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Elektronenbeugung und reziproker Raum

Theoretische Grundlagen

2.2 Elektronenbeugung und reziproker Raum

Elektronenbeugung als Methode für die Materialuntersuchung wird schon lange ver-wendet. Dabei ist die Tatsache, dass man überhaupt Beugungsphänomene auch mit Elektronen beobachten kann, einfach mit Hilfe der de Broglie Relation zu verstehen.

Danach kann jedem Teilchen, das einen Impuls p besitzt, auch eine Wellenlänge λ zugeordnet werden. Die Konstante, die beiden Größen miteinander verbindet, ist das Plancksche Wirkungsquantum h.

λ= h

p (2.9)

Im Falle der Elektronenmikroskopie ist der Impuls des Elektrons mit der Beschleuni-gungsspannung verknüpft. Dies bedeutet, dass auch die Wellenlänge mit der Spannung

(100)

(010) (001)

[11 ]2

[ 2 ]1 1 [2

11]

[01 ]1 [01]1

[1 0]1

Abbildung 2.7: Kristallographie eines Zugversuches in [110]-Richtung - Zeich-nerische Darstellung einer {111}-Gleitebene mit eingezeichneten vollen Versetzungen und Partialversetzungen

variiert werden kann. Betrachtet man zudem noch relativistische Effekte, die bei hohen Beschleunigugnsspannungen nicht mehr zu vernachlässigen sind, lässt sich die Wellen-länge ausdrücken über

λ= h

h2m0eE1 +2meE

0c2

i1/2 . (2.10)

In dieser Gleichung bezeichnet m0 die Ruhemasse des Elektrons und E die Beschleu-nigungsspannung des Mikroskops. Die Konstanten e und c stehen für die Elementar-ladung und die Vakuum-Lichtgeschwindigkeit. Mit dieser Formulierung ist dann auch im Realraum die Beugung zu verstehen. Diese kann im einfachsten Fall mit Hilfe des Bragg-Gesetzes beschrieben werden. Danach tritt konstruktive Interferenz an einem Gitter auf, wenn die Bedingung

n·λ= 2dsin(θ) (2.11)

Gleitebene Volle Schmidfaktor Partial- Schmidfaktor

Tabelle 2.1: Schmidfaktoren möglicher Gleitsysteme für einem Zugversuch in (110)-Richtung

erfüllt ist. Dies bedeutet, dass alle von den Streuzentren ausgehenden Sekundärwellen gleicher Wellenlänge phasenrichtig in die betrachtete Richtung überlagert werden. In alle anderen Richtung tritt eine destruktive Interferenz auf und es wird keine Intensität beobachtet.

Die Darstellung eines beliebigen Vektors erfolgt im Realraum über drei Basisvektoren des Kristallgitters

x =n1−→a +n2

b +n3−→c . (2.12)

Allerdings ist es für die komplexeren Beugungsprobleme nicht immer vorteilhaft, diese über einen Formalismus im Realraum zu beschreiben. Aus diesem Grunde wird in der Elektronenmikroskopie eine äquivalente Beschreibung verwendet, diese bedient sich des reziproken Raumes. Der reziproke Raum stellt dabei im Wesentlichen die Fouriertrans-formierte des Realraumes dar. Danach stellt jeder Punkt im reziproken Raum also eine Frequenz von Abständen im Realraum dar. Die Basisvektorenr*dieses Raumes lassen sich über die Vorschrift

a·b=a·c=b·c=b·a=c·b=c·a= 0 (2.13) ableiten. Damit lässt sich äquivalent zum Realraum auch jeder beliebige Vektor im reziproken Raum durch eine Linearkombination von Basisvektoren darstellen.

K =m1−→

a+m2−→

b +m3−→

c (2.14)

Besondere Bedeutung bekommen bei dieser Formulierung spezielle Vektoren K, bei denen die m Werte ganzzahlig sind. In diesem Fall repräsentiert der gebildete Vektor den Normalenvektor der beschriebenen Ebene im Realraum. Das Tripel der m Werte wird dann auch Millersche Indizies mit h, k, l∈Zgenannt.

ghkl =h−→ a+k−→

b +l−→

c (2.15)

Der Abstand dieser Ebene vom Ursprung ist gekennzeichnet mit dhkl und steht mit dem Betrage des reziproken Vektors über

dhkl = 1

|ghkl| (2.16)

in Beziehung. Die Beschreibung von Beugung erfolgt in diesem Bild dann nach einfachen geometrischen Überlegungen. Eine einfallende Welle hat den VektorkI. Der Vektor der gebeugten Welle erhält die Bezeichnung kD. Für den Fall von elastischer Wechselwir-kung wird keine Energie übertragen und die Beträge der beiden Wellenvektoren sind gleich.

k

I

k

D

|K|

2

Abbildung 2.8: Geometrie der Beugung im reziproken Raum - Einfallende und gebeugte Welle haben betragsmäßig gleiche Wellenvektoren und schließen einen Winkel von 2θ ein

Die Bragg-Bedingung lässt sich dann mit Hilfe der oben hergeleiteten Beziehungen für das reziproke Gitter umschreiben:

1 dhkl

= 2 sinθ

λ . (2.17)

Benutzt man nun die Gleichung 2.16 und die geometrischen Überlegungen aus Abbil-dung 2.8 gelangt man zu der Laue Bedingung für Beugung:

K =−→g . (2.18)

Diese Beziehung besagt, dass dann konstruktive Interferenz auftritt, wenn der Diffe-renzvektor aus einfallender und gebeugter Welle einem Vektor des reziproken Gitters entspricht.

