45
Wir
kommen
jetztaufdendrittenPunkt, das sind dieinternationalen Schwierigkeiten, dieunsaus derAufhebung des Identitätsnachweises erwachsen sind. Solche hatten sich einerseitsin unserm Handelsverkehr mit der Schweiz und andrerseits in unsern handelspolitischen Beziehungen zu Rußland herausgestellt
Dieersterendürftenbei einerErneuerungdes Handels-vertrages mit der Schweizwohl keine weiteren Schwierig-keiten bereiten, als daßDeutschland zugestehenmuß,das offiziell
angenommene
Ausbeuteverhältnisbeim Vermahlen daraufhin nachzuprüfen, ob es den Tatsachen entspreche, und daß es sich dazu verstehenmuß, ein den Tatsachen entsprechendes Ausbeuteverhältnis im Vertrage mit der Schweiz binden zu lassen.Schwieriger scheinen die Verhältnisse mit Rußland zu liegen.*)
Rußland droht bekanntlich seit einiger Zeit damit, einen Roggenzoll einzuführen und ein Auswandiungs verbot für die polnischen Wanderarbeiter zu erlassen.
Rußland istnämlich nicht nur darüber ungehalten, daß es infolge der neuen Entwicklung in Deutschland seinen früheren Hauptabnehmer fürRoggen verloren hat, und daß dieser frühere Hauptabnehmer jetzt selbst auf
dem
Auslandsmarkt als seinKonkurrent auftritt, sondern noch mehr darüber, daß ihm nichteinmal sein eigenerMarkt mehr sicher ist.Es fragt sich nun, ob es gar keine Mittel gebe, die Aufregung der russischen Landwirtschaft zu beruhigen, ohne daß Rußland gleich genötigt ist, zu Maßregeln zu greifen, die inDeutschland sehrerbitternmüßten, so daß ein so scharferKampf, wie wir ihn imJahre 1893 sahen,
*)Die folgendenAusführungensind vorAusbruchdes Weltkriegess aieder^eschriebenworden.
46
—
wieder ausbrechen müßte. Ichglaube nun, daßes hierfür ein sehr geeignetes Mittel gibt,
um
dieLandwirte aus Russisch-Polen, diehauptsächlich über die deutsche Kon-kurrenz aufgeregt sind, zubefriedigen.Wo
sich Roggen anbauen läßt, da läßt sich auch Futtergerste und Hafer anbauen. Für beides haben wirim allgemeinen meist einen Mehrbedarf und nur für Haferin Ausnahmejahren eineMehrausfuhr.Wenn
wirnun dieBestimmung träfen, daß auf Einfuhrscheine, die für dieAusfuhr nachRußland gegebensind,nurrussischeWare
wiederzollfreieingeführt werden darf, so würde darin eine gtiwisse Begünstigung der russischen Einfuhr liegen, durch die die russische Landwirtschaftwohl sofort wieder beruhigtwerdenwürde.Damit würdendieinternationalenSchwierigkeitenRußland gegenübermeines Erachtens leicht behoben sein.
Viel wichtiger aber als diese Seite der Wirkungen der Aufhebungdes IdentitätsnachweisesistdieFrage, wie weit sich die Befürchtungen, die
man
an diese knüpfte, erfüllt haben. Eswaren nämlich die folgenden Befürch-tungen ausgesprochen worden:1. Die Viehzucht könne unter
dem
Mangel geeigneter Futtermittel leiden,2. dieStaatskassekönneeineEinbuße dadurcherleiden, daß zollpflichtige Futtermittel ausgeführt, zollfreie oder doch mit einem geringeren Zoll belegte Futter-mittel eingeführt würden,
3. derMehlexport könnezurückgehen,
4. die Einfuhrscheinewürden infolge der Erschwerung ihres Absatzes im Preise herabgehen,
5. die Versorgung unseres Volkes mit Brotgetreide könnte schlechterwerden, weil dieGefahr bestände, a)daßdasschlechtereGetreide imLande bleibe, das
bessereins Ausland gehe.
47
b) daßdas Ausland uns für unser gutes deutsches Getreide schlechteres zurückliefere,
c) daß Deutschland von Getreide derart entblößt würde, daß im Kriegsfälle die noch vorhandenen Vorräte nicht ausreichten.
