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2. FRAGESTELLUNG DER ARBEIT, STAND DER FORSCHUNG UND EIGENE

2.3 Determinanten des Gesamturteils des Publikums über einen Abend in der Oper

Aus Mangel an Forschung zu den Determinanten des Gesamturteils des Publikums über einen Abend in der Oper (‚Gesamterlebnis Opernabend’) wurden in den vorangehenden Abschnitten Literatur zur Erklärung individueller Urteile über einen Abend im Konzert (vgl.

Abschnitt 2.2.3.1) sowie über einen Abend im Sprechtheater (vgl. Abschnitt 2.2.3.2) vorgestellt. Zur Klärung der Untersuchungsfragen 3 (Determinanten des Gesamturteils) und 4 (Unterschiede im Gesamturteil zwischen Laien und Experten) werden nun Determinanten des Gesamturteils des Publikums über einen Abend in der Oper daraus abgeleitet. Es wird von drei Kriteriengruppen ausgegangen: die wahrgenommene künstlerische Qualität (Abschnitt 2.3.1), die individuelle Reaktion des Zuschauers (Abschnitt 2.3.2) sowie die situativen Rahmenbedingungen (Abschnitt 2.3.3). Abschnitt 2.3.4 widmet sich den Beziehungen der Determinanten untereinander und gibt diese grafisch wieder.

2.3.1 Die wahrgenommene künstlerische Qualität

Als Kriterium mit erheblichem Einfluss auf das Gesamturteil des Publikums über einen Abend in der Oper wird die künstlerische Qualität der zu bewertenden Aufführung gesehen.

Zu ihrer Erhebung kann auf das Modell Boerners (2002) zurückgegriffen werden (vgl.

Abschnitt 2.2.1). Da die Arbeiten von Moser (2005), Renz (2006) und Boerner et al. (in Druck) erkennen lassen, dass das analytische Modell das Qualitätsurteil des Publikums nicht vollständig abzubilden in der Lage ist, werden in der vorliegenden Arbeit einige Konstrukte modifiziert werden (vgl. Abschnitt 3.1.2).

1 zum konstanten Zielkonflikt der öffentlichen Theater zwischen künstlerischem Anspruch, ökonomischen Notwendigkeiten und Wünschen des Publikums vgl. Abschnitt 1.1

2.3.2 Individuelle Reaktion des Zuschauers

Neben dem Einfluss der wahrgenommenen Qualität der Aufführung wird ebenfalls die individuelle Reaktion des Zuschauers als Determinante seines Gesamturteils über einen Abend in der Oper gesehen. Dazu gehören die Emotionen des Zuschauers, sein Eindruck von der Komplexität und Neuartigkeit der Aufführung sowie seine Identifikation mit den Charakteren auf der Bühne.

Emotionale Wirkung

Sowohl bei Konzertaufführungen als auch bei Vorstellungen im Sprechtheater zeigt sich bei der Literaturanalyse ein erheblicher Einfluss der emotionalen Wirkung auf das Publikumsurteil, so dass von diesem auch bei Opernaufführungen auszugehen ist (vgl. Behr, 1983, S. 164ff.). Für die vorliegende Arbeit wird in Anlehnung an Pike (1972) und Konijn (1999) von sechs Dimensionen der Emotionen ausgegangen, die eine Opernaufführung in den Zuschauern auslöst. Diese sind ‚Empathie’, ‚persönliche Assoziationen’, ‚Genussfaktor’, ‚Ich-Beteiligung’, ‚vorübergehende Gefühlsregungen’ und ein ‚Gefühl des Bewegt-Seins’. Unter

‚Empathie’ wird dabei in Anlehnung an Zillmann (1994) ein Mitfühlen mit den Darstellern verstanden. Ein beispielhaftes Item im Fragebogen lautet: ‚Während der Aufführung fieberte ich mit dem Schicksal der Darsteller mit’. Im Gegensatz dazu geht es bei den ‚persönlichen Assoziationen’ um Emotionen, die im Zuschauer ausgelöst werden, weil dieser an Situationen seines eigenen Lebens erinnert wird. Ebenfalls mit Einfluss auf das Publikumsurteil wird der

‚Genussfaktor’ gesehen, bei dem die Stimmung des Zuschauers im Mittelpunkt steht. Ein Item lautet: ‚Während der Aufführung war ich froh und entspannt’. Um das flow-Konzept von Csikszentmihalyi (1991) geht es bei der ‚Ich-Beteiligung’ und es wird erhoben, ob der Zuschauer während der Aufführung in der Lage war, alles um ihn herum zu vergessen.

