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2. FRAGESTELLUNG DER ARBEIT, STAND DER FORSCHUNG UND EIGENE

2.2 Stand der Forschung

2.2.1 Das analytische Modell zur künstlerischen Qualität im Musiktheater

In ihrer Arbeit zu Führungsbesonderheiten im Musiktheater entwickelt Boerner (2002) das erste analytische Modell zur künstlerischen Qualität im Musiktheater, das der Präzisierung des angestrebten Führungserfolges dient. Dabei interessieren sie eine systematische Beschreibung bzw. Definition der künstlerischen Qualität sowie die Frage der Messbarkeit derselben.

Boerner unterteilt das Konstrukt ‚künstlerische Qualität im Musiktheater’ in zwei Aspekte:

Profilqualität und Interpretationsqualität. Unter Profilqualität versteht sie dabei „das Leistungsprogramm eines Hauses“ (Boerner, 2002, S. 133), das sich im Spielplan konkretisiert und sämtliche angebotenen Veranstaltungen umfasst. Die Kriterien für die Beschreibung der Profilqualität eines öffentlichen Theaters, die die Autorin aus dessen Kulturauftrag ableitet, sind folgende: Vielfalt vs. Spezialisierung, Konformität vs. Originalität sowie Moderne vs. Traditionalität des Spielplans. Für die vorliegende Arbeit wesentlich

1 Da in der Literatur noch kaum Erkenntnisse hinsichtlich der in dieser Arbeit gestellten Untersuchungsfragen bestehen, wird auf die Formulierung von Hypothesen bewusst verzichtet. Die wenigen vorhandenen Ergebnisse werden jedoch bei der Datenauswertung in Kapitel 5 vergleichend berücksichtigt.

relevanter ist jedoch der zweite Aspekt künstlerischer Qualität im Musiktheater: die von der Profilqualität zumindest teilweise unabhängige Interpretationsqualität. Diese wird als

„Ausführung des Leistungsprogramms“ (Boerner, 2002, S. 64) definiert und umfasst die Produktion (Inszenierung und musikalische Konzeption) sowie die Aufführung eines Werkes.

Da die Oper ein mehrdimensionales Werk darstellt (Koebner, 1993, S. 193; Pahlen, 1981, S.

11), unterteilt Boerner auch die Interpretationsqualität in die Dimensionen ‚Musik’ und

‚Szene’. Jede Dimension wiederum wird in einem weiteren Schritt in Potential- und Ergebnisfaktoren differenziert. Potentialfaktoren werden als Teilqualitäten definiert, „die in ihrer Gesamtheit die Interpretationsqualität im Musiktheater ausmachen“ (Boerner, 2002, S.

79). Ergebnisfaktoren hingegen „differenzieren die pro Potentialfaktor angestrebte Interpretationsqualität (z.B. ein bestimmtes Klangbild, eine bestimmte Atmosphäre) weiter aus“ (Boerner, 2002, S. 79). Tabelle 1 dient zur Veranschaulichung.

Tabelle 1: Kombination von Potential- und Ergebnisfaktoren der musikalischen und der szenischen Dimension der Interpretationsqualität im Musiktheater

Musikalische Dimension

Potentialfaktoren Ergebnisfaktoren

Orchesterqualität Chorqualität Qualität des Sologesangs Klang

Tempo/ Rhythmus

Szenische Dimension

Potentialfaktoren Ergebnisfaktoren

schauspielerische Qualität Ausstattungsqualität Handlung

Ort Zeit Figuren Atmosphäre Genre

aus: Boerner, 2002, S. 80

Eine Verfeinerung dieses zweidimensionalen Beschreibungsschemas strebt Boerner durch eine Ausdifferenzierung der Potential- und Ergebnisfaktoren an (Boerner, 2002, S. 81 ff.). Da die Interpretationsqualität im Rahmen dieser Arbeit lediglich einen Teil der künstlerischen Qualität im Musiktheater darstellt, wird das bereits beschriebene Differenzierungsniveau der Potential- und Ergebnisfaktoren hier als ausreichend betrachtet.

Die Qualität der einzelnen Potential- und Ergebnisfaktoren sowie ihrer jeweiligen Teilfaktoren ist nach Boerner jedoch nicht allein ausschlaggebend für die Interpretationsqualität einer Opernaufführung. Ebenfalls entscheidend ist die Stimmigkeit der Faktoren untereinander, welche als die „Integration aller Teilmomente eines Kunstwerkes zu einem Ganzen“ (Boerner, 2002, S. 92) beschrieben und als zentrales Qualitätskriterium gesehen wird. Neben der Interpretationsqualität ist auch das Kriterium der Stimmigkeit einer Aufführung, das in Anlehnung an die kontingenztheoretische Forschung als ‚fit’ bezeichnet wird, bis zu diesem Zeitpunkt nicht systematisch untersucht worden, weswegen Boerner einen eigenen Vorschlag zur Präzisierung präsentiert. Der fit wird darin in einem hierarchischen Modell konkretisiert und bezieht sich jeweils auf die oben erläuterten Ergebnisfaktoren der Interpretationsqualität.

