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Einbürgerung in der Weimarer Republik

3. Staatsangehörigkeit und Einbürgerung

3.7 Einbürgerung in der Weimarer Republik

Krieg, Niederlage, Friedensschluss und Demokratie brachten einige grundsätzliche Änderungen in die Einbürgerungspolitik. Größere

127 So Just, S.89.

128 So Gosewinkel: Einbürgern und Ausschließen, S.329.

129 Reichskanzler an badisches Ministerium des Großherzoglichen Hauses und der auswärtigen Angelegenheiten, 3.5.1915, GLA 233/11130.

130 Gosewinkel: "Unerwünschte Elemente", S.97.

131 Vgl. dazu: Angress, Werner T.: The German Army's 'Judenzählung' of 1916. Genesis – Consequences – Significance, in: LBIY 23 (1978), S.117-135.

132 Gosewinkel: Einbürgern und Ausschließen, S.337.

Mitwirkungsmöglichkeiten in der Demokratie und vermehrte Leistungen des Sozialstaates führten zu einer Bedeutungssteigerung der Staatsangehörigkeit und gleichzeitig wirkte sich der Nichtbesitz deutlicher aus. Die Grenze zwischen Staatsangehörigen und Nichtstaatsangehörigen wurde sichtbarer.

Der Krieg und die Gebietsabtretungen nach dem Friedensvertrag brachten die deutschen Siedlungen in Osteuropa stärker in den Blick der Politik.133 Im Gegensatz zu den Überseemigranten hatten diese Siedler nie eine deutsche Staatsangehörigkeit besessen. Die Verbindung konnte nicht über eine staatsrechtliche, sondern nur über eine ethnisch-kulturelle Beziehung zum Deutschen Reich hergestellt werden.134 Folglich galten die Begriffe Reichsangehöriger und Deutscher nicht mehr als synonym. In der Praxis ergab sich daraus ein besonderes Vorrecht für Einbürgerungsbewerber, die als "deutschstämmig" anerkannt wurden.

Der sozialdemokratische preußische Innenminister Wolfgang Heine sprach sich demgemäß 1919 für die ausnahmslose Wiedereinbürgerung ehemaliger Deutscher aus.135 Außerdem erklärte er in der Fortsetzung sozialdemokratischer Vorkriegsforderungen, mit der bisherigen preußischen Abwehrpolitik zu brechen. Konfessionelle und nationalpolitische Kriterien sollten nicht angewandt werden und einzig und allein darüber entschieden werden, ob der Antragsteller als ein "in sozialer, politischer und wirtschaftlicher Beziehung erwünschter Bevölkerungszuwachs angesehen werden könne".136

Die Sicht Heines setzte sich aber weder im Reich durch, noch hatte sie in Preußen längeren Bestand. Im September 1920 berieten die Länder erstmals gemeinsame Einbürgerungsrichtlinien auf der Grundlage der preußischen Grundsätze vom 6. Dezember 1914.137 Am 1. Juni 1921 wurden dann die gemeinsamen Richtlinien für die Behandlung von Einbürgerungsanträgen verabschiedet.138 Man einigte sich auf eine grundsätzlich restriktive Einbürgerungspolitik und beschloss die "Fernhaltung von Schädlingen und [die] sorgfältige Auswahl der dauernd in die Volksgemeinschaft

133 Brubaker, Rogers: Homeland Nationalism in Weimar Germany and 'Weimar Russia', in:

ders. (Hg.): Nationalism Reframed. Nationhood and the National Question in the New Europe, Cambridge 1996, S.107-147, hier 119.

