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Einbürgerung im nationalsozialistischen Rassenstaat 149

3. Staatsangehörigkeit und Einbürgerung

3.8 Einbürgerung im nationalsozialistischen Rassenstaat 149

Formal gesehen behielt das Staatsangehörigkeitsgesetz von 1913 zunächst auch nach der Machtübertragung an die Nationalsozialisten seine Gültigkeit.

Allerdings konnte kein Zweifel bestehen, dass sich dies bald ändern würde.

Seit ihrer Gründung agitierte die NSDAP vehement gegen die Einbürgerungspolitik der demokratischen Parteien. Wesentliches politisches Ziel war es von Anfang an, alle als unerwünschte Personen bezeichnete Menschen, insbesondere Juden, aus dem Staatsvolk auszuschließen. Schon im Parteiprogramm hieß es klar und deutlich:

147 Gosewinkel: Einbürgern und Ausschließen, S.366.

148 Ebd., S.367.

149 Hier folge ich der Interpretation von Burleigh, Michael / Wippermann, Wolfgang: The Racial State. Germany 1933-1945, Cambridge 1991.

Staatsbürger kann nur sein, wer Volksgenosse ist. Volksgenosse kann nur sein, wer deutschen Blutes ist, ohne Rücksichtnahme auf die Konfession. Kein Jude kann daher Volksgenosse sein.150

Gemäß diesem Feindbild forderte der nationalsozialistische Innenminister Frick wenige Tage nach der Reichstagswahl im März 1933 die Landesregierungen auf, von nun an eine "bewußt völkische Politik"

einzuleiten. Darunter verstand er, die Einwanderung von Juden aus Osteuropa zu verhindern und sie möglichst auszuweisen. Außerdem erging ein generelles Einbürgerungsverbot für Ostjuden.151 Den entscheidenden Bruch mit dem bisherigen Staatsangehörigkeitsrecht stellte aber das Gesetz über den Widerruf von Einbürgerungen dar.152 Erstmals sollte die geforderte völkische Homogenität nicht nur über die Einbürgerungspolitik gesteuert werden, sondern auch durch Ausbürgerung von Staatsbürgern. Waren auch früher schon Gruppen symbolisch aus der Nation ausgeschlossen worden, so wurden jetzt "Unerwünschte" auf Grund von Gesetzen rechtlich aus der Staatsangehörigkeit ausgeschlossen.

Im gleichen Monat kündigte die Reichsregierung eine grundlegende Revision des Staatsangehörigkeitsgesetzes von 1913 an.153 Im Vorgriff darauf unterrichtete der badische Innenminister die Einbürgerungsbehörden darüber, wie bei Einbürgerungsanträgen bis dahin nach den "Zielen der nationalen Regierung" zu verfahren sei:

Die Verleihung des Staatsbürgerrechts ist ein Vorrecht für besonders befähigte oder verdiente Personen, die sich aufgrund ihrer Vergangenheit und ihrer deutschen Gesinnung dieser Ehre würdig erweisen.154

Die Einbürgerung, die generell eine Ausnahme sein sollte, war demnach an eine Reihe von neuen Bedingungen und Nachweisen geknüpft. Als Grundbedingung musste der Gesuchsteller eidesstattlich versichern, dass

"seine beiderseitigen Großeltern arischer Abstammung sind".

"Fremdstämmige" konnten nicht eingebürgert werden. Auch wenn der

150 Parteiprogramm der NSDAP vom 25. Februar 1920, in: Mommsen, Wilhelm (Hg.):

Deutsche Parteiprogramme, München 31960 [1960], S.547-550, hier 548.

151 Rundschreiben des Reichsministers des Innern Wilhelm Frick an die Landesregierungen und das Preußische Ministerium des Innern vom 15. März 1933, abgedruckt in: Just, S.106.

152 Gesetz über den Widerruf von Einbürgerungen und die Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit vom 14. Juli 1933, in: RGBl 1933 I, S.480; vgl. dazu auch: Essner, Cornelia: Die "Nürnberger Gesetze" oder die Verwaltung des Rassenwahns 1933-1945, Paderborn 2002, S.275f.

153 Gosewinkel: Einbürgern und Ausschließen, S.384.

154 Der Minister des Innern an die Bezirksämter, die Polizeipräsidenten und die Polizeidirektion Baden-Baden, 31.7.1933, GLA 233/25841.

