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3.  Theoretischer Rahmen

3.5  Verarbeitungsprozesse von Informationen zu Risiken

3.5.1  Das Elaboration Likelihool Model (ELM)

Das Elaboration Likelihood Model (ELM) beschreibt zwei verschiedene theoretische Wege, die der Laie als Informationsempfänger wählen kann, um Informationen zu verarbeiten. Auf der „zentralen Route“ findet eine gezielte Abwägung von Argumenten statt, um daraus eine eigene Meinung bezüglich eines konkreten Sachverhaltes ableiten zu können. Die Informationsverarbeitung auf der „peripheren Route“ beinhaltet nur eine sehr oberflächliche Auseinandersetzung mit dem Thema und ist mit deutlich weniger kognitivem Aufwand für den Informationsempfänger verbunden (vgl. Petty & Cacioppo, 1986).

70 Das ELM wurde 1986 von Richard Petty und John T. Cacioppo zur Erklärung der Entwicklung von Einstellungen durch die Beeinflussung von Informationen entwickelt.

Es beschreibt die Verarbeitung von beeinflussender Information auf einem Kontinuum. Das Kontinuum fächert sich auf in verschiedene Intensitäten der Beeinflussung durch eine Information in Abhängigkeit von Motivation und Kompetenz, sich mit einer Information auseinanderzusetzen. Die Verarbeitungstiefe von Information wird durch einen unterschiedlichen und variablen Grad der Motivation und des Interesses an einem Thema bestimmt. Mit entsprechend unterschiedlicher Intensität werden Informationen geprüft, verarbeitet und weiterverwertet (vgl. Petty & Cacioppo, 1986).

Grundsätzlich gilt, dass die Wirkung einer Information mit dem Grad abnimmt, mit der der Rezipient in der Lage ist, sich mit der Information auseinanderzusetzen. Je weniger der Informationsempfänger in der Lage oder motiviert ist, sich systematisch mit einer Information zu befassen, desto schwächer ist die Beeinflussung durch die Qualität der Argumente (vgl. Jonas, Stroebe & Hewstone, 2007).

Das ELM wird im Rahmen dieser Arbeit als theoretische Grundlage gewählt, da es eine strukturierte Herangehensweise an die Analyse und Darstellung verschiedener Informationspfade erlaubt und zudem hilft, die Wirkungsweisen und Zusammenhänge der Bedeutung verschiedener Verarbeitungstiefen von Information zu erklären. Darüber hinaus erlaubt es auf der Basis dieser Differenzierung eine Erklärung über die Wirkungszusammenhänge der Effektivität von Risikokommunikation in dem hier gewählten Kontext.

Das Elaboration Likelihood Model (ELM) wurde ursprünglich entwickelt, um verschiedene Auswirkungen einer Mitteilung auf den Empfänger zu erklären. Der Empfänger orientiert sich demnach an Argumenten und der Qualität der Mitteilung.

Während einer Verarbeitung auf dieser zentralen Route werden von dem Empfänger bereits bekannte Fakten zum Thema mit den neuen Informationen verglichen und entsprechend abgewogen, um daraus eine Einschätzung abzuleiten. Das Für und Wider eines Sachverhaltes wird ausführlich analysiert, und die neuen Argumente werden so auf der Basis eines Abgleichens mit bereits vorhandenem Wissen entweder abgelehnt oder in das bereits vorhandene Wissen integriert (vgl. Renn, 2008).

71 Bei einer Informationsverarbeitung auf der peripheren Route sind Argumente und Qualität der Aussagen nebensächlich. Die inhaltlichen Argumente sind für den Empfänger aus persönlichen Gründen nicht relevant oder aufgrund mangelnder Vorkenntnisse schwer einzuordnen. Das Herausbilden einer Meinung oder Einstellung erfolgt dann über den Rückgriff auf Faustregeln oder sogenannten Heuristiken (vgl. Renn, 2008). Zur Verarbeitung der Mitteilung werden Aspekte wie Merkmale des Senders (z. B. dessen Freundlichkeit, die beim Informationsgeber vermutete Kompetenz oder dessen Bekanntheit) herangezogen.

Es gibt sowohl individuelle als auch situative Einflusskomponenten, die über die Verarbeitungstiefe einer Information mit entscheiden (vgl. Petty & Cacioppo, 1986).

