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Disziplin für bestimmte Tätigkeiten entwickeln

4.4 Selbstdisziplin herstellen und aufrechterhalten

4.4.1 Disziplin für bestimmte Tätigkeiten entwickeln

Wenn Selbstvermessung zum Zweck einer Selbstdisziplinierung praktiziert wird, kann sich letztere sowohl auf die Ausführung disziplinierter als auch auf die Vermeidung undisziplinier-ter Aktivitäten beziehen. Im Maundisziplinier-terial finden sich vier Aspekte, die die Herausbildung von Selbstdisziplin begünstigen: Kontrolle, Routine, Ablenkungen und Erfolgserlebnisse. Sie alle

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werden im Folgenden als Teil von Selbstvermessungspraktiken thematisiert, d.h. Selbstdiszip-lin entwickelt sich nicht allein aufgrund dieser Aspekte, sondern – wenn auch durch sie be-günstigt – nur im Zusammenhang mit der Vermessung. Andere Disziplinierungspraktiken, deren Ursachen nicht in der Selbstvermessung zu verorten sind, werden in diesem Kapitel nicht thematisiert. Ein Beispiel hierfür ist Jana, die ihr Vorhaben, an einem Marathon teilzu-nehmen, auf Facebook postet und sich aufgrund des daraus resultierenden sozialen Drucks selbst diszipliniert (regelmäßiges Training, tatsächliche Teilnahme, Durchhaltevermögen während des Laufs). Dies steht allerdings in keinem direkten Zusammenhang zu ihrer Selbst-vermessung.

Ein erster Aspekt, der die Herausbildung von Selbstdisziplin begünstigt, ist Kontrolle. Einlei-tend haben wir Ansprüche als Bedingung für Selbstdisziplin definiert. Antons Anspruch ist es bspw. 10000 Schritte am Tag zu gehen:

„Ähm dieser dieser Schrittzähler () auch wenn er nur ne Spielerei is, wen man: üblichen Studien mal Glauben schenkt, dann soll man so 10000 Schritte pro Tag haben. Das is dann schon interes-sant zu sehn dass man eigentlich meistens viel weniger macht. () Also so im Schnitt häng ich so bei fünf-sechstausend“ (Z330-335).

Sein Anspruch resultiert demnach, wie oben beschrieben, aus dem Bewusstwerden seines tatsächlichen Aktivitätsniveaus. Das Kontrollieren ist in diesem Zusammenhang ein Mittel, Anspruch und Realität dauerhaft abzugleichen: Durch regelmäßiges Kontrollieren seiner Schrittzahl wird Anton sein (vermeintliches) Aktivitätsdefizit immer wieder vor Augen ge-führt, wodurch die Herstellung und Aufrechterhaltung von Selbstdisziplin begünstigt wird.

Ähnlich verhält es sich bei Florian: „Natürlich wenn ich jetzt aufstehe und hab eigentlich kei-ne Lust ähm zum Laufen oder zum ähm Krafttraining machen (1) und ich steh auf die Waage und sehe das Ergebnis, wo mir vielleicht nicht zusagt“ (Z439-441). Das (regelmäßige) Verge-genwärtigen seines Zustandes und die damit verbundene Unzufriedenheit führen zu mehr Selbstdisziplin: Florian überwindet sich zum Joggen. Technische Geräte können dabei einen solchen Kontrollmechanismus unterstützen (FlorianS Z964).

Ein anderes Mittel, um Selbstdisziplin aufrechtzuhalten, sind Routinen. Auch für deren Her-ausbildung spielen Artefakte eine Rolle: „Ähm (1) auf der anderen Seite hilft mir die App dann auch, wenn ich- wenn ich krank war und ähm und wieder gesund werde, dann auch tat-sächlich zu meinen alten Gewohnheiten zurückzufinden“ (AmelieG Z761-763). Noom bietet bspw. eine Funktion, die Amelie daran erinnert, Sport zu treiben oder ungesundes Essen zu vermeiden und so dazu beiträgt, Routinen herzustellen.

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Solche Routinen fördern insofern Selbstdisziplin, als sie undisziplinierte Handlungen nicht mehr als Option erscheinen lassen. Ebenso erleichtern Gewohnheiten die Durchführung von Aktivitäten, die als diszipliniert wahrgenommen und damit angestrebt werden:

„Also am Anfang halt schon aber dann irgendwie das läuft dann halt auch so aus. Das ist bei mir häufig so bei Sachen die ich mir vornehm dass ich dann die ersten ein zwei Wochen komplett kon-sequent und dann- (2) also ich bin da so wenn ich dann einmal drin bin dann mach ich es wirklich komplett dauerhaft () das ist so Angewöhnungssache- das ist das Gleiche wie mit Zahnseide () hab ich früher gar nicht gemacht dann hab ich es mir irgendwann angewöhnt und jetzt- () also ich kann gar nicht mehr anders ohne Zahnseide zu nehmen“ (JanaR Z765-770).

