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4. Z USAMMENFASSENDE D ISKUSSION

4.2 Dynamische Prozesse und Proteinfaltung

Die Verwendung der NMR-Spektroskopie zur Untersuchung dynamischer Prozesse in Lösung ist neben der Strukturbestimmung und der Charakterisierung der Wechselwirkungen von Biomakromolekülen von zentraler Bedeutung. Wie in Abschnitt 1.2 eingehend beschrieben wurde, steht eine Fülle von NMR-spektroskopischen Methoden zur Verfügung, um Bewegungen über einen enormen Zeitbereich charakterisieren zu können (Abb. 2), der von Seitenkettenrotationen im Picosekundenbereich bis hin zur Proteinfaltung in einigen Tagen reicht. Zur Beschreibung der internen Dynamik von Proteinen im Picosekunden- bis Nanosekundenbereich wird meistens die modelunabhängige Lipari-Szabo-Analyse verwendet (Clore, et al., 1990, Lipari & Szabo, 1982a, Lipari & Szabo, 1982b). Als experimentelle Daten gehen zumeist 15N Relaxationsparameter wie longitudinale und transversale Relaxationsraten sowie der heteronukleare NOE-Effekt ein. Als Ergebnis dieser Analyse werden die Rotationskorrelationszeit (τm) der Gesamtbewegung des Proteins und die Bewegungsparameter der internen Dynamik (S2, Rex, τe) erhalten. Die Verlässlichkeit dieser Ergebnisse hängt jedoch stark von der Anzahl der experimentellen Daten ab. Üblicherweise wird diese durch die Messung der Relaxationsparameter bei unterschiedlichen Feldstärken erhöht, die dann global mit den Bewegungsmodellen des Lipari-Szabo-Formalismus angepasst werden (Canet, et al., 2001, Nicholson, et al., 1995, Renner, et al., 1998).

Alternativ können weitere Parameter wie z.B. die Temperatur (Evenäs, et al., 1999, Mandel, et al., 1996, Seewald, et al., 2000, Vugmeyster, et al., 2002, Yang, et al., 1997) oder die Viskosität variiert werden. Letztere wurde allerdings noch nicht zur Aufnahme unabhängiger Datensätze herangezogen und wurde daher erstmals bei der Charakterisierung der internen Dynamik des Kälteschockproteins CspB angewendet (Zeeb, et al., 2003).

Dabei wurden die verschiedenen Lösungsmittelviskositäten über die Ethylenglykolkonzentration (EG) eingestellt. Aus der Lipari-Szabo-Analyse der

Relaxationsparameter bei den einzelnen Viskositäten resultierte die Rotationskorrelationszeit, die eine empfindliche Sonde für die Mikroviskosität darstellt und die Gesamtbewegung des Proteins bestimmt. Die Stokes-Einstein-Gleichung sagt eine lineare Abhängigkeit der relativen τm von der relativen Viskosität (η/η0) voraus, die auch für CspB bis zu einer relativen Viskosität von 2 zutrifft. Bei η/η0 = 6 ist die relative τm wesentlich geringer als vorhergesagt was bedeutet, dass die Gesamtbewegung des Proteins schneller ist, als dies aufgrund der Viskosität des Lösungsmittels (Makroviskosität) zu erwarten ist. Obwohl Ethylenglykol stabilisierend auf CspB wirkt kann ausgeschlossen werden, dass die apparent schnellere Bewegung auf die Verschiebung des Faltungsgleichgewichts auf die Seite des nativen Proteins verursacht wird, da in Abwesenheit von EG nur 1% des Gesamtproteins entfaltet vorliegt und somit die Änderung sehr gering ist. Eine plausiblere Erklärung ist, dass die Mikroviskosität in der Hydratationshülle von CspB geringer ist als die Viskosität des umgebenden Lösungsmittels. Die Überprüfung dieser Hypothese erfolgte durch die Bestimmung von relativen Korrelationszeiten über den hydrodynamischen Radius (RH), der über die Messung der Translationsdiffusion zugänglich ist, wobei Dioxan als interner Standard verwendet wurde. Unter der Voraussetzung dass der RH von Dioxan nicht durch EG beeinflusst wird (Jones, et al., 1997) ergibt sich ein nahezu konstanter RH für CspB im untersuchten Viskositätsbereich. Daraus lässt sich schließen, dass CspB auch in Gegenwart von 70% EG monomer vorliegt. Die absoluten Werte der Korrelationszeiten, die aus den RH

mit der Stokes-Einstein-Debye-Gleichung berechnet wurden (τmdiff) liegen systematisch um 30% unter den Werten, die aus den 15N Relaxationsmessungen erhalten wurden, was möglicherweise auf die Annahme eines zu großen RH des Dioxans zurückgeführt werden kann (Wilkins, et al., 1999). Die geringe Variation des RH bei unterschiedlichen Viskositäten ergibt relative Korrelationszeiten, die näherungsweise proportional zur Makroviskosität des Lösungsmittels ist. Daraus folgt, dass die Mikroviskosität der Hydratationshülle und nicht die Größe des Proteins inklusive seiner Hydratationshülle die Rotationsbewegung bestimmt.

