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2. FRAGESTELLUNG DER ARBEIT, STAND DER FORSCHUNG UND EIGENE

2.2 Stand der Forschung

2.2.3 Erklärungen individueller Reaktionen im Musiktheater

2.2.3.2 Erklärungen individueller Urteile über einen Abend im Sprechtheater

2.2.3.2.2 Die emotionale Wirkung einer Theateraufführung auf den Zuschauer

Nachdem die emotionale Wirkung einer Aufführung auf den Zuschauer als eine Determinante seines individuellen Urteils identifiziert wurde, werden im Folgenden weitere Arbeiten vorgestellt, die sich speziell mit Emotionen im Sprechtheater beschäftigen, da in der vorliegenden Arbeit von einem bedeutenden Einfluss der Emotionen auf das Gesamturteils des Publikums ausgegangen wird.

1 Dieser Aussage muss widersprochen werden, da auch bei der Rezeption von Musik von – unterschiedlich starken – physischen Reaktionen berichtet wurde (vgl. Abschnitt 2.2.3.1.3).

Konijn (1999) identifiziert anhand einer Studie während eines Theaterfestivals in den Niederlanden (n = 757) drei Dimensionen von Emotionen: Identifikation, Empathie1 und task emotions (Konijn, 1999, S. 173 ff.). Ihr Verständnis von Identifikation geht dabei auf Aristoteles’ Konzept der Katharsis (übersetzt 1968) zurück und umfasst Emotionen, die der Zuschauer parallel zu denen der Charaktere auf der Bühne in ihren jeweiligen Situationen empfindet (vgl. Abschnitt 2.2.3.2.1). Unklar bleibt ihre Auffassung von Empathie, die sich nur wenig von der Identifikation abzuheben scheint (Konijn, 1999, S. 173).2 Einen wesentlich größeren Einfluss auf das Gesamterlebnis schreibt Konijn den task emotions zu, „that result from the task of spectating, such as ‚I should concentrate better on the plot, but what a well-performed Hedda!’ The understanding of the game that is played by the actors on stage […]

stirs task emotions in spectators” (Konijn, 1999, S. 173). Diese können sowohl negativ als auch positiv sein, wobei unter negative Emotionen u.a. Verwirrung, Verärgerung und Langeweile fallen; zu den positiven gehören Konzentration, Herausforderung, Spannung und Bewunderung. Parallelen zu Berlynes „New Experimental Aesthetics“ (u.a. 1960, 71, 74a, 74b, vgl. Abschnitt 2.2.3.1.2) fallen ins Auge.

Drei Auslöser von Emotionen benennt Konijn: Neben der Fiktion auf der Bühne und den dazugehörigen Gegenständen können auch persönliche Erinnerungen und Assoziationen Emotionen erzeugen, die sich demnach nicht zwangsläufig direkt auf Ereignisse auf der Bühne beziehen müssen (Konijn, 1999, S. 174).3 Bei der Auswertung der empirischen Ergebnisse zeigt sich, dass eine Identifikation mit den Charakteren auf der Bühne kaum stattfindet, Empathie und positive task emotions hingegen in hohem Ausmaß auftreten (Konijn, 1999, S. 189).

Ebenfalls mit dem Prozess der Identifikation im Sprechtheater setzen sich Schoenmakers und Tulloch (2004) auseinander, die dabei den Einfluss der spezifischen Aufführung auf das Ausmaß der Identifikation deutlich machen. Drei entscheidende Faktoren werden herausgearbeitet: Für eine starke Identifikation des Zuschauers mit Charakteren auf der Bühne muss erstens ein Gefühl der Ähnlichkeit zwischen ihm und dem entsprechenden Charakter

1 Als englischsprachige Wendung des Originalbegriffs ‚Einfühlung’ setzte sich der Begriff ‚empathy’ bzw.

‚Empathie’ in der Literatur durch (Kreitler & Kreitler, 1980, S. 252).

2 Einen ausführlichen Überblick über Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Begriffe ‚Identifikation’ und

‚Empathie’ bietet Zillmann (1991, S. 135f.).

3 Im Gegensatz zu Eversmann (2004), der persönliche Erinnerungen und Assoziationen zur cognitive dimension zählt (vgl. Abschnitt 2.2.3.2.1), schreibt Konijn (1999) diese den Emotionen (genauer: den Auslösern von Emotionen) zu.

entstehen, das sich auf Alter und Geschlecht sowie auf Persönlichkeit und Werte bezieht.1 Zweitens muss der Charakter eine gewisse Attraktivität ausstrahlen, so dass beim Betrachter der Wunsch entsteht, diesem ähnlich zu sein. Als dritte Bedingung einer starken Identifikation gelten formale Aspekte der Aufführung. So werden sich Zuschauer bspw. nur schwerlich mit Charakteren identifizieren, die sehr kleine Rollen spielen und/oder über die kaum Informationen erhältlich sind (Schoenmakers & Tulloch, 2004, S. 19f.).

