• Keine Ergebnisse gefunden

Einbürgerungsraten und Erfolgsquoten

4. Quantitative Analysen

4.4 Einbürgerungsraten und Erfolgsquoten

Will man den Grad der im Einbürgerungsverfahren angelegten Liberalität beziehungsweise Restriktivität messen, so bieten sich klassischerweise zwei Maßstäbe an: die Erfolgsquote und die Einbürgerungsrate. Die Erfolgsquote als ein Verhältnis zwischen der Zahl der gestellten Einbürgerungsanträge und den positiv beschiedenen ist dabei das aussagefähigere Kriterium, aber schwerer zu ermitteln. Angaben zur Zahl der eingereichten Anträge sind zu keiner Zeit veröffentlicht worden. Umgekehrt ist die Einbürgerungsrate als Verhältnis zwischen der Zahl der in einem Jahr vollzogenen Einbürgerungen und der in diesem Jahr registrierten Gesamtzahl von Ausländern als potentielle Einbürgerungsinteressenten leichter zu erfassen. Die Stärke ihrer Aussagefähigkeit ist aber dadurch eingeschränkt, dass sie implizit ein gleiches Interesse aller potentiellen Antragsteller annimmt. Sie vermag nicht, zwischen den unterschiedlichen Situationen verschiedener Migrantengruppen zu differenzieren.

Nur die Aufzeichnungen für die badischen Landeskommissärbezirke Konstanz und Mannheim enthalten sowohl abgelehnte als auch positiv entschiedene Einbürgerungsanträge. Dabei kamen in Konstanz zwischen 1888 und 1913 auf 202 Urkundennehmer insgesamt 33 Antragsteller, die abgelehnt wurden, sodass sich eine Erfolgsquote von 86 Prozent ergibt.41 Im Bereich des Landeskommissärs Mannheim lag die Quote bei 71 Prozent, hier waren nach dem vorliegenden Datensatz zwischen 1897 und 1913 147 von 207 Antragstellern erfolgreich.42 Auf Grund fehlender Vergleichsdaten können diese Quoten nicht zu anderen Bundesstaaten oder zu anderen Zeiträumen in Bezug gesetzt werden. Auch sind keine Informationen darüber verfügbar, wie sorgfältig und vollständig die Listen, vor allem in Bezug auf die abgelehnten Gesuche, von den Landeskommissären geführt wurden. Das Ergebnis ist damit mit einer gewissen Unsicherheit verbunden, liefert aber zumindest für das Großherzogtum Baden ein Indiz dafür, dass die Erfolgsquoten bemerkenswert hoch waren. Und dieser Trend lässt sich verallgemeinern, wenn man die Einbürgerungsraten hinzunimmt.

41 StAF A96/1 2058, 2059 und 2077.

42 GLA 318/9-330 Zug 1950-20.

Für das gesamte Deutsche Reich lässt sich die Einbürgerungsrate nur für das Jahr 1880, zu einem Zeitpunkt, als der Übergang zum Einwanderungsland noch nicht vollzogen war, berechnen; sie lag bei 1,77 Prozent. Um diese Einbürgerungsrate etwas besser einordnen zu können, sei ein Vergleich mit der Bundesrepublik erlaubt. In den 1980er Jahren lag die Einbürgerungsrate in der Bundesrepublik unter 0,4 Prozent.43 1995 wies das Bundesland Berlin mit 1,71 Prozent die höchste Rate aller Bundesländer auf.44 Auch wenn dabei zu berücksichtigen ist, dass die Einbürgerungsraten in Zeiten aktueller und zahlenmäßig großer Einwanderung immer niedriger ist als in Zeiten geringer Einwanderung, so ist doch die Feststellung bemerkenswert, dass die Einbürgerungsrate im Kaiserreich so deutlich über der der Bundesrepublik lag.

Aber zurück zu Kaiserreich und Weimarer Republik. Auf der Ebene der Bundesstaaten lassen sich die Einbürgerungsraten noch weiter differenzieren und die folgenden Tabellen zeigen, dass von den drei untersuchten Bundesstaaten Preußen die höchsten Einbürgerungsraten aufwies, sofern die Gesamtzahl der Ausländer als Ausgangsbasis dient (Tabelle 20). Sie lag 1880 fast doppelt so hoch wie die berechnete Einbürgerungsrate für das Reich.

