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Vorgehen bei der Auswahl und Technikimplementierung

8.2 Einrichtungen der Fallstudien im Vergleich: Technologiegestützte

Pflegesettings und Innovationskultur

Tabelle 3 zeigt die in die Untersuchung einbezogenen Ein-richtungen in Dänemark, den Niederlanden, Kanada und Deutschland. Unter diesen sind mit tanteLouise sowie der Evangelischen Heimstiftung und Breipohls Hof große Trä-ger, die mehrere Einrichtungen umfassen. Mittlere Ein-richtungen (Villa Cathay, Lergården, Lundbyescentret) und kleine Einrichtungen (Hösseringen) ergänzen das Bild. Die deutschen Pflegeeinrichtungen liegen in den Bundeslän-dern Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Nie-dersachsen. Der überwiegende Anteil aller Einrichtungen und dem innovativen Technikeinsatz in der Pflege gehört.

Tabelle 1 zeigt, dass die Pflegeprävalenz bezogen auf die ins-titutionelle Pflege im Jahr 2016 in den betrachteten Ländern vergleichbar war. Aufgrund der oben beschriebenen Unter-schiede ist jene in der häuslichen Pflege anhand dieser An-gaben schwieriger zu interpretieren.

Ein erkennbarer Unterschied besteht im Hinblick auf die Pflegequote, also die Anzahl von Pflegefach- und Pflege-hilfskräften pro pflegebedürftiger Person. Diese liegt in Deutschland zwar über der Quote von Kanada, ist aber mit 5,2 Personen pro 100 Personen über 65 Jahren im Jahr 2017 deutlich unter der dänischen (7,9) und niederländischen (7,6) (vgl. Tabelle 10). Dabei ist zu beachten, dass die Angabe zu Pflegefach- und -hilfspersonen sowohl Vollzeit- als auch Teilzeitäquivalente umfasst.

Neben der pflegerischen Situation bestehen in den betrach-teten Ländern zudem Unterschiede bezüglich der Entwick-lungsstände im Bereich digitale Gesundheit und Pflege. Beim Vergleich auf Grundlage des Digital-Health-Indexes aus dem Jahr 2018 führen Kanada (Platz 2) und Dänemark (Platz 3) das Feld an, während die Niederlande in dem Benchmark auf

TABELLE 10 Absolute Zahl der Pflegefach- und -hilfskräfte und Anzahl pro 100 Einwohner:innen im Alter von 65+

Pflegefach- und -hilfspersonen Kanada Dänemark Deutschland Niederlande

220.177 87.003 918.620 239.000

pro 100 Einwohner:innen im Alter

von 65 Jahren und älter (keine VZÄ) 3,6 7,9 5,2 7,6

Quelle: OECD Health Statistics. Dataset: Long-Term Care Resources and Utilisation (nutzt Definition „nurses and personal carers“).

TABELLE 11 Übersicht der Einrichtungen aus den Fallstudien

Einrichtung Träger Anz. Beschäftigte Region Mitarbeiter:innen

tanteLouise (NL) Öffentlich > 1.800 Städtisch VZ = 12 %, Frauen = 91 %

Ev. Heimstiftung (DE) Freigemeinnützig 120 (insg. > 9.000) Städtisch VZ = 16 %, Frauen = 69 %

Villa Cathay (CAN) Freigemeinnützig 125 Städtisch VZ = 82 %, Frauen = 92 %

Breipohls Hof (DE) Freigemeinnützig > 100 (insg. 20.000) Städtisch VZ = 29 %, Frauen = 80 %

Lundbyescentret (DK) Öffentlich > 100 Städtisch VZ = 62 %, Frauen = 98 %

Lergården (DK) Öffentlich > 100 Kleinstädtisch VZ = 2 %, Frauen = 95 %

Hösseringen (DE) Privat 24 Ländlich VZ = 90 %, Frauen = 80 %

tungen sowie einer deutschen Einrichtung Sensorsysteme zur Anwendung. Ein robotisches System wird in tanteLou-ise genutzt, und auch Breipohls Hof hat in der Vergangen-heit Erfahrungen mit dem Einsatz von Therapierobotern ge-sammelt. Insgesamt weisen die ausländischen Fälle einen vielfältigeren Technologieeinsatz auf als die deutschen. Der sektorenübergreifende Zugriff auf gesundheits- und pfle-gerelevante Daten ist in den ausländischen Fällen darüber hinaus deutlich ausgeprägter als in Deutschland, weil die entsprechenden Voraussetzungen (z. B. Infrastruktur, Stan-dards) bereits vorhanden sind. Der Grad der Vernetzung der Technologien untereinander ist in allen Fällen eher gering.

Die untersuchte Stichprobe umfasst Einrichtungen, die auf-grund des Erfahrungsschatzes bei der Anwendung der Tech-nologien und auch bezogen auf deren Vielfalt besonders ist im städtischen bzw. kleinstädtischen Raum angesiedelt,

eine Einrichtung im ländlichen Raum. Zu den Einrichtungen zählen öffentliche und freigemeinnützige sowie eine private Organisation. Der Frauenanteil liegt zwischen 69 Prozent in der Evangelischen Heimstiftung und 98 Prozent in Lundby-escentret (DK).

Die Technologien, die in den Pflegesettings genutzt werden, bilden eine hohe Bandbreite ab (vgl. Tabelle 12). In allen Ein-richtungen kommen komplexe digitale Dokumentations-systeme zum Einsatz. In einigen Organisationen handelt es sich dabei um das erste System dieser Art. In anderen Ein-richtungen dagegen sind die aktuell implementierten Doku-mentationssysteme bereits weiterführende und optimierte Versionen eines extern oder hausintern entwickelten Sys-tems. Außerdem kommen in allen ausländischen

Einrich-TABELLE 12 Übersicht der Technologien in den technikgestützten Pflegesettings

Technologie tanteLouise

Lundby-escentret

Ev. Heim-stiftung

Villa Cathay Breipohls Hof

Lergården Hösseringen

Dokumentationssystem Sensorsysteme –Dekubitusprophylaxe –Bett

–Stuhl –Bewegung –Ortung –Transponder –Inkontinenzmaterial Triage-System Kameras Rufanlage mit Freisprech funktion IKT-System für Pflege-empfangende Video-Telefonie Intelligente Datenbrille Roboter

–Interaktionsroboter –Therapeutischer Roboter Smart-TV

Demenz-Tablet Ortungssystem bei Demenz

Hüft-Protektor Sturzpräventions-Applikation Circadianes Licht AAL-System

tionen oder Forschung befasst, zählt vielfach zu den Merk-malen (tanteLouise, Lundbyescentret, Lergården über die Kommune, Evangelische Heimstiftung). Im Hinblick auf eine strukturierte Vernetzung der beteiligten Einrichtung unter-scheiden sich die deutschen und die im Ausland erhobenen Fälle deutlich: Die Einrichtungen in Dänemark, den Nieder-landen und Kanada stehen in engem regelmäßigem Aus-tausch mit anderen Einrichtungen, Herstellern und weite-ren Akteuweite-ren.

Um zu erfahren, wie die Einrichtungen der Fallstudien bei der Auswahl und Implementierung von innovativen Pflegetech-nologien verfahren, wurden die Verantwortlichen für Inno-vations- bzw. Digitalisierungsprojekte zum Vorgehen in den Einrichtungen interviewt; zusätzlich wurden die Erfahrun-gen des Pflegepersonals zusammengetraErfahrun-gen. Tabelle 6 zeigt die unterschiedlichen Ansätze in den Einrichtungen bezüg-lich des Auffindens und der Auswahl digitaler Technologien, auffallen und als fortgeschritten bei der Techniknutzung

eingestuft werden können. Alle in dieser Studie betrachte-ten Pflegeeinrichtungen sehen sich als „Early Adopter“ und berichten ein proaktives Vorgehen im Hinblick auf techni-sche Innovationen. Die strategitechni-sche Verankerung digitaler Entwicklungen variiert – sie reicht von einer eigenen Digi-talisierungsstrategie (tanteLouise) über trägerweite Strate-gien (Evangelische Heimstiftung, Breipohls Hof) bis zu einer engen Anbindung an die strategische Agenda der Kommune (Lergården). Villa Cathay und Hösseringen haben keine ex-plizit festgehaltene Strategie. Fast alle Einrichtungen (Aus-nahme Hösseringen) zeichnen sich durch die Teil(Aus-nahme an bzw. Durchführung von Forschungsprojekten aus, wobei die Anzahl der Projekte in den ausländischen Fällen höher ist und eine enge Verzahnung der Forschungsprojekte mit dem praktischen Alltag der Mitarbeiter:innen zu beobachten ist, sodass Pflegende von geeigneten Entwicklungen zügiger pro-fitieren. Auch eine Abteilung, die sich explizit mit

Innova-TABELLE 13 Übersicht der digitalen Konzepte und Strukturmerkmale der betrachteten Einrichtungen

Einrichtung Digital-Konzepte Strukturmerkmale

tanteLouise • eigene Strategie

• „Early Adopter“

• Forschungsprojekte

• Netzwerke: interne und externe (staatl. gefördert mit anderen Einrichtungen)

Forschungs- und Innovationsabteilung, gemeinsames

Zielverständnis, flexible Projektstrukturen, partizipativ, kollaborativ, Inhouse-Ethikkommission

Lundbyescentret • keine Strategie

• „Early adopter“

• Forschungsprojekte

• Netzwerke: mit anderen Einrichtungen und Herstellenden, „Center of public innovation“

IT-Abteilung mit State-of-the-Art-IT-Prozessen (UCD),

Innovationsmanagement, Council for Ethics, Gestaltungskonzept für kulturelle Transformation

Ev. Heimstiftung • trägerweite Strategie

• „Early Adopter“

• Forschungsprojekte

• Netzwerke: Keine

Forschungsabteilung, 25 % Unternehmensbeteiligung an Teil des AAL-Systems, legt diakonisches Ethik-Verständnis zu Grunde, externe Innovationsberatung

Villa Cathay • keine Strategie

• „Early Adopter“ „Trittbrettfahrer“ „Nachzügler“

• Forschungsprojekte

• Netzwerke: mit anderen Einrichtungen

Kombiniert externe Produkte und Eigenentwicklungen, Fokus auf Person-zentrierung und Evidenzbasierung sowie Vermeidung der Reduzierung der Interaktionszeit

Breipohls Hof • trägerweite Strategie

• „Early Adopter“

• Forschungsprojekte

• Netzwerke: Keine

Proaktive und strukturierte Einführung durch enge Abstimmung, stark personengebundenes Innovationsvorgehen, Beginn mit Pilotprojekt, dann schrittweise ausrollen

Lergården • kommunale Strategie knüpft an nationale an

• „Early Adopter“, „Trittbrettfahrer“

• Forschungsprojekte

• Netzwerke: kommunal und überregional

Kooperationen mit Innovationsabteilung der Kommune (u. a.

Technik-Radar) und mit Herstellenden, Schulung: komplexe Technologien für alle

Hösseringen • keine Strategie

• „Early Adopter“

• keine Forschungsprojekte

• Netzwerke: Keine

Zügige Top-down–Entscheidungen, dann Mitarbeiter:innen dafür gewinnen, („Erst überrumpeln, dann Brücke bauen“) (ökonomische) Anreize durch attraktive Arbeitsplatzgestaltung und Tablet-Überlassung, New-Work-Konzepte testen (z. B. Home Office)

TABELLE 14 Übersicht zum einrichtungsspezifischen Vorgehen bei der Technologie-Recherche bzw. bei der Implementierung sowie zum Einbezug und zur Schulung der Mitarbeiter:innen

Einrichtung Finden Implementieren Einbinden und Schulung

tanteLouise Kollaboration mit anderen Einrichtungen in unter schied-lichen Netzwerken, Verbands-aktivitäten, eigene Recherchen, Suche kriteriengeleitet anhand von Use-Cases und Regelm.

Produkt-Pitches

Zweiphasig: Pilotphase, dann Rollout, i. d. R. Unterstützung durch unabhängigen Dienstleister und/oder eine Forschungseinrichtung, monatliche Evaluations-Sessions, begleitende Kommunikation durch Management

Top-down von Leitung vorgegeben oder von Mitarbei-ter:innen bottom-up vorgeschlagen, internes Parti-zipations programm, enthusiastische Mit arbeite r:in nen als Multiplikator:innen, partizipativer Auswahl-prozess, monatl. Evaluations-Sessions, Schulung und Informationsmaterial, gelegentlich “trial and error”

Lundby-escentret

Über Herstellende (Anfragen, Pitches) und Universitäten (Partner:innen für Co-Creation), jährl. Budget 1 Mio.

Kronen, Vernetzung (über-) regional, kriteriengeleitet

Abhängig von Komplexität der Technologie, Einführungsprozess oft mit externen Dienstleistern/Forschungs-einrichtungen und Innovations-manager:innen, begleitende Kommunikation (Newsletter, Info-veranstaltungen)

Bewohner:innen-Befragung und Einbindung der Pflege fachpersonen in Auswahl und Bewertung (inkl.

Usability), Mitarbeiter-Rating u. a. in Hersteller-Pitches, Schulungsumfang richtet sich nach Komplexität der Technologie, „Super-User“-Konzept

Ev. Heim-stiftung

Externe Beratung, Austausch mit anderen Akteur:innen im Feld und interne kriterien-geleitete Recherchen, Produkt-Pitches

Teilweise 2-phasig: beginnend mit Pilot-projekt und folgendem Rollout: Erstellung eines Projektplans, Bildung Arbeitsgruppe, transparente Information und Kom-munikation, iterative Über wachung des Projektfortschritts mit Feedback, gesamter Prozess durch Herstellende begleitet

Auswahl auf Träger und Leitungseben, Mitarbeiter:innen teils in die Auswahl im Rahmen von Herstellenden-Sessions eingebunden, Schulungen von „Key-User:innen“

und Helfer:innen vor Ort zu einzelnen Technologien;

eigenes Schulungskonzept für Dokumentationssystem

Villa Cathay Regelmäßiger Austausch in Einrichtungs- und Direk-tor:innen-Netzwerk, eigene Recherchen in Publikations-datenbanken/Internet, enger Austausch zwischen Führung und Pflegepersonal, Konferenzen, Ideen früherer Arbeitgeber:innen, entdeckte Ineffizienzen, prinzipiengeleitet

Schnelle Verbesserungszyklen Komplexe Systeme werden extern begleitetet, sonst übernehmen interessierte Personen intern eine Multiplikator:innenrolle; im Alltag werden durch sie auch stichprobenartig Zufriedenheit und Herausforderungen erhoben

Auswahl top-down und bottom-up (z. B. Erfahrungen aus anderen Beschäftigungsverhältnissen), Einbindung ausgewählter Mitarbeiter:innen in Auswahlprozess, Pflegefachpersonen als Kommunikationskanal für Feedback der Mitarbeiter:innen, Ersatz-Pflegepersonal schafft Zeitressourcen für das Erlernen der Handhabung neuer Technologien für Kolleg:innen, Schulungsumfang bestimmt durch Komplexität der Technologien entweder unter Einbindung Hersteller oder durch personal intern, 2-sprachige Materialien, stichprobenartiger Austausch im Arbeitsalltag

Breipohls Hof

Austausch mit Externen, u. a. Akteur:innen aus Hochschulen, Besichtigung von Referenzeinrichtung, interne kriteriengeleitete Recherchen

Beginn mit Piloteinrichtung: Aufstellung Projektteam, Betrachtung bestehender Arbeits- und Organisationsprozesse, Störungen so gering wie möglich halten, Austausch mit Herstellenden; bestimmte Verantwortlichkeiten nur ausgewählten technikaffinen Personen als Multiplika-tor:innen übertragen, Zuständigkeiten transparent an alle kommuniziert

Auswahl erfolgt über Leitung, innerhalb bestehender Kommunikationsstruktur wird Personal zu ausgewählten Zeitpunkten einbezogen und zu gezielten Zeitpunkten informiert, Raum für kritische Fragen und Feedback wird ebenfalls gegeben, Schulungen

Lergården Kommunaler Technikradar, (über)regionale Netzwerke für Austausch zwischen Ein-richtungen und anderen Kommunen, Herstellenden-kontakte, wertegeleitet

3-phasiges Vorgehensmodell: prospektive Abschätzung (Business Case, Bewertung anhand von 4 Dimensionen), Pilottest und dann Rollout, begleitende regelmäßige Evaluation des Vorgehens

Vorschlagswesen bottom-up durch Einrichtung und top-down durch Kommune, Auswahl mit Pflegepersonal, Schulungsumfang richtet sich nach Komplexität der Technologie, es werden alle geschult bei komplexen Technologien, andernfalls vermitteln affinere Personen technologiebezogenes Wissen, gegenseitige Unterstützung im Team

Hösseringen Messen, Internetrecherchen, Gespräche mit Mitarbei-ter:innen, Beobachtungen des Arbeitsalltags der Beschäftigten

Externe Begleitung durch Herstellende Initiale Entscheidung durch Leitung, Leitende Mit-arbeiter:innen entscheiden mit, führen Gespräche mit Herstellenden, Schulungen durch Hersteller nach Zuständigkeiten und Qualifikationen organisiert, strukturierte Kleingruppen, Zeit für Nachfragen