• Keine Ergebnisse gefunden

Eine inadäquate Einheilung von Implantaten in kritische Knochendefekte ist oft das Resultat einer mangelhaften Vaskularisation im Zentrum des Defekts. Eine frühe Vaskularisation ist essentiell, um Sauerstoff, Nährstoffe, Zytokine und Zellen, die mit dem Blut transportiert werden, in alle Bereiche des Defektes zu befördern, um eine gute knöcherne Durchbauung zu ermöglichen (CARANO u. FILVAROFF 2003; KANCZLER u. OREFFO 2008). Implantate für eine solche Indikation müssen nicht nur stabil und biokompatibel sein, sondern bei kritisch großen Defekten auch die Angiogenese fördern. In der eigenen Studie1 „Einfluss funktionalisierter metallischer Implantate auf die Angiogenese in vitro“ werden daher Teilaspekte zur Förderung der Angiogenese mit biokompatiblen, funktionalisierten, porösen Implantaten untersucht.

Wichtige Voraussetzung für die Biokompatbilität von Implantaten ist, dass die verwendeten Materialien von den Zielzellen besiedelt werden. Dazu wurden die in dieser Studie geprüften Implantat- und Beschichtungsmaterialien getrennt voneinander untersucht. Dabei zeigte sich, dass Osteoblasten auf dem synthetisch hergestellten Polymer Poly-ɛ-Caprolacton (PCL) über einen Zeitraum von mindestens sieben Tagen vital sind und proliferieren. In der Literatur ist PCL auch als geeignetes Implantatmaterial beschrieben, da es nicht-toxisch, zytokompatibel und degradierbar ist (DASH u. KONKIMALLA 2012). Außerdem kann eine Beschichtung mit PCL die Korrosion von Magnesiumimplantaten im Vergleich zu unbeschichteten Magnesiumimplantaten verlangsamen und eine gute Beschichtungseffizienz im Vergleich zu Poly-3-hydroxybutyrat (P(3HB)) erreichen (MATENA et al. 2015b). Neben dem Beschichtungsmaterial spielt auch die Oberflächenstruktur von Implantaten eine wesentliche Rolle in der Osseointegration. Eine poröse und raue Oberfläche hat einen positiven Effekt auf die Adhäsion und das Wachstum von Osteoblasten (ZHU et al. 2004). Die Ergebnisse der Proliferations- und Vitalitätsassays bestätigen dies, da Osteoblasten auf Titanimplantaten mit 600 µm eine zur Positivkontrolle (Wellboden) vergleichbare Vitalität und Proliferation aufwiesen. Im Live Cell Imaging (LCI) wurde deutlich, dass eine Beschichtung mit PCL       

1 Die vorliegende Arbeit ist Teil eines von der DFG-geförderten Projektes „Entwicklung prävitalisierter metallischer Hybridimplantate mit Biopolymerbeschichtung zur biologisch adäquaten patientenspezifischen Rekonstruktion von Gesichtsschädeldefekten“ (No. 299/11-1).

Diskussion

keine gesteigerten negativen Einflüsse auf das Wachstumsverhalten von Osteoblasten im Vergleich zu unbeschichteten Implantaten hat. Aufgrund der Hydrophobie von PCL wäre zu erwarten gewesen, dass Osteoblasten auf beschichteten Titanimplantaten schlechter adhärieren und proliferieren als auf unbeschichteten Titanimplantaten. Osteoblasten können jedoch über mehrere extrazelluläre Matrixmoleküle (ECM-Moleküle), wie z. B. Vitronectin, Fibronectin, Laminin, Collagen und Fibrin direkt und indirekt an verschiedene Oberflächen binden (BRYNDA et al. 2009; VANDROVCOVA u. BACAKOVA 2011). Somit stellen mit PCL beschichtete poröse Titanimplantate ein gutes Grundmaterial für eine Inkorporation mit den proangiogenen Faktoren VEGF bzw. HMGB1 dar, mit deren Hilfe eine frühe Vaskularisation stimuliert werden soll, um eine frühzeitige und vollständige Knochenheilung zu erreichen (GLOWACKI 1998).