134 Gosewinkel: Einbürgern und Ausschließen, S.341.

135 Ebd., S.353.

136 Ebd.

137 Vgl. Just, S.89f. und Gosewinkel: Einbürgern und Ausschließen, S.354ff.

138 Abgedruckt bei Just, S.100-103. Daraus auch die folgenden Zitate.

Aufzunehmenden". Die Richtlinien schränkten den Ermessensspielraum der Länderbehörden im Vergleich zum Kaiserreich deutlich ein, indem erstmals eine Mindestniederlassungsfrist von zehn Jahren für "fremdstämmige Ausländer" erlassen wurde. Reichsweit war zu prüfen, ob der Antragsteller

"ein ausreichendes Verständnis für deutsches Wesen und für seine öffentlich-rechtlichen Pflichten gegen Reich, Länder und Gemeinden erkennen läßt". In kultureller Hinsicht sollte der Antragsteller beweisen, dass er "sich der deutschen Eigenart und der deutschen Kulturgemeinschaft"

angepasst hat. Und schließlich durfte sich eine Einbürgerung nicht zum

"Nachteil des deutschen Wirtschaftslebens" auswirken. Keine Einigung kam auf Grund preußischen Widerstandes darüber zustande, ob für

"fremdstämmige Ostausländer" schärfere Bedingungen als für sonstige

"Fremdstämmige" gelten sollten, so wie von Bayern gefordert.

In den folgenden Jahren näherte sich Preußen aber den bayerischen Forderungen an. Die Niederlassungsfrist wurde in Preußen noch 1921 auf 15 Jahre und 1925 auf die von Bayern geforderten 20 Jahre angehoben.139 Der grundsätzliche Konflikt blieb aber bestehen, da Bayern, Württemberg und einige andere Staaten Juden prinzipiell nicht als "deutschstämmig"

akzeptierten.140 Je nach Bedarf machte dabei die Konfession, die Staatsangehörigkeit, die Abstammung, der Geburtsort oder der Klang des Namens den Antragsteller zum unerwünschten Juden. Zwar hielten antisemitische Rassetheorien noch keinen expliziten Einzug in die Einbürgerungsbestimmungen, aber die politisch dehnbaren Begriffe der

"Deutschstämmigkeit" und der "Fremdstämmigkeit" wurden im Regelfall so ausgelegt, dass der Zweck erreicht wurde: Für Juden sollte es keinen Zutritt zur Nation geben.141

Den absoluten Ausschluss von Juden über den unbestimmten Begriff der

"Deutschstämmigkeit" nahm man in der preußischen Regierung nicht länger

139 Der Preußische Minister des Innern an Preußischen Ministerpräsidenten: Entwicklung der preußischen Einbürgerungspraxis, 19.6.1928, GStA PK I. HA, Rep. 90, Nr. 2255, Bl. 162; Runderlaß des preußischen Minister des Innern an Regierungspräsidenten vom 23.5.1925, HStAD, Regierung Aachen 18936.

140 Gosewinkel: Einbürgern und Ausschließen, S.357.

141 Steven Aschheim betont, dass gerade die kulturelle Ununterscheidbarkeit die radikalen Antisemiten zu scheinbar objektiven absoluten Kriterien wie Rasse und Abstammung greifen ließ, um Juden auszuschließen. Caftan and Cravat. The Ostjude as a Cultural Symbol in the Development of German Anti-Semitism, in: Drescher, Seymour / Sabean, David / Sharlin, Allan (Hg.): Political Symbolism in Modern Europe, New Brunswick 1982, S.81-99.

hin. Auch kehrte man zu einer zehnjährigen Mindestniederlassungsdauer zurück. 1927 versuchte der energische preußische Innenminister Albert Grzesinski142, den Begriff "Kulturdeutscher" ins Einbügerungsverfahren einzubringen und dafür messbare Kriterien einzuführen (z.B. im Zusammenhang mit einer jetzt oder früher in Deutschland ansässigen Familie, Geburt oder Aufwachsen in einem deutschsprachigen Gebiet oder in einer deutschen Siedlung, Besuch deutscher Schulen, deutsche Namen sowie Bewahrung deutscher Sitte und Sprache).143 Die Religion sollte dafür kein Merkmal sein. Preußen konnte sich damit aber nicht gegen die Mehrheit der Länder durchsetzen, "weil die Aneignung deutscher Kultur für sich allein keine Sicherheit dafür bietet, daß der Antragsteller auch innerlich deutsch denkt und deutsch fühlt", so exemplarisch die bayerische Argumentation.144