Tabelle 20: Einbürgerungsraten in Preußen

1880 1885 1910

Preußen gesamt 3,08 1,62 1,20

nur Staatsangehörige Österreich-Ungarns 1,74 1,81 0,81

nur Staatsangehörige Russlands 3,32 0,18 3,68

nur Staatsangehöriger der Niederlande 11,07 3,89 0,85

nur Staatsangehörige Italiens 0,64 0,92 0,30

Quelle: Pr. Statistik Bd. 66 (1880), S. 44-45; Bd. 96 (1885), S. 52-54; Bd. 234 (1910), S. 38-41. Eigene Berechnungen.

Die Einbürgerungsraten lagen in Preußen aber nicht für alle Herkunftsstaaten gleich hoch. Besonders auffällig ist die extrem hohe Einbürgerungsrate der Niederländer, die noch einmal aufzeigt, unter welchem Einbürgerungsdruck die niederländischen Staatsangehörigen standen. Im Jahre 1880 ließ sich jeder neunte in Preußen ansässige Niederländer einbürgern. Aber auch russische Staatsangehörige wiesen eine sehr hohe Einbürgerungsrate auf, während im Vergleich dazu österreichisch-ungarische Staatsangehörige zu

43 Hagedorn, S.45.

44 Ebd., S.53.

einer nur halb so hohen Rate eingebürgert wurden. Bei Italienern lag die Einbürgerungsrate noch niedriger.

In nur einem Jahrfünft ging die preußische Einbürgerungsrate aber auf die Hälfte zurück, was in erster Linie auf den Abbau der für 1880 berechneten Extremwerte zurückzuführen ist. Die Einbürgerungsrate für Niederländer sank auf immer noch hohe 3,89 Prozent. Das bemerkenswerteste Ereignis stellt aber die 1885 rapide gefallene Rate für russische Staatsangehörige dar. Sie sank auf den geringen Wert von 0,18 Prozent und lag damit über das 18fache niedriger als noch 1880. Hier zeigt sich ein weiteres Mal, wie massiv sich die preußische Abwehrpolitik auf russische Staatsbürger auswirkte. In der zweiten Hälfte der 1880er Jahre hatten sie fast keine Chance mehr, ihre Einbürgerung zu erreichen.

Bis 1910 sank die Einbürgerungsrate für das gesamte preußische Staatsgebiet weiter ab, wobei zu berücksichtigen ist, dass die Zahl der potentiellen Antragsteller durch die vermehrte Einwanderung enorm gestiegen war. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich auch die Einbürgerungsrate der Niederländer der Rate anderer Migrantengruppen angeglichen und auch die sehr hohe Rate für Einwanderer aus Russland wieder hergestellt. Deutlich unterdurchschnittlich blieb weiterhin die Einbürgerungsrate der Italiener, die nur mehr 0,3 Prozent betrug.

Tabelle 21: Einbürgerungsraten in Baden

1890 1895 1900 1905 1925

Baden gesamt 0,60 1,03 0,63 0,62 2,68

nur Staatsangehörige Österreich-Ungarns 0,78 0,90 1,08 1,12

nur Staatsangehörige Russlands 0 1,54 1,89 1,35

nur Staatsangehörige Italiens 0,41 0,04 0,17 0,30

nur Staatsangehörige der Schweiz 0,15 0,36 0,11 0,12

Quelle: StJB für das Großherzogtum Baden 41 (1914/15), S.27. Eigene Berechnungen.

Die Einbürgerungsraten in Baden lagen generell unter den preußischen (Tabelle 21). Zum einen fehlte in Baden eine Gruppe von Einwanderern, die wie die Niederländer in Preußen unter größeren Einbürgerungsdruck gestellt wurden und deshalb extrem hohe Einbürgerungsraten aufwiesen. Zum anderen blieben auch die Einbürgerungsraten für alle anderen Herkunftsstaaten unter denen Preußens. Die höchste Rate wiesen Einwanderer aus Russland auf, mit der Ausnahme von 1890, als kein russischer Staatsangehöriger in Baden eingebürgert wurde.

