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2.2.1 Definition und Bedeutung

Der Begriff Epilepsie ist charakterisiert durch das wiederholte und spontane Auftreten von Krämpfen zentralen Ursprungs. Dabei ist das Krankheitsbild nicht einheitlich.

Epilepsie ist beim Menschen nach dem Schlaganfall die zweithäufigste neurologische Erkrankung des zentralen Nervensystems (Löscher et al., 1999).

Epilepsien treten mit einer Prävalenz von schätzungsweise 1,4-5,7 % bei der Weltbevölkerung auf (Hauser, 1999). Das entspricht weltweit ca. 50 Millionen Menschen. Beim Tier kommen Epilepsien vor allem beim Hund und seltener bei der Katze vor und sind, wie auch beim Menschen, die häufigste chronische neurologische Erkrankung (Löscher, 1994).

Um eine Epilepsie erfolgreich behandeln zu können, ist eine Klassifikation erforderlich. Epileptische Syndrome und epileptische Anfälle werden nach den Merkmalen Anfallsmuster, Ursache, Alter bei Krankheitsbeginn, auslösende Faktoren und anhand des elektroenzephalographischen Befundes klassifiziert. Dabei muss der Gelegenheitsanfall von der Anfallserie und dem Status epilepticus unterschieden werden. Bei Betrachtung des Anfallsmusters werden lokalisationsbezogene fokale Epilepsien von generalisierten und unklassifizierbaren Epilepsien unterschieden.

Fokale Anfälle können in einfach-fokale (ohne Bewusstseinsstörung), komplex-partielle (Bewusstseinsbeeinträchtigung), hemilaterale und sekundär generalisierte fokale Anfälle gegliedert werden. Des Weiteren wird differenziert nach dem Vorhandensein oder Nichtvorhandensein von motorischen Funktionsstörungen, die entweder tonisch, klonisch, tonisch-klonisch, atonisch oder myoklonisch sein können.

Eine weitere Unterteilung (idiopathisch, kryptogenetisch und symptomatisch) richtet

sich nach der Ätiologie (Commission on Classification and Terminology of the International League Against Epilepsy, 1989; Engel, Jr., 2001). Häufige Ursachen einer Epilepsieerkrankung beim Menschen vor dem 20. Lebensjahr sind perinatale Hirnschäden, angeborene Entwicklungsstörungen des Gehirns, genetische und neurometabolische Schädigungen. Bei älteren Menschen hingegen sind zerebrovaskuläre Schädigungen und Tumore die häufigsten Ursachen.

2.2.2 Temporallappenepilepsie

Beim Menschen ist der komplex-partielle Anfall die häufigste Anfallsform. Er tritt mit oder ohne sekundärer Generalisierung auf (Gastaut et al., 1975; Hauser et al., 1993).

Analog zum Menschen generalisieren bei Hund und Katze die meisten fokalen Anfälle sekundär zu tonisch-klonischen Krämpfen (Löscher, 1994; Löscher, 2003). In den Temporallappen (vor allem im Hippokampus und der Amygdala) beginnen etwa 70-80 % der komplex-fokalen Anfälle, die deshalb auch als

„Temporallappenepilepsie“ bezeichnet werden (Wolf, 1994). Eine erfolgreiche Therapie derselben ist jedoch mit den heute zur Verfügung stehenden Antiepileptika oft schwer oder überhaupt nicht zu erreichen, da neu entwickelte Substanzen häufig anhand von Tiermodellen getestet werden, die für andere Anfallsformen (s.u.) prädiktiv sind (Löscher und Schmidt, 1988).