Individuelle Faktoren beinhalten zum Beispiel die individuell unterschiedlich ausgeprägte Stärke des Informationsbedürfnisses. Empfänger haben neben individuellen Präferenzen für Themen auch grundsätzlich ein individuell unterschiedlich stark ausgeprägtes Kognitionsbedürfnis. Entsprechend unterschiedlich ist auch das Bedürfnis ausgeprägt, sich mit einer Information auseinanderzusetzten oder sie nicht weiter zu beachten. Es gibt neben den klassischen situativen Faktoren wie Ablenkung (schwächt die Informationsaufnahme) oder Wiederholung (stärkt die Informationsaufnahme) auch interindividuelle Unterschiede in der Motivation, sich immer wieder neuen kognitiven Herausforderungen zu stellen. Nicht jeder Mensch verfügt über das gleiche Informationsbedürfnis. Es gibt Menschen, die aufwändigen kognitiven Aufgaben mit großer Freude nachgehen, andere dagegen haben dieses Bedürfnis weniger stark ausgeprägt (vgl. Jonas, Stroebe & Hewstone, 2007). Daraus lässt sich ableiten, dass nicht alle Menschen in gleichem Maße Argumenten zugänglich sind, sondern dass zunächst das Bedürfnis nach kognitiver Auseinandersetzung mit Inhalten gegeben sein muss.

Besteht das Interesse, sich mit einer Information auseinanderzusetzen, so gibt es weitere Faktoren, die eine vertiefende Verarbeitung der Information erleichtern oder erschweren können.

Grundsätzlich kann davon ausgegangen werden, dass der Wirkungsgrad einer Information von zwei wichtigen Variablen beeinflusst wird, nämlich der Ablenkung, die verhindert, dass die Information nicht richtig verarbeitet wird und der

72 Wiederholung, die dagegen eine bessere und vertiefendere Verarbeitung ermöglicht (vgl. Jonas, Stroebe & Hewstone, 2007).

Die wichtigste Einflusskomponente auf die Entscheidung des Informationsempfängers ist jedoch die wahrgenommene persönliche Relevanz des Themas. „Nur wenn das Thema für die Rezipienten einer Kommunikation persönlich wichtig ist, werden sie motiviert sein, in einer Botschaft enthaltene Argumente kritisch zu bewerten. Bei geringer Betroffenheit, wenn das Thema der Kommunikation also von geringer Relevanz ist, werden sich die Rezipienten wahrscheinlich auf periphere Hinweisreize verlassen, um die Gültigkeit der in der Kommunikation vertretenen Position zu beurteilen“ (Jonas, Stroebe & Hewstone, 2007, S. 237).

Wird Information zentral verarbeitet, weist der Empfänger ein entsprechendes Wissensbedürfnis auf. Er hat ein eigenmotiviertes Interesse, sich mit dem Thema und den Argumenten auseinanderzusetzen und gleichzeitig auch die Kompetenz, komplexe Zusammenhänge zu erfassen und zu verarbeiten. Eine mit hohem Aufwand aufgebaute Einstellung, die auf selbst erarbeiteten Fakten und einer Auseinandersetzung mit dem Thema beruht, ist stabil und mittels Gegenargumenten schwer angreifbar.

Wird bei der Auseinandersetzung mit einer Information oder einem Argument die periphere Verarbeitungsroute gewählt, besteht beim Empfänger wenig Motivation bzw. eine geringe Fähigkeit, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Die persönliche Betroffenheit wird als zu gering eingestuft, als dass sich der Einsatz für eine tiefer gehende Auseinandersetzung mit den Argumenten lohnt.

Petty und Cacioppo (1986) gehen in dem von ihnen entwickelten Modell zusammenfassend von sieben verschiedenen Grundannahmen aus:

Personen streben danach, ihrem Umfeld entsprechend adäquate Einstellungen zu besitzen. Die Stärke des Wunsches, mit dem eigenen Umfeld kompatible Einstellungen zu haben, hat einen erheblichen Einfluss auf den Grad der Verarbeitung von Informationen. „We assume that the more important it is to hold a correct attitude, the more effort people will be willing to expend in order to evaluate an advocacy” (Petty & Cacioppo, 1986, S. 6).