Gesuchsteller mit einem Juden verheiratet war, galt dies als genereller Auschlussgrund. Bei Migranten, die schon vor 1914 im Deutschen Reich wohnten und sich im kriegsdienstfähigen Alter befanden, sollte überprüft werden, "warum sie sich nicht den deutschen Militärbehörden freiwillig zur Verfügung gestellt haben". Die Betonung des Kriegsdienstes als Kriterium für die Zugehörigkeit war nicht nur eine Fortsetzung des Gedankens, dass die Volksgemeinschaft eine Wehrgemeinschaft voraussetzte. Hier trat noch der Mythos des Kriegserlebnis, die "Volksgemeinschaft des Schützengrabens"

hinzu, aus der die gesamte völkische Rechte "ihre" Nation gegen die Demokratie von Weimar konstruierte.155

Neben den Gesuchstellern, die sich nicht als Kriegsfreiwillige gemeldet hatten, galten Religionslose, Dissidenten und Freireligiöse als unerwünscht:

Bei diesen Personen besteht immer der Verdacht, dass sie Anhänger des Marxismus oder des Kommunismus sind oder waren. Auch Vertreter des Liberalismus können darunter fallen.156

Um die Einbürgerung von politischen Gegnern mit Sicherheit verhindern zu können, waren Führungszeugnisse erforderlich, die "über die politische Zugehörigkeit und über die politische Betätigung des Gesuchstellers seit der Revolte von 1918" Auskunft gaben. Zusätzlich waren, wie bisher, gerichtliche Strafakten vorzulegen.

Neben dem Ausschluss politischer Gegner hatte die nationalsozialistische Politik auch ein diskriminierendes Sonderrecht für als "rassisch minderwertig"

bezeichnete Personen zum Ziel, das schließlich in Zwangssterilisationen und Euthanasie mündete.157 In den Einbürgerungsrichtlinien kam dieses Ziel dahingehend zum Ausdruck, dass jeder Gesuchsteller ein bezirksärztliches Zeugnis über seine geistige und körperliche Gesundheit vorlegen musste.

Die Einbürgerungspolitik im ersten Jahr der nationalsozialistischen Herrschaft konnte zwar an antisemitische und rassistische Tendenzen in der Politik der Weimarer Landesregierungen anknüpfen, übertraf diese allerdings an Radikalität und Konsequenz bei weitem. Dies zeigen die neuen Forderungen nach "Ariernachweis" und Gesundheitszeugnis, mit deren Hilfe

155 Sontheimer, Kurt: Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik. Die politischen Ideen des deutschen Nationalismus zwischen 1918 und 1933, München

41994 [1968], S.96-98.

156 Der Minister des Innern an die Bezirksämter, die Polizeipräsidenten und die Polizeidirektion Baden-Baden, 31.7.1933, GLA 233/25841.

157 Vgl. z.B. das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses, das wie das Gesetz über den Widerruf von Einbürgerungen am 14.7.1933 erlassen wurde. Gosewinkel:

Einbürgern und Ausschließen, S.381.

die Vorstellungen von völkischer Homogenität und völkischer Ungleichheit verwirklicht werden sollten, deutlich. Verschärfend wirkte darüber hinaus noch die Kontrolle der politischen Einstellung der Antragsteller, die nicht mehr in den Händen staatlicher Polizeistellen lag, sondern auf die Ortsgruppenleitungen der NSDAP überging.158 Damit hatten erstmals Institutionen einer Partei eine offizielle Funktion im Einbürgerungsprozess.

Zielten die neuen Richtlinien und Verwaltungsvorschriften auf eine möglichst umfassende Durchsetzung des Rassegedankens im Einbürgerungsverfahren, so nahm doch die Umgestaltung des Staatsangehörigkeitsrechtes an einer anderen Stelle seinen Fortgang. Mit der Zerschlagung der Länder 1934 hörten die bisher primären Landesstaatsangehörigkeiten zu existieren auf. Es gab nur noch eine Reichsangehörigkeit. Zwar blieb es Aufgabe der Landesbehörden, das Einbürgerungsverfahren durchzuführen, aber dies geschah jetzt im Auftrag des Reiches. Ausdrücklich behielt sich jetzt der Reichsinnenminister ein Zustimmungsrecht in jedem einzelnen Fall vor.159 In der Folge fiel der § 9 des Gesetzes von 1913, der den Bundesstaaten ein Einspruchsrecht gewährt hatte, ersatzlos weg, womit die Zentralisierung des Staatsangehörigkeitsrechtes vollendet war. Auf dieser Grundlage aufbauend sollte ein grundlegend neues Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz geschaffen werden. Am 15. September verabschiedete der Reichsparteitag in Nürnberg unter großem propagandistischem Aufwand die so genannten Nürnberger Gesetze. Das Reichsbürgergesetz unterschied zwischen Staatsangehörigen und Reichsbürgern.160 Die Staatsangehörigkeit wurde wie bisher nach den Bestimmungen des Gesetzes von 1913 vermittelt, allerdings verlor sie fast jede Bedeutung, da mit der Staatsangehörigkeit keine Rechte mehr verbunden waren. Politische Rechte standen nur noch dem eingeschränkten Kreis der Reichsbürger zu, die dazu den Reichsbürgerbrief verliehen bekommen haben mussten. Voraussetzung dafür war "deutsches oder artverwandtes Blut". Außerdem sollte der Reichsbürger bewiesen haben, "daß er gewillt und geneigt ist, in Treue dem Deutschen Volk und Reich zu dienen." Mit dem Reichsbürgergesetz wurden zwei Klassen von