Nach der Rückkehr der SPD in die Reichsregierung versuchten Länder mit sozialdemokratischer Regierungsbeteiligung erneut, die übrigen Länder auf die 1921 vereinbarte zehnjährige Niederlassungsfrist zu verpflichten.145 Auf der Innenministerkonferenz im Juli 1929 wurde zwar beschlossen, keinen Unterschied zwischen "fremdstämmigen Ostausländern" und anderen

"Fremdstämmigen" zu machen, doch der Beschluss hatte nicht lange Bestand. Bereits im Februar 1931 gelang es Bayern im Reichsrat eine 20-jährige Niederlassungsfrist allgemein zur Einbürgerungsvoraussetzung zu erheben.146

In der Zwischenzeit waren aber Bayern und Württemberg als Vertreter der restriktivsten Einbürgerungspolitik im Reich abgelöst worden. Im Januar 1930 wurde Wilhelm Frick in Thüringen erster nationalsozialistischer Innenminister eines Landes. 1931 trat die NSDAP in eine Koalitionsregierung in Braunschweig ein. Unmittelbar darauf lehnte Thüringen die Einzelfallprüfung ab und führte den Begriff der "Fremdrassigkeit" ein. "Fremdrassige" wurden unabhängig von ihrer kulturellen Integration und der Aufenthaltsdauer prinzipiell mit der Begründung abgelehnt, sie stellten eine Gefahr für das Reich dar.

142 Vgl. Albrecht, Thomas: Für eine wehrhafte Demokratie. Albert Grzesinski und die preußische Politik in der Weimarer Republik, Bonn 1999.

143 Gosewinkel: Einbürgern und Ausschließen, S.361.

144 Bayerisches Staatsministerium des Äußeren an Reichsministerium des Innern, 28.3.1928, BHStA MA 100319.

145 Just, S.95.

146 Niederschriften über die Vollsitzungen des Reichsrats, 4. Sitzung 5.2.1931, S.21-28.

Die preußische Regierung konnte zwar anfangs die nationalsozialistischen Attacken auf die individuelle Prüfung von Einbürgerungsanträgen noch abwehren, doch brach mit der Absetzung der preußischen Regierung im Juli 1932 auch der Widerstand anderer Länder zusammen. Der letzte Versuch, die Richtlinien von 1921 im restriktiven Sinne zu überarbeiten, unternahm der deutschnationale Reichsinnenminister Freiherr von Gayl.147 Er berief am 3.

Oktober 1932 die Länderminister zu einer Beratung ein, die jedoch auf Grund der Regierungskrisen nicht mehr stattfand.

Vergleicht man die Einbürgerungspolitik in der Weimarer Republik mit dem Kaiserreich, so fällt die Kontinuität der Abwehrpolitik gegen Einwanderer aus Osteuropa auf. Gemäß Verwaltungsvorschriften und geheimen Richtlinien wurde die Einbürgerung sogar noch restriktiver als vor 1919 gehandhabt.

Insbesondere vermehrten sich völkisch-rassische Argumentationen der Regierungen, da sich die Staatsangehörigkeit allgemein auf einen

"Substanzbegriff ethnisch-kultureller Homogenität" verengte.148 Allerdings änderte sich die Politik in einzelnen Bundesstaaten massiv und blieb infolge des Föderalismus unterschiedlich. Ging die restriktive Politik bis 1918 eindeutig von Preußen aus und standen zu dieser Zeit Baden und Bayern eher im liberaleren Lager, so machte sich in der Weimarer Republik vor allem Bayern zum Fürsprecher einer besonders harten Linie, während Baden und Preußen vergleichsweise moderate Positionen vertraten.