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Doppelte Rollenhaftigkeit

Zu diesen aus der Tradition übernommenen Charakteristika tritt bei Gozzi eine Besonderheit der Maskenfiguren: Die Masken sind in den Fzabe teatrali nicht nur sie selbst als Tartaglia, Pantalone, Truffaldino, Brighella, wie sie traditionell als Alte, vecchi, und Diener, zanm, auftre-ten, sondern Gozzi weist ihnen zudem eine Rolle im Gefüge der dramatls personae der Märchenhandlung zu, die von Stück zu Stück variiert. Nur in der ersten Fiaba teatrale, L'amore delle tre melarance, betritt Truffal-dino als TruffalTruffal-dino die Bühne, in den folgenden ist er königlicher Jager (Il corvo, La donna serpente), Aufseher über die Eunuchen (Turandot), Vog-ler (Il re cervo), BettVog-ler (I pitocchi Jortunati), Wurstmacher (L'augellmo belverde), Kerkermeister (Il re de' gen]) und zweimal Diener königlicher Personen (Zobelde, Il mostro turchino). Auch Brighella taucht nur drei-mal in der Dienerrolle auf (L'amore delle tre melarance, La donna ser-pente, Zobeide) und ist sonst Jäger (I l corvo), Küchenchef (Il re cervo), Aufseher (Turandot, Il mostro turchino, Il re de' gen]), Bettler (I pltocchi Jortunati) und nicht zuletzt Poet (L'augellmo belverde). Tartaglia

über-nimmt auffallend häufig die Rolle eines Ministers - meist eines schlechten, bösen - und avanciert vom Erbprinzen in L'amore delle tre melarance zum König von Monterotondo in L'augellmo belverde.141 Pantalone schließlich ist ebenfalls sowohl Minister (Il re cervo, Zobeide, Il mostro turchmo, L'augellmo belverde, Il re de' genj) - ausschließlich ein guter, treuer - als auch Admiral (Il corvo), königlicher Sekretär (Turandot), Onkel des Königs (La donna serpente) und Bettler (I pltocchi Jortunati).

Während hinsichtlich der Partien, die Truffaldino und Brighella in den Flabe teatralz spielen, noch ein - wenn auch loser - Zusammenhang mit ihrer Tradition als Dienergestalten niederer Herkunft hergestellt werden kann, nehmen Tartaglia und Pantalone ganz neue Rollen ein, die mit ih-rer ursprünglichen Funktion als komische Alte, die sich durch eine für

141 L'augellmo belverde ist eine Art Fortsetzung von L'amore delle tre melarance, in der dieselben Figuren wieder auftauchen und die Geschichte fortgeschrieben wird; vgl.

Kap. 4+

ihr Alter unpassende Verliebtheit, durch Geiz, übertriebenes Mißtrauen oder andere Laster der Lächerlichkeit preisgeben,14. kaum noch In Ver-bindung zu bringen sind. Als Minister, Admiral, Sekretär und ähnliches stehen sie den hohen, meist königlichen Personen hierarchisch nahe, wah-rend Truffaldino und Brighella in ihren »Märchenrollen« sozial deutlich niedriger positioniert sind. Analog zur Tradition der Commedia dell'arte nehmen sie zuvorderst die "partl ridicole« eIn und sorgen vor allem in den a-soggctto Szenen durch ihr Verhalten, ihre Sprache und ihre Gestik - die Masken verhIndern ein differemiertes Mlenenspiel- für das Lachen des Publikums. Schreibt Perrucci In seinem Traktat vor allem dem ersten Diener oder zanm die dramaturgische Funktion zu, die Handlung vor-anzutreiben,143 erfullen Brighella und Truffaldlno diese Aufgabe In

Goz-1'15 Flabe teatrali nur sporadisch. :r.inzig in L'amore delle tre melarance

fungiert Truffaldino tatsachlich noch als Handlungsmotor, wobei die Rolle bezeichnenderweise metatheatralisch llberwölbt ist und Truffal-dino explizit als »lustige Figur« ('persona benemerita nel far ridere«) eingehihrt wird. In den folgenden Stücken ubernehmen uberwiegend andere, namlich marchenhafte Instanzen, die dramaturgische Funktion als IIandlungsmovens.