158 Der Minister des Innern an die Bezirksämter, Polizeipräsidenten und Polizeidirektionen, 29.11.1934, GLA 233/25841.

159 Verordnung über die deutsche Staatsangehörigkeit vom 5. Februar 1934, in: RGBl.

1934 I, S.85.

160 Reichsbürgergesetz vom 15. September 1935, in: RGBl. 1935 I, S.1146.

Staatsangehörigen geschaffen und die seit dem frühen 19. Jahrhundert geltende abstrakte Gleichheit aller Staatsangehörigen fallen gelassen. Das am gleichen Tag erlassene "Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre"161 ließ dann auch keinen Zweifel daran, dass die Gesetze der pseudorechtlichen Legitimierung der völligen Entrechtung jüdischer Deutscher dienten, die dadurch unter das Fremdenrecht gestellt wurden. Die Staatsangehörigkeit bekam dadurch eine neue Funktion, denn das Ziel war nicht mehr die Integration in den Staat, sondern die Stigmatisierung durch den Staat nach rassistischen Grundsätzen.162

Die Nürnberger Gesetze setzten das Staatsangehörigkeitsgesetz von 1913 nicht außer Kraft. Vor allem wurde die deutsche Staatsangehörigkeit weiterhin automatisch durch Geburt erworben, sofern die Eltern deutsche Staatsangehörige waren. Um dies zu ändern und den völkisch-rassischen Begriff "deutsches oder artverwandtes Blut" mit dem staatsrechtlichen Begriff der Staatsangehörigkeit in Übereinstimmung zu bringen, strengte das Reichsinnenministerium eine grundsätzliche Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes nach nationalsozialistischen Grundsätzen an, zumal der Reichsbürgerbrief nicht weiter ausgearbeitet wurde.163 Der Referentenentwurf des Reichsinnenministeriums sah vor, dass Juden die deutsche Staatsangehörigkeit nicht mehr über Geburt und Abstammung erwerben konnten und somit staatenlos wurden.164 Die Aufnahme von Ausländern in den Schutzverband des Deutschen Reiches sollte unter der Bedingung, dass der Antragsteller einen "erwünschten Bevölkerungszuwachs darstellt", prinzipiell möglich bleiben. Die Aufnahme konnte allerdings innerhalb von fünf Jahren widerrufen werden, falls der Eingebürgerte rechtskräftig verurteilt werden oder er seine Treuepflicht verletzen sollte.

Voraussetzung für die Erteilung einer Aufnahmeurkunde sollte die Ableistung eines Treueeides mit den folgenden Worten werden:

161 Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre vom 15.

September 1935, in: RGBl. 1935 I, S.1146f.

162 Gosewinkel: Einbürgern und Ausschließen, S.388.

163 Majer, Diemut: 'Fremdvölkische' im Dritten Reich. Ein Beitrag zur nationalsozialistischen Rechtssetzung und Rechtspraxis in Verwaltung und Justiz unter besonderer Berücksichtigung der eingegliederten Ostgebiete und des Generalgouvernements, Boppard 1981, S.207.

164 Der Reichs- und Preußische Minister des Innern an die Herren Reichsminister (gez.

Pfundtner): Entwurf eines Gesetzes über den Erwerb und Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit, 14.2.1938, GStA PK, I. HA, Rep. 90, Nr. 2256, Bl. 174.