2.2.3 Kindling als Tiermodell für die Temporallappenepilepsie

Zur genaueren Untersuchung der Epilepsie bedient man sich u.a. verschiedener Tiermodelle. Dabei sind Ergebnisse solcher Untersuchungen nicht immer direkt auf den Menschen übertragbar. So ist z.B. trotz einer großen Anzahl von Antiepileptika eine erfolgreiche Therapie der Temporallappenepilepsie oft schwer oder überhaupt nicht zu erreichen. Diese Tatsache kann darauf begründet sein, dass neue Substanzen häufig anhand von Tiermodellen getestet werden, die für andere Anfallsformen prädiktiv sind (Löscher und Schmidt, 1988). Diesbezüglich sind die zwei wichtigsten Tiermodelle der „Maximale-Elektroschock-Test“, bei dem akut ein primär generalisierter tonisch-klonischer Anfall durch elektrische Korneal-Stimulation ausgelöst wird, und der „Pentylentetrazol-Test“, der durch Verabreichung einer bestimmten Menge von Pentylentetrazol akut Myoklonien und klonisch-tonische Anfälle auslöst. Die zu testenden Substanzen werden mit diesen Modellen auf ihre antikonvulsive Wirkung getestet.

Für eine Untersuchung der pathophysiologischen Mechanismen der Epileptogenese sind diese Modelle jedoch nicht geeignet. Sie können lediglich zur Erforschung von akuten Anfällen dienen (Löscher, 1997). Die Mechanismen der Epileptogenese für komplex-partielle Anfälle lassen sich u.a. gut mittels des Kindling-Modells (Goddard et al., 1969) untersuchen. Das Kindling-Modell ist eines der am häufigsten verwendeten Tiermodelle für Temporallappenepilepsien.

Im Jahre 1969 wurde von der Arbeitsgruppe des experimentellen Psychologen Graham Goddard das Kindling-Modell an Ratten beschrieben (Goddard et al., 1969), das ursprünglich entwickelt wurde, um das Lernverhalten durch subkonvulsive elektrische Stimuli zu beeinflussen. Die wiederholten subkonvulsiven elektrischen Stimulationen führten zu epileptischen Anfällen, die bei weiteren Stimulationen schnell an Schwere und Dauer zunahmen. Dabei wurden die Stimulationen über eine unilaterale Reiz- und Ableitelektrode im Bereich des limbischen Systems gesetzt. Der Begriff „Kindling“ (engl.: „to kindle“ = entflammen) beschreibt einerseits den fortschreitenden Prozess der Epileptogenese und andererseits den dadurch erreichten permanenten Zustand einer erhöhten Anfallsbereitschaft.

In der Regel werden die Tiere einmal täglich kurzzeitig (für eine Sekunde) stimuliert.

Nach einigen elektrischen Stimulationen mit gleichbleibender Stimulationsstärke zeigen die Tiere zunächst fokale Anfälle, die bei Fortführung der Stimulation sekundär generalisieren. Die Anfälle lassen sich nach ihrer Krampfintensität im Kindling-Modell in fünf verschiedene Stadien (s. Tabelle 5, Abschnitt Material und Methoden) einteilen (Racine, 1972).

Die ersten drei Verhaltensstadien gleichen dem klinischen Bild von komplex-partiellen Anfällen beim Menschen, die letzten zwei Stadien dem von Anfällen mit sekundärer Generalisierung. Die Empfindlichkeit des Gehirns auf den Stimulus nimmt fortlaufend bis zu einem bestimmten Zeitpunkt zu, an dem der erhöhte Grad der Empfindlichkeit permanent geworden ist. Die Tiere gelten zu diesem Zeitpunkt als „vollgekindelt“ (McNamara, 1984).

Neuere Überlegungen gehen davon aus, dass der Kindlingprozess einen Teil der Latenzzeit wiederspiegelt, die bei Modellen mit spontanen Anfällen nach einem Status epilepticus als Zeit zwischen der Induktion des Status epilepticus und dem Beginn spontaner Anfälle angesehen wird. Die durch das Kindling verursachte Epileptogenese stellt demnach eine stark ausgedehnte Latenzzeit dar (Coulter et al.,

2002), die schließlich, bei ausreichender Anzahl von Stimulationen, auch zur Ausbildung spontaner Anfälle führt (Pinel, 1981).