Die besondere doppelte Rollcnhaftigkeit der Masken, hauptsachlich Pantalones und Tartaglias, In Kombination mit ihren sprachlichen Eigen-heiten Ist ein Spezifikum der Fzabe teatrah, das zwei Beispiele näher be-leuchten sollen. Wahrend die dialektale Sprache Pantalones im Text als solche gedruckt erscheInt, ist das traditionelle Stottern Tartaglias nicht notiert. Daß fur Goni jedoch dieses sprachliche Charakteristikum der Maske, welche Rolle auch immer sIe in einer haba teatrale bekleiden mag, selbstverständlich ISt, wird in!l re cervo deutlich, wo das Stottern Tarta-glias einen wichtigen Aspekt hinsichtlich der Entwicklung der Handlung darstellt und explil'it thematisiert wird. Tartaglia, der sich als erster Mi-llIster hinterlisttg die Möglichkeit erschleicht, in die Gestalt des Königs

1'1 Vgl. A. PerrucCl, op. Clt., S. 194: .Or perehe le partl de' Vecchl soghono essere per 10 piu riJlcole per essere innamoratl, e la vcechiaia quando cade in questo errore

c

derisibile;

corne anehe per esser avan, tenaCI, sospem, e "Iziosi, quindi

e

ch'a diversi linguaggl SI so no attrlbune le part! d, Padri._ P.1ntalone allerdings nimmt eine Sonde"tellung ein, d.1 er hmslchtlich der Sprache, d. h des Dialekts, z .... ar zu den .parti ridieole- zahlt, in Jer [-unktion als Berater und ,m sOlialen Status eines Städters oder lumindest eines Kaufmanns JeJoch 'parte grave« 1St, wie Pier \bria Ceechim in Frult! delle moderne mmedlc Cl aV/5/ .1 chi le reC/la (radon 1628) betOnt (Teilabdruck In V. Pandolfi, La commedra dell'arle, op Clr., Bd. 4, S. 100): -La parte dei vecchio sotto habito, & come [sie; i. e. norne] dl Pantalone, e sempre parte graue, ma virn pero mescolata fr:. le ridicoh per la lin~ua, & ,cstlmento .•

1<1 A. Perrueci, "p. C1t.. S. 2 15 •11 SUO ofticlO sara tirar I'mtrigo, ed Imbrogliare le earte«.

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Deramo zu schlüpfen und an seine Stelle zu treten - als Herrscher wie als Liebhaber Angelas -, fürchtet, bei ansonsten gegluckter Verwandlung sein Stottern nicht los zu werden und reflektiert darüber:

Oh maraviglia' [ ... ] Entro ne! eorpo de! Re; e, creduto Deramo, vado in possesso deI Regno, e piil d' Ange!a mia, ehe adoro. Ma q uando saro in questo eorpo, ehl sa, se conservero il difetto, di tartagliare? Non vorrei esse re conoseiuto. Diavolo' sarebbe un brutto imbroglio. Ma, quando sono Re, di ehe temere? Non perdiamo piu tempo. (Il,7)