Ich werde immerdar dem Deutschen Reiche und seinem Führer treu, den deutschen Gesetzen gehorsam und ohne Schonung meiner Habe, meiner Gesundheit und meines Lebens bestrebt sein, das Beste des Deutschen Volkes zu fördern und jeglichen Schaden von ihm abzuwenden. Ich will ein guter Deutscher sein, so wahr mir Gott helfe.165

Weitere Bedingungen oder Voraussetzungen sollten in dem Gesetz keinen Niederschlag finden, sondern je nach Bedarf über Verordnungen und Durchführungsbestimmungen geregelt werden. Die Bemühungen sich über eine derartige Neufassung des Staatsangehörigkeitsgesetzes zu einigen, verliefen jedoch in Folge von Kompetenzstreitigkeiten im Sande.

Da eine Neugestaltung des Staatsbürgerrechtes scheiterte, sorgten weiterhin vertrauliche Anordnungen für den Rahmen des Einbürgerungsverfahrens. In erster Linie wäre hier der Wandel in der Einbürgerungspolitik gegenüber den so genannten Volksdeutschen in Osteuropa zu nennen. Seit dem Friedensvertrag von Versailles sahen alle Reichsregierungen die Einwanderung und Einbürgerung dieser Personengruppen nur sehr ungern, da sie sich als deutsche Minderheiten in Osteuropa hervorragend für die revisionistische Außenpolitik instrumentalisieren ließen.166 Als Devisenknappheit und Aufrüstung aber für Engpässe auf dem Arbeitsmarkt führten, änderte sich diese Politik. Um den

"vordringlichen Interessen des Reiches an einer ausreichenden Vermehrung der für den Arbeitseinsatz verfügbaren Kräfte des deutschen Volkes"

nachzukommen, verfügte die Reichsregierung einige Erleichterungen für diese Gruppen.167 Bei den Einwanderern aus Polen, Russland und den baltischen Staaten, die den rassischen Vorstellungen des Regimes entsprachen, sollten "allgemeine volkstumspolitische Bedenken"

zurückgestellt werden, sofern sie sich seit drei Jahren im Inland aufhielten.

Für Einwanderer aus der Tschechoslowakei galt eine Frist von zehn Jahren.

Bei Antragstellern, die diesen Personenkreisen zugerechnet wurden, sollte allgemein die erforderliche Zustimmung des Innenministeriums angenommen werden, sodass die Behörden selbständig über den Antrag entscheiden konnten. Galten die Antragsteller gar als gesuchte Arbeitskräfte mit

"wertvollen Fachkenntnissen", so konnte die Einbürgerung bereits nach einem Jahr vollzogen werden.

165 Ebd., Bl. 176.

166 Vgl. unten S.219.

167 Reichsminister des Innern an die außerpreußischen Landesregierungen: Erleichterte Einbürgerung Volksdeutscher, 20.7.1938, GLA 362/9926.

Weitere Änderungen auf dem Gebiet der Einbürgerung brachten der Angriff auf Polen und der Beginn des Zweiten Weltkrieges. Wie schon im Ersten Weltkrieg galten für Kriegsfreiwillige zahlreiche Erleichterungen im Einbürgerungsprozess, insbesondere wurde von den materiellen Voraussetzungen nach § 8 Staatsangehörigkeitsgesetz abgesehen.168 Die Antragsteller mussten keine Wohnung, keine Niederlassung und auch nicht die Unterhaltsfähigkeit nachweisen. Es genügte allein der Aufenthalt im Inland. Außerdem musste die Entlassung aus der bisherigen Staatsangehörigkeit nicht mehr nachgewiesen werden und die Einbürgerung erfolgte gebührenfrei.

Kriegsbedingt stellte man die Einbürgerungsverfahren im Allgemeinen ein, obgleich hier Ausnahmeregelungen für bestimmte Gruppen von Volksdeutschen galten.169 Die Ausnahmen bestanden aber nicht generell, denn in den Satellitenstaaten des NS-Regimes, so zum Beispiel Rumänien, waren die Volksdeutschen nicht zur Umsiedlung vorgesehen und sollten in geschlossenen Siedlungsgebieten erhalten bleiben. Auch Kriegsfreiwillige wollte man deshalb möglichst nicht einbürgern.170

Als die Einberufungen zum Kriegsdienst aber zu größeren Einschränkungen in der zivilen Verwaltung führten, wurden die Einbürgerungsverfahren gänzlich eingestellt. Am 28. Februar 1942 erließ der Reichsinnenminister eine Einbürgerungssperre von der lediglich Kriegsfreiwillige, Angehörige der Waffen-SS und volksdeutsche Facharbeiter in Rüstungsbetrieben ausgenommen waren.171 Damit war ein reguläres Einbürgerungsverfahren für Zivilisten selbst dann ausgeschlossen, wenn sie sich im Sinne der Nationalsozialisten betätigten und alle Einbürgerungskriterien des Regimes erfüllten.

168 Verordnung über die Einbürgerung von Kriegsfreiwilligen vom 4. September 1939, in:

RGBl. 1939 I, S.1741.

169 Reichsminister des Innern an die Landesregierungen: Weiterbehandlung von Einbürgerungsanträgen, 11.1.1940, StAF A96/1 Nr. 2071.

170 Reichsminister des Innern an die Landesregierungen: Einbürgerung von Kriegsfreiwilligen, 13.6.1941, StAF A96/1 Nr. 2071.

171 Reichsminister des Innern an die Reichsstatthalter in den Reichsgauen:

Einbürgerungssperre, 28.2.1942, StAF A96/1 Nr. 2071.

3.9 Zusammenfassung

Die Entstehung der modernen Staatsangehörigkeit geht auf den Beginn des 19. Jahrhunderts zurück. In der ersten Hälfte des Jahrhunderts wurden in den Staaten des Deutschen Bundes verschiedene Regelungen in Bezug auf eine einheitliche Staatsangehörigkeit getroffen. Das für das spätere Deutsche Reich wichtigste Regelwerk war das preußische Untertanengesetz von 1842, das das ius sanguinis als dominantes Prinzip einführte. Darauf aufbauend kam es 1870 zu einem Staatsangehörigkeitsgesetz, das für alle Bundesstaaten des Reiches einheitliche Bestimmungen setzte und für die Einbürgerung einheitliche Minimalbedingungen festlegte, während die Reichsangehörigkeit über die Bundesstaaten vermittelt wurde.

Einbürgerungsbewerber mussten geschäftsfähig und unbescholten sein sowie über ausreichendes Einkommen und Unterkommen verfügen. Die Neugestaltung des Staatsangehörigkeitsrechts 1913 zielte vor allem auf die Frage des Verlustes der Staatsangehörigkeit ab, sollte aber auch die Einbürgerung erschweren. Vorrangig geschah dies darüber, dass die Reichsregierung die 1891 zwischenstaatlich vereinbarte Bundesratsklausel in Gesetzesform goss. Der neue § 9 des Gesetzes ermöglichte den bundesstaatlichen Regierungen faktisch ein Vetorecht in Einbürgerungsfragen, das ganz gezielt zur Unterstützung der nationalpolitischen Abwehrpolitik geschaffen wurde. Während im Ersten Weltkrieg einige Sonderregelungen für die erleichterte Einbürgerung von Kriegsfreiwilligen bestanden, kam es nach dem Krieg zu einer Verschärfung der Randbedingungen. Die Länder einigten sich in der Weimarer Republik auf restriktive Einbürgerungsrichtlinien und legten erstmals eine Niederlassungsfrist als Einbürgerungsvoraussetzung fest. Charakteristisch für die 1920er Jahre war der beständige Konflikt zwischen Ländern, die für Osteuropäer und Ausländer jüdischer Konfession besonders restriktive Sonderregelungen durchsetzen wollten und solchen, die die vereinbarten Richtlinien auf alle Antragsteller in der gleichen Weise anwenden wollten.

Unter diesen antisemitischen Zeichen stand auch die Auseinandersetzung um die Begriffe "deutschstämmig" und "kulturdeutsch", die im Einbürgerungsverfahren von großer Bedeutung waren. Als die NSDAP zunehmend Wahlerfolge feierte und in die Koalitionsregierungen einzelner

Länder einzog, verstärkte dies die Entwicklung zu einer noch restriktiveren Einbürgerungspolitik. Zu diesem Zweck führten die nationalsozialistischen Innenminister den Begriff "fremdrassig" ein, der in erster Linie den Ausschluss von jüdischen Gesuchstellern bewirken sollte. Unter der nationalsozialistischen Herrschaft radikalisierte sich die rassistische Einbürgerungspolitik weiter. Es wurde ein generelles Einbürgerungsverbot für Juden erlassen. Andere Gesuchsteller mussten durch amtliche Gesundheitszeugnisse, "Ariernachweis" und politische Führungszeugnisse nachweisen, dass sie den Kriterien des Rassenstaates entsprachen. Zudem konnten Einbürgerungen widerrufen werden. Im Zweiten Weltkrieg kamen schließlich individuelle Einbürgerungsverfahren nach dem Einbürgerungsstopp von 1942 zum Erliegen.