2.2.4 Beteiligte Hirnregionen

Die Anfallsaktivität breitet sich nicht zufällig über das Gehirn aus, sondern folgt vielmehr spezifischen anatomischen Bahnen, die normalerweise u.a. motorische Funktionen vermitteln (Gale, 1988; Lothman et al., 1991). Hierbei fällt auf, dass sich zahlreiche unterschiedliche experimentell-induzierte Anfälle z.T. über gemeinsame Bahnen im Gehirn ausbreiten. Antiepileptische Behandlungsansätze, die die Anfallsausbreitung über diese anatomischen Bahnen limitieren oder vermindern, haben daher ein vergleichsweise weit gefasstes therapeutisches Potential, da sie möglicherweise für Anfallsformen unterschiedlichen Ursprungs nutzbar sein könnten.

Eine genauere Charakterisierung der beteiligten anatomischen Substrate und deren durch die Anfallsausbreitung verursachten funktionellen Veränderungen könnte möglicherweise rationalere Ansätze für die Entwicklung neuer Antiepileptika liefern (Löscher und Ebert, 1996a). Die funktionelle Anatomie der Anfallsausbreitung kann in Tiermodellen, wie z.B. dem zuvor beschriebenen Kindling-Modell, detailliert untersucht werden.

Unter Verwendung verschiedenster Methoden wurden zahlreiche Strukturen des limbischen Systems, der Basalganglien und des Hirnstamms identifiziert, die während gekindelter Anfälle bei verschiedenen Spezies aktiviert zu sein scheinen (McNamara et al., 1986; Sato et al., 1990; Löscher und Ebert, 1996a). Die Abbildung 1 zeigt ein stark vereinfachtes Schema der an der Ausbreitung partieller (limbischer) und sekundär generalisierter Anfälle beteiligten Hirnregionen mit besonderer Berücksichtigung der Basalganglien. Ein im limbischen System induzierter epileptischer Fokus breitet sich zunächst innerhalb des limbischen Systems aus und kann dann unter Einbeziehung kortikaler Regionen, der Basalganglien und des Hirnstamms sekundär generalisieren. Innerhalb des Verschaltungsschemas kommt einigen Hirnregionen eine Schlüsselrolle in der Verstärkung und Ausbreitung der Anfallsaktivität zu, während andere Hirnregionen möglicherweise lediglich sekundär involviert sind. Der piriforme Cortex hat wahrscheinlich für die Verstärkung limbischer Anfallsaktivität eine zentrale Bedeutung (Löscher und Ebert, 1996b). Die Substantia nigra pars reticulata ist vermutlich entscheidend an der Modulation der

Generalisierung epileptischer Anfallsaktivität beteiligt und kann über Verbindungen zum limbischen System zudem Einfluss auf die fokale Aktivität nehmen (Depaulis et al., 1994).

Abbildung 1: Verschaltungsschema der an der Ausbreitung limbischer und generalisierter Anfallsaktivität beteiligten Hirnregionen unter besonderer Berücksichtigung der Basalganglien (gelb). Die hier nicht näher definierten reziproken Verbindungen zwischen dem limbischen System (rot) und anderen Hirnregionen sind als rote Doppelpfeile dargestellt. Nicht berücksichtigt wurden u.a. direkte und indirekte Verbindungen von Cortex und Basalganglien zu weiteren motorischen Hirnstammregionen und zum Rückenmark. ACh = Acetylcholin; DA = Dopamin; EPN = Nucleus entopeduncularis; GABA = γ-Aminobuttersäure; Glu = Glutamat; GP = Globus pallidus; non-Ach = glutamaterg oder GABAerg, PPN = Pedunculopontiner Nucleus; SC = superiorer Colliculus; SNc = Substantia nigra pars compacta; SNr = Substantia nigra pars reticulata; STN = Subthalamischer Nucleus; Thal = Thalamus. Abbildung: Wichmann und DeLong (1996), modifiziert durch PD Dr. Manuela Gernert.

Limbisches