An erster Stelle ist die Stimmigkeit zwischen der musikalischen und der szenischen Dimension bedeutsam, die als „fit erster Ordnung“ oder „fit 1“ bezeichnet wird. Boerner erwähnt als Beispiel die Abstimmung zwischen dem in der musikalischen Dimension erzeugten Klangbild und der Atmosphäre, die die szenische Dimension vermittelt (Boerner, 2002, S. 93). Auch innerhalb der jeweiligen Dimensionen ist eine Stimmigkeit anzustreben, die „fit zweiter Ordnung“ bzw. „fit 2“ genannt wird. So sind „innerhalb der musikalischen Dimension […] die Potentialfaktoren (Orchesterqualität, Chorqualität und die Qualität des Sologesangs) in Bezug auf die Ergebnisfaktoren (Klang und Tempo/ Rhythmus) aufeinander abzustimmen“ (Boerner, 2002, S. 93). Selbiges gilt für die Potentialfaktoren der szenischen Dimension, innerhalb derer die Abstimmung der schauspielerische Qualität und der Ausstattungsqualität bspw. in Bezug auf die Handlung gegeben sein muss. Drittens ist die Stimmigkeit innerhalb der jeweiligen Potentialfaktoren bedeutsam, die als „fit dritter Ordnung“ oder „fit 3“ bezeichnet wird. Hierunter fallen bspw. die Synchronisation der Orchestermusiker in Bezug auf ihre Einsätze sowie die Ausrichtung von Kostümbild und Bühnenraum auf die szenische Gesamtkonzeption. Insgesamt ist das Stimmigkeitsmerkmal also als „ein Ergebnisfaktor einzuordnen, der das Zusammenspiel der Teilfaktoren, der Potentialfaktoren und der Dimension beschreibt und daher eine Art Meta-Kriterium der Interpretationsqualität darstellt“ (Boerner, 2002, S. 93).1

Das von Boerner entwickelte Konzept künstlerischer Qualität im Musiktheater ist dabei hierarchisch aufgebaut, so dass die Stimmigkeit auf jeder Ebene erneut hergestellt werden

1 Ergänzend sei angemerkt, dass Stimmigkeit jedoch keineswegs eine vollständige Parallelisierung voraussetzt, die eher als komisch gilt und daher als „Mickey-Mousing“ (Kühn, 1982, S. 12) bezeichnet wird.

muss und jeder untergeordnete fit eine notwendige, jedoch nicht hinreichende Bedingung für den fit auf der nächst höheren Ebene darstellt (Boerner, 2002, S. 97). Aus diesem Grund sind die drei genannten Ebenen „so miteinander verbunden, dass Entscheidungen auf der übergeordneten Ebene jeweils Entscheidungs- und Handlungsspielräume auf den nachgeordneten Ebenen einschränken“ (Boerner, 2002, S. 97). Die drei fit-Kriterien sind also nicht unabhängig voneinander, wobei die Abhängigkeit je nach Merkmal unterschiedlich stark sein kann. Tabelle 2 dient wiederum zur Veranschaulichung.

Tabelle 2: Hierarchisches fit-Modell der Interpretationsqualität im Musiktheater

fit 1

Stimmigkeit der Dimensionen in Bezug auf die Ergebnisfaktoren

Musikalische Dimension Szenische Dimension

fit 2

Stimmigkeit der Potentialfaktoren in Bezug auf die Ergebnisfaktoren der musikalischen Dimension

fit 2

Stimmigkeit der Potentialfaktoren in Bezug auf die Ergebnisfaktoren der szenischen Dimension

Eine grafische Darstellung der hierarchischen Beziehungen der Dimensionen, Potentialfaktoren und Teilfaktoren zwischen den verschiedenen Modellebenen bietet Abbildung 1.

Abbildung 1: Hierarchisches Modell des Qualitätsurteils im Musiktheater

'fit1'

Wie Abbildung 1 zu entnehmen ist, besteht die dritte Ebene des analytischen Modells sowohl aus Potentialfaktoren als auch aus dem Zusammenspiel innerhalb der jeweiligen Potentialfaktoren. Zehn Konstrukte lassen sich differenzieren: Diese sind die musikalische Leistung der Solisten, des Orchesters und des Chores, die szenische Leistung der Solisten und des Chores, die Qualität der Ausstattung sowie das Zusammenspiel innerhalb der Potentialfaktoren (Zusammenspiel der Solisten, innerhalb des Orchesters sowie innerhalb des Chores, Stimmigkeit der szenischen Aspekte der dritten Ebene). Wie beschrieben beeinflussen diese die zweite Modellebene, die wiederum auf die erste Ebene Einfluss nimmt.