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4. Diskussion

4.1. Diskussion der Ratingergebnisse

Um Unterschiede in der empfundenen Erregung der Personen, der empfundenen Valenz und dem empfundenen Kratzdrang in Bezug auf die Pinselbedingungen aufzudecken, wurden 3 zweifaktorielle Varianzanalysen gerechnet, welche zu mehreren signifikanten Ergebnissen führten.

4.1.1. Erregung

Fragestellung 4:

Es zeigte sich, dass weibliche Kontrollpersonen über beide Pinselbedingungen hinweg weniger Erregung berichteten als die Frauen mit Dermatillomanie. Frauen mit Dermatillomanie zeigten weiters mehr Erregung in der schnellen Pinselbedingung als in der langsamen, während weibliche Kontrollpersonen keinen Unterschied der Erregung in den unterschiedlichen Bedingungen aufwiesen. Außerdem wiesen weibliche Kontrollpersonen in der langsamen Pinselbedingung weniger Erregung auf als die Frauen mit Dermatillomanie in der schnellen Pinselbedingung. Schlussendlich ergab sich, dass die weiblichen Kontrollpersonen in der schnellen Pinselbedingung weniger Erregung empfanden als die Skin-Pickerinnen in der langsamen Pinselbedingung.

Ein wichtiges Ergebnis ist, dass Frauen mit Dermatillomanie in beiden Pinselberührungen mehr Erregung berichteten als die Kontrollpersonen. Die stärker vorhandene Erregung der

59 Skin-Pickerinnen könnte beispielsweise durch eine erhöhte sensorische Sensitivität beeinflusst worden sein. Houghton, Alexander, Bauer und Woods (2018) zeigten in ihrer Studie, dass Personen mit körperfokussierten repetitiven Verhaltensstörungen, in welche auch das pathologische Skin-Picking fiel, eine erhöhte sensorische Sensitivität auf Reize unterschiedlicher Art berichteten – beispielsweise taktile und auditorische. Die stärkere Erregung könnte somit unter anderem mit einer taktilen Hypersensitivität zusammenhängen, welche auch in den fMRT-Ergebnissen dieser Studie bei den affektiven Berührungen nachgewiesen werden konnte (siehe Kapitel 4.2.1.). Weiters kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass andere Reize, die währenddessen dargeboten wurden, Einfluss auf die empfundene Erregung hatten. Die Geräuschkulisse im MRT-Scanner ist während der Messung sehr laut. Bedenkt man die berichtete erhöhte auditorische Sensitivität von Houghton et al. (2018), könnten die erhöhten Erregungsratings der Frauen mit Dermatillomanie über beide Pinselbedingungen hinweg auch durch eine potentiell verstärkte Wahrnehmung des Lärms mitbeeinflusst worden sein.

Aspekte der Symptomprovokation sollten in dieser Studie ebenfalls betrachtet werden. Die Bepinselungen des Unterarms wurden sowohl in einer langsamen, angenehmen Geschwindigkeit von 3 cm/s durchgeführt als auch in einer schnellen Geschwindigkeit von 30 cm/s, die der Geschwindigkeit des Kratzens nahekommt. Die Ergebnisse zeigen, dass die Erregungsratings bei den Frauen mit Dermatillomanie in beiden Pinselbedingung höher waren. Es wäre denkbar, dass das Bepinseln des Unterarms eine symptomprovozierende Wirkung hatte. Die Pinselberührungen könnten einen Drang zur Hautmanipulation hervorgerufen haben, welchem nicht nachgegangen werden konnte, da die Haut während der fMRT-Messung nicht manipuliert werden durfte. Dies könnte zu einer erhöhten Anspannung oder Erregung geführt haben. Diese Erklärung kommt in Frage, da in der Untersuchung von Keuthen et al. (2010) einige Personen mit pathologischem Skin-Picking von Anspannung und Nervosität berichteten, bevor sie ihre Haut manipulierten sowie auch bei dem Versuch das Skin-Picking zu unterlassen.

Außerdem ist hier die Argumentation der sozialen Deprivation vertretbar. Die Bepinselungen, die von einer wissenschaftlichen Mitarbeiterin durchgeführt wurden, könnten bei den Skin-Pickerinnen zu einer erhöhten Aufregung geführt haben, da sie psychosoziale Einschränkungen aufzeigen, wie an den Werten der SPIS-S zu sehen ist, und somit möglicherweise gewisse soziale Interaktionen, die mit dem Austausch von Berührungen assoziiert sind, nicht oder kaum erleben.

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4.1.2. Valenz

Fragestellung 5:

Die Ergebnisse zeigen, dass die langsame Pinselbedingung in einer Geschwindigkeit von 3 cm/s von beiden Gruppen angenehmer empfunden wurde als die schnelle Pinselbedingung, welche in einer Geschwindigkeit von 30 cm/s durchgeführt wurde. Dass das Streicheln mittels Pinsel in einer Geschwindigkeit von 30 cm/s weniger angenehm empfunden wird als jenes in der Geschwindigkeit von 3 cm/s, war durch den bisherigen Forschungsstand bereits bekannt (Taneja et al., 2021). Weiters gilt die Geschwindigkeit von 3 cm/s als optimale Stimulationsgeschwindigkeit für C-taktile Fasern (Pawling et al., 2017).

