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Selbst bei kritischer Betrachtung von Vorfällen mit Medizinprodukten darf nicht pauschal auf die gesamte Branche geschlossen werden. Die Klassifizierung von Medizinprodukten spielt gerade in diesem Zusammenhang eine große Rolle und verschärft bei Produkten mit höherem Patientenrisiko auch die Marktzugangsvoraussetzungen. Grundsätzlich können Medizinprodukte nicht uneingeschränkt mit Arzneimitteln verglichen werden. Ein kürzerer Innovationszyklus, wie ihn Medizinprodukte haben, bedarf auch kürzerer

Marktzugangszeiten, darf jedoch nicht das Patientenwohl gefährden. In diesem Fall muss auch beachtet werden, dass das Wohl des Patienten auch durch Verwehrung Innovativer MP gefährdet werden kann. Wird der Marktzugang durch Überregulierung für Unternehmen nicht mehr rentabel, könnten innovative Techniken und vor allem Nischenbereiche nicht mehr ausreichend versorgt werden. Eine bedenkliche Entwicklung, die sich auch in den Aussagen der befragten Unternehmen widerspiegeln. So rechneten nur 25 % der teilgenommenen MP/AIMP-Betriebe und 33 % der IVD-Betriebe mit einer Verbesserung der

Patientensicherheit durch die zu diesem Zeitpunkt geplanten Verordnungen für MP bzw. IVD und weniger als die Hälfte der Teilnehmer schloss eine Schmälerung ihres Produktangebots aufgrund der geplanten Verordnungen aus.

Grundsätzlich werden Änderungen im Gesetzesrahmen aber auch durch die Industrie begrüßt, da einige Unklarheiten und Lücken in den Richtlinien in der Vergangenheit immer wieder zu Diskrepanzen geführt haben. Dazu gehören beispielsweise mangelnde Vorgaben in einem Land und Überregulierung in einem anderen Land (z.B. Wiederaufbereitung von Einwegprodukten362). Diese Unsicherheiten können durch die Verordnungen für MP/AIMP und IVD zunehmend eingedämmt werden, da diese direkt, ohne nationale Umsetzung gelten. Diese Art der Harmonisierung wird seitens der Industrie begrüßt, wie die öffentliche Anhörung im Vorfeld der Veröffentlichung der Medizinprodukteverordnungen ergeben hat.

Dem gegenüber stehen jedoch Mehraufwand bei der Umsetzung der Verordnungen für MP/IVD und die damit einhergehende Kostenerhöhung der Produkte und Verzögerungen im Marktzugang. 363

Das Vorgehen der EU nach dem „neuen Konzept“ hat mit den MP-RL bereits einen guten Ausgangspunkt für Anpassungen im Gesetzesrahmen geschaffen. Spezielle Anforderungen, die erfüllt werden müssen, können durch nicht verbindliche Vorgabedokumente umgesetzt werden. Betrachtet man die Verbindlichkeit einiger dieser Dokumente, kommt es jedoch bereits zu ersten Schwierigkeiten. Durch die Überprüfung von benannten Stellen sind Unterschiede von Land zu Land sowie zwischen dem Vorgehen verschiedener benannter Stellen bereits gang und gäbe. Ebenso verhält es sich mit den allgemeinen Vorgaben seitens der Gesetzgeber. Hierbei sind die MEDDEV Dokumente zu nennen, von denen

362 C. Jäkel; Rechtliche Rahmenbedingungen für die Aufbereitung von Medizinprodukten; Hygiene & Medizin 2008; 33:269-298

363 EK; Medical Devices - Revisions of Medical Device Directives. Online verfügbar unter

http://ec.europa.eu/growth/sectors/medical-devices/regulatory-framework/revision_en, zuletzt geprüft am 26.07.2016

„ausgegangen wird“ dass diese Verwendet werden364. Dies wird fortgesetzt bei Normen, harmonisiert oder nicht, sowie anderen Guidelines. In diesen Bereichen müssen die

Erwartungen an die Hersteller klarer definiert werden und die Vorgehensweise bei Audits von benannten Stellen harmonisiert werden.

Interpretationsspielraum bleibt auch bei der Aussage „nach dem Stand der Technik“, wie es die MP-RL sowie die MP-VO in den grundlegenden Anforderungen bzw. allgemeinen Sicherheits- und Leistungsanforderungen vorgeben. Eine Vielzahl von Vorgabedokumenten wird nicht immer zeitgerecht angepasst (z.B. MEDDEV-Dokumente). Darüber hinaus werden Normen oftmals erst spät bzw. nicht harmonisiert, was die Unsicherheit bei den Herstellern steigert. Mangels alternativer Vorgaben würden veraltete harmonisierte Normen dem „Stand der Technik“ entsprechen. Anpassungen in allgemeinen Vorgabedokumenten, deren

Anwendung praktisch vorausgesetzt werden, müssen daher zeitgerechter stattfinden. Ein Schritt in diese Richtung wurde mit den VO für MP gesetzt. Hier wurden einzelne

Anforderungen aus Normen, MEDDEV-Dokumenten und IMDRF-Dokumenten angepasst bzw. übernommen, was mehr Klarheit bezüglich der Rechtsverbindlichkeit schafft. Die tiefgreifenden Änderungen im Bereich der Marktsicherheit, allen voran PMS und klinische Studien werden künftig große Preistreiber der Produkte sein (z.B. Notwendigkeit von klinischen Studien).