Österreichisch-ungarische Staatsangehörige erreichten als größte Gruppe von Eingebürgerten eine Einbürgerungsrate von ungefähr einem Prozent. In Baden lebten zwar ähnlich viele Schweizer und Italiener wie Angehörige Österreich-Ungarns, aber ihre Einbürgerungsrate lag erheblich unter derjenigen für Österreicher und Ungarn. Dass die Einbürgerungsrate für italienische Staatsangehörige niedrig lag, konnte bereits für Preußen festgestellt werden und traf allgemein für diese Gruppe auch in anderen Bundesstaaten zu. Auffällig ist allerdings die sehr geringe Rate für Einwanderer aus der Schweiz, obwohl die Einwanderungssituation dieser Gruppe doch der der Niederländer in Preußen ähnlich war. In beiden Fällen reichte die Einwanderung aus dem jeweiligen Nachbarland länger als die aus anderen Staaten zurück und spielte bereits zur Zeit der Reichsgründung eine nennenswerte Rolle. Das Einbürgerungsinteresse war aus Gründen der Militärpflicht in beiden Fällen ebenfalls gering, worauf die Regierungen aber unterschiedlich reagierten. Im Gegensatz zu Preußen setzte die badische Regierung schweizer Staatsangehörige nicht unter Einbürgerungsdruck. Sie mussten weder Ausweisungen noch sonstige Restriktionen fürchten.

Nach dem Ersten Weltkrieg stieg die Zahl der Einbürgerungen in Baden bei gleichzeitig sinkenden Ausländerzahlen stark an. Im Jahr der ersten Volkszählung in der Weimarer Republik (1925) lag die badische Einbürgerungsrate mit 2,68 Prozent vier mal höher als noch 1905. Die Datenlage lässt hier weder eine Aufschlüsselung nach Herkunftsstaaten noch einen Vergleich mit anderen Jahren der Weimarer Republik zu, sodass dieser Wert für sich stehen muss. Festzuhalten bleibt jedoch, dass die Einbürgerungsrate in der Weimarer Republik als sehr hoch anzusehen ist.

Tabelle 22: Einbürgerungsraten in Bayern

1880 1885 1890 1925 1933

Bayern gesamt 0,44 0,59 0,68 2,34 1,43

nur Staatsangehörige Österreich-Ungarns 0,40 0,53 0,62

nur Staatsangehörige Russlands 1,81 1,22 0,16

nur Staatsangehörige Italiens 0 0,56 0,43

nur Staatsangehörige der Schweiz 0,37 0,50 0,80

Quelle: StJB für das Königreich Bayern 10 (1909), S.21, Eigene Berechnungen.

Wird die Entwicklung der badischen Einbürgerungsraten mit den Berechnungen für Bayern verglichen, so ergibt sich ein ähnliches Bild.

Allgemein betrachtet lag die bayerische Rate in etwa auf dem niedrigen

badischen Niveau und stieg über die Jahre leicht an (Tabelle 22). In den Jahren der Volkszählungen 1880 und 1885 erreichten russische Staatsangehörige die höchsten Einbürgerungsraten in Bayern. Genau wie im Großherzogtum Baden fiel diese Einbürgerungsrate 1890 aber auf einen sehr geringen Wert, in Preußen geschah das bereits 1885. Es zeigt sich, dass sich hier die preußische Abwehrpolitik mit einiger Verzögerung allmählich auch in den süddeutschen Staaten durchsetzte.

Die Einbürgerungsrate österreichisch-ungarischer Staatsangehöriger lag im Königreich Bayern deutlich unter den preußischen und badischen Werten.

Einwanderer aus dem Nachbarland stellten zwar die überwiegende Mehrheit der in Bayern eingebürgerten Personen, aber in Relation zu ihrem Bevölkerungsanteil kamen sie nur auf eine Einbürgerungsrate, die ungefähr derjenigen italienischer oder schweizer Staatsangehöriger entsprach. Sie lag zwischen 1880 und 1890 bei etwa einem halben Prozent.

Für die folgenden Jahre bis zum Ersten Weltkrieg liegen für Bayern keine Einbürgerungszahlen vor, sodass sich auch keine Einbürgerungsraten berechnen lassen. Erst in den Jahren 1925 und 1933 stehen den Volkszählungsdaten auch wieder Informationen über die Zahl der Einbürgerungen gegenüber. Wie schon für Baden lässt sich 1925 auch für Bayern ein rapider Anstieg der Einbürgerungsrate auf 2,34 Prozent beobachten, die aber keine Differenzierung nach Herkunftsstaaten gestattet.