Soweit es nun möglich ist, diese Befürchtungen statistisch aufihre Richtigkeit hin zuprüfen, soll dies im Folgenden geschehen.
Wir wollen zunächst der Frage nähertreten, wie weit die Viehzucht unter
dem
Mangel geeigneter Futtermittel gelitten habe.lieber diese Frage unterrichtet uns dieTabelleI. auf Seite 48, 49.
Ausdieser Tabelle ergibt sich, daßmit
Ausnahme
des Hafers, und auch hier nur mitAusnahme
zweier Jahre, nämlich der Jahre 1907 und 1908, vonallen Artenvon Futtermitteln mehr ein- als ausgeführt worden ist, daß also die ausgesprochenen Befürchtungen,wenn
wir von der genannten kleinenAusnahme
absehen, sich nicht erfüllt haben.Daß
diese Mehrausfuhrzustande kam, lag an Folgendem:Schon das Jahr 1906 hatte eine sehr gute Haferernte gehabt. DieserfolgteimJahre 1907einenochreichlichere, weil die ausgewinterten Weizenanbauflächen 1907/08 mit Hafer bestellt worden waren. So gingen wir trotz der Ausfuhr desJahres 1907indas Jahr 1908 nochmitgroßen Vorräten hinein. Aus den monatlichen Berichten des Jahres 1908läßt sichsodannersehen, daßdieMehrausfuhr des Jahres 1908imwesentlichenin diejenigenMonatefällt, die noch unter
dem
Einfluß der überaus günstigen Ernte von1907 standen. In der zweiten Hälfte des Jahres 1908ist die Mehrausfuhr zwar nur noch eine sehr geringe, aber dochimmerhin nochvorhanden, freilichnurdeshalb, weil aus
dem
Erntejahr 1907 noch immergroße Vorräte4S Tabelle1
Ein- und Ausfuhr von Hafer,
Jahr
1908 299 806 492 737 —192931 1718426 1843 +1716.583
1909 527 941 300132 4-227 810 2392 425 1826
+2
390 599 1910 457 721 436 530 -f 21 191 2826 320 2061+2
824 259 1911 628 308 296 271 4-332037 3477980 1854 +34761261912 665 935 385 208 +280727 2756 925 1157 4-2 755 768
*)Entnommenaus der Denkschriftundfür dieJahre1910—1912
vorhanden waren unddieErnte des Jahres 1908 eine
dem
Durchschnitt entsprechende war;freilichscheintman
dabei die vorhandenen Vorräte aufgebraucht zu haben, denn später findet eine sehrstarke Mehreinfuhr statt.DerGrund, aus
dem
1908eineHafereinfuhr notwendig wurde, belehrt uns aber darüber,daßwirfürsolcheJahre49
TabelleI
Futtergerste, Kleieund Oelkuchen
Jahr
jl ausden StatistischenJahrbüchernergänzt.
i der Landwirtschaftdie.Haferausfuhroffen halten müssen.
Tun wir das nicht, wird
man
in vielen GegendenOst-‘ deutschlands,
wo
derBodenansichzum
Weizenanbaureich" genug ist,
wo
aber mit Ueberwinterungsgefahr gerechnetwerden muß,
vom
Weizenanbau ganz absehen und nur Roggenanbauen, derstrengerundlanganhaltenderWinter-i 4
i
t
I
(
50
kälte gegenüber weniger empfindlich ist. Die Gefahr, zu viel Roggen und zu wenig Weizen angebaut zu sehen, würde damit noch größer werden.
Kann
aber statt aus-gewintertenWeizens neben SommerweizenHaferangebaut werden, weilman
mit seiner Ausfuhrmöglichkeit rechnen darf, so wird der Landwirt auch der rauheren Gegenden Ostdeutschlandssich leichterzum
Weizenanbauentschließen, weil die wirtschaftlichenFolgen einer Auswinterung des Weizens sehrherabgemindert werden. Zur Förderung der Weizenanbaufläche müssen wir alsodem
Landwirt die Möglichkeit einer Mehrausfuhr von Hafer offenhalten.Nach den bisherigen Erfahrungen dürfen wir sagen, daß er davon nur in den Jahren einer Weizenauswinterung Gebrauchmachen wird.