Somit erlauben 15N Relaxationsmessungen und deren Analyse die Mikroviskosität von Proteinen zu charakterisieren, was für viskositätsabhängige Faltungsstudien von großer Bedeutung ist (Jacob, et al., 1997).

Ähnliche Abweichungen der Rotationskorrelationszeit von der Stokes-Einstein-Beziehung wurde auch in zeitaufgelösten Experimenten von Proteinen in viskosen Medien gefunden, die mit Absorption oder Fluoreszenzanisotropie verfolgt wurden (Lakshmikanth &

Krishnamoorthy, 1999, Lavalette, et al., 1999). Auch bei Lipari-Szabo-Analysen von 15N Relaxationsparametern, die über einen großen Temperaturbereich durchgeführt werden, sind

solche Abweichungen aufgetreten. Dies ist z.B. der Fall für die B1-Domäne des Protein G aus Streptococcus (Seewald, et al., 2000), deren Bewegungsparameter bei sechs verschiedenen Temperaturen zwischen 0 °C und 50 °C untersucht wurden. Die relative Viskosität nimmt von 50 °C auf 0 °C um den Faktor 3 zu. Nimmt man an, dass die Rotationskorrelationszeit linear von der Temperatur abhängt ergibt sich bei 0 °C (η/η0 = 3) immer noch ein Wert für τm, der um 25% unter dem zu erwartenden liegt (Seewald, et al., 2000).

Die Erhöhung der Viskosität führt zu einer signifikanten Verlangsamung der Gesamtbewegung des Proteins und lässt das 67 Aminosäuren große CspB aufgrund der erhöhten τm bei η/η0 = 2 und η/η0 = 6 als ein 170 bzw. 340 Aminosäuren großes Protein erscheinen. Im Allgemeinen wird versucht größere Proteine, die eine langsame Gesamtbewegung ausführen und daher ungünstige Relaxationseigenschaften besitzen, dazu zu bringen, ein apparentes Verhalten eines kleineren Proteins anzunehmen. Dies wird z.B.

dadurch erreicht, dass große Proteine in reversen Micellen eingeschlossen werden und diese dann in niedrig viskosen Flüssigkeiten gelöst werden. (Wand, et al., 1998). Somit stellt die Erhöhung der Viskosität den reziproken Ansatz zur apparenten Erniedrigung des Molekulargewichts dar. Letztlich können mit der apparenten Erhöhung des Molekulargewichts kleine Proteine zur Entwicklung und Implementierung von NMR-Experimenten eingesetzt werden, die zur Charakterisierung und Strukturbestimmung sehr großer Proteine oder von Komplexen benötigt werden.

Die erweiterte Lipari-Szabo-Analyse bei drei unterschiedlichen Lösungsmittelviskositäten gibt einen Einblick in die interne Dynamik von CspB. Eine der zentralen Annahmen des modelunabhängigen Ansatzes stellt die Unabhängigkeit der Gesamtbewegung und der internen Beweglichkeit dar (Lipari & Szabo, 1982b). Die Rotationskorrelationszeit von CspB steigt von 4.3 ns bei η/η0 = 1 auf 17.3 ns bei η/η0 = 6 an. Aus vielen 15N Relaxationsstudien geht hervor, dass der Ordnungsparameter S2, der neben Rex, τe, Sf2 und Ss2 zur Beschreibung der internen Dynamik herangezogen wird, den verlässlichsten Parameter darstellt. Dies gilt unabhängig von dem Problem für jeden Rest des Proteins aufgrund statistischer Erwägungen ein adäquates Model für die Funktion der spektralen Leistungsdichte zu finden (Palmer, 2001). Für CspB resultiert bei allen Viskositäten ein übereinstimmendes Bild für die Amplitude der internen Beweglichkeit im Subnanosekundenbereich in den Sekundärstrukturelementen (S2-Werte in Abb. 24). Die lange Schleife zwischen β-Faltblattstrang β3 und β4 sowie die beiden Faltblattstränge β4 und β5 sowie der C-Terminus besitzen große Amplituden der internen Beweglichkeit.

Im Gegensatz zu S2 hängen die erhaltenen internen Korrelationszeiten τe von der Viskosität ab. Allerdings sind die τe-Werte im Vergleich zu S2 weniger gut definiert und besitzen Fehler von 30%-50%, vor allem wenn die Relaxationsparameter nur bei einer Feldstärke gemessen wurden. Desweiteren geht aus den Funktionen der spektralen Leistungsdichte von Model 2 und 4 (Tab. 5) hervor, dass τe-Werte die unter 5% von τm betragen oder nahe bei τm liegen, ebenfalls schlecht definiert sind (Ernst, et al., 1996). Das bedeutet, dass die Größe der Rotationskorrelationszeit den Bereich bestimmt, in dem τe signifikant zu der spektralen Leistungsdichtefunktion beiträgt. Dies erklärt, warum die Mehrheit der τe-Werte in Abwesenheit von EG um 50 ps liegen, während in Gegenwart von 70% EG Beiträge im Nanosekundenbereich und keine Beiträge im Picosekundenbereich existieren. Die internen Korrelationszeiten treten in den Schleifenregionen zwischen den Faltblattsträngen und am C-Terminus auf.