Allein auf Basis dieser Informationen ist es zu früh, das funktionalisierte Implantat im Tiermodell zu prüfen. Daher sollte der Einfluss der hier funktionalisierten Implantate auf die Angiogenese zunächst in vitro getestet werden. Verschiedentlich werden zur Untersuchung der Angiogenese Endothelzellen in vitro benutzt (STATON et al. 2009). In der eigenen Studie kam daher ein Migrationsassay mit der Endothelzelllinie GM7373 zum Einsatz, um zu prüfen ob die Wachstumsfaktoren nach der Inkorporation ihre Bioaktivität beibehalten. Auf diese Weise ließ sich nachweisen, dass die Faktoren VEGF und HMGB1 sowohl einzeln als auch in Kombination nach Abgabe aus der PCL Schicht der Implantate bioaktiv sind.

An Endothelzellen alleine sind die komplexen Vorgänge der Angiogenese und die Interaktion verschiedener Zelltypen, die dabei eine Rolle spielen, nicht hinreichend zu simulieren (STATON et al. 2004; TAHERGORABI u. KHAZAEI 2012). Zur Evaluation des Einflusses metallischer Implantate auf die Angiogenese kam daher ein Assay basierend auf einer Co-Kultur von Endothelzellen (HUVEC = Human Umbilical Vein Endothelial Cells) und Fibroblasten (HDF = Human Dermal Fibroblasts) zur Anwendung. Dieser bietet den Vorteil, dass die Implantate direkt in den Assay eingebracht werden können und somit der Einfluss des vollständigen Implantates, und nicht nur der freigesetzten Faktoren, untersucht werden kann. Die Fibroblasten formen hierbei die Matrix, an der die Endothelzellen entlang wachsen und röhrenförmige Strukturen (Tubuli) bilden (BISHOP et al. 1999). Diese Tubuli verfügen

Diskussion

über ein Lumen und repräsentieren ein in vivo Kapillarbett besser als vergleichbare Matrigel-Assays (BISHOP et al. 1999; DONOVAN et al. 2001).

Andere Möglichkeiten für die Untersuchung des Einflusses bestimmter Scaffolds auf die Angiogenese bieten natürlich in vivo Versuche (STATON et al. 2004; STATON et al. 2009).

Ein etabliertes Modell zur Überprüfung der Biokompatibilität und des Einwachsens von Blutgefäßen stellt die Rückenhautkammer dar (LASCHKE et al. 2011). Hierfür sind allerdings Tiere erforderlich. Bevor nicht geprüft ist, welche Faktoren in welcher Kombination und Konzentration vielversprechend sind, ist es sinnvoll, zunächst in vitro Verfahren zu nutzen, die geeignet sind eine Vorauswahl an geeigneten Materialien zu treffen.

Damit können die erforderlichen Tierzahlen für in vivo Versuche reduziert werden. Dabei ist es wichtig, dass der eingesetzte in vitro Assay die Situation in vivo möglichst gut repräsentiert. Mit dem hier eingesetzten Angiogenese Assay war es möglich, den Einfluss von beschichteten und unbeschichteten Titanimplantaten auf die Angiogenese in vitro zu visualisieren und quantitativ auszuwerten. Die Parameter Anzahl der Junctions, Anzahl der Tubuli, Tubuli-Länge und Anzahl der Netze eignen sich für die quantitative Auswertung (ROLAND et al. 2015).

Neben Titan stellt auch Magnesium ein vielversprechendes Implantatmaterial dar, da es biodegradierbar ist und gegenüber dem Knochen ähnliche mechanische Eigenschaften hat (WAIZY et al. 2013). Aus diesem Grund wurden auch poröse Magnesiumimplantate beschichtet, funktionalisiert und in dem hier verwendeten Angiogenese Assay untersucht.

Dabei zeigte sich jedoch, dass diese trotz der Beschichtung mit PCL zu stark korrodierten und ein Aussprossen der Tubuli nicht sichtbar war. Die Korrosion von Magnesium in wässrigem Milieu führt zur Freisetzung von Wasserstoff in Form von Gas und der Bildung von Magnesiumhydroxid (MgOH), das zu Magnesiumchlorid (MgCl) reagiert (JANNING et al.