Die Ergebnisse der Valenzratings zeigen außerdem, dass Frauen mit Dermatillomanie, unabhängig von der jeweiligen Pinselbedingung, negativere Valenzratings abgaben als die Kontrollpersonen. Das heißt, sie empfanden die Pinselberührungen allgemein weniger angenehm als die weiblichen Kontrollpersonen.

Patientinnen mit posttraumatischer Belastungsstörung zeigten in einer Studie ähnliche Empfindungen. Sie erhielten sowohl Pinselberührungen als auch persönliche Berührungen in CT optimaler Geschwindigkeit (3cm/s) und CT nicht optimaler Geschwindigkeit (30 cm/s).

Ihre empfundene Valenz in den einzelnen Bedingungen wurde mit jenen einer weiblichen Kontrollgruppe verglichen. Einer der erhaltenen Befunde war, dass die Patientinnen jegliche Berührungsbedingung als weniger angenehm empfanden als die Kontrollpersonen (Strauss et al., 2019). Die posttraumatische Belastungsstörung wurde bisher auch bei einigen Skin-PickerInnen als Komorbidität genannt (Grant et al., 2020). Besonders interpersonelle Traumata, die sexuellen oder körperlichen Missbrauch beinhalten, könnten zu einem veränderten Empfinden von Berührungen führen. Die untersuchten Patientinnen von Strauss et al. (2019) erlebten alle interpersonelle Traumata. Bei der im Rahmen dieser Masterarbeit untersuchten Stichprobe kam es in den klinischen Interviews der Frauen mit Dermatillomanie zu 3 Berichten von erlebten sexuellen Übergriffen. Dass traumatische Erfahrungen zumindest bei diesem Teil der klinischen Gruppe eine Rolle in der empfundenen Valenz der Pinselberührungen spielen könnte, ist anzunehmen. Eine Tabelle aller Komorbiditäten (derzeitige und vergangene), die sich aus den klinischen Interviews ergaben, sind im Anhang E zu finden.

Dass Frauen mit Dermatillomanie die Pinselberührungen als weniger angenehm empfanden, könnte jedoch auch andere interpersonelle Gründe haben. Wichtig ist, in künftigen

61 Untersuchungen die soziale Bindungsfähigkeit der Skin-Pickerinnen zu begutachten sowie Gründe für mögliche soziale Vermeidungsverhaltensweisen. Beispielsweise empfinden Personen mit desorganisierten Bindungsmustern affektive Berührungen als weniger angenehm beziehungsweise unangenehm im Vergleich zu Personen mit organisiertem Bindungsstil (Spitoni et al., 2020).

4.1.3. Kratzdrang

Fragestellung 6:

Die Analysen ergeben, dass Frauen mit Dermatillomanie über beide Bedingungen hinweg einen stärkeren Kratzdrang empfanden als die weiblichen Kontrollpersonen. Weiters zeigen die Ergebnisse, dass die schnelle Pinselbedingung (30 cm/s) in beiden Gruppen zu einem stärkeren Kratzdrang führte als die langsame Pinselbedingung (3 cm/s).

Dass der Kratzdrang in der schnellen Pinselbedingung stärker ausgeprägt war, könnte sich dadurch erklären lassen, dass die Geschwindigkeit von 30 cm/s eher der des Kratzens nahekommt als die langsame Pinselbedingung, welche das Streicheln widerspiegelt.

Der Kratzdrang der Skin-Pickerinnen war, unabhängig von der Pinselbedingung, stärker ausgeprägt als bei den Kontrollpersonen. Da der Drang zur Hautmanipulation als Symptom des Skin-Pickings gilt (Walther et al., 2009), wäre es möglich, dass die Pinselberührungen als Trigger für die Skin-Picking-Symptomatik dienten.

Inwiefern auch persönliche Berührungen innerhalb sozialer Interaktionen diese Symptomatik triggern könnten, gilt es noch herauszufinden. Psychosoziale Einschränkungen aufgrund des Skin-Pickings werden mittels der SPIS beziehungsweise der SPIS-S erhoben. Beispielsweise beziehen sich Items, welche als Aussagen aufgebaut sind, darauf, dass man glaubt, dass das Sozialleben besser wäre, wenn man die Haut nicht manipulieren würde. Weiters beziehen sich Items auf das Gefühl unattraktiv zu sein oder sich zu schämen aufgrund des Skin-Pickings (Snorrason et al., 2013). Das genaue Ausmaß des Vermeidens sozialer Interaktionen wird nicht erfasst, genauso wenig tieferliegende Gründe für das Vermeiden der Interaktionen.

Künftig sollte untersucht werden, ob soziale Aktivitäten nicht nur wegen des Schamgefühls aufgrund der Narben oder ähnliches vermieden werden, sondern auch aufgrund der möglichen triggernden Wirkung durch die Berührungen anderer. Eine umfassende Befragung der Gründe sollte hier stattfinden.

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