Die eingestellten Routinen lassen Sportübungen weniger anstrengend und den zu essenden Salat weniger langweilig erscheinen, was eine disziplinierte Ausführung dieser Tätigkeiten vereinfacht.

Auch Ablenkungen können zur Herausbildung von Selbstdisziplin beitragen. Sie lassen – ähn-lich wie Routinen – Tätigkeiten, zu deren Unterlassung oder Ausführung sich Interviewte überwinden müssen, in den Hintergrund treten, indem sie den Fokus auf etwas anderes len-ken. Gerade technische Artefakte lenken auf spielerische Art und Weise von den Disziplinie-rungsanstrengungen ab. Katharinas Schrittzähler belohnt viele Schritte bspw. mit dem Auf-blühen einer Blume und motiviert sie auf diese Weise mehr Schritte zu gehen:

„[I]ch find man merkts öfter mal bei so kleinen Computerspielen oder so Handyspielen oder so, wie man doch auch für so kleine Belohnungen total ähm die einen total motivieren, oah jetzt will ich des Level noch erreichen oder so (…) und ähm () ja also so‘n bisschen in die Richtung funkti-oniert des bei mir auch und halt so spielerisch“ (Z114-119).

Ein solches Belohnungssystem oder ähnliche Ablenkungstechniken überdecken die mit den vermessenen Tätigkeiten verbundenen Mühen, wodurch auch in diesem Fall diszipliniertes Verhalten leichter fällt.

Weiter können auch Erfolgserlebnisse Disziplinierungsprozesse anregen. Eine Möglichkeit, woraus Erfolgserlebnisse resultieren können, stellen Wettbewerbssituationen dar. David ging bspw. vor seiner Selbstvermessung ungern joggen, zieht nun aber seine Motivation daraus, sich mithilfe der gemessenen Daten mit Freunden zu vergleichen: Insbesondere sein An-spruch, „besser [zu] sein @als seine Freunde@“ (DavidR Z192) treibt ihn an. Der Wettbe-werbsmoment findet sich auch in Anwendungen, die Selbstvermessende auffordern, Trai-ningsergebnisse auf Facebook, anderen Social Media Portalen oder eigens vom Hersteller erstellten Webseiten zu veröffentlichen (Noom, Runtastic, Endomondo). Eine andere Form von Erfolgserlebnissen geht nicht aus direktem Wettbewerb hervor, sondern gründet sich auf die positive Bestätigung der Leistungen vonseiten anderer SelbstvermesserInnen. Christoph

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Metzger z.B. veröffentlicht seine Laufwerte auf der Internetseite Fitocracy (vgl. Glossar), die verschiedene Möglichkeiten zum Austausch, wie das Geben von props8 oder das Kommentie-ren von Werten anderer, bietet:

„Ähm und grad mit diese:m: () Menschen aus Portugal, dieser Triathlonläufer, äh:m: (1) wenn der irgendw:ie: (1) n nen prop gibt und vielleicht da-dazu noch n coolen Kommentar macht, () dann ist das natürlich () der Wahnsinn, wenn der, wenn der, das eigen, eigene sportliche Idol sozusagen () :äh: meint, das war jetzt n gut:e:r, n gutes Training, dann ist da:s: n Boost, gleich wieder Laufen zu gehen, im Prinzip“ (ChristophM Z193-197).

Das Erfolgserlebnis ergibt sich in diesem Fall nicht aus dem Gewinnen eines Wettbewerbs, sondern aus der Bewunderung anderer. Erfolgserlebnisse können schließlich auch dadurch entstehen, dass Entwicklungsfortschritte sichtbar gemacht werden. So führt Johannes‘ erfolg-reiche Selbstvermessung zu einem strukturierteren Alltag, was ihn wiederum zu disziplinierte-rem Verhalten motiviert. Auf die Frage, welchen Nutzen Selbstvermessung für ihn hat, ant-wortet er: „Äh:m (4) Ja sowas wie Zufriedenheit damit oder einfach- einfach- das dient ei-gentlich dazu vor allem, dem was ich mir für mein Leben wünsch treu zu bleiben. So ne Selbstdisziplinierung von mir aus auch“ (JohannesP Z353-355).