2010; WAIZY et al. 2013). Der damit verbundene Milieuwechsel des Zellkulturmediums in den alkalischen Bereich war durch einen Farbumschlag des Indikators erkennbar. Der veränderte pH Wert führte zum Absterben der Zellen bereits zu Beginn des Assays. Für die Prüfung von Magnesiumimplantaten in einem Zellkulturassay bedarf es daher einer größeren Menge an Pufferkapazität im Zellkulturmedium. Matena et al. 2015 nutzten für die Untersuchung der Zellvitalität auf PCL-beschichteten Magnesiumimplantaten 6-well Platten

Diskussion

mit 5 ml DMEM mit 10% FKS (MATENA et al. 2015b). Diese Konditionen können jedoch in dem hier evaluierten Angiogenese Assay nicht realisiert werden, weshalb dieses Assay für Magnesiumimplantate nicht geeignet ist.

Bei Titanimplantaten konnte mit der eigenen Untersuchung ein angiogenesefördernder Effekt von mit VEGF funktionalisierten Implantaten nachgewiesen werden. Die proangiogene Wirkung von VEGF ist in der Literatur bereits vielfach beschrieben (BREIER u. RISAU 1996; FERRARA 2004) und VEGF wird in dem Angiogenese Assay nach Empfehlung des Herstellers auch in der Positivkontrolle verwendet. Auch Titanimplantate, die mit einer Kombination aus VEGF und HMGB1 funktionalisiert wurden, stimulierten die Angiogenese stärker als reine Titanimplantate bzw. PCL-beschichtete Titanimplantate. Somit ist VEGF ein wirksames proangiogenes Zytokin, das sich gut für die Inkorporation in PCL auf Implantaten eignet und sich mit dem Angiogenese Assay der Firma Cellworks in vitro zuverlässig evaluieren lässt.

HMGB1 alleine wies dagegen in dem verwendeten Assay keinen proangiogenen Effekt auf.

Das könnte daran liegen, dass die aus den Implantaten freigesetzten Konzentrationen bzw. die gewählte eingesetzte Konzentration von 100 ng/ml nicht geeignet ist, eine Tubuli Formation in vitro zu stimulieren. Die Konzentration von 100 ng/ml ergab sich aus Vorarbeiten von Matena et al. 2015 und wirkte dort chemotaktisch auf Endothelzellen (MATENA et al.

2015a). In der Literatur sind aber auch andere Konzentrationen, die die Angiogenese stimulieren sollen, beschrieben. So wurde in einem Spheroid-Model mit einer HMGB1 Konzentration von 2 µg/ml die längsten kapillar-ähnlichen Sprossungen beobachtet. VEGF zeigte allerdings auch in diesem Versuchsaufbau ein höheres proangiogenes Potenzial (SCHLUETER et al. 2005). Eine andere Erklärung für das schlechte Abschneiden wäre, dass HMGB1 im Zusammenhang mit einem FGF-abhängigen Signalweg keinen fördernden Effekt auf die Angiogenese hat (TAGUCHI et al. 2000; SCHLUETER et al. 2005). Da in keinem der Angiogenese Assays eine proangiogene Wirkung von HMGB1 nachgewiesen werden konnte, HMGB1 in der Literatur jedoch als proangiogen wirkendes Zytokin mehrfach beschrieben wurde (MITOLA et al. 2006; WAKE et al. 2009), ist davon auszugehen, dass der Signalweg, über den HMGB1 wirkt, in diesem Assay keine Rolle spielt. Diese Hypothese könnte noch

Diskussion

über Wiederholungen des Assays mit verschiedenen HMGB1 Konzentrationen verifiziert werden.

Auffällig war außerdem, dass unbeschichtete Titanimplantate signifikant bessere Resultate zeigten als PCL-beschichtete Titanimplantate. Obwohl PCL über eine gute Zytokompatibilität für Osteoblasten verfügt (ROLAND et al. 2015), scheint es die Angiogenese zu hemmen. PCL ist ein geeignetes Material für Koronarstents (FLEGE et al. 2013) und sollte in diesen Applikationen zwar ebenfalls biokompatibel sein, aber auch das Einwachsen von Blutgefäßen und das Anhaften von Blutzellen möglichst verhindern (FLEGE et al. 2013). Da dieser negative Effekt auf die Angiogenese allerdings durch die Inkorporation von VEGF ausgleichbar ist, sind funktionalisierte, PCL-beschichtete Titanimplantate vielversprechend für die Behandlung von kritischen Defekten im Schädelbereich. Trotzdem bietet es sich für die Zukunft an, andere Polymere, die die Angiogenese nicht negativ beeinflussen, zu evaluieren.