Vielwichtiger aberals diesedurcheine
außergewöhn-lich gute Haferernte geschaffenen Verhältnisse ist das Moment, daß unter
dem
EinflußderZölleunddes Einfuhr-scheinsystems die Intensität des Haferanbaus sich ganz außerordentlich gehoben hat. Als Durchschnitt des Er-trages vordem
Jahre 1894 kannman
pro ha 12V
2 dz.annehmen, während wir jetzt als Durchschnitt 19 dz.
an-nehmen
dürfen, d. i. eine Ertragssteigerung von reichlich 507o-Da
die Anbaufläche sichum
10®„ seit 1894 ge-hobenhat,so ergibt sichalsSteigerung des Gesamtertrages desHaferanbaueseine solchevon65"y. DerGesamtertrag betrug in den Jahren vor 1894 durchschnittlich 4,8
Milli-onen To., und er beträgt jetzt durc^hschnittlich reichlich 8 Millionen To. Wir können also mit
dem
indirekten Ein-fluß, den die Zollpolitik und das Einfuhrscheinsystem auf den Haferanbau und damit auf die Viehzucht ausgeübt hat, noch zufriedener sein, als mitdem
Einfluß auf den Roggenanbau,dessen Erträgesich nurum
50®o gesteigert hatten, lieber den Haferanbau seit 1890 unterrichtet uns die folgende Tabelle.51 TabelleII
Die Anbaufläche, die Erträge pro ha und die Gesamt erträge von Hafer
1890 3904020 12,6 4913544
1891 4154683 12,7 5279340
1892 3987719 11,9 4743036
1893 3906 969 10,7 4180457
1894 3916726 16,8 6580 100
1895 4028692 15,5 6244473
1896 3979643 15,0 5969 465
1897 3999052 14,3 5718644
1898 3996521 16,9 6754120
1899 3999244 17,2 6882687
1900 4122818 17,2 7091 930
1901 4411412 16,0 7050153
1902 4156290 18,0 6467250
1903 4290398 18,4 7873385
1904 4189681 16,6 6936003
1905 4182054 15,7 6546 502
1906 4221533 20,0 8431379
1907 4377115 20,9 9149138
1908 4275305 18,0 7694833
1909 4309967 21,2 9125816
1910 4289387 18,4 7900376
1911 4327701 17,8 7704101
1912 4387404 19,4 8520183
*)Zusammengestellt ausden StatistischenJahrbüchern.
4*
Man
erhebt nun aber gegen das Einfuhrscheinsystem noch den speziellenVorwurf, unser schöner Hafer gehe ins Ausland und die andren billigeren und schlechteren Futtersorten würden dagegen eingetauscht.Zunächst haben wir schon gesehen, daß bis auf die Jahre 1907und1908, d.i.bisaufdieJahre, diedurcheine ganz außergewöhnlich große Hafererntebeeinflußt waren, eineMehrausfuhrvonHafer überhauptnichtstattgefunden hat.
Wenn man
nun schon nicht generalisieren soll, so darfman am
wenigsten allgemeineFolgerungen aus Er-scheinungen abnormerJahre ziehen. Wirkönnten unsjanundamitbegnügen, diesenVorwurfsoalsungerechtfertigt zurückgewiesen zu haben; wirwollen aber noch weiter gehen und dartun, daß es für unsre Verhältnisse sogar gar kein schlechter Tausch ist,
wenn
wir Hafer gegen Gerste eintauschen; denn im allgemeinenstehtunsrer Aus-fuhr vonHafer—
die sogenannte starkeAusfuhrbeträgt durchschnittlich 4—
57o des Gesamtertrages unsrer Hafer-ernte—
eineEinfuhr vonbeinahe viermal so viel Futter-gerstegegenüber. Wir haben den Haferanbau mit einem Zoll von Mk.5pro dz. geschützt, wirgewähren alsoauch beiAusfuhrvonHaferdieentsprechende Ausfuhrvergütung, wir haben aberdieFuttergerste nur mitMk.1.30pro dz.geschütztund gewährenalso auch nur eineentsprechende Ausfuhrvergütung.*) Der Anreiz des Zollsystems, Hafer
*)Schonim ersten Teilwurde darauf hingewiesen, daßinfolge des mitOesterreich abgeschlossenen Handelsvertrages von Deutsch-land für ausgeführte Gerste allgemeinnur Mk. 1.30 prodz.als Aus-fuhrvergütung gewährt wird. Dadurch ist die von 1894bis 1906 ziemlichregeAusfuhrdeutscher BraugerstenachdemAusland, haupt-sächlichnach England und Dänemark, wosie sich einer ziemlichen Beliebtheit erfreute,vollkommen unterbunden worden. Indieser Be-ziehungwäreeineReformdesEinfuhrscheinsystems dringend wünschens-wert. Freilich könnte sie keine Veranlassung geben, den Handels-vertragmit Oesterreich zukündigen,wennOesterreich ihn nicht selbst
53
anzubauen, ist alsoviermal so groß, als der, Futtergerste anzubauen.
Nun
istaber bei den deutschen Verhältnissen auch aus klimatischen und physikalischen Gründen derAnbau
vonFuttergerste ein viel prekärerer, als der von Hafer; er ist der Gefahr des Mißratens viel mehr aus-gesetzt,alsdieser. Eskannalso nichtwunder nehmen,wenn
die Landwirte deshalb
dem
in der Zollpolitik gegebenen Anreiz, Haferstatt Futtergerste anzubauen, gerne folgen.Die Gerste hat nun aber als Futtermittel für uns an Bedeutung gewonnen. Der Grunddafürist, wie
Beckmann
aufSeite 82 seiner Abhandlung über das Einfuhrschein-system sagt, derfolgende: „Das geeignete Futter für das deutsche Schwein ältererZüchtung war schweres Roggen-mehl (sic!); das heutige, frühreife, feinknochige Schwein verlangt Gerstenmehl (siel). Daher sinkt der Roggenver-brauch für tierischeZwecke, es steigt derGerstenkonsum zu enormerHöhe. Die Schweinehaltung ist heute mehr und mehrein kaufmännischesUnternehmenmit schnellem KapitalumschlagundfreierAusdehnungsmöglichkeit gewor-den; auch der Kleinbetrieb hat sich ihm mehr und mehr zugewandt. Diese Entwicklung istin jeder Beziehung er-freulich und beweist einen erfreulichen Fortschritt der landwirtschaftlichenProduktion. Wollten wiralso jenes Ar-gumentzugeben,daßdas Einfuhrscheinsystem den Gersten-konsum und damit die ganze Entwicklung der Schweine-haltung verursache, so läge darin eingroßesLob undkein Vorwurf.Nun
aber ist die geeignetste Beschaffung der kündigensollte. Solltees aber dazukommen,dann müßteimneuen Handelsverträge die Klausel auf die österreichischeGrenze beschränkt werden. Esistzuzugeben, daßdieUnterscheidung zwischen Futter-undBraugerste zolltechnisch bei derAusfuhr schwerer durchzuführen sein würde,als beider Einfuhr, ln einer so wichtigenFrage aber müßtebeieinigermaßen gutemWillenschoneinWegderDurchführung gefunden werden.Wo
ein Willeist,daistaucheinWeg.54
zum Konsum
nötigen Gersleninengen ausländisclierBezug;denn das Ausland erzeugt eine billige Gerste, deren Ein-fuhrein niedriger Zollsatz nicht erschwert. Damitist die Unabhängigkeit der Gersteneinfuhr
vom
Einfuhrschein’System nachgewiesen; sie hängt nicht mit
dem
Einfuhr-scheinsystem, sondernmitdem
Zollsystemzusammen.Um
die Einfuhr von Gerste zu bezahlen,
muß
die Landwirt-schaft andre Produkte, an denen sie Ueberschuß hat, exportieren, z.B. Roggen und Hafer. Aus diesem Grunde vollzieht sich nach natürlichen Gesetzen der Austausch zwischen Roggen, Hafer und Gerste. BeiFehlen des Ein-fuhrscheiiisystems würde sich diese Verschiebung in der-selben Weise vollziehen.“Wir
kommen
nun zu der Frage, wie weit sich die Befürchtung bestätigt habe, daß die Staatskasse dadurch einen Schaden erleiden könne, daß zollpflichtige Futter-mittel ausgeführt, zollfreieoder doch miteinemgeringeren Zoll belegte Futtermittel aber eingeführt würden.Voneinerwirklichen Schädigung der Staatskassekann
ja nun freilich erst dann die Rede sein,
wenn
die Zoll-einfuhrscheine auf die ini Gesetz von 1902 genanntenWaren
einen höheren Betrag ausgemacht hätten, als für die betreffendenWaren
Zölle einkamen. Dennwenn
auch Zolleinfuhrscheine für dieAusfuhr der betreffendenWaren
zur Begleichung vonKaffee- und Petroleumeinfuhr benutzt wurden, so hätten sie doch zur Begleichung der Einfuhr von solchenWaren
benutzt werden können, dieunter das Gesetz von1902fielen.Was
alsovonZolleinfuhrscheinen zurBegleichung vonKaffee-undPetroleumeinfuhr benutzt wurde, das wurde mehr gezahlt an Einfuhrzöllen für die im Gesetz von 1902 genannten Waren. Die Reichskasse erlitt alsoin Wahrheitkeinen Ausfall. Es war nur eine Bequemlichkeit für diejenigen Kreise, die mit diesen Scheinen zu tunhatten, daßsie sie ziirnImportvonKaffee55
und Petroleum benutzen konnten und nicht allein
zum
Import der unter das Gesetzvom
Jahre 1902 fallenden Waren.Wenn
trotzdem im Jahre 1911 die schonam
Ende des ersten Kapitels genannteNeuordnung des Ein-fuhrscheinsystems vorgenommen wurde, so geschah das nur,um
derAgitation einen zwar fadenscheinigen, aber doch sehr gern benutzten, weil scheinbar überzeugenden Vorwand zu nehmen. DerEffektder ganzenUmänderung warja auch nur der, daß die betreffenden Handelskreise gezwungen wurden, den Verkehr mit diesen Einfuhr-scheinen sorgfältiger zu organisieren, als es bisher ge-schehen war.Seit der Neuregelung
vom
Jahre 1911 ist nun auch denGegnern des Einfuhrscheinsystems nach derSeite hin, daß die Staatskasse dadurch geschädigt würde, jeder einigermaßenplausible Vorwandgenommen
worden. Der besteBeweis dafür ist darinzu sehen, daßseitdemsolche Einwendungen gegen das Einfuhrscheinsystem weder in tler Literatur noch in den Reichstags Verhandlungensich finden. Nach dieser Seite hin kann also dieFrage heute als endgültig gelöst betrachtet werden.Dagegen könnte die Frage zweifelhaft erscheinen, ob eine Schädigung der Reichskasse nicht schon dann vor-liege,
wenn
von einem derjenigen Produkte, für deren Ausfuhr Einfuhrscheine ausgestellt werden, mehr ausge-führt als eingefülirt wird. Zunächstmuß
aber darauf hingewiesen werden, daß unter denjenigen Gegnern des Einfuhrscheinsystems, dieeineSchädigung der Reichskasse durch dies System annehmen, die gemäßigteren eine Schädigung der Reichskasse doch immer nur insoweit an-nehmen, als nicht an Stelle des ausgeführten Produktes ein Produkt eingeführt wird, das mit einem mindestens ebenso hohen Zoll belegt ist.Demgemäß
werdenwireine Schädigung der Reichskasse durch die Mehrausfuhr von56
Roggen nicht annehmen dürfen; denn der Mehrausfuhr von Roggen steht eine entsprechende Mehreinfuhr von Weizen gegenüber.
Da
nun Weizen nicht nur den gleichen sondern sogar einenum
5 Mark für die Tonne höheren Zoll zu zahlen hat, so erleidet die deutsche Reichskasse durch dieMehrausfuhrvonRoggen nichtnur keinen Schaden sondern hat sogar bei jederTonne Mehr-ausfuhr einenGewinn von5Markzu verzeichnen. Anders steht es für den Fall der Mehrausfuhr vonHafer. Der Mehrausfuhrvon Hafer entspricht eine Mehreinfuhr von Futtergerste. Für den Hafer wird ein auf 50 Mark für die Tonne lautender Einfuhrschein ausgestellt, während für dieTonneFuttergerstenur einEinfuhrzoll von1,30M.gezahlt wird. Mithinerleidet dasReich beijedem Doppel-zentnerMehrausfuhrvonHafer einenVerlustvori3,70Mark.
Stellt
man
sich einmal, wie es auch die Denkschrift des Ministers tut, auf denoben gekennzeichneten Boden, somuß man
diese Schädigung der Reichskasse zugeben.Wenn
ichnunauchselbstnichtdieserAnsichtbin,sondern mehrderMeinungzuneige, daßvon (iinerSchädigung der Reichskasse erst danndieRedeseinkönne,wenn
die Zoll-einfuhrscheine auf die im Gesetz von 1902 genanntenWaren zusammen
einenhöheren Betrag ausmachen, als für die betreffendenWaren
Zölle einkommen, so willich doch derAnschauungderGegnerdesEinfuhrscheinsystems biszu diesemPunkt entgegenkommen. Esmuß
aberdann zugegeben werden, daß biszum
Ende des Jahres 1912, d. i. bis zudem
Zeitpunkt,wo
bisher zuverlässiges amt-liches Materialvorliegt, nur ein einzigesMal derFallvor-gekommen
ist, daß Deutschland in einem landwirtschaft-lichenBetriebsjahremehrHaferexportierte,alsimportierte ln diesem Jahre war dies, wie ich schon öfter hervor-zuheben Gelegenheit hatte, im wesentlichen dadurch be-dingt, daß die Landwirte in ausgewintertenWeizen HaferL
57
einsäten.
Was
also Deutschland damals an Hafer mehr ausführte, daß mußte es anWeizen mehr einführen. Die deutsche Reichskasse erlitt auch damals keine Einbuße, sondern erzielte sogarfür jedeTonne noch einenGewinn von 5 Mark. Voraussichtlichwerden wir auch inZukunft nur dann eineMehrausfuhr vonHafer festzustellen haben,wenn
der Winterweizen ausgewintert ist und eine Nach-saat vonHafer notwendigwird. Ich kann mich alsotrotz allergegenteiligenBehauptungen nichtzu der Ansicht be-kennen,alshabeseiner ZeitdurchdieMehrausfuhrvonHafer eineSchädigung der Reichskassestattgefunden, nochkann ich der BefürchtungRaum
geben, daß in Zukunft einmal eine wirkliche Schädigung der Reichskasse durch eine Mehrausfuhr von Haferstattfinden werde.—
Wir
kommen
nun zu der nächsten Befürchtung, dieman
imJahre 1894 ausgesprochenhatte,daßnämlich durch dieZulassung derAusfuhrunverarbeiteten Getreides unter den günstigen Bedingungen, wie sie vorher nur dasMehl genossenhatte, der Mehlexportund damit dieMühlen,die auf diesen besonders eingerichtetwaren, besondersleiden könnten.Wie
weit diese Befürchtung sich bewahrheitet habe, darübergibt uns dieTabelleIII auf S.58 Auskunft.Darnach kann eskeinemZweifelunterliegen, daß bis
zum
Jahre 1902 die Aufhebung des Identitätsnachweisesdem
Mühlenexport schädlich gewesen ist, daß aber die Neuordnung, diedurch das Gesetzvom
Jahre 1903erfolgte unddem
Export von Mehl ein neues Ausbeuteverhältnis zu Grunde legte, denMühlenexport wiedergefördert hat, weil es seitdem sich als gewinnbringender herausstellte, Mehl anstattunverarbeitetes Getreide zu exportieren. Das bedeutete abernichts andres, als daß indem
zuGrunde gelegten Ausbeuteverhältniseine versteckteAusfuhrprämielag. Diese war besonders hochbei der oberstenKlasse, und dieser Umstand führte dazu, daß auf dringliche
58 Tabelle 111
Mehlexport in To.*)
Jaln- To. Jahr To.
1882 92844 1898 141834
1883 136 087 1899 164318
1884 131431 1900 133278
1885 129043 1901 91530
1886 133239 1902 89 484
1887 132179 1903 123192
1888 151128 1904 158 126
1889 145248 1905 207517
1890 116204 1906 138665
1891 108 031 1907 162647
1892 107899 1908 229452
1893 150257 1909 277406
1894 191912 1910 362113
1895 171115 1911 314 797
1896 154566 1912 346 379
1897 165 431
")Zusaminengestelltauscieu StatistischenJalirbüchern.
59
(
Reklamationen der Schweiz dieRegierungEndedes Jahres 1909 sich bewogen fühlte, das Ausbeuteverhältnis für die besteMehlklasse zu ändern. Die Schweiz erklärte freilich damals,sie seidamitnochnichtganzzufrieden,erhobdann aber weiterkeineEinwendungen, und damitscheint diese Frage des Schweizer Mehlkonflikts wenigsten vorläufig er-ledigt.