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Ein geomorphologischer Überblick

5. Der Naturraum Spitzbergen

5.2 Ein geomorphologischer Überblick

ausgeprägt war. Da in vielen Küstenabschnitten Svalbards eine rezente Kliffküste existiert, scheint die postglaziale Hebung abgeschlossen zu sein. Durch die absolute Datierung alter, gehobener Strand-linien konnte darüber hinaus nachgewiesen werden, daß weite Bereiche der küstennahen Vorländer seit mindestens 10 000 Jahren eisfrei sind; einige Tieflandlagen sogar seit 40 000 Jahren und mehr (Lågnes- und Isfjordflya; MANGERUD ET AL. 1987).

Das heutige Relief bietet aufgrund steil aufragender Berge und Bergzüge ein hohes Erosionspotential und ist sehr verschieden geprägt. Die anstehenden Felswände und die über das Eis hinausragenden Nunatakker sind durch die sehr intensiven Prozesse der physikalischen Verwitterung und die forcierte Abtragung in ihrer Größe reduziert. Die Akkumulation des in der Höhe erodierten Materials findet in den Hangfußbereichen oft in Form von Schutthalden statt. Bei der Gesteinsaufbereitung kommt den Prozessen der physikalischen Verwitterung (Frostsprengung etc.) wiederum eine herausragende Bedeutung zu, da das Ausmaß der chemischen Verwitterungsprozesse infolge der vorherrschenden niedrigen Temperaturen reduziert ist.

In Bereichen der stark gefalteten, metamorphen und morphologisch harten Hekla Hoek-Gesteine finden sich überwiegend schroffe, "alpine" Reliefformen mit steil aufragenden Bergen und Bergzügen sowie scharf herauspräparierten Kämmen, Graten und Zinnen18. Einen deutlichen Gegensatz bilden Formen, die in Bereichen flach einfallender oder horizontal gelagerter, relativ weicher Sediment-gesteine entstehen. Die Gipfelpartien solcher Bergzüge, z.B. aus Ton-, Schluff- und Lehmsteinen oder Schiefern, sind überwiegend gerundet und flachkuppig oder - meist durch einen Gesteinswechsel hervorgerufen - plateau- oder pyramidenförmig. Von den Gipfelbereichen vermitteln langgezogene Talflanken mit konkaven Unterhängen zu den Talböden. Bei nahezu horizontaler Schichtlagerung zeigen auch Berge/Bergzüge aus massigen, relativ harten Sandsteinen häufig plateau- oder pyramidenförmige Gipfel, die mit zunehmendem Schichteinfallen in Kämme übergehen. Entgegen den Hängen weicher Sedimentgesteine treten die Talflanken jedoch zumeist als Steilhänge oder Wände in Erscheinung.

Die Haupttäler Svalbards und viele Nebentäler sind aufgrund der glaziären Erosion trogförmig ausgebildet. An ihren Unter- und Mittelhängen finden sich meist Moränendecken oder geringmächtige Moränenschleier aus der Deglaziationsphase. Die flachen Talböden der Haupttäler werden in der Regel von Lockersedimenten glazigener, glazifluvialer, glaziolimnischer, fluvialer oder mariner Her-kunft gebildet. Die Talflanken der Haupttäler sind häufig von kerbartigen Nebentälern zerschnitten.

Mit kleineren Bächen, die Hangrunsen bilden, arbeiten sie im räumlichen Nebeneinander charakte-ristische Dreieckshänge - den Spitzbergen-Hang (RAPP 1960) bzw. den dreiteiligen Frosthang (BÜDEL

1969) - heraus. Die runsenbildenden Bäche lagern das erodierte Material im Hangfußbereich meist in Form von Schwemmfächern ab. Eine weitere Gliederung erhalten die Talhänge durch Murgänge, deren Ablagerungen am Hangfuß als zungenförmige Schuttkörper erscheinen. Eine große Zahl der kleineren Täler19 wird auch heute ganz oder teilweise von Gletschern eingenommen. Insbesondere in Tälern mit Gletscheranbindung durchziehen wasser- und sedimentreiche Flüsse, Bäche und Rinnsale die Talböden. Als anastomosierende Fließgewässer bilden sie ein komplexes System miteinander in Verbindung stehender Abflußbahnen ("braided river system"). Die fluviale Dynamik ist insgesamt auf die Sommermonate Juni bis August beschränkt, wobei die Abflußspitzen im Normalfall während der sommerlichen Schneeschmelze auftreten (vgl. BARSCH ET AL. 1992 und 1994).

Außerhalb der eisbedeckten Gebiete ist Svalbard nahezu vollständig von Permafrostboden unterlagert.

Neben den Bereichen im Untergrund der Nährgebiete der größeren Gletscher treten Lücken im Permafrost vor allem unter und in der Umgebung der Fjorde sowie der wenigen größeren Seen (z.B.

Linnévatnet) auf. Obwohl die Mächtigkeit des Permafrostbodens regional erheblich schwankt, werden doch Regelmäßigkeiten deutlich. So verläuft ein übergeordneter Gradient abnehmender Permafrost-mächtigkeit vom Inland mit "kaltem" Permafrost (Mächtigkeit 400/500 m und mehr) über die

18 Dies ist jener Relieftyp, der W. Barents bei der Entdeckung der Hauptinsel Svalbards augenscheinlich dazu bewegte, vom "Land der spitzen Berge" (Spitzbergen) zu sprechen.

19 Neben den genannten Talformen gleichen die weiteren Talformen Svalbards denen der übrigen Arktis:

Mulden-, Sohlen-, Kerbsohlen-, Kastental und Klamm. In vielen Fällen sind sie asymmetrisch ausgebildet.

Küstenabschnitte mit "warmem" Permafrost (Mächtigkeit 100 m und weniger) zu den permafrost-freien Offshore-Bereichen. Lokal wird diese Abfolge allerdings durch einen zweiten Gradienten, der mit abnehmender Permafrostmächtigkeit zwischen Berg- und Tallagen besteht, stark modifiziert (vgl.

MEIER 1996: 312). Wie der Permafrostboden an sich, wird auch die Mächtigkeit der sommerlichen Auftauschicht von einem komplexen Faktorengefüge beeinflußt. In Abhängigkeit von den grundlegenden Faktoren Höhenlage und Exposition, Mikro- und Mesoklima, Bedeckungsgrad und Zusammensetzung der Vegetation sowie Kornspektrum und Wasserhaushalt des Bodens bestehen in der Mächtigkeit des sogenannten "active layers" große Unterschiede. Hinzu kommen jährliche Schwankungen, die z.B. innerhalb des Circumpolar Active Layer Monitoring-Projektes (CALM) im Tiefland am Kapp Linné (Bereich der meteorologischen Station Isfjord Radio) registriert werden (s.

Tab. 2).

Auch wenn für Spitzbergen überblicksartig von 1 - 2 m Auftautiefe auszugehen ist, weisen Gipfellagen und nasse Standorte mit humusreicher Bodensubstanz generell geringere Auftautiefen auf als Bereiche auf Meereshöhe und trockene Standorte mit grobkörniger, humusarmer Bodensubstanz (z.B. Strandwälle). Als Richtwerte können für Gipfellagen des Nordenskiöldlands 10 - 20 cm, für Moor und Sumpfgebiete 30 50 cm und für gehobene, exponierte Strandwälle an der Küste 120 250 cm Auftautiefe angenommen werden (MEIER 1991: 20).

Bei Betrachtung der Frostbodenformen - also jenes Kleinformenschatzes, der unter den Prozessen der engeren periglaziären Morphodynamik geschaffen wird - kann ein deutlicher Unterschied zwischen den Formen innerhalb des ozeanisch getönten Westspitzbergens und denen des kontinentalen Ostens beobachtet werden. Aufgrund einer durchschnittlich höheren Wassersättigung der Substrate (höhere Niederschläge, häufiger Nebel etc.) und einer durchschnittlich größeren Frostwechselhäufigkeit wird die Bildung von Frostbodenformen in Westpitzbergen derart begünstigt, daß die Formen dort wesentlich prägnanter ausgebildet sind als im Osten. Vor allem Strukturbodenformen (Substrate mit Detritussortierung), aber auch Texturbodenformen (Substrate ohne Detritussortierung) liegen im Westen oft geradezu lehrbuchhaft entwickelt vor, während sie im Osten eher gering ausgebildet sind (vgl. u.a. ÅKERMAN 1980 und THANNHEISER & MÖLLER 1994). Da die auffallenden Frostboden-formen der Frostschutt- und der Tundrenzone bereits früh das wissenschaftliche Interesse auf sich zogen, nicht zuletzt durch die Spitzbergen-Exkursion des Internationalen Geologen-Kongresses 1910, liegt heute eine sehr umfangreiche Literatur darüber vor (stellvertretend MEINARDUS 1912, MORTENSEN

1930, POSER 1931, FURRER 1959, ÅHMAN 1973, BÜDEL 1981, HALLET & PRESTRUD 1986 und MEIER

1991).

Ein über ganz Svalbard verbreitetes Phänomen der periglaziären Morphodynamik ist die Solifluktion.

In Lockersedimenten ist die Auftauschicht über dem stauenden Permafrost während der sommerlichen Schneeschmelze stark wasserhaltig oder sogar wassergesättigt. Bereits auf schwach geneigtem Gelände (ab 2° Neigung) gerät die Auftauschicht dann hangabwärts in Bewegung und bildet verschiedenste Formen aus; z.B. Rasenloben und -stufen als Formen der sogenannten gebundenen Solifluktion (mit geschlossener Vegetationsdecke) oder Schuttloben und -stufen als Formen der ungebundenen Solifluktion (fehlende Vegetationsdecke)20. Ab etwa 5° Hangneigung kann schon ein

20 Am Liefdefjord in Nordwestspitzbergen konnte LEHMANN (1992) an der Oberfläche eines 5° geneigten und zu 90 % vegetationsbedeckten Solifluktionslobuses aus sandigem Lehm innerhalb eines Jahres

Tab. 2: Auftautiefen des Permafrostes im Spätsommer 1991 - 1996 am Kapp Linné (nach BROWN 1996).

Jahr 1991 1992 1993 1994 1995 1996

Auftautiefe (cm) 89 92 113 99 97 102

flächenhaftes Schuttwandern, aus dem große Wanderschutt- oder Fließerdedecken entstehen, beobachtet werden. Von den Auswirkungen der Solifluktion bestehen zahlreiche Übergänge zu weiteren Prozessen und Formen wie Blockmeeren, Rutschungen, den bereits erwähnten Murgängen oder Schlammströmen.

Neben dem sommerlichen Schneeschmelzwasser haben auch einzelne, eher seltene, sommerliche Starkregenfälle einen großen Einfluß auf die Denudation des periglazialen Raums Spitzbergens.

Hierdurch initiierte flächenhafte, abluale Spülereignisse haben dann einen nicht unerheblichen Anteil an der Denudation (vgl. LIEDTKE & GLATTHAAR 1992). Die Abluation bewirkt einen Abtrag von Feinmaterial in den oberen Hangbereichen, das an flachen Stellen der Unterhänge wieder akkumuliert wird. Auf diese Weise können bereits jährlich vor allem aber über einen längeren Zeitraum hinweg -mächtige Feinmaterialablagerungen an den Unterhängen festgestellt werden.