Für die Stimulation der Angiogenese sowohl in vitro als auch in vivo durch funktionalisierte Implantate ist die Konzentration der freigesetzten Faktoren entscheidend. Ist diese zu niedrig, bleibt ein proangiogener Effekt aus bzw. ist zu schwach. Ist diese zu hoch, können die Faktoren auch zytotoxische Effekte haben (YANG et al. 2015). Daher wurde in dieser Arbeit auch die Freisetzungskinetik der Faktoren VEGF und HMGB1 aus den beschichteten Implantaten mit einem ELISA untersucht. Dabei zeigte sich eine sehr schnelle initiale Freisetzung, die dann rasch abfällt und ein Plateau erreicht. Das spricht dafür, dass ein Großteil der Proteine an der Oberfläche des Polymers adsorbiert. Da aber auch nach 11 und nach 14 Tagen noch messbare Konzentrationen VEGF bzw. HMGB1 freigesetzt wurden, ist wohl ein Teil der Proteine auch in tiefere Schichten des Polymers eingedrungen.

Die großen Unterschiede in der freigesetzten Proteinmenge zwischen den einzelnen Implantaten resultiert aus einer sehr ungleichmäßigen Dicke der PCL Beschichtung mit hoher Standardabweichung (ROLAND et al. 2016). Auffällig ist dabei, dass mehr HMGB1 freigesetzt wird, wenn HMGB1 und VEGF zusammen inkorporiert wurden. Der „Vromann Effekt“ beschreibt dazu, dass Proteine die ein kleineres Molekulargewicht haben und in einer höheren Konzentration vorliegen zuerst an eine Oberfläche binden, und dann von Proteinen

Diskussion

(LASSEN u. MALMSTEN 1997). Eine andere Studie zeigt auch, dass die Proteine mit einem höheren Molekulargewicht an die bereits adsorbierte Proteinschicht binden und so einen Komplex bilden. Dieser Komplex dreht sich, sodass nun die Proteine mit der höheren Bindungsaffinität und dem höheren Molekulargewicht auf der Polymeroberfläche binden. Die Proteine mit kleinerem Molekulargewicht können nun die Lücken zwischen den großen Proteinmolekülen auf der Polymeroberfläche füllen und zusätzlich eine zweite Proteinschicht auf den gebundenen Proteinen bilden (HIRSH et al. 2013). Da HMGB1 ein niedrigeres Molekulargewicht (24,9 kDa) hat als VEGF (46 kDa), kann es sowohl die Lücken zwischen den größeren VEGF-Molekülen auf der PCL Oberfläche füllen als auch eine zusätzliche Schicht auf dem VEGF bilden. Das könnte erklären, wieso bei der Inkorporation von beiden Faktoren mehr HMGB1 frei gesetzt wurde als wenn HMGB1 alleine inkorporiert wurde.

In der vorliegenden Arbeit konnte gezeigt werden, dass das Angiogenese Assay der Firma Cellworks eine geeignete Methode darstellt, um den Einfluss von Titanimplantaten auf die Angiogenese in vitro zu untersuchen. Für funktionalisierte Magnesiumimplantate ist diese Methode auf Grund der starken initialen Korrosion nicht geeignet. Mit VEGF funktionalisierte PCL-beschichtete Titanimplantate zeigten in vitro einen proangiogenen Effekt und sind daher geeignet, um eine frühe Vaskularisation in kritischen Schädeldefekten zu fördern und somit die Knochenheilung positiv zu beeinflussen. Da eine kontinuierliche Wirkstoffabgabe aus dem Implantat erwünscht ist, und die PCL-Schicht in den Untersuchungen einen negativen Einfluss auf die Angiogenese zeigte, gilt es noch, in Zukunft die Polymergestaltung zu optimieren und ein günstigeres Dosis-/Wirkungsverhältnis zu schaffen. Ein nächster Schritt wäre dann die Evaluierung in etablierten Tiermodellen, z. B. der Rückenhautkammer (LASCHKE et al. 2011) und der anschließende Vergleich der in vivo Ergebnisse mit Ergebnissen des Angiogenese Assays. Sollten die Ergebnisse aus den in vitro und den in vivo Untersuchungen miteinander korrelieren, bietet das Angiogenese Assay eine gute Möglichkeit, um Tierversuchszahlen in Zukunft zu reduzieren.

Zusammenfassung