‚Vorübergehende Gefühlsregungen’ beschreiben kurzfristige Reaktionen auf das Bühnengeschehen (Pike, 1972), worunter auch physische Reaktionen wie Herzklopfen und feuchte Hände fallen. Im Gegensatz dazu steht das ‚Gefühl des Bewegt-Seins’, das über kurzfristige Gefühlsregungen hinausgeht und eventuell auch nach der Vorstellung anhält.

Kollative Variablen

Wie bereits erwähnt wird auch den Variablen ‚Komplexität’ und ‚Neuartigkeit’ der Aufführung ein Einfluss auf das Gesamturteil des Publikums über einen Abend in der Oper eingeräumt. Ein Zusammenhang zwischen dem Ausmaß der empfundenen Komplexität bzw.

Neuartigkeit und den Fachkenntnissen sowie der Erfahrung des einzelnen Zuschauers wird vermutet.

Identifikation des Publikums

Anders als Konijn (1999), die die Identifikation des Publikums mit einzelnen Charakteren zu den durch die Aufführung ausgelösten Emotionen zählt (vgl. Abschnitt 2.2.3.2.2), wird diese in der vorliegenden Arbeit – analog zu Eversmann (2004) – als eigenes Konstrukt erfasst. Nur auf diese Weise kann ermittelt werden, ob sich das Publikum mit den Akteuren auf der Bühne identifiziert und in welchem Ausmaß dies in sein Gesamturteil einfließt.

2.3.3 Situative Rahmenbedingungen

Als eine weitere Determinante des Gesamturteils des Publikums über einen Abend in der Oper werden Rahmenbedingungen identifiziert, die weder in der Aufführung selber noch in den Zuschauern liegen. Hierunter fallen in der vorliegenden Arbeit die Akustik des Saales, der Komfort des Sitzes, die Sicht auf die Bühne, störende Ablenkungen während der Aufführung, die Temperatur im Zuschauerraum, der Service des Hauses, Räumlichkeiten neben dem Aufführungssaal selber (Foyer, etc.) und die Länge der Aufführung.

Ebenfalls zu den situativen Rahmenbedingungen würde der Einfluss der Urteile anderer Personen auf das eigene Urteil gehören (vgl. Abschnitte 2.2.3.1.4 und 2.2.3.2.3), dessen Erhebung im Rahmen der vorliegenden Untersuchung jedoch nicht möglich ist.

2.3.4 Das ‚Gesamterlebnis Opernabend’

In der vorliegenden Arbeit wird angenommen, dass die Determinanten nicht unabhängig voneinander sind, sondern sich gegenseitig beeinflussen. So könnte bspw. die Wahrnehmung der musikalischen Leistung des Orchesters beeinträchtigt sein, sollte die Akustik im Aufführungssaal nicht dem Standard entsprechen. Ebenfalls könnten ständige Geräusche aus dem Publikum einen Zuschauer daran hindern, sich auf die Aufführung zu konzentrieren und ihm so die Möglichkeit nehmen, die Gefühle der Charaktere auf der Bühne nachzuempfinden.

Auch die Identifikation mit Charakteren könnte beeinträchtigt sein, sollte bspw. das Bühnenbild die Aufführung in Bezug auf die Handlung und Darsteller nicht unterstützen.

Abbildung 3 gibt sämtliche in dieser Arbeit angenommenen Determinanten des Gesamturteils des Publikums über einen Abend in der Oper sowie ihre Beziehungen untereinander grafisch wieder.

Abbildung 3: Determinanten des Gesamturteils des Publikums über einen Abend in der Oper (‚Gesamterlebnis Opernabend’)

Gesamterlebnis Opernabend

wahrgenommene künstlerische Qualität

• emotionale Wirkung

• kollative Variablen

• Identifikation individuelle Reaktion

des Zuschauers

situative Rahmenbedingungen