Jedoch lassen sich in der Realität nicht nur Beugungsphänomene für die exakte Bedin-gung K = g beobachten. Ein wichtiger Umstand ermöglicht Beugung auch für nicht genau eingehaltene Laue- bzw. Bragg-Bedingung: durch die Dicke der Probe sind die reziproken Gitterpunkte keine 0-dimensionalen Punkte mehr. In Elektroneneinstrahl-richtung beträgt die Probendicke meist nur wenige 100 nm. Damit ist das reale Gitter nicht mehr unendlich ausgedehnt und es verlängern sich die Punkte in die Richtung des Elektronenstrahles senkrecht zur Probenoberfläche. Man spricht bei diesen verlän-gerten Gitterpunkten von Stäbchen. Die Laue-Gleichung für konstruktive Interferenz lässt sich daher genauer formulieren zu

K =−→g +−→s . (2.19)

Hierbei bezeichnet −→s den Schließungsvektor vom Punkt der exakten Laue-Bedingung zur Ewald-Kugel. Eine Erweiterung dieser Tatsache auf begrenzte Probendimensionen nicht nur senkrecht zur Elektroneneinstrahlrichtung wird im folgenden Kapitel erläu-tert.

2.2.1 Beugung von dünnen Probenbereichen

Die vorher beschriebene Tatsache, dass auch für Orientierungen wo K = g nicht gilt Beugungsphänomene beobachtet werden können, lässt sich auf den Fall erweitern, wo das beugende Volumen in alle drei Raumrichtungen stark begrenzt ist. Der einfache oben beschrieben Fall wird der Dünne-Folie-Effekt genannt und ist Grundlage jedes Beugungsbildes. Darüber hinaus gibt es allerdings noch weitere Geometrien, die einen Einfluss auf das Beugungsbild haben. Dazu gehören

1. nicht-parallele Oberflächen 2. dünne Lamellen in der Matrix.

Bei keilförmigen Proben erzeugt jede Oberfläche jeweils ein auf dieser Oberfläche senk-recht stehendes Beugungsstäbchen. Nur für den exakten Fall K =g ist dies im Beu-gungsbild also nicht zu erkennen. Für andere Werte von s wird eine Aufspaltung des

Beugungspunktes erkennbar. Diese Tatsache wird in Abbildung 2.9 veranschaulicht.

Liegen in der Probe dünne Lamellen vor, gilt das Gleiche. Wieder kann für jede

Grenz-s<0 s>0 Ewald-Kugel

Abbildung 2.9: Beugung von einer keilförmigen Probe- Sind die Probenoberflächen nicht parallel, kann es zu einer Aufspaltung der Beugungspunkte führen, wenn s6=0 ist

fläche ein Beugungsstäbchen in den reziproken Raum gezeichnet werden. Der Effekt ist der Gleiche wie für nicht-parallele Oberflächen und man erhält zusätzliche Beugungs-punkte. Für den Sonderfall, dass die dünne Lamelle parallel zum Elektronenstrahl liegt, ist das zugehörige Beugungsstäbchen senkrecht dazu. Für diese Geometrie schneidet die Ewald-Kugel das Stäbchen der Länge nach und wird als sogenannte “streaks”sichtbar.

In fcc gibt es einige typische Defekt für die diese Besonderheiten im Beugungsbild beobachtet werden können. Dazu gehören Stapelfehler und dünne Zwillingslamellen.

Stapelfehler können als sehr dünne Lamellen mit hcp Koordination aufgefasst werden.

Von solchen planaren Defekten ist demnach zu erwarten, dass sie zu streaking füh-ren sofern sie nahezu parallel zum Elektronenstrahl orientiert sind, für Zwillinge gilt dies analog. Zusätzlich befindet sich aber das Gitter innerhalb des Zwillings in einer speziellen Orientierung zur Matrix (vgl. Abschnitt 2.1). Wie in diesem Abschnitt ge-zeigt, ist das Material an einer {111}-Ebene gespiegelt. Im Beugungsbild verhält es sich nicht anders und man beobachtet alle Beugungsspots der Matrix und gespiegelt dazu die Punkte des Zwillings. Am anschaulichsten ist dies in der [110]-Zonenachse zu erkennen. Dort liegt der Normalenvektor der (1¯11)-Ebene senkrecht zum Elektronen-strahl. Spiegelt man nun die Punkte entlang dieser Achse, erhält man die Position der Beugungsreflexe für den verzwillingten Bereich. Einige Beispiele werden in Kapitel 5.1 gezeigt und erläutert.