achdem die Metamorphose gelungen ist und Tartaglia »in forma di Deramo« erscheint, bestätigt sich im folgenden Monolog Tartaglias Be-fürchtung: »Resti Deramo nella sua miseria. (tartaghera) Oh maledetta imperfezione di lingua, ancora mi perseguiti?« (II,8). Selbstverständlich fällt auch der Umgebung Deramos neben den ungewohnt rauhen Um-gangsformen des falschen Königs das befremdliche Stottern auf, was Pan-talone mehrfach a parte kommentiert mit »Mi son sbasio! l'e deventa un can. 0 10 conosso piu. L'ha cambia infin la ose, e el se intartagia, ehe el fa stomego« und »Tole! Che schienze de tartagiae!« (II,IO). Letztendlich ist es freilich nicht das Stottern, das ihn entlarvt, sondern der Zauberer Durandarte, doch machen die Szenen deutlich, in welcher Weise Gozzi traditionelle Charakteristika dramaturgisch fruchtbar macht und durch Selbst- und Fremdkommentare der Figuren im Stück thematisiert. Das Stottern an sich ist kein Grund, der Maske Tartaglia nicht eine Minister-rolle zuzuschreiben, noch dient es als untrügliches Kennzeichen der Figur, das sie innerhalb des fiktionalen Rahmens als maskierte unmittelbar de-maskieren würde, vielmehr gibt es Anlaß zu selbstreflexiven Außerungen und zu entsprechenden Reaktionen einer anderen Maskenfigur, nämlich Pantalones. Wenn in allen anderen Fiabe teatrah Tartaglia Minister- oder ähnliche Rollen spielt und in diesen mit Sicherheit ebenfalls stottert, ohne daß dies von den Mitagierenden explizit angemerkt würde, ist davon aus-zugehen, daß das Stottern als Unzulänglichkeit, verstärkt durch die Dis-krepanz zwischen sprachlichem Defekt und sozialer Stellung, vor allem zur Belustigung des Publikums beitrug.

Als zweites Beispiel für die Besonderheit der doppelten Rollenhaftig-keit der Masken in sprachlicher Hinsicht seien Pantalone und die beiden zannz angeführt. Pantalone, als Maske traditionell Venezianer, spricht in allen Stücken Gozzis venezianisch, sei er Admiral in Frattombrosa, Minister in Samandal oder Bettler in Samarkand. Daß dies innerhalb des Spiels keine Venvunderung erregt noch eines Kommentars wert ist, mag merkwürdig anmuten und ist nur mit der betont fiktionalen An-lage der Fiabe teatrali erklärbar. Die Frage nach der Wahrscheinlichkeit,

daß Pantalone als Minister in 'amandal, in ~anking und ~10nterotondo immer dasselbe Venezianisch spricht, ist eben so irrelevant wie die nach der Wahrscheinlichkeit des Eingreifens von Zauberern und anderen uber-natürlichen Kraften in das Geschehen. Innerhalb der theatralen \X'irklich-keit bleibt bei des - gemäf~ dem Märchenschema - als gegebene Tatsache unhinterfragt. :\lag es aus Gründen der Tradition noch als ,.naturlich«

er:.cheinen, dag Pantalone als venezianische :\1aske den autochthonen Dialekt benutzt, ist man einigermaßen überrascht, daß offensichtlich auch Truffaldino und Brighella in orientalischer ;\1archenumgebung ve-nezianisch sprechen. Z\\.'ar ist bei den zahlreichen Improvisationsszenen, für die Coni den zu sprechenden Text nicht ausformuliert, sondern nur inhaltlich skIzziert, nicht zu erkennen, welche Sprache, welchen Dialekt Brighella und Truffaldino sprechen, doch lassen einige wenige wortlieh vorgegebene Passagen den Schlug zu, daß die beiden zannz sich nicht ihres bergamaskischen I leimatdi.llckts, sondern eben auch des Venezianischen bedienen, und dies, obwohl in mehreren Fiabe teatrah ausdrucklieh zur Sprache kommt, daß sie aus Bergamo stammen. !44 Erstaunlich ist weniger die Tatsache, daG die beiden ~1asken venezianisch sprechen, als vielmehr die Divergenz zwischen dem aus der Tradition der Commedia dell'arte übernommenen Ort der Abstammung der '\lasken und ihrem Dialekt, der wohl wie manches andere .\lerkmal der Figuren auch auf Gozzis ge-naue Kenntnis der fahigkeiten seiner Darsteller zurückzuführen ist. 145

