bogen leitet durch seine Gestaltung ebenfalls dazu an, Aufklärungsgespräche und Dis-kussionen mit dem Patienten, dessen Angehörigen und Stellvertretern zu führen und an-schließend zu dokumentieren. Sowohl bei den einwilligungsfähigen als auch bei den nicht einwilligungsfähigen Patienten wurden jedoch zum Teil keine entsprechenden Gespräche angegeben. Wie bereits erwähnt, ist jeder Patient nach § 630e Abs. 5 BGB über die wesent-lichen Umstände einer Maßnahme aufzuklären, soweit dieser „aufgrund, der seines Entwick-lungsstandes und seiner Verständnismöglichkeiten in der Lage ist, die Erläuterung aufzuneh-men, und soweit dies seinem Wohl nicht zuwiderläuft“. Dementsprechend müssten solche Gespräche mit dem Patienten bzw. mit dessen Angehörgen standardmäßig erfolgen und soll-ten auch in dem Bogen dokumentiert werden.

Durch die explizite Abfrage einer Kommunikation der getroffenen Entscheidung im Team soll der Bogen dazu anleiten, die Transparenz von Entscheidungen im gesamten Team zu erhöhen, um eine Beteiligung des ärztlichen und pflegenden Personals am Entscheidungs-prozess über Therapieziele am Lebensende zu ermöglichen. Das Pflegepersonal beklagte in den Interviews jedoch die unzureichende Informationsweitergabe sowie die mangelnde Par-tizipation der eigenen Berufsgruppe bei Entscheidungen am Lebensende. Zum einen muss der verantwortliche Arzt sicherstellen, dass Entscheidungen über den Verzicht auf Wieder-belebung an das ärztliche und pflegende Personal weitergegeben werden. Zum anderen sollte das Behandlungsteam bereits in den Prozess der Entscheidungsfindung mit dem Ziel eines gemeinsamen Konsenses bei der Therapie des Patienten einbezogen werden.

Empfehlungen für die Handhabung des Bogens

Die aufgezeigten Schwächen des Dokumentationsbogens können in der Praxis dazu führen, dass die Nachvollziehbarkeit der dokumentierten Entscheidung sowie die Eindeutigkeit der Handlungsanweisung leidet. Bei einer erneuten, systematischen Einweisung in den Doku-mentationsbogen sollte darauf hingewiesen werden, dass im DokuDoku-mentationsbogen folgende Informationsangaben getätigt werden müssen:

• Art und Ausmaß der zu unterlassenen lebenserhaltenden Maßnahmen

• Gründe für den Verzicht auf bestimmte lebenserhaltende Maßnahmen

• Einwilligungsfähigkeit des Patienten sowie die feststellende Person

• Aufklärungsgespräche und Diskurse mit dem Patienten, den Angehörigen, dem Stell-vertreter des Patienten, im Behandlungsteam und im KEK

• Weitere Auskünfte über den Gesundheitszustand des Patienten und den Entschei-dungsprozess

• Gegebenenfalls die Kopie der Patientenverfügung, der Vorsorgevollmacht und/oder des Betreuungsausweises bei Vorlage der entsprechenden Dokumente

• Überprüfung der Entscheidung durch einen Ober- oder Facharzt sowie die Bestäti-gung der Entscheidung durch dessen Unterschrift

• Reevaluation der Entscheidung bei einer Änderung des (mutmaßlichen) Patienten-willens oder der medizinischen Indikationslage

Eine systematische Einweisung in die Handhabung des Dokumantationsbogens könnte bei-spielsweise durch eine neu formulierte standard operating procedure (SOP) zur korrekten Nut-zungsweise des Bogens erfolgen. Dieses Dokument, das unter anderem die oben genannten wichtigen Informationen zur Handhabung des Bogens enthält, sollte von jedem ärztlichen und pflegerischen Mitarbeiter der Station im Rahmen der Einarbeitung gelesen und unter-schrieben werden. So kann ein einheitlicher Kenntnisstand über die korrekte Anwendung des Dokumentationsbogens erzielt und Fehler bei dessen Ausfüllen minimiert werden. Die Sektion Ethik der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedi-zin (DIVI) hat unter Mitarbeit der Sektion Ethik der Deutschen Gesellschaft für Internisti-sche Intensivmedizin und Notfallmedizin (DGIIN) bereits einen entsprechenden Dokumen-tationsbogen sowie eine Empfehlung zur Dokumentation der Therapiebegrenzung veröf-fentlicht (Neitzke et al. 2017). Diese kann bei der Konstruktion einer entsprechenden Emp-fehlung an der Universitätsmedizin Göttingen als Vorlage dienen. Im Hinblick auf die zu-nehmende Digitalisierung der medizinischen Dokumentation könnte in Zukunft auch eine digitale Version des Dokumentationsbogens hilfreich sein. Hierbei wären, um dem Bogen im klinischen Alltag eine höhere Prräsenz zu verschaffen, Pflichtfelder für bestimmte Doku-mentationen zu diskutieren.

Die fehlende Übernahme des Bogens bei einer Verlegung des Patienten auf eine Station einer Abteilung, die den Bogen nicht verwendet, stellt eine große organisatorische Barriere bei der Nutzung des Bogens dar. Durch eine klinikweite Einführung des Bogens könnte dieser bei Patientenverlegungen zwischen den Abteilungen übernommen werden, sodass bereits ge-troffene Therapiezielentscheidungen abteilungsübergreifend sichtbar werden. Zwar würde diese Einführung auf einigen Stationen einen höheren Dokumentationsaufwand mit sich bringen. Doch die Vorteile einer Einführung des Bogens, der alle verfügbaren Informationen über den Patienten und die getroffene Entscheidung in einem Dokument vereint und eine klare Handlungsanweisung für den Notfall vorgibt, würden eindeutig überwiegen.

7 Fazit und Ausblick