Dieser Spitzenwert im Jahre 1925 fiel zwar bis zum Krisenjahr 1933 wieder deutlich auf 1,43 Prozent ab, lag damit jedoch noch immer über den im Kaiserreich ermittelten Werten. Sowohl in absoluten als auch in relativen Zahlen gemessen war damit die quantitative Bedeutung der Einbürgerung in den süddeutschen Staaten Baden und Bayern in der Weimarer Republik deutlich größer als im Kaiserreich. Auch wenn sich für die Volkszählungsjahre 1925 und 1933 keine preußischen Einbürgerungsraten berechnen lassen, kann für Preußen im Prinzip die gleiche Aussage gelten. Nach den Angaben einer tabellarischen Aufstellung aus dem bayerischen Innenministerium wurden 1928 in Preußen 16 797 Personen eingebürgert.45 Bei einer niedrigeren Anzahl von ansässigen Ausländern waren das doppelt so viele Einbürgerungen wie 1910, als Preußen 8 262 Personen einbürgerte.

45 Übersicht über die im Deutschen Reiche erfolgten Einbürgerungen, 10.1.1931, BHStA Gesandtschaft Stuttgart 367.

4.5 Zusammenfassung

Im Einwanderungsland Deutschland kamen Einbürgerungen relativ häufig vor. Es handelte sich hierbei um ein Phänomen von beachtenswerter quantitativer Bedeutung. Mit zunehmender Einwanderung und einer größer werdenden Anzahl länger ansässiger Migranten stiegen die Einbürgerungszahlen in Preußen, Bayern und Baden bis zum Ersten Weltkrieg, zuerst langsam, dann schneller an. Dieser Trend war eine reichsweite Entwicklung. Der Erste Weltkrieg führte dagegen nur in Baden und Bayern in den ersten Kriegsjahren zu einem größeren Anstieg der Einbürgerungszahlen. Erst die sich abzeichnende Niederlage in den letzten beiden Kriegsjahren sorgte dafür, dass weniger Migranten als zuvor eingebürgert wurden. Ab 1919 schnellten die Einbürgerungsziffern wieder steil nach oben, um sich in den 1920er Jahren auf deutlich höherem Niveau als im Kaiserreich einzupendeln. Mit der Wirtschaftskrise und der verstärkten Abgrenzungshaltung wurde 1932/33 ein neuer Tiefpunkt erreicht, der, soweit es abzusehen ist, Mitte der 1930er Jahre überwunden wurde, sodass die Einbürgerungszahlen wieder anstiegen.

Im Vergleich zum Kaiserreich erhöhte sich die Zahl der Einbürgerungen nicht nur absolut, sondern auch relativ. Baden und Bayern erreichten in den 1920er Jahren Einbürgerungsraten von über zwei Prozent und lagen damit deutlich über heutigen Einbürgerungsraten.

Die wichtigsten Herkunftsstaaten während des Kaiserreichs waren Österreich-Ungarn und Russland. Vor dem Ersten Weltkrieg kamen von den in Preußen Eingebürgerten 30 Prozent aus Österreich-Ungarn und 38 Prozent aus Russland. In Baden und Bayern kam 36 beziehungsweise 76 Prozent der Neubürger aus Österreich-Ungarn.

Für die Jahre 1907 – 1911 liegen Erhebungen über das Einkommen der in Preußen Eingebürgerten vor. Die Hälfte der Eingebürgerten verfügte über ein Einkommen von unter 900 Mark und war von Steuerzahlungen befreit. Etwa ein Viertel lag bei einem Jahreseinkommen von 900 – 1500 Mark, sodass sich die Eingebürgerten bezüglich des Einkommens nicht wesentlich von der Gesamtbevölkerung unterschieden.

Die Analyse der Altersstruktur ergab, dass überwiegend Antragsteller zwischen 21 und 40 Jahren eingebürgert wurden, wobei die Eingebürgerten

!

∀ !

# ∃ % & ∋ ( & % ! ) ∋ ∗ + , − &

. / ) ( ! / 0 1 &

0 ,!

( & (

∗ 1 &

∀ !

∀ 2 ∀ ! . &

( ∋ & ! 1 # 0 &

344 5& ! ∀ 6 & &

. !/ 0 7 ∋ 8 ∋ ! + ∗ ∋ & 7 ∋ !

5. Einbürgerungspraxis