... So z 1:1 ml puocch, !oTlunatz, wo Bnghella seine Geschichte erzahlt· .1 casl mlel' Ghe li des\'olzo in tun momento. ~1t son un Bergamasco, lhe ha scomenza a se"'lr per mozzo de stalla. EI pnmo guadagno, ehe ho a\'u, xe ~la un.a scalzada d'un ca\'allo, che m'ha SC.lVena un.l gamba in do toc"hi. eiL. Daß Brighella nicht nur venezianisch spncht, sondern SICh auch m <pezlfisch vene7lanJschen Brauchen und hnnchtungen auskennt, macht eine Außerung hinsichtlich der Haßlichkell seiner TOlhter deutlKh, in der er auf eine .bocca della veml • .Im Palazzo Ducale anspIelt -la xe struppla da lUlle do le gambe; la ga un muso, ehe 1.1 par una denofl7ia secreta; una gobba, <.he ghe sormonta sora 1.1 testa· et<.. (I, ). In der darauffolgenden Szene, 1,9, spncht auch Truf·

faldmo m einem kurzen ausformulierten ~lonolog \'enelianl>ch, während mit I, I 0 eme ')une a IOggctto tolgt, m der T ruftaldmo auf scme beq!;amasklsche Herkunft \'erwel~t, zweifelsohne jedoch weiterhin \'enezianIsch redet, .Se per sorte Apolhno, e Beltagor gli abblano delto, ehe ha norne Truffaldtno, e ch'e Bergamasco?.

I'ur wertvolle timweise zum Venezianischen danke Ich Ulna Perocco.

1'1 In Goldonls Komodlc Il bugtardo, dIe ';'\0 urauf~efUhrt wurde, sprechen m der Druck-fassung I'ant.alone, Bm:hella und Arlecchmo ebenfalls em - allerdIngs ~tark geglatte-tes - \ enezianlsch, Jedoch Ist der Ort der Handlung Venedig und somit der DIalekt -wahrschclI1hch. und gercchtfemgt. GOZZI welSllm Vorwort zu Il COr/lO auf den Dia-lekt Pantalones und Bnghdlas hIn (fruHaldino WIrd nIcht erwahnt) und polemiSIert im gleichen Atemzug gegen GoldonIS Praxis, In den f dltlonen semer Stücke den Dialekt entweder zu e1imll11eren oder durch Anmerkungen zu edautern: -. ·on glUdicandole [SCII. le TeatraI. opere} degne dl passare i monti, 0 i mari per fam leggere dagh e~ten, non prdtiCi del duletto \'enezlano, necessano al nuo Pantalone, e al mlO Brighella, non

Die Flexibilität der zanni-Partien hinsichtlich ihrer Herkunft, die aus Perruccis oben zitierter Beschreibung hervorgeht, hätte es Gozzi sicher-lich erlaubt, sie als Venezianer zu bezeichnen, was er jedoch konsequent vermeidet. Umso auffälliger ist ihre Sprache und darüber hinaus ihre immer wieder aufscheinende Vertrautheit mit Venedig. Inmitten einer in unbestimmter Ferne angesiedelten Handlung hort das venezianische Publikum sein eigenes Idiom also von drei Masken auf der Bühne - im übrigen eine Sprache, die unrerschiedslos von allen Venezianern, ob Doge oder Gondoliere, gesprochen wird 146 und als idenrifikatorisches Element betrachtet werden kann, wobei diese Identifikation zugleich unterminiert wird durch die Diskrepanz von Ort und Sprache, so daß den Masken in sprachlicher Hinsicht eine illusionsstörende Funktion zukommt.

Venedig-Bezug der Masken

In ähnlicher Weise ambivalent ist der häufige explizite Venedig-Bezug in der Maskenrede - ein weiteres Merkmal der habe teatrah Gozzis. Auf-fällig sind die Hinweise auf Venedig insofern, als sie in einem exotisch-märchenhaften Ambiente erfolgen, sei es das erfundene Frattombrosa in Jl corvo, sei es das chinesische Peking (Turandot), das georgische Tiflis (La donna serpente) oder das usbekische Samarkand (I pitoccht Jortu-nati), und offensichtlich einer handlungsimmanenten Motivation entbeh-ren. Dies macht den Kontrast zwischen wirklichkeitsfernem Märchen-geschehen und schlaglichtartiger, detailhafter Rückbindung an eine dem Publikum vertraute Realität in den Maskenpartien umso deutlicher. An den entlegensten Orten bringen die laut Nebentext häufig in orientalische Kostüme gekleideten Masken ohne zu zögern venezianische Örtlichkei-ten, GegebenheiÖrtlichkei-ten, Ereignisse und stadtbekannte Personen ins Spiel und