73 Die obige Annahme basiert nach Petty und Cacioppo auf der Theorie des sozialen Vergleichs von Festinger, der diese in seinem Werk „A Theorie of Social Comparison Processes“ begründet. Demnach streben Menschen danach, Einstellungen zu erwerben, die mit ihrem Umfeld vergleichbar sind. Stimmen neue Informationen mit der eigenen Einstellung und der Einstellung des Umfeldes nicht überein, werden diese nur sehr schwer angenommen. Bezug nehmend auf Festinger schreiben Petty und Cacioppo: „Incorrect or improper attitudes are generally maladaptive and can have deleterious behavioral, affective, and cognitive consequences“ (Petty &

Cacioppo, 1986, S 6). Entsprechend werden die eigenen Einstellungen immer wieder mit der eigenen Umwelt abgeglichen und gegebenenfalls validiert.

Darüber hinaus ist die Fähigkeit, sich vertiefend mit einem Argument oder Thema auseinandersetzen zu können, entscheidend. „Importantly, even if a person is highly motivated to scrutinize a message, if ability is lacking the person may be forced to rely on simple cues such as source credibility in order to evaluate the message”

(Petty & Cacioppo, 1986, S. 6).

Ist die Fähigkeit, sich mit einem Argument intensiv auseinanderzusetzen vorhanden, aber es fehlt die Motivation, so ist eine vertiefende Verarbeitung auf der zentralen Route sehr unwahrscheinlich. „If ability is high but motivation is low at the time of message exposure, little argument processing will occur“ (Petty & Cacioppo, 1986, S.

19). Bei fallender Motivation und niedriger Fähigkeit Argumente zu verarbeiten, steigt die Relevanz von peripheren Hinweisreizen. Bei hoher Motivation und hoher Fähigkeit, die Informationen zu verarbeiten, nimmt die Bedeutung von peripheren Hinweisreizen ab.

Ausmaß und Richtung von Einstellungsänderung können von zahlreichen Variablen beeinflusst werden. Je nach Einflusskomponente wird die Stärke und/oder Richtung der Auseinandersetzung mit einer Information beeinflusst. Der Grad der Verarbeitung, sprich ob Argumente bewusst geprüft und verarbeitet werden, oder ob auf periphere Hinweisreize (auch cues genannt) zurückgegriffen wird, kann variieren und dabei jeweils auf einem breiten Kontinuum verlaufen. „We view the extent of elaboration received by a message as a continuum going from no thought about the issue-relevant information presented, to complete elaboration of every argument, and complete integration of these elaborations into the persons’ attitude” (Petty &

Cacioppo, 1986, S. 8).

74 Verschiedene Einflussvariablen können zu einer intensiveren oder auch zu einer oberflächlichen Verarbeitung der Argumente führen. Wird eine objektive Auseinandersetzung mit einem Argument erleichtert, gewinnen stichhaltige Argumente an Bedeutung. Wird dagegen eine vertiefende Auseinandersetzung mit einem Argument erschwert, verlieren stichhaltige Argumente an Bedeutung. „When a variable enhances argument scrutiny in a relatively objective manner, the strengths of cogent arguments should become more apparent as should the flaw in specious ones. Similarly, when a variable reduces argument scrutiny in an unbiased fashion, the strengths of cogent arguments should become less apparent as should the flaws in specious ones” (Petty & Cacioppo, 1986, S. 19).

Neue Argumente können auch bereits im Vorfeld durch bereits bestehende Einstellungen „gefiltert“ werden. „[…] when a variable affects the motivation to process in a relatively biased manner, this means that the variable encourage or inhibits the generation of either favorable or unfavorable thoughts in particular” (Petty

& Cacioppo, 1986, S. 19). Eine objektive Auseinandersetzung mit einem Argument findet dann nicht mehr statt.

Geht der Einstellungsbildung eine intensive Auseinandersetzung mit den Argumenten voraus, ist die dann entstandene Einstellung zeitlich und auch gegenüber Gegenargumenten recht resistent. Peripher erworbene Einstellungen sind dagegen wenig stabil. Der Aufbau einer Einstellung durch den vertiefenden Abgleich von Argumenten erfordert entsprechend mehr Aufwand als eine Verarbeitung auf der peripheren Route, weist dann aber auch eine höhere Stabilität auf. „[…] attitude chances induced via the central route involve considerably more cognitive work than attitude changes induced under the peripheral route“ (Petty & Cacioppo, 1986, S.

21).