Einen anderen Weg wählt Zillmann (1994), den ebenfalls die Prozesse interessieren, die (teilweise sogar intensive) Gefühlsbeteiligungen der Zuschauer an Geschehnissen und Schicksalen auf der Bühne vermitteln, wenngleich sie nur fiktiv sind: „How can so-called rational beings fall prey to the actors’ personas and respond to them as they were real persons in their immediate environment […]?“ (Zillmann, 2004, S. 34). Er zweifelt am Nutzen des Identifikations-Konzeptes zur Erklärung emotionaler Reaktionen im Theater (siehe oben), nachdem er zeigt, dass sich das Publikum mit Bühnenfiguren nicht identifiziert, sondern sich diesen gegenüber verhält „in much the same way they respond to friends and foe in their actual, immediate social environment“ (Zillmann, 1994, S. 36) (vgl. Abschnitt 2.2.3.2.1). Von weit größerem Nutzen zur Erklärung von Emotionen im Theater erscheint ihm die Empathie, die er folgendermaßen definiert:

„Empathy is defined as any experience that is a response (a) to information about circumstances presumed to cause acute emotions in another individual and/or (b) to the bodily, facial, paralinguistic, and linguistic expression of emotional experiences by another individual and/or (c) to another individual’s actions that are presumed to be precipitated by acute emotional experiences, this response being (d) associated with an appreciable increase in excitation and (e) construed by respondents as feeling with or feeling for another individual.” (Zillmann, 1994, S. 40)

Nach einer Diskussion verschiedener Aspekte der Empathie, auf deren Erläuterung an dieser Stelle aus Platzgründen verzichtet wird, schildert Zillmann ihren Einfluss auf die Rezeption einer Theateraufführung: So müssen die Charaktere für eine emotionale Reaktion der Zuschauer so gestaltet sein, dass diese entweder als Freund oder Feind interpretiert werden

1 Dem widerspricht Eversmann (2004), nach dem sich das Publikum in den meisten Fällen mit dem Hauptdarsteller identifiziert und „outward characteristics, such as age, gender or race, only play a minor role here.“ (Eversmann, 2004, S. 153f.)

können. Hier gilt laut Zillmann ‚je stärker, desto besser’ insofern, als dass „the more the respondents are emotionally touched and taken in by dramatic events, the more likely it is that they will appraise, in retrospect, the drama experience as positive and enlightening”

(Zillmann, 1994, S. 48). Ein klarer Einfluss der Emotionen auf das Publikumsurteil im Sprechtheater wird demnach unterstellt.

2.2.3.2.3 Die Situation

Auch situative Bedingungen gelten in der Literatur als Determinanten des Gesamturteils des Publikums über einen Abend im Theater. Diese können in den Einfluss anderer Menschen sowie den der Rahmenbedingungen unterteilt werden.

So werden Urteile auch im Sprechtheater im Kontext anderer Menschen gefällt und gerade in

„nicht eindeutigen Wahrnehmungssituationen [können] zuvor abgegebene Urteile anderer das eigene Urteil beeinflussen“ (Behne, 1997, S. 1006, vgl. ebenfalls Wilson, 1985, S. 65ff.).

Dazu gehören u.a. in den Medien veröffentlichte Theaterkritiken, die insbesondere die von Csikszentmihalyi und Robinson (1990) betitelte cognitive dimension der Wahrnehmung (vgl.

Abschnitt 2.2.3.2.1) insofern beeinflussen, als dass vor der Aufführung Erwartungen beim Zuschauer geweckt werden und dieser während der Aufführung bzw. danach seine eigenen Gedanken und Interpretationen mit denen des Kritikers bzw. der Kritiker abgleicht (Eversmann, 2004, S. 168). Ähnliches gilt für die Reputationen der Schauspieler, des Regisseurs, des Bühnenbildners oder Dramaturgen, die die Erwartungen im Voraus ebenso beeinflussen können. Zusätzlich hat auch die Länge des Applauses vor der Pause bzw.

insbesondere nach Ende der Vorstellung einen Einfluss in dem Sinne, dass „spectators are contaminated by emotions from others and/or that feelings are intensified and reinforced by the reaction of their neighbours“ (Eversmann, 2004, S. 171; vgl. ebenfalls Wilson, 1985, S.

65f.).

Einen erheblichen Einfluss auf das Urteil über einen Abend im Sprechtheater wird auch den Rahmenbedingungen zugesprochen, zu denen das Theatergebäude, seine Lage, die Atmosphäre im Theater und der Komfort der Sitze genauso gehören wie die Informationen, die die Zuschauer von Seiten des Theaters erhalten (Programmheft, etc.) (Eversmann, 2004, S. 165; Kreitler & Kreitler, 1980, S. 250). Drei Funktionen schreibt Eversmann diesen zu:

„During the performance the (spatial) conditions can help to focus the concentration, to further communication with the performers and to establish a sense of unity” (Eversmann,

2004, S. 166). Bei Betrachtungen des Gesamterlebnisses eines Theaterabends fallen weitere Faktoren ins Gewicht: So sind auch die Wahl des Stückes, die Infrastruktur (öffentliche Verkehrsmittel, Parkmöglichkeiten, etc.), der Empfang des Publikums beim Betreten des Gebäudes oder das Vorhandensein von Diskussionsmöglichkeiten nach der Vorstellung nicht ohne Einfluss (Eversmann, 2004, S. 166). Anders als bei den Subjekt-Variablen der Zuschauer können die Verantwortlichen des Theaters hier also einen sehr guten Zustand herzustellen versuchen und sind in der Lage, das Publikumsurteil positiv zu beeinflussen – ohne (übermäßig) hohe Kosten und ohne Gefährdung des künstlerischen Anspruchs.1

2.3 Determinanten des Gesamturteils des Publikums über einen Abend in der Oper