Die Beiträge des chemischen Austauschs Rex zu der transversalen Relaxationsrate können durch die Lipari-Szabo-Analyse indirekt bestimmt werden und stimmen gut mit den direkt bestimmten Rex-Werten überein. Letztere wurden aus der Messung kreuzkorrelierten dipolaren/CSA Relaxation erhalten. Es konnte in einigen Fällen schon gezeigt werden, dass Faltungsreaktionen im Millisekundenbereich chemische Austauschterme erzeugen können und dass diese Rex-Werte aus Relaxationsmessungen zur quantitativen Bestimmung sehr schneller Faltungsraten verwendet werden können (Burton, et al., 1996, Mulder, et al., 2001, Tollinger, et al., 2001, Vugmeyster, et al., 2000). Die exemplarische Berechnung von Rex -Werten von einigen Aminosäuren bei den drei Viskositäten ergaben gut übereinstimmende Ergebnisse. In Abwesenheit von EG sind für nahezu alle Aminosäuren von CspB Rex-Werte vorhanden, die bei einer relativen Viskosität von 2 geringer werden und bei η/η0 = 6 fast alle abwesend sind. Dies resultiert zum einen aus der Stabilisierung von CspB durch EG, da die Größe des Rex von dem Populationsverhältnis der austauschenden Spezies abhängt (1.3%, 0.2% und 0.06% bei 0%, 27% und 70% EG) und zum anderen führt die Verlangsamung der Rück- und Entfaltungsreaktion (Jacob, et al., 1997) zu einer reduzierten Austauschrate, wodurch der Rex-Beitrag ebenfalls verringert wird.

Neben der indirekten Bestimmung des Rex-Beitrags über die erweiterte Lipari-Szabo-Analyse kann dieser auch über die Messung kreuzkorrelierter Relaxationsraten (Kroenke, et al., 1998, Renner & Holak, 2000, Tessari, et al., 1997) oder die sogenannte R2-Dispersion erhalten werden. Üblicherweise wird Rex in Regionen von Proteinen beobachtet, die eine erhöhte lokale Dynamik im Mikrosekunden- bis Millisekundenbereich aufweisen. Mit Hilfe des Rex-Werts werden dann die Populationen der miteinander austauschenden Spezies

bestimmt und die Austauschrate kex berechnet. Diese Herangehensweise wurde zur Untersuchung des konformationellen Austauschs bei der Isomerisierung der Disulfidbrücke im aktiven Zentrum von BPTI (Loria, et al., 1999, Millet, et al., 2000), der Flexibilität von T4-Lysozym im Bereich der Ligandenbindungsstelle (Mulder, et al., 2000) oder dessen aktivierte Zustände angewandt (Mulder, et al., 2001). Für die Charakterisierung der Faltung von CspB und dessen Übergangszustand wurde ein reziproker Ansatz gewählt, da im Gegen-satz zu den zuvor erwähnten Beispielen hier eine globale Faltungs-/Entfaltungsreaktion vorliegt. Dies drückt sich dadurch aus, dass die mit R2-Dispersion experimentell bestimmten Rex-Werte keine Korrelation mit Sekundärstrukturelementen zeigen und über das gesamte Protein verteilt sind. Die Berechnung dieser Rex-Werte basiert auf den Populationen des nativen und entfalteten Zustands, die mittels stopped flow Fluoreszenzspektroskopie erhalten wurden. Mit diesen Rex-Werten ist die Berechnung der Austauschrate kex möglich, die der apparenten Faltungsrate aus den stopped flow Experimenten entspricht. Durch den Vergleich dieser unterschiedlich erhaltenen Austauschraten kann dann eine Aussage über die Kooperativität der Faltung und die Homogenität bzw. Heterogenität des Übergangszustands getroffen werden. Im Falle der Faltungsreaktion von CspB konnten für alle untersuchten Aminosäuren ähnliche Austauschraten gefunden werden, wobei die geringen Unterschiede nicht mit den Sekundärstrukturelementen oder den unstrukturierten Schleifenregionen von CspB korrelieren. Das bedeutet, dass die Faltungsreaktion kooperativ verläuft und dass die über die gesamte Sequenz verteilten Sonden den gleichen Prozess spüren. Die gute Übereinstimmung der Austauschraten mit den Ergebnissen der Fluoreszenzmessungen unterstreicht ebenfalls die Signifikanz der erhaltenen Resultate. Zusätzlich wird die essentielle Voraussetzung experimentell belegt, dass das lokale Fluorophor Trp8 eine Sonde für die globale Reaktion darstellt.

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