Durch den massiven Umbruch in der vertikalen Gesetzgebung sind die horizontalen

Umweltgesetze RoHS und REACH zum Zeitpunkt dieser Arbeit in den Hintergrund geraten.

Dies zeigte sich sowohl bei der Befragung von Interessensvertretungen als auch bei Unternehmen. Die fehlende Präsenz darf hierbei jedoch nicht mit fehlender Relevanz bzw.

Bedeutung verwechselt werden. Der Einfluss dieser Gesetze vor allem auf die

Produktgestaltung darf nicht unterschätzt werden. Aktive Medizinprodukte werden in Zukunft immer stärker von den Vorgaben der RoHS-RL geprägt werden. Ausnahmen und

Übergangsfristen für Medizinprodukte werden mittelfristig auslaufen und somit viele MP vom Markt verschwinden, falls die Entwicklung von RoHS-konformen Nachfolgegeräten nicht bereits begonnen wurde. Einfluss auf die gesamte MP-Branche haben die Vorgaben der REACH-VO. Diese VO bietet für MP nur enge Ausnahmeregelungen und hat, noch mehr als RoHS, Auswirkung auf die gesamte Lieferkette. In vielen Unternehmen werden

Umweltpolitische Maßnahmen verstärkt eingeführt. Vor allem für größere Betriebe bzw.

Konzerne sind daher die RoHS-RL und die REACH-VO großer Bestandteil. In der Umfrage mit 151 Teilnehmern aus der Industrie hat sich gezeigt, dass jedoch vor allem bei kleineren Unternehmen der Bezug zu diesen Gesetzen fehlt und die gesamte Tragweite noch nicht erkannt wurde. Sowohl RoHS als auch REACH üben einen nicht zu unterschätzenden

364 Vgl.: EK; MEDDEV 2.7/1 revision 4, Clinical evaluation: a guide for manufacturers and notified bodies; June 2016, S. 4

Einfluss auf die Produktgestaltung und das Produktsortiment aus. So gaben 32 % von 105 befragen Unternehmen an, einen Rohstoff im Produkt ausgetauscht zu haben und weitere 8 % stellten die Produktion eines MP aufgrund von REACH ein. Noch deutlicher ist das Ausmaß bei RoHS. Hier gaben von 95 befragten Unternehmen 47 % an einen Rohstoff ausgetauscht zu haben und 22 % stellten die Produktion eines MP ein.

Grundsätzlich spiegeln diese Entwicklungen auch den Fortschritt in der Technik wieder und umweltpolitische Maßnahmen sind hierbei auch zum Wohle aller Menschen. Jedoch dürfen diese Maßnahmen nicht zum Wegfall von lebensnotwendigen Medizinprodukten führen, für die es keine alternativen Rohstoffe gibt. Ausnahmeregelungen und angemessene

Übergangsfristen sind daher in diesem Bereich auch künftig essentiell.

Aus den Ergebnissen der Literaturrecherche und der Befragungen lassen sich essentiell folgende Empfehlungen ableiten:

Um unnötige Doppelregulierungen und Mehrbelastungen und damit verbundene

Preiserhöhungen zu verhindern, werden auch in Zukunft gerade für horizontale Gesetze umfassende Folgeabschätzungen notwendig sein. Diese sollten auch bei Änderungen in Gesetzesvorschlägen entsprechend angepasst werden. Da der Weg zu neuen Gesetzen oftmals langwierig ist (wie die Entwicklung der MP-VO zeigt), die Innovationszyklen von Medizinprodukten jedoch relativ kurz sind, sollte auch eine Harmonisierung in der Anerkennung von diversen Vorgabedokumenten zumindest im CE-Bereich in Zukunft

angestrebt werden. Gesetze und Vorgabedokumente sollten auch zeitnah angepasst werden und auch neue Technologien rascher miteinbeziehen um große Lücken nicht entstehen zu lassen.

Die Einflussnahme von horizontalen Gesetzen (z.B. RoHS und REACH) kann zu

Doppelregulierungen in einigen Bereichen führen. Hierauf sollte der Gesetzgeber in Zukunft größeres Augenmerk legen, um Mehraufwand ohne zusätzlichen Erhöhung der

Patientensicherheit zu vermeiden. Das Bewusstsein der Tragweite dieser Gesetze muss in einigen Betrieben noch geschaffen werden. Hauptaugenmerk sollten hierbei Klein- und Mittelbetriebe sein um diese nicht vom Markt zu verdrängen. Ausnahmeregelungen für Medizinprodukte ohne alternative Rohstoffe, müssen auch in Zukunft eine Option bleiben.