perdero d tempo a far delle postille alle part! dl que' due personaggI, splegando, verbi-grazla, che osello vuol dire uccello, 0 che aseo vuol dlre aceto ec. Siccome providamente ha fatlo d SIgnor Goldonl nelle stampe dell'opere sue in considerabile benefizio degli stramen.' (Co I I, 12 }).

'<6 Irrtumlich wird das VenezIanische in Gozzis Fiabe teatrab immer wIeder als volks-tümliches Element gewertet, wie z. B. von G. Luclam, Ca rio Gozzi, op. eil., S. 557, der behauptet: .Ie dialecte employe par les Masques est la -langue du eommun., d'un Tiers-Etat pris globalement, sans nuances internes, sans dlversifications psyehologiques, sans contenu n'ellement vecu •. Ohne näher auf Einzelhellen des von Gozzi schriftlich verwendeten Dialekts einzugehen, ist unbestreitbar, daß tur Zeit Gozzis - wie auch davor und danach - das VenezIanische von allen gleichermaßen gesprochen wurde und keinesfalls als schichtenspe7itischcs Charakteristikum, popular oder gar .mlnderwer-tig« gelten kann.

erwähnen i".ugleich ihre Herkunft aus Venedig, Bergamo und eapel, den traditionellen Ursprungsorten der Masken. l ur in seltenen fällen wird diese Inkongruenz von Ort der Handlung, Abstammung und \XTlssen um Veneziana (allein bel Pantalone decken sich die letzten beiden Aspekte) explizit aufgelöst durch eine »vernünftige« Erklarung wie beispielsweise In Turandot, wo Pantalone nebenbei bemerkt, daß ihn das Sc.hlcksal von Venedig an den chinesischen I {of verschlagen habe: »Pnma ehe le mle desgrazie me facesse abbandonar eI mio paese, e ehe la mia fortuna me

innalza~se senza menta all'onor de secretario de Vostra 11aesra, no aveva altra cognizion della China, se no ehe la fusse una polvere bomssima per

Ja freve terlana« (II,2). In allen anderen Stucken bleibt eine Frklarung der Praseni" der ~1askcn an den orientalIschen Höfen aus, die Situation Wird sowohl von Seiten der ~1asken als auch der 11ärchenfiguren als gegeben vorausgesetzt und - wie im Falle des Dialekts - nicht weiter hlflterfragt.

Ob Truffaldino und Brighella nun aus Bergamo, Tartaglia aus Neapel und Pantalone aus Venedig kommen, macht hinsichtlich der venezianischen Finsprengsel kaum elflen Unterschied: ungeachtet ihrer ausdrucklich ge-nannten oder stillschweigend als bekannt vorausgesetzten Herkunft ver-weisen alle vier immer wieder auf Venedig. Stadtbekannte Gestalten wie u. a. »Chiara matta'( (11 rc cervo), »ei strolego ClI1garello« (Turandot),

»la scimia deI Padoanello« (11 mostro turchmo) werden evoziert, Orte, von "Caorle, '\1azorbo, Portobuffole« (11 mostro turchino) bis zur Bra-gola« und »calle de' Corli« (I 'augelImo belverde), und typische Feste

\ .... Ie die Regata storica (L'augcllmo bclverde) genannt und venezianische Lieder gesungen (11 mostro turchino und 11 re de' gcnJ).147 Immer wieder verbindet GOZZI dIe Hinweise auf Venedig mit aktuellen ironisch-kriti-schen Einwürfen, die die Maskenrede seit jeher auszeichnen, da die I m-provisation traditionell Gelegenheit bietet, über das Bühnengeschehen hinaus direkt auf die Wirklichkeit 7U verweisen. Wenn beispielsweise Pantalone in 11 rc ccrvo anlaßlieh der achricht von der Hochzeit des Konigs Deramo mit seiner Tochter Angela ankündigt: » Vado a dar parte con quattro righe a mio fradello Boldo a Venezia delle mie esaltazion. SI ben ehe sta novira andera su madama la gazzetta, nonostante vogio scn-ver una madama lcttera, e metterla a madama la posta« (I,I3), wußte das .... enezianische Publikum, daß Gozzi sich über Chiari mokiert, was später beim Druck in einer Anmerkung erlautert werden mußte: »Alludesi alla gazzetta, ehe scriveva in quel tempo il ignor Abate Chiari, appellandola

I" In der gedruckten Ausgabe Jer habe teatralz vemeht GOZZI die meisten dieser Vene-ziana IT'1t erklarenden Ful;notrn

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madama la gazzetta.« 14~ Auch zur venezianischen Mode fallen in Il re cervo sowie in I pitocchl JortunatL Bemerkungen, deren komische Wir-kung vor allem im ersten Stück durch einen verfremdenden Blick von außen erhöht wird. Brighella, wie Smeraldina in orientalischem Kostüm,

»Smeraldina avra un gran ventaglio, de' gran fiori, e pennacchi in carica-tura« (1,4), hätte es vorgezogen, seine Schwester »alla Veneziana, con un bei tegnon, e con un mantiglion negligente« gekleidet zu sehen, worauf diese antwortet: »Oh ehe matto! 10 ci scommetto, ehe, se vado a Venezia vestita in questa forma, fo innamorare tutti i Veneziani di buon gusto, e ehe i Berrettini rubano dieci mode da questi miei abbigliamenti, e vuotano in tre giorni le borse a tutte le donne Veneziane.« Das Argument Smeral-dinas aufgreifend, erwidert Brighella: »Mo sicuro. La novita pi ase, e per questo se ti fussi comparsa avami al Re de Serendippo alla Veneziana, ti faressi qualche colpo colla novita.« Dieses ironische Spiel mit der Fiktion, in dem die venezianische Realität als das exotisch Neue erscheint und das Orientalische als das Gewöhnliche, macht die Relativität der Standpunkte und die daraus resultierende unterschiedliche Wahrnehmungsweise auf komische Weise deutlich.149

148 Immer wIeder Ist nach Chlaris Ubernahme der Gazzetta veneta 10 der Zeitschrift selbst von .Madama la Gazzetta. die Rede, sei es in direkter Ansprache eines fingIerten Lesers an das Journal, sei es als Sclbstbezeichnung. Der erSte Beleg findet sIch in der Ausgabe vom 18. März 1761; .10 son debitore a Madama la Gauctta [ ... 1«. Parodistisch fugt GOZZI das unsinnIge Epitheton beliebIgen anderen \\'ortern bel.

In Fog" sopra alcune maSSlme IS 39-40) erwähnt Gozzi Chtans euerung ebenfalls:

.Allora il Nugnez che facra i vlsacCl alla Gazzetta si pose a scrivere la Gazzetta, ma per rimediare poi a que1 titolo plebeo dl Gazzetta, egli I'ha nobilitata chiamandola: Madama la Gazzetta.'

149 Eine weitere Variante der Venedig-Bezllge bilden solche, die als mehr oder weniger offensichtliche caplalio bcnevolenllae und Hommage an Venedig interpretiert werden können. Bereits erwähnt wurden die verborgenen intertcxtuellen Bezllge in ['amore delle Ire melarance und l! corvo zu Passagen in Dantes .Inferno. und Basiles.11 corvo«, die sich auf Venedig beziehen (siehe oben Anm. 9 und 74) und eine solche - wenn auch nur Literaturkennern verständliche - Ehrbezeugung darstellen. Dazu zahlen darllber hInaus sehr unterschiedliche Phänomene wie einzelne Außerungen in der Art .semo natt Clvilmente a Venezia, che semo onesti. (l! re cervo, 1,3), oder Pantalones Reaktton auf Altoums Verzweiflung angesichts der Unerbittlichkeit Turandots, .Cara Maesta, no savena ehe consegio darghe. In tel nostri paesi no se zura de sta sorte de legge. '\10 se fa de sta qualira de editti. No ghe esempio, ehe i Prencipi se innamora de un retrat-un, a segno de perder la testa per I'original, e no nasce putte, ehe odia I omeni, come la Prencipessa Turandot, so fia. (Turandot, 11,2), wie auch in derselben Fiaba teatrale die Umgestaltung eines der drei Rätsel gegenllber der Marchenvorlage. Sind dort die Sonne, das Meer und das Jahr zu erraten, ersetzt Go?zi das Meer· Rätsel durch folgendes, das quasi als Höhepunkt an dritter Stelle steht:

Dimmi, qual sia quella terribil fera Quadrupede, ed al.ta, che pltosa Ama chi l'ama, e co' nimici

e

altera.

Che tremar fece il mondo, e ehe orgogliosa

Weitrcichender noch als dlC vortcilhaftc ZeIchnung Angelas, der Toch-ter des Venezianers Pantalone, die sich Im ubrigcn in I pitocchz fortunatz wiederholt, wo König Usbcc die wunderschonc, unbescholtcnc Angela am l:ndc ebenfllls hciratct und auf dcn Thron führt, ist dlc fast durchgän-gig positive bgcn- und Fremdeharaktcrisierung Pantaloncs als außerge-wiihnlich guter und tugendhafter ~1cnsch. Vor allcm in Il corvo erscheint Pantalone als vorbildlicher Adnmal, desscn Gllte, Treue und Umsicht in krassem Gegensatz zu Tanagllas Verhaltcn stchen, wobei gerade in diesem Stuck sel11e Herkunft von der Gludecca stark hcrvorgehoben \'."Ird. Kaum hat er zusammen mIt Pnnz.Jennaro Armilla, Prinzessin von Damaskus, in einer abenteuerlichen I-ahn uber das Mccr nach Frattombrosa gcbracht und damit den sehnlichsten Wunsch Millos, des Komgs und Bruders J en-naros, erfüllt, begegnet ihm am Strand ein Jager auf einem edlen Pferd, einen wunderschönen Falken 111 der I land. Pantalone versaumt es nicht, die beiden herrlichen Tiere für Jennaro zu kaufcn, dcr SIC wlcderum sei-nem Bruder Millo z.u schenken gcdenkt. Auf Jennaros Frage '·Quanto vi costarono?« antwortct Pantalonc:

Weitrcichender noch als dlC vortcilhaftc ZeIchnung Angelas, der Toch-ter des Venezianers Pantalone, die sich Im ubrigcn in I pitocchz fortunatz wiederholt, wo König Usbcc die wunderschonc, unbescholtcnc Angela am l:ndc ebenfllls hciratct und auf dcn Thron führt, ist dlc fast durchgän-gig positive bgcn- und Fremdeharaktcrisierung Pantaloncs als außerge-wiihnlich guter und tugendhafter ~1cnsch. Vor allcm in Il corvo erscheint Pantalone als vorbildlicher Adnmal, desscn Gllte, Treue und Umsicht in krassem Gegensatz zu Tanagllas Verhaltcn stchen, wobei gerade in diesem Stuck sel11e Herkunft von der Gludecca stark hcrvorgehoben \'."Ird. Kaum hat er zusammen mIt Pnnz.Jennaro Armilla, Prinzessin von Damaskus, in einer abenteuerlichen I-ahn uber das Mccr nach Frattombrosa gcbracht und damit den sehnlichsten Wunsch Millos, des Komgs und Bruders J en-naros, erfüllt, begegnet ihm am Strand ein Jager auf einem edlen Pferd, einen wunderschönen Falken 111 der I land. Pantalone versaumt es nicht, die beiden herrlichen Tiere für Jennaro zu kaufcn, dcr SIC wlcderum sei-nem Bruder Millo z.u schenken gcdenkt. Auf Jennaros Frage '·Quanto vi costarono?« antwortct Pantalonc: