• Keine Ergebnisse gefunden

Die Welt des Theaters besteht aus einer beleuchteten und einer verdunkelten Hälfte. Ist die beleuchtete Hemisphäre der Theaterwelt, auf der so viele Faktoren und Aktivitäten zusammenströmen, schon schwer zu regieren, so scheint die unbekannte Menge, welche die dunkle Hälfte bevölkert, nahezu unberechenbar. Und doch entscheidet die dunkle Welt das Schicksal der hellen.

Max Reinhardt 1.1 Relevanz und Ziele der Arbeit

Seit den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts wandelten sich das Verständnis und die Organisation öffentlicher Leistungen nach einer verstärkten Debatte über Qualität und Qualitätssicherung im öffentlichen Sektor (Chaffee & Sherr, 1993; Sowa et al., 2004; Baruch

& Ramalho, 2006). In Deutschland führte dies zu Reformen, die unter dem Begriff ‚Neues Steuerungsmodell’ bekannt wurden und die Einführung einer marktgesteuerten und kundenorientierten Dienstleistungsproduktion (Bogumil & Naschold, 2000, S. 15) beinhalteten. Die Modernisierung der öffentlichen Verwaltung war das Ziel. Als ein Teil davon ist auch die deutsche Theaterlandschaft betroffen und die Notwendigkeit einer Evaluation ist – sowohl aus Sicht der öffentlichen Theaterförderung im Rahmen der Kulturpolitik (Heinze, 1994, S. 19) als auch aus Sicht eines betriebswirtschaftlich ausgerichteten Theatermanagements (Allmann, 1997) – unumstritten. Sie wird jedoch von zwei Seiten her erheblich erschwert: So sind weder Qualitätskonzepte für den For-Profit-Bereich noch solche für Non-Profit-Organisationen für eine Übertragung auf öffentliche Theater geeignet (Boerner, 2002, S. 59ff.).1 Dazu kommt, dass weder die Substanz künstlerischer Qualität im Theater als eindeutig definierbar gilt noch Einigkeit über die Kriterien einer Bewertung herrscht (Heinze, 1994, S. 14; Lipp, 1994, S. 557; Hoegl, 1995, S.

24; Allmann, 1997, S. 128). Immerhin existieren Kriterien für die Beschreibung und Bewertung künstlerischer Qualität sowie Operationalisierungsvorschläge, die die künstlerische Qualität jedoch zumeist nicht direkt, sondern über Umwege messen (Ossadnik, 1987, S. 147; KGSt, 1989, S. 29; Schugk, 1996, S. 271; Fabel, 1998, S. 122). In der Praxis des Theatermanagements werden die Kriterien der Publikumsresonanz (Fischer et al., 1994, S.

12; Erhardt, 1994, S. 32) sowie Expertenurteile, z.B. in Form von Theaterkritiken in den Medien, verliehenen Theaterpreisen oder Einladungen zu Gastspielen (Erhardt, 1994, S. 45;

Heinze, 1997, S. 280), verwendet. Doch dies wird sowohl von den Theatern selbst als auch in

1 Als Grund identifiziert Boerner (2002) das Qualitätsverständnis eines Theaters, welches sich hinsichtlich der Kundenorientierung, der Messbarkeit und des Bezugs zu ökonomischen (Formal)zielen der Organisation deutlich von anderen unterscheidet (2002, S. 60ff.).

der Theorie als problematisch angesehen (Boerner, 2002, S. 51; Moser, 2005, S. 11), so dass ein valides und reliables Instrument zur Erfassung künstlerischer Qualität im Theater nach wie vor fehlt. Die vorliegende Arbeit bezieht sich auf Qualität im Musiktheater1. Da es wegen seiner Kombination von musikalischen und szenischen bzw. darstellerischen Aspekten als die komplexeste Form darstellender Kunst gilt, erscheint diese Beschränkung auf eine Sparte nicht als inhaltliche Verkürzung.

Das erste Konzept zur künstlerischen Qualität im Musiktheater entwirft Boerner (2002), die zwischen Profilqualität und Interpretationsqualität differenziert. Erste empirische Untersuchungen zur Interpretationsqualität im Musiktheater kommen von Moser (2005), Renz (2006) und Boerner et al. (in Druck).2 Der erste Teil der vorliegenden Arbeit dient der Validierung des dabei entwickelten Fragebogens zur Erfassung des Rezipientenurteils über die künstlerische Qualität im Musiktheater. Dazu wird der Fragebogen anhand der bisherigen Ergebnisse modifiziert und in einer weiteren Erhebung eingesetzt. Es soll untersucht werden, welche Aspekte einer Aufführung vom Publikum bei der Bewertung unterschieden werden und mit welcher Gewichtung sie in das Gesamturteil über die künstlerische Qualität eingehen.

Darüber hinaus stehen Unterschiede zwischen Laien und Experten im Fokus. In einem zweiten Schritt wird die Entstehung des Gesamturteils des Publikums über einen Abend in der Oper untersucht. Es wird vermutet, dass neben der künstlerischen Qualität zusätzliche Faktoren wie bspw. die Erfahrung eines Zuschauers3, seine Emotionen während der Aufführung sowie situative Rahmenbedingungen die Rezeption einer Musiktheateraufführung beeinflussen (Eversmann, 2004; Boerner & Renz, in Vorbereitung). Dazu werden nach theoretischen Überlegungen zusätzliche Konstrukte in den Fragebogen aufgenommen. Auch interessieren Unterschiede zwischen Laien und Experten hinsichtlich des Gesamturteils, ihnen gilt ein weiterer Teil dieser Arbeit.

Mit der vorliegenden Arbeit soll ein Beitrag zur Entwicklung eines Instrumentes geleistet werden, welches sowohl Inhalt, Struktur und Konsistenz von Urteilen über die künstlerische

1 Obwohl die Begriffe ‚Oper’ und ‚Musiktheater’ in der Literatur nicht von allen Autoren synonym verwendet werden (z.B. Mauser, 2002, S. VII), werden sie im Folgenden aus Gründen der Textverständlichkeit gleichgesetzt.

2 Ursächlich für die Konzentration auf die Interpretationsqualität ist, dass sich öffentliche Musiktheater in Deutschland hinsichtlich der Profilqualität zum Großteil sehr ähnlich sind (Boerner, 2004, S. 427). Dieses zeigt sich bspw. an der geringen Bandbreite der Repertoires, die bei der Mehrheit der Häuser aus einem kleinen Kern aus Werken vorwiegend aus dem 19. Jahrhundert bestehen (Hoegl, 1995, S. 149ff.).

3 Um die Lesbarkeit zu erleichtern, wird in der vorliegenden Arbeit bei Personenbezeichnungen zumeist die männliche Form verwandt. Diese Bezeichnungen erfassen jedoch selbstverständlich weibliche und männliche Personen.

Qualität einer Opernaufführung zu erfassen in der Lage ist als auch die Entstehung von Gesamturteilen des Publikums über einen Abend in der Oper erklären kann. Zur Anwendung gekommen könnte ein solches Instrument zu einer nachvollziehbaren Vergabe öffentlicher Mittel an die Theater beitragen, die sich aufgrund der zunehmenden Knappheit öffentlicher Mittel1, eines stetig wachsenden Subventionsbedarfs der Theater2 und eines gesetzlich nur vage definierten öffentlichen Auftrags3 schwierig gestaltet. Auch zur betriebswirtschaftlichen Diskussion innerhalb der Theater könnte das neu entwickelte Instrument beitragen. So könnten sich diese verstärkt an den Bedürfnissen des Publikums ausrichten, um Subventionskürzungen aufzufangen und sinkenden Besucherzahlen entgegenzuwirken. Selbst ohne im ständigen Zielkonflikt zwischen dem künstlerischen Anspruch, ökonomischen Notwendigkeiten und Wünschen des Publikums letztere zu sehr in den Mittelpunkt zu stellen und sich damit dem Vorwurf auszusetzen, „nicht mehr anspruchsvoll und avantgardistisch zu sein und lediglich dem Publikumsgeschmack hinterherzulaufen“ (Sievers, 2005, S. 48), kann das zu entwickelnde Instrument verwendet werden. Da nämlich erstmalig auch Aspekte des Publikumsurteils erfasst werden, die über die künstlerische Qualität einer Opernaufführung hinausgehen, könnten durch deren optimale Gestaltung die Besucherzahlen gesteigert werden, ohne den künstlerischen Anspruch zu gefährden. In der Folge könnte die Akzeptanz der Subventionen in der Öffentlichkeit gesteigert werden, wenn nämlich die Theater glaubhaft versichern könnten, sich intensiv für eine Steigerung ihrer Eigeneinnahmen einzusetzen.4 In

1 Stiegen die Kulturausgaben der öffentlichen Hand laut Kulturfinanzbericht 2006 des Statistischen Bundesamtes zwischen 1995 und 2003 auf den ersten Blick um 8.1% auf 8.07 Mrd. Euro, zeigt sich ein Rückgang von 0.2%, wenn man die Preisänderungen näherungsweise in Höhe des für das Bruttoinlandsprodukt errechneten Deflators eliminiert. 2003 lagen real gesehen die Ausgaben je Einwohner um 0.2% unter dem Niveau von 1995, und 2005 dürften sie sogar um 2% unter dem Niveau von 1995 gelegen haben (Kulturfinanzbericht 2006, S. 21). Ähnliches gilt, wenn man die Ausgaben für Theater und Musik getrennt betrachtet: 2003 stellten die öffentlichen Haushalte 2.99 Mrd. Euro aus allgemeinen Haushaltsmitteln für diesen Bereich zur Verfügung, was 37% aller im Jahr 2003 von Bund, Ländern und Gemeinden getätigten Kulturausgaben entspricht. 2001 waren es 3.1% mehr gewesen.

Für 2005 betrugen die öffentlichen Ausgaben für Theater und Musik im Jahr 2005 voraussichtlich 2.98 Mrd.

Euro (Kulturfinanzbericht 2006, S. 62).

2 Dieser liegt an außerhalb des Einflussbereiches öffentlicher Theater stehenden Kostensteigerungen, bspw.

durch die Erhöhung der Tarifverträge. Im Gegensatz zu Industriebetrieben sind Theater als „archaische Produktionsform“ (Fabel, 1998, S. 140) nicht in der Lage, die Verteuerung des Faktors Arbeit durch technologische Entwicklungen und Rationalisierungsmassnahmen auszugleichen. Dieser Zusammenhang wurde erstmalig von den US-amerikanischen Ökonomen Baumol und Bowen erläutert und als cost disease of the performing arts bezeichnet (Baumol & Bowen, 1966, S. 161ff.).

3 Im Unterschied zum Auftrag anderer öffentlicher Unternehmen ist die Kulturpolitik in Deutschland eine freiwillige Aufgabe der Rechtsträger (Heinrichs, 1995, S. 302), so dass die jeweiligen politischen Entscheidungsträger des Rechtsträgers von Theatern über die konkrete Definition der öffentlichen Aufgabe entscheiden (Göschel, 1997).

4 Nach der Statistik des Deutschen Bühnenvereins lag der Kostendeckungsgrad im Jahr 2004/05 bei durchschnittlich 17% des Gesamtbudgets der öffentlichen Theater Deutschlands, wobei die Einnahmen aus dem Kartenverkauf die wichtigste Quelle der Eigeneinnahmen darstellte.

der Summe würden diese Maßnahmen die Erfüllung der gesellschaftlichen Funktionen öffentlicher Theater1 verbessern und längerfristig sicherstellen helfen.

1.2 Vorgehen

In Kapitel 2 werden die Untersuchungsfragen vorgestellt und ein Überblick über den Stand der Forschung gegeben. Dazu werden zunächst das bislang einzige analytische Modell zur Erfassung künstlerischer Qualität im Musiktheater (Boerner, 2002) erläutert und Untersuchungen zu seiner empirischen Überprüfung präsentiert. Anschließend wird Literatur zur Erklärung individueller Urteile über einen Abend im Konzert sowie im Sprechtheater vorgestellt. Das Kapitel endet mit der Erläuterung der im Rahmen der vorliegenden Arbeit hergeleiteten Determinanten des Gesamturteils des Publikums über einen Abend in der Oper (‚Gesamterlebnis Opernabend’)

Es folgen die Darstellungen des Instrumentes der vorliegenden Untersuchung sowie der verwendeten Methode in Kapitel 3.

In Kapitel 4 werden vorbereitenden Analysen dargestellt, die der Klärung der Untersuchungsfragen dienen. Dazu gehören sowohl deskriptive Statistiken als auch Untersuchungen zu Reliabilität und Validität des entwickelten Fragebogens.

Kapitel 5 beschäftigt sich mit der Analyse und Interpretation der erhobenen Daten. Es werden die Untersuchungsfragen dieser Arbeit erörtert.

Die Schlussbetrachtung in Kapitel 6 fasst die Ergebnisse der Datenauswertung zusammen.

Abschließend werden die Untersuchungsanordnung kritisch diskutiert und mögliche weitere Forschungsschritte erörtert.

1 Dazu gehören u.a. die Förderung der Künste und Künstler, die kulturelle Bildung und Kulturpädagogik, die Pflege und Erforschung des öffentlichen Erbes sowie die Entwicklung der soziokulturellen Gestalt- und Lebensqualität der Städte (Sievers, 2005, S. 46; für eine ausführliche Diskussion vgl. Boerner